Harmonie von Seraphin ================================================================================ Kapitel 16: Harmonie -------------------- Kapitel 16: Harmonie Der wolkenlose Himmel lag wie ein strahlend-blauer See über ihnen. So klar, dass Hermine einfach nach oben sehen musste um sicherzugehen, dass sich dort im Azur keine Bäume, Sträucher oder Menschen spiegelten. Hermine hielt die Hände vor die Augen um sie vor der Sonne zu schützen, die ihr wärmend auf Nase, Wangen und Hände schien. Sie legte den Kopf in den Nacken und genoss es, wie die warme Brise durch ihr Haar wehte, über ihren Hals strich und die Luft mit himmlischen Frühlingsdüften erfüllte. Angenehm warm, mit mindestens fünfundzwanzig Grad. Beinahe sommerlich, doch nein, die Farben, Gerüche und sogar Hermines Stimmung waren untrügliche Zeichen des Frühlings. Der blühende Mandelbaum über ihr raschelte leise und hin und wieder schwebten einzelne zart-rosa Blütenblätter vom Baum herab, segelten wie pastellfarbene Papierflieger durch die Luft und landeten im Gras. Die Wiese war von einem saftigen, leuchtenden Grün. Blumen überzogen das ganze Gelände wie ein leuchtend bunter Teppich aus Veilchen, Schneeglöckchen und Vergissmeinnicht. All das gesäumt von Mandel-, Kirsch- und Pfirsichbäumen, deren Blüten wie zart duftende rosa Wolken über der Erde schwebten. Hermine hatte Malfoy zwar gesagt, dass Kirschbäume nicht zeitgleich neben Mandel- und Pfirsichbäumen blühten, dass es so etwas wie Lotusblütenbäume gar nicht gab und Schneeglöckchen nicht zur selben Zeit wie Veilchen und Vergissmeinnicht blühten, aber er hatte ihr daraufhin nur genervt den Mund verboten, sein Hemd ausgezogen und es vor sich auf der Wiese ausgebreitet, wo er sich mit wohligem Seufzen auf dem Bauch ausgestreckt hatte. Sie konnte nicht leugnen, dass das ganze einen gewissen Reiz hatte. Sie lächelte über die in allen Farben des Regenbogens schillernden Schmetterlinge, die wie Wolken aus Licht und Farben über die Wiese schwebten. Wunderschön. Passend zu Slytherin hatte Draco natürlich auch smaragdfarbene Falter beschworen. Auf Bienen, Wespen, Mücken und alles andere, was ihm gefährlich werden könnte, hatte der Feigling aber verzichtet. Hermine konnte nicht umhin sich zu fragen, wie lange er gebraucht hatte, um das Zimmer in der Heulenden Hütte in diese schon beinahe kitschig anmutende Frühlingsidylle zu verwandeln. Ebenso fragte sie sich, wie viele Blümchen und Schmetterlinge immer noch im Slytherinkerker zu finden waren, die Draco nach dem Üben wegzuzaubern vergessen hatte. Dennoch, wunderschön. Hermine ließ sich schließlich im Schneidersitz nieder. Sie hatte sich nun endgültig dazu durchgerungen hierzubleiben und so suchte sie nach einer Position, in der sie bequem sitzen konnte. Sie hatte ein wenig nachgeforscht und schnell herausgefunden, dass man an Tagen wie diesen, wenn er einmal ausnahmsweise nicht nachsitzen musste, auch seinen Aufenthaltsort nicht magisch nachverfolgte. Ministeriumserlass Nummer… irgendwas besagte, dass das Nachsitzen nicht von den Lehrern über die Maßen ausgenutzt werden durfte. Über die Maßen war ein dehnbarer Begriff und so hatte Kingsley beschlossen, dass alle sieben Tage ein freier Nachmittag genug sei, um die „Anti-Kinderarbeit“-Klausel nicht zu verletzen. Sie zögerte kurz, doch dann fasste sie sich ein Herz und griff nach der Flasche, die der blonde Jammerlappen überdeutlich sichtbar neben sich auf die Wiese gestellt hatte. Während schweres, nach Mandeln duftendes Öl über ihre Finger glitt dachte sie darüber nach, wie skurril diese ganze Szene doch war. Wirklich nachvollziehen, warum sie gekommen war, konnte sie nicht. Malfoy hatte ihr nach dem Unterricht, als er sie ausgesprochen grob umgekrempelt hatte, einen Zettel zugesteckt, auf dem die recht knapp formulierte Bitte stand, nach der Zaubertrankstunde in die Heulende Hütte zu kommen. Harry hatte ihr während des Frühstücks von einem weiteren Ausraster Malfoys erzählt, einen von vielen in der letzten Zeit. Sie war um diese Zeit schon in Alte Runen gewesen, während Harry immer noch mehr oder weniger gemütlich frühstückte. Gegen neun Uhr war dann wohl Malfoy, flankiert von Crabbe und Goyle in die Halle marschiert. Sie waren noch nicht einmal an ihren Plätzen angekommen, als der Ärger auch schon losging. Draco hatte Harry angeschnauzt, woraufhin der ihm heftig Paroli geboten hatte. Da Draco im Moment aber nicht in der Lage zu sein schien, gleichzeitig jemanden zu beleidigen und nach vorne zu sehen, verhedderten sich seine Füße in seinem Umhang, er krachte auf Goyle und zog Crabbe mit sich, der dann seinerseits auf Draco landete. Fluchend und schimpfend hatte sich Draco wieder aus seiner beengten Lage befreit, nur um abermals zu stolpern. Bäuchlings voraus landete er auf einem üppig mit Marmeladentoast beladenen Teller eines Erstklässlers. Harry sagte Hermine, dass dieser Junge wirklich nichts anderes getan hatte, als einfach nur dazusitzen und Malfoy ängstlich anzusehen. Malfoy selbst wäre nur deshalb wie ein Irrer auf diesen Jungen losgegangen und hätte ihm die Nase zertrümmert. Hermine hatte selbst genug von Malfoys Blackouts mitbekommen, um zu wissen, wie unerwartet und bedrohlich diese wirken konnten. So machte sie auch Harry und den anderen keine Vorwürfe, dass sie dem Jungen nicht sofort zur Hilfe gekommen waren. Selbst Crabbe und Goyle hatten, laut Harry, vollkommen verängstigt und verwirrt gewirkt und nichts anderes als „Sollen wir jetzt mitmachen?“ fragen können. War es nun Ginny oder Harry? Irgendjemand hatte jedenfalls daraufhin den Zauberstab gezogen und auf Malfoy gerichtet, um ihn zu schocken. Danach war er, wieder einmal, zu Madam Pomfrey gebracht worden. Jedenfalls hatte Draco in der Zaubertrankstunde gefehlt und war dann erst gekommen, als alle anderen schon ihre Bücher einpackten. Wahrscheinlich hatte er schon wieder Strafarbeit bei Shacklebolt aufgebrummt bekommen. Ein Umstand, der Hermine jedes Mal mehr beunruhigte, weil sich ihr die Frage aufdrängte, ob Draco wirklich klar war, dass eine endgültig negative Beurteilung von McGonagall oder Shacklebolt ihn mehr als seinen Schulabschluss kosten konnte. Ihre Hände waren weich, glitschig und wurden bei den kreisenden Bewegungen, die sie auf seinen Schulterblättern vollführte, langsam wärmer. Ihre öligen Hände strichen mit festem Druck seine Wirbelsäule herunter und wieder hinauf. Vorsichtig passte sie auf, seine blonden Haare nur mit ihrem Handrücken aus seinem Nacken zu streichen, den sie daraufhin mit festen Griffen zu kneten begann. Draco lag still vor ihr, hatte die Augen geschlossen und den Kopf auf seine Arme gebettet. Sein vorhin noch viel zu ernst für sein Alter wirkendes Gesicht hatte sich merklich entspannt. Fast meinte sie sogar, eine leicht rosige Verfärbung der Wangen wahrzunehmen. War er wirklich rot geworden, als er sich vor ihr ausgezogen hatte? Und dabei war es doch nur sein Rücken, der bar und schutzlos von ihren Händen bearbeitet wurde. Wahrscheinlich war das aber schon anstrengend genug für ihn, sich ihr so schutzlos und ohne Waffe in den Händen zu präsentieren. Ein bisschen war Hermine stolz auf sich, ein bisschen hatte sie Angst. War es nun gut oder schlecht, dass er sie nicht als Gefahr einstufte? „Willst du mir irgendwas sagen?“, setzte sie ihre Überlegungen laut fort, während ihre Hände vom Nacken weg, hinüber zu den Schulterblättern glitten und dort weitermassierten. „Warum sollte ich mit dir reden wollen, Granger?“ Hermine rollte mit den Augen. Warum? Ja, warum? Weil ihnen doch beiden klar war, dass das der einzige Grund war, warum er sie hierher gebeten hatte. Er wollte reden und ein bisschen bedauert und getröstet werden. Danach würde er sich dann ohne ein Wort des Dankes davonmachen und sie - wieder im Schloss – ignorieren und beschimpfen, bis es ihm wieder zu viel wurde und er sich bei ihr erneut bei ihr ausweinen wollte. Das fünfte Treffen dieser Art war das heute und immer verlief es nach dem gleichen Schema. Natürlich wollte er reden. Er redete ja fast die ganze Zeit alleine. Hermine kam kaum zu Wort, wofür sie auch aufrichtig dankbar war. Sie war nicht soweit, war noch lange nicht soweit, irgendeinem Menschen auf der ganzen Welt von ihren Sorgen zu erzählen. Am allerwenigsten ihm. Ging es ihm denn mit ihr nicht genauso? Oft fragte sie sich, wie einsam ein Mensch sein musste, der ausgerechnet jemanden aussuchte, den er verachtete, um ihm die schlimmsten Dinge, die intimsten Geheimnisse und größten Ängste zu offenbaren. Grausam und surreal war all das, was er erzählte. Hermine verschloss ihren Geist vor den Bildern, die er ihr mit seinen Worten aufdrängte und konzentrierte sich, genau wie jetzt, nur auf das Gefühl ihrer Hände auf seiner Haut. Trotzdem gab es wohl auch vieles, das er ihr nicht sagte. Hermine vermutete, dass es die Dinge waren, die er selbst getan hatte. Manches wusste er wohl sowieso nicht mehr. Die Lücken schienen das Schlimmste für ihn zu sein, weil in dieser Zeit vermutlich Dinge geschehen waren, die zu entsetzlich waren, um sich daran zu erinnern. Mitten im Satz brach er manchmal ab, begann zu zittern und fand einfach keine Worte mehr. Keinen Ton brachte er dann heraus. Bei ihrem letzten Treffen war es so gewesen. Er war schon total verstört zu ihr gekommen, hatte immer wieder angesetzt irgend etwas zu sagen, doch kamen keine Worte über seine Lippen. Hermine hatte daraufhin eine ganze Woche lang keine Zeitung mehr gelesen. Es hatte nicht vieler Worte bedurft, um die Regeln dieser Treffen auszumachen. Selbstverständlich sollte niemand etwas von dem, was er hörte, an andere weitergeben. Hermine fragte sich, ob das auf Dauer machbar war. Da sie sich ihrerseits mit Enthüllungen sehr bedeckt hielt, war das genau genommen aber nicht ihr Problem. Seine Bedingung war, dass er in Gegenwart so feindselig sein durfte wie sonst auch und ihre war, dass er sie nicht anfassen durfte. Es war halbwegs okay ihn anzufassen, so wie jetzt zum Beispiel. Er selbst durfte noch nicht einmal ihre Hände berühren, die tröstend über seinen Rücken, seine Wangen und seine Schultern streichelten. Meist kehrte er ihr deswegen auch den Rücken zu. Ein bizarrer Vertrauensbeweis für einen Menschen, der so offensichtlich paranoid war. Vielleicht war dieses versteckte Lob einer der Gründe, warum sie überhaupt kam. „Weißt Du was?“, entgegnete sie gelassen und kippte sich noch etwas Öl über die Handinnenflächen, das sie etwas weiter unterhalb der Schulterblätter zu verreiben begann, „du bist der mit Abstand unsympathischste Mensch, den ich auf der ganzen Welt kenne.“ „Wen interessiert deine Meinung schon?“, nuschelte er leise, winkelte ein Bein seitlich an und drückte die rechte Schulter kaum merklich nach oben, damit ihre Hände diese besser bearbeiten konnten. „Sieh es ein Malfoy, du bist einfach ein Arschloch“, stellte Hermine gelassen fest und begann mit wesentlich mehr Druck, als nötig gewesen wäre, seine Schultern zu bearbeiten. „Du bist ein eingebildeter, überheblicher, feiger Snob.“ Draco knurrte unwillig, woraufhin sie noch ein wenig fester drückte und ihre Abneigung genüßlich weitererklärte: „Jemand, der keine größere Freude im Leben hat, als andere Leute zu mobben. Du hast mehr Vorurteile als Gehirnzellen, bist unhöflich“, Malfoy streckte sein Bein wieder aus und legte sich gerade, so dass sie nun damit beginnen konnte, den unteren Teil des Rückens, knapp über der Hüfte zu massieren, „verwöhnt und außerdem ein Papa-Söhnchen.“ Die letzten Worte bereute sie sofort. Die Muskeln unter ihren Fingern verspannten sich und sie sah, wie die Hände, auf die er sein Gesicht gebettet hatte, sich zu Fäusten ballten. Er schien etwas sagen zu wollen, kaute auf der Unterlippe herum und gerade als sie sich auf einen üblen Fluch gefasst machte, entspannte sich ein Körper wieder. „Und warum bist du dann überhaupt hier?“, fragte er in barschem Ton und seinem Gesichtsausdruck nach war er ehrlich gekränkt. „Ich weiß nicht“, antwortete sie mit ratlosem Achselzucken, „solange ich dir zuhöre, muss ich nicht über mich selbst nachdenken.“ Hermine schwieg, peinlich berührt über die Wahrheit, die sie selbst erst in dem Moment in ihrem vollem Umfang begreifen konnte, da sie ihr über die Lippen kam. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, fragte sie stattdessen so schnell: „Und warum bist du hier?“ Schulterzucken. Er richtete den Oberkörper etwas auf, bettete sich um und drehte sich nun so, dass zwar sein Kopf immer noch von ihr abgewandt lag, doch eines seiner Knie ihre Schenkel berührte. „Weil du Ärger kriegen würdest, wenn du deinen Freunden von mir erzählst. Deswegen kann ich mit dir reden.“ Hermine presste die Fingerkuppen etwas heftiger in seine empfindliche Seite, woraufhin er unwillkürlich zusammenzuckte. „Ich dachte, der Junge will mich umbringen“, murmelte er unvermittelt. „Was? Welcher Junge?“ Hermine war verwirrt, wenn sie auch eine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte. „Der heute morgen? Du dachtest, er will dich mit seinem Toastbrot erschlagen?“ Er seufzte schwer und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nein, ich…“, er stoppte kurz und sein Gesicht verzerrte sich so, als würde ihm selbst jetzt irgendetwas Angst machen. „Ich habe Blut auf meinem Bauch gesehen. Alles war rot und ich dachte, er hätte mir den Bauch aufgeschlitzt.“ „Aber es war doch nur Marmelade.“ „Ja…“ Seine Stimme wurde etwas lauter und klang leicht gereizt. „Das hab ich dann auch gemerkt. Aber in dem Moment… alles war rot und die Leute haben ihre Zauberstäbe auf mich gerichtet. Ich dachte…“, er brach wieder ab und biss sich auf die Lippen, ließ es zu, dass Hermines Hände sanfter, fast zärtlich über seine Schultern strichen. Mit einem Anflug schlechten Gewissens gestand sie sich ein, dass es genau diese Momente waren, die ihr selbst halfen. Solange sie über seine Worte nachdachte, war ihr Geist frei von jedem Gedanken an… das, was vorher gewesen war. „Sowas passiert mir öfter“, flüsterte er kaum hörbar, nachdem er gut zwei Minuten lang geschwiegen hatte. „Ich sehe Dinge, die gar nicht da sind. Manchmal sind es ganze Szenen, manchmal nur einzelne Bilder. Ich sehe Leute herumliegen. Blut oder…“, er holte tief Luft und schluckte. Wieder einer der Momente, in denen er es einfach nicht sagen konnte. Was auch immer. Erneutes, angestrengtes Schnauben. Als er sich ein wenig gesammelt hatte, sprach er weiter: „Es ist schwer zu beschreiben. Es ist, als wäre ich wieder dort. Oder… oder als wären diese Leute bei mir.“ Hermine schloss die Augen und knetete seinen Nacken blind, aber sanft, weiter. Szenen der letzten Monate zogen an ihr vorbei. Begebenheiten, in denen er, für jeden anderen Menschen auf der Welt vollkommen grundlos, auf brutalste Weise ausgerastet war. „So wie in Verteidigung, als du diesen Avada Kedavra abgefeuert hast?“ Er nickte kaum merklich und drehte sich zur Seite, wobei er die Knie anzog und sich wie ein Embryo zusammenrollte. Das deutlichste Zeichen dafür, dass es ihm schlecht ging. „Alles war laut“, murmelte er und legte die Arme um die Knie, „und es wurden Flüche geschrien und… ich hab Schreie gehört. Ich bin nicht mal sicher, ob die Schreie wirklich von anderen Schülern kamen oder ob ich sie mir nur eingebildet habe. Ich dachte… ich dachte, ich weiß nicht mal mehr mit wem ich gekämpft habe, aber ich dachte, er bringt mich um, wenn ich es nicht zuerst tue.“ Hermine hörte auf, seinen Rücken zu bearbeiten, verschloss die Massageölflasche und säuberte ihre öligen Hände. Anstelle seines Nackens streichelte sie nun wieder sein Haar. Unvermittelte drehte er sich auf den Rücken und sah ihr direkt in die Augen. Eine lange, blassrosa, schon vor Monaten verheilte Narbe zog sich quer vom Bauchnabel bis hinauf zum Schlüsselbein über seinen Oberkörper. Ohne darüber nachzudenken legte Hermine eine Hand auf das untere Ende seines Brustkorbes, auf dem sich die Narbe durch seine Atmung leicht hob und wieder senkte. „Harry?“ Dracos Miene verfinsterte sich augenblicklich bei der Erwähnung einer Begebenheit, die er wohl bisher für sein Geheimnis gehalten hatte. Er schnaubte und drückte seinen Oberkörper nach oben, um sie Auge in Auge mit seinem kalten Blick durchbohren zu können. „Hat er etwa davon erzählt, wie er mich umbringen wollte? Wie er mir heimlich aufs Klo nachgeschlichen ist, um mich aufzuschlitzen? Wette, das hat dir gefallen, was?“ Sanft, doch bestimmt drückte sie seinen Oberkörper wieder nach unten, um ihn daran zu hindern, wieder aufzubegehren. „Du weißt, dass das nicht stimmt. Er war ebenso bestürzt wie du. Er wollte sich verteidigen und kannte den Fluch eigentlich nicht. Er hat sich große Vorwürfe deswegen gemacht. Sicher größere als du, obwohl du ihn zuerst angegriffen hast.“ Draco, der sich wohl nun wieder gefangen hatte, zuckte gelangweilt mit den Achseln und legte sich einen Arm hinter den Kopf, um sich wieder bequem vor ihr ausstrecken zu können. Mit der anderen Hand schirmte er seine Augen vor der falschen Sonne ab. Es war merkwürdig, ihn so liegen zu sehen. Nackt und schutzlos. Wie ein Tier, das sich vor einem überlegenen Gegner auf den Rücken legt und diesem seine empfindsamste Stelle anvertraut. Eigentlich wollte Hermine nicht neugierig sein, eigentlich wollte sie auch gar nicht hinsehen. Die Ruhe in seinem Gesicht und das Funkeln in seinen Augen waren ihr zutiefst unangenehm. Dennoch konnte sie den Blick nicht von seinem nackten Oberkörper abwenden. Die Narbe, die sich quer darüber zog, fesselte ihre Aufmerksamkeit. Die blassrosa Linie auf seiner Brust faszinierte sie auf eine für sie selbst unverständliche Weise. Wie hypnotisiert ruhte ihr Blick zuerst auf der Narbe, nur um dann weiter hoch, zu seinen grauen Augen zu wandern, die sie fixierten. So unverständlich ruhig erwiderte er ihren Blick, als sie ihre Hand mit sanftem Druck auf sein Brustbein legte. Genau dort, wo die Narbe begann. Ihr Zeigefinger strich nur einige Millimeter an der Narbe entlang. Ihre Fingerkuppen spürten den heftig pochenden Herzschlag, seine eben noch ruhigen Augen flackerten alarmiert und seine Mundwinkel zuckten nervös, als sie lediglich das tat, worum er sie einen Moment zuvor doch stumm gebeten hatte. Sie wusste zwar nicht genau, was sie falsch gemacht hatte, aber offensichtlich machten Berührungen nicht nur sie nervös. „Tut mir leid“, murmelte sie entschuldigend und zog ihre Hand wieder weg, auch wenn sie nicht wusste, was genau ihr leid tun sollte, denn immerhin berührte sie ihn doch oft. Zwar nur am Rücken, zwar nie, während sie sich direkt in die Augen sahen, nicht auf diese Weise…dennoch… Hermine ließ sich langsam neben ihm ins Gras sinken, da es ihr leichter fiel, ihre Verwirrung über die eben erlebte Situation zu überspielen, wenn sie ihm dabei nicht in die Augen sehen musste. Sie lagen nun zwar Schulter an Schulter, doch konnte sie ihre Hände bequem hinter ihren Kopf legen, so dass diese auf jeden Fall einen Halt haben würden, der sie von unangenehmen Beschäftigungen abhielt. Draco drehte sich zur Seite, legte seinen Kopf auf den angewinkelten Arm und betrachtete sie eine Zeitlang schweigend. Er wirkte nicht peinlich berührt wie eben, als sie seine Narbe berührt hatte, nicht spöttisch wie so oft und auch nicht mit dem flehenden Ausdruck in den Augen, den er immer hatte, wenn er von ihr Trost erhoffte. Anders, irgendwie anders. Vielleicht würde „neugierig“ es am besten treffen. Eher noch nachdenklich. Sie schloss ihre Augen, da die Sonne sie blendete und da sie sich dadurch gleichzeitig vorstellen konnte, in einer weniger beunruhigenden Lage neben ihm zu sein. „Wie geht es dir wegen Greyback?“ Hermine öffnete die Augen und blinzelte, da ihr nun wieder die grelle Sonne ins Gesicht leuchtete. Erst als sie ihre Hand zum Schutz davor hielt, sah sie, dass er sie immer noch mit demselben forschenden, doch nicht unfreundlichen Blick ansah, der sie schon die ganze Zeit verunsicherte. Sie schluckte und holte tief Luft, musste sich erst etwas sammeln, um die Angst und innere Unruhe zu bekämpfen, die sie bei der Nennung dieses verbotenen Namens erfasst hatten. „Was soll das, warum fragst du das?“ Er hob die Augenbrauen und zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht, du sagst es hilft dir, wenn ich dir von meinen Problemen erzähle. Also, nun bin ich dran. Ich habe mich oft genug vor dir ausgezogen.“ Er rieb sich mit der freien Hand über sein Gesicht, um das breite Grinsen zu verbergen, das sich dort ausbreitete, als er die Doppeldeutigkeit seiner Worte selbst begriff. Trotzdem klang er immer noch sachlich, als er forderte: „Du erzählst nie etwas. Ich will jetzt etwas von dir hören.“ Hermine biss sich auf die Lippen, rutschte ein wenig von ihm weg und überlegte. „Es ist schwer… ich, ich habe noch nie mit jemandem darüber geredet“, begann sie zögerlich. „Auch nicht mit Weasley?“ Sie schüttelte den Kopf und hielt sich die Hände vor die Augen, obwohl sie viel lieber ihren Mund, ja, am besten ihr ganzes Gesicht bedeckt hätte, um nicht zu zeigen, wie verletzlich sie dieses Thema machte. „Warum nicht?“, forschte er trotz ihres offensichtlichen Unbehagens weiter. Hermine fühlte sich verunsichert. Offensichtlich hatte er für heute genug davon, betüttelt zu werden. Was er aber nun verlangte, dass sie sich ihrerseits etwas öffnen sollte, war zwar einerseits verständlich und genau genommen auch nur fair, nachdem er sich regelmäßig so offen vor ihr entblößte, andererseits… „Ich bin einfach kein Typ, der gern darüber redet, wenn es ihm schlecht geht.“ Sie errötete und hoffte, dass er es wegen der gleißenden Sonne, die ihm doch ebenfalls ins Gesicht schien, nicht sehen würde. „Versuch es! Du hast doch vorhin schon festgestellt, dass ich eh ein Arschloch bin und du mich nicht leiden kannst. Also was soll‘s? Schlimmer kann es ja nicht mehr kommen, oder?“ Er grinste auf sie auf eine äußert verwirrende, kleinjungenhafte Art an und legte den Kopf schief. Er wirkte ein wenig wie ein kleiner Junge, der sich auf ein besonders schönes Märchen freute – nur dass kleine Kinder normalerweise nicht diesen dunklen, ernsten Ausdruck in den Augen hatten, der wie Pech an ihm haftete. Hermine schloss die Augen und überlegte, dass das alles hier so unwirklich war, dass sie es vielleicht einfach versuchen konnte. Draco hatte in gewisser Weise recht. Er konnte kaum schlechter von ihr denken, als er es ohnehin tat und eigentlich glaubte sie auch nicht, dass er mit irgendjemand über ihre Gespräche reden würde. „Ich habe ihn gehasst“, flüsterte sie leise. „Er war so ekelhaft und ich war so wütend auf ihn. Ich habe immer versucht, gut von anderen zu denken, aber bei ihm geht das nicht. Ich habe noch nie jemanden gehasst, aber ihn hasste ich abgrundtief, weil er mich dazu gebracht hat, mich so schlecht zu fühlen. Aber“, sie bis sich kurz auf die Lippen, schloss die Augen und dachte voller Schmerz daran, wie Ron sie angesehen hatte, als er die Zeitung mit der Nachricht von Greybacks Tod vor ihr verstecken wollte. „Ich… ich weiß nicht, ob ich wollte, dass er stirbt. Ich weiß, ich habe Ron nicht darum gebeten, und er hat es ja auch nicht getan, aber… ich fühle mich sehr schlecht deswegen.“ Sie drehte sich zur Seite, um Draco ins Gesicht sehen zu können, während sie ihre dunkelsten Gedanken offenbarte. Schwer zu sagen, was er dabei dachte oder fühlte. Er stützte sich immer noch auf einen Arm und kaute auf seiner Unterlippe, während er ein paar Pfirsichbäume weiter hinten, am Rande der Illusion, zu beobachten schien. „Weißt du, es ist so verwirrend. Ich fühle mich schuldig, weil er tot ist, das hätte nicht sein dürfen. Niemand soll wegen mir sterben, nicht einmal Greyback. Aber ich bin auch nicht traurig, weil ich ihn gleichzeitig gehasst habe und denke, dass die Welt ein besserer Ort ohne ihn ist. Aber dennoch, dennoch wollte ich nicht, dass er wegen mir sterben soll.“ Sie seufzte, musste schlucken und versuchte, das Flehen in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Es sind so widersprüchliche Gefühle, dass ich eigentlich am liebsten gar nicht darüber nachdenken will, weil es mich innerlich zerreißt.“ Draco sagte nichts, sah nicht mehr hinüber zu den Pfirsichbäumen, sondern betrachtete seine freie Hand, die sehr nahe an Hermines Haar mit ein paar Grashalmen spielte. Er zog die Stirn in Falten und sah aus, als ob er gerade einen inneren Kampf mit sich ausfechten würde. Statt jedoch etwas auf ihr Geständnis zu erwidern, hob er den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. Hermine hielt den Atem an, als seine Hand vom Gras abließ und zu ihr hinüber wanderte. Das hier war alles eine Frage der Kontrolle. Wie viel Kontrolle sie über die Situation hatte, war essentiell um zu entscheiden, ob sie es aushielt, mit ihm alleine zu sein oder nicht. Es war eine Sache ihn anzufassen. Sie konnte Draco wie ein Haustier kraulen, wenn er das brauchte. Manchmal war es sogar okay, ihn in den Arm zu nehmen. Diese Dinge waren akzeptabel, solange sie die einzige war, die handelte und sie die Regel, Grenzen und den weiteren Handlungsverlauf bestimmte. Doch dass er sie anfasste, war definitiv nicht okay – sie erschauderte und zog ruckartig ihren Arm von ihm weg, als sie seine Hand fühlte, die sich sanft auf ihre legte. Draco schloss für einen Moment die Augen und zog seine Hand wieder zurück. Er beschwerte sich nicht, so viel Takt hatte er, trotzdem wirkte er ein wenig gekränkt. Hermine beschloss so zu tun, als ob nichts geschehen wäre. Anstatt ihn weiterhin anzusehen, drehte sie sich wieder auf den Rücken und beobachtete, wie die Blüten des Mandelbaumes sich im sanften Wind wiegten. „Du hast Greyback gekannt, nicht?“, fuhr sie mit dem vorherigen Thema weiter fort, nachdem sie tief durchgeatmet hatte. „Er war doch ein Monster, oder? Die Welt ist doch ohne ihn besser dran?“ Sie flehte, sie merkte selbst, dass sie diese Frage nur stellte, um eine Art Absolution zu erhalten für ein Verbrechen, das andere ihr zuliebe begangen hatten. Vielleicht auch dafür, dass sie, obwohl sie den Mord an sich falsch fand, eine gewisse Erleichterung empfunden hatte, als sie damals die Zeitung gelesen hatte. „Schon, Greyback war schon ein Biest“, schnarrte er aufgebracht. „Was willst du jetzt hören? Die Welt ist ohne ihn besser? Wer sagt das, deine Freunde? Natürlich ist die Welt ohne ihn sicherer, aber die gleichen Leute, die das festgestellt haben, sind auch der Meinung, dass die Welt ohne meine Familie sicherer ist.“ „Oh, das hab ich nicht…“, sie schüttelte abwehrend den Kopf. So hatte sie das doch nicht gemeint. Oder vielleicht doch, aber sie hatte ihn nicht kränken wollen. Draco rutschte etwas näher zu ihr und Hermine wurde leicht übel, als er seinen freien Arm neben ihrem Kopf positionierte, um seinen Oberkörper, mit dem er sich über sie beugte, abzustützen. Sein Gesicht war nur wenige Handbreit von ihrem entfernt. Kalt wie eh und je und voller Verachtung zische er: „Was glaubst du wohl, wer mehr Menschen getötet hat? Greyback oder mein Vater? Du musst nicht mutmaßen, ich verrate es dir: Vater. Ich habe auch Leute getötet, du weißt das. Nicht? Denkst du auch, dass die Welt ohne mich besser wäre?“ Kopfschütteln. Tränen stiegen ihr in die Augen. Ein beklemmendes Gefühl schien ihren Brustkorb zu lähmen. Nicht nur die unvermittelte Nähe seines Körpers, sondern auch die kalte Wahrheit seiner Worte machten ihr Angst. Sie versuchte wegzurutschen, doch sie lag zwischen seinen Armen wie in einem Käfig gefangen. Er beugte sich tief über ihr Ohr. So nah, dass seine Lippen über ihre Ohrmuschel strichen, als er drohend zischte: „Frag mich so etwas nie wieder. Frag mich nie wieder, auf wen man nach der Meinung deiner Freunde alles verzichten kann.“ Hermine schluckte und nickte gehorsam. Sein Gesicht befand sich nun genau über ihrem und sie spürte auf ihrer Haut, wie heftig er atmete. Er schien für einen kurzen Moment etwas zu überlegen, dann gab er sich einen Ruck und rollte sich wieder neben ihr auf den Rücken. „Du würdest niemals zugeben, dass deine Freunde nicht perfekt sind. Stimmt‘s? Dass sie einmal nicht im Recht sein könnten. Es ist so viel einfacher, andere als die Bösen hinzustellen, statt darüber nachzudenken, was die eigene Seite falsch macht.“ Er wollte sie nicht beleidigen, dafür klang er viel zu sachlich, es war eine Feststellung. Eine Weile lang herrschte unbehagliches Schweigen zwischen ihnen. Unausgesprochene Anschuldigungen, Beleidigungen oder vielleicht auch einfach nur Fragen lagen in der Luft, doch keiner wagte, irgendetwas davon auszusprechen. Hermine fühlte, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, doch sie war zu stolz, um sich dafür zu entschuldigen. „Ron hat sich danach sehr verändert“, durchbrach sie das Schweigen. „Sie haben sich alle verändert.“ Hermine brach ab und überlegte, warum ihr dies eben erst selbst richtig klar wurde. Seit Greybacks Tod hatte sich ihr Verhältnis zu Ron verändert. Sie hatten sich offen und ehrlich geliebt, doch seit diesem Vorfall hatte sich vieles verändert. Sie hatte sich einfach nicht mehr so frei und so wohl in seiner Gegenwart gefühlt. Immer waren da diese Fragen gewesen. Hätte er? Konnte er? Hatte er? „Harry hat sich auch verändert. Er fühlt sich nicht wohl dabei. Aber Ron…“ Hermine biss sich auf die Lippen, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Eine sehr große, kalte Hand legte sich um ihren Brustkorb und drückte ihr das Herz zusammen. Die Eiseskälte dieser Hand kühlte ihr Innerstes soweit ab, dass sie zum ersten Mal die Realität der anderen sehen konnte. „Ron war ein wirklich lieber Mensch. Ich weiß, dass du ihn nicht leiden konntest. Er dich ja auch nicht… Aber er war nie so… so kalt und berechnend wie er danach wurde. Ich weiß nicht, ich denke, vielleicht hätte ich mich mehr um ihn kümmern sollen, vielleicht wäre er dann nicht so verbittert geworden. Ich weiß nicht… aber… wenn du selbst nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht, dann schaffst du es auch nicht, dich noch um andere zu kümmern.“ Draco verzog den Mund und rupfte weiter am Gras in seinen Händen. Es schien fast, als hätte er diese Aussage irgendwann gehört, doch nicht gemocht. Das Herz wurde ihr schwer bei dem, was sie gerade gesagt hatte. Wieder einmal lag ihr die Frage auf der Zunge, wie Ron gestorben war. Draco wusste es, das hatte er durchblicken lassen. Gleichzeitig schien aber genau das eines der Dinge zu sein, die er nicht sagen konnte. Einer der Vorfälle, die zu schlimm waren, um sie in Worte zu fassen. Es machte ihr Angst darüber nachzudenken, also fragte sie nicht. Zumindest wusste sie nun, warum sie es sich immer verboten hatte darüber nachzudenken. Weil es unerträglich schmerzhaft war festzustellen, dass sie sich an manchen Tagen nicht nur vor den Todessern gegruselt hatte. Sie wollte es nicht, sie konnte es sich noch nicht erlauben, auch nur ansatzweise Fehler in Ron zu sehen. Dafür war er noch nicht lange genug tot. Hermine richtete sich auf und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie merkte, dass Draco ebenfalls die Position änderte, weil sie den Stoff seiner Kleidung rascheln hörte. Als sie die Hände von ihrem Gesicht nahm, sah sie, dass er sie erneut mit seinen Augen fixierte. Dieser Blick verunsicherte sie, da es unmöglich schien, irgendeine Emotion darin zu lesen. Er lag nur da, atmete ein, atmete aus und sah sie an. „Darf ich dich anfassen?“ Seine Stimme war kalt und klar, sein Gesicht wie aus Stein gemeißelt und doch glaubte sie zu erkennen, dass er nun, da er wohl das ausgesprochen hatte, worüber er den ganzen Tag bereits nachgedacht hatte, eine Spur von Unsicherheit zu erkennen. „Was?“ Ehrlich erschrocken rutschte Hermine auf Händen und Knien ein wenig weg, um sich im Notfall seinem Griff entziehen zu können. Er musste doch merken, dass er sie überrumpelt hatte. Wieso hielt er dennoch keinen Abstand, sondern krabbelte etwas näher zu ihr und blieb dann, nur wenige Zentimeter entfernt, sitzen. „Ich will dich nur einmal berühren dürfen“, bat er zögerlich, regelrecht schüchtern, und rutschte noch ein wenig näher zu ihr. Näher, als irgend sonst jemand ihr in den letzten Monaten hatte kommen dürfen. Sie schloss die Augen und schluckte, da sie sonst glaubte ersticken zu müssen, als sie sah, wie sich seine Hand ihrem Gesicht näherte. Sie atmete flach, hyperventilierte fast, als sich die Männerhand um ihre Wange legte und dort für eine gefühlte Ewigkeit verharrte. Auch mit geschlossenen Augen spürte sie Schwindel, der sie unsicher werden und wanken ließ. Sie hatte Angst, große Angst, doch sie blieb. Ihre Finger krallten sich ins kühle Gras, rissen ganze Büschel davon aus, als sie Haarsträhnen, die nicht zu ihr gehörten, an ihrer Stirn wahrnahm und eine Nasenspitze fühlte, die zart an ihren Schläfen entlang strich. Sie nahm seinen warmen Atem auf ihren Wangen wahr, begleitet von dem Duft des Mandelöls. Erschreckend, Furcht einflößend und doch, und doch blieb sie sitzen. Langsam wurde ihr übel und ganz sicher würde sie jeden Moment umkippen, wenn er auch nur ein klein wenig weiter ginge. Erschreckt stellte sie fest, dass sie nicht nur ihren eigenen, sondern auch seinen Atem hören konnte. Dass das, was an ihrer Schläfe kitzelte, seine Wimpern waren. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper, den sie leicht von ihm weg, nach hinten lehnte. Er folgte ihrer Bewegung und Hermine spürte seine Hand neben ihrem Bein, als er sich nach vorne abstützte. Und sie hörte ihn atmen, atmen, atmen… Hermine fuhr vor Schreck zusammen, als sie nicht nur seine Haare, sondern auch seine Stirn fühlte, die sich sanft an ihre Wange schmiegte und sein Atem über ihre Kehle strich. „Das reicht!“ Heftig stieß sie ihn von sich weg und sprang auf. Malfoy kippte nach hinten um und landete auf seinem Rücken. Sie starrten sich an und Hermine glaubte zu sehen, dass Malfoy ebenso entsetzt aussah, wie sie sich fühlte. Vielleicht war er aber auch nur wütend, zurückgewiesen worden zu sein. Ohne weitere Worte stand er auf, griff nach seinem Zauberstab und innerhalb von Sekunden schwand aller Frühling dahin und ließ nur den Schmutz und Abfall zurück, der hier gewesen war, als sie den Raum betreten hatten. Kalt war es hier drinnen, trostlos und kalt, als wären die Sonne und die bizarre Vertrautheit der Berührung nie da gewesen. Einen Moment noch blieb sie stehen, kaute angespannt auf ihrer Unterlippe, aber dann erlaubte sie sich, kein schlechtes Gewissen zu haben und eilte zur Tür. Er hatte sich nicht an die Regeln gehalten. Er war gefährlich und deswegen musste sie jetzt gehen. Sie war schon fast unten an der Treppe, als sie schnelle Schritte über den Gang eilen hörte. „Granger!“ Auf der untersten Stufe blieb sie stehen, eine Hand am Treppenpfosten festgeklammert, als müsse sie sich selbst festhalten, um nicht zu fliehen, oder zurückzugehen. „Ja?“ „Ich muss heute Abend bei Hagrid nachsitzen.“ Hermine zog ungläubig die Augenbrauen zusammen und drehte sich zu Malfoy um, der ihr mit heraushängendem Hemd, den Schulumhang in der Hand und mit nur einem Schuh nachgeeilt war und sie nun vom oberen Ende der Treppe aus angespannt betrachtete. „Ja und?“ Er hustete und Hermine war sicher, dass er nicht nur deshalb eine Hand vor seinen Mund hielt, sondern auch, damit sie das verlegene Lächeln nicht sehen möge, dass dort vor einer Sekunde vorbeigehuscht war. Er räusperte sich, kratzte sich mit fahrigen Bewegungen um Ohr und erklärte: „Ich soll für Hagrid in den Verbotenen Wald gehen.“ Er seufzte schwer und schloss die Augen, als wäre ihm das, was er hier tat und sagte selbst unendlich peinlich. „Eine Zentaurenherde war gestern dort, weil sie Firenze auflauern wollten. Sie haben ziemlich viel… du weißt schon… das soll ich jetzt wegräumen. Ich dachte, du könntest…“ „Ich soll dir helfen Zentaurenscheiße wegzuputzen?“ Hermine lachte ungläubig. „Malfoy, du bist wirklich der…“ „Nein! Du sollst nichts wegputzen. Wenn's darum ginge, hätte ich Crabbe und Goyle gefragt. Die Sache ist nur“, er wurde etwas leiser, zog sich seinen Umhang über und murmelte unter dem Stoff hervor: „Ich will nicht alleine in den Verbotenen Wald. Und ich dachte du könntest mitkommen, weil es…ähm… sicher nicht so lange dauert und danach könnten wir…“, er hüstelte, „… ein bisschen herumlaufen, reden und uns den Wald ansehen. Aber vielleicht nicht so tief in den Wald hinein weil… äh… wir sonst vielleicht von den Zentauren erschossen werden.“ Eben noch beklommen und verwirrt, konnte sie nun ein Lächeln nicht mehr zurückhalten. Sie straffte sich, verschränkte die Arme über ihrer Brust und legte den Kopf schief und durchbohrte Malfoy mit ihren Augen, der daraufhin den Blick von ihr abwandte und stattdessen auf seine Finger sah, die nervös auf dem Treppengeländer herum trommelten. „Draco, das ist das unromantischste Date, von dem ich je gehört habe“, erwiderte sie mit der kältesten Stimme, deren sie fähig war. „Das ist kein Date“, zischte er empört ob dieses Gedankens. Seine Nasenflügel blähten sich heftig und er verengte die Augen gefährlich und dennoch wich er einige Schritte vor ihr zurück, was dem ganzen eine gewisse Unglaubwürdigkeit gab. „Was bildest du dir eigentlich ein? Das ist nur, weil…“, er hob die Hände, um irgendetwas anzudeuten. Seinem angestrengten Gesichtsausdruck nach suchte er krampfhaft nach irgendeiner wirklich üblen Beschimpfung, mit der er sie über sein unbeholfenes Gebaren hinwegtäuschen konnte. „Nein?“ Hermine giggelte belustigt. Eigentlich sah er fast niedlich aus, wie er so vor ihr stand und versuchte, nicht ein winziges bisschen bittend auszusehen, dabei jedoch kläglich scheiterte. Hermine warf die Haare in den Nacken und hob ihr Kinn herausfordernd. „Natürlich nicht. Du willst mich ja nur nachts ganz alleine in den Wald schleppen, um dir beim Ausmisten zuzusehen, weil du Angst im Dunkeln hast und dich alleine sowieso nicht dort hinein traust. Deswegen nimmst du mich mit, weil du glaubst, dass ich zumindest niemandem sagen würde, wenn du dich mal wieder wie ein Fünfjähriger benimmst. Wirklich, Malfoy, so klingt das Ganze viel cooler und kein bisschen peinlich für dich.“ Angespanntes Schweigen trat ein. Draco trat einen Schritt zurück, dann noch einen und noch einen, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. „Ich sagte doch, ich hätte auch Crabbe und Goyle zwingen können mitzugehen. Ich möchte aber lieber, dass du mitgehst.“ Er vergrub seine Hände in seinem Umhang und senkte seine Augen auf seine verlegen am Boden herum scharrenden Füße. Das war, wenn sie darüber nachdachte, so ziemlich das Netteste, was er je in seinem Leben zu ihr gesagt hatte. Sie konnte ein Lächeln nicht verhindern, konnte nicht einmal gegen den sanften Ton ihrer Stimme ankämpfen, als sie ihm antwortete: „Also gut, ich bin kurz nach acht am Portal.“ Sie drehte sich schnell um und eilte, nein, rannte, den Flur hinunter. So schnell ihre wackligen Knien dies zuließen, denn ansonsten hätte er sie auf eine Art lächeln sehen, die sie selbst nicht verstand. Xxx Draco erwartete sie bereits. Er stand mit verschränkten Armen und lehnte sich gegen das Eichenportal. Ein großer, neu aussehender Rucksack lag neben seinen Füßen. Unter der Tasche lag - Hermine verengte die Augen um sicher zu gehen, dass sie sich nicht täuschte - ein in Geschenkpapier eingewickelter Gegenstand. Er hustete verlegen, als er sie sah und nickte ihr zu. Er schulterte den Rucksack, doch er zögerte und spähte nach allen Seiten, bevor er den eingepackten Gegenstand aufhob. „Hier. Kannst du fangen?“ Ohne die Antwort abzuwarten, warf er ihr den verpackten, recht schweren Gegenstand entgegen. Nun, Hermine konnte nicht gut fangen. Nur ihre Fingerspitzen berührten das Paket, bevor es mit einem lauten, von den Wänden widerhallenden Knall zu Boden fiel. Hermine bückte sich, um das rätselhafte Objekt aufzuheben. Draco sah wohl die Chance Fragen, die sie offensichtlich stellen wollte, zu entgehen, in dem er so schnell wie möglich die Flucht ergriff und bereits die Halle verlassen hatte, als Hermine sich wieder aufrichtete. Als sie das Portal hinter sich schloss, war er schon fast bei Hagrids Hütte angelangt. Hermine musste rennen, um ihn doch noch einholen zu können. „Was ist das?“ „Was?“ „Na, das Paket.“ „Ach, das...“ Er stöhnte gelangweilt, als wäre die Frage sowohl überflüssig als auch albern. „Eine kleine Anerkennung deiner Mühen. Ich war heute Mittag kurz in London.“ Hermine blieb abrupt stehen. „London? Aber du darfst die Schule doch nicht verlassen. Wenn dich nun jemand gesucht hätte. Und... wir sind um vier Uhr aus der Heulenden Hütte raus. Wie...“ Draco winkte lässig ab. „Ich habe mich eben beeilt. Unwichtig. Sieh es als Bezahlung“, kommentierte er träge und beschleunigte seine Schritte noch, was Hermines Eindruck untermauerte, dass er wirklich vor ihr, oder einer Erklärung, zu fliehen versuchte. Den Zauberstab bereits gezogen, hastete er in Richtung einer größeren Lücke zwischen den vor ihnen aufragenden Bäumen. Hermine folgte seinem blonden Schopf, der wie ein Irrlicht vor ihr den Weg entlang tanzte, um sie in die tückische Dunkelheit des Verbotenen Waldes zu locken. „Komm schon“, schnarrte er nach einem kurzen Schulterblick. Und dann, er blieb stehen und drehte sich halb zu ihr um, fügte er etwas leiser hinzu: „Es ist gefährlich hier alleine zu sein.“ Er hob eine Hand und winkte sie ungeduldig zu sich. “Komm her und mach es auf. Ich hab extra Muggelgeld getauscht, um dir das zu kaufen, also sieh es dir gefälligst an.“ Sie hätte nicht überraschter sein können. Muggelgeld? Muggelgeld getauscht? „Du bist in Gringotts gewesen?“ Nachdem, was den Leuten passiert ist, die dort für deine Familie Geld abheben wollten, fügte sie stumm hinzu? Nachdem was er selbst dort... „Warum?“ Draco verzog das Gesicht, als habe er Zahnschmerzen. Der kleine Junge, dem er manchmal glich, wirkte nun, als ob man ihn beim Süßigkeiten klauen erwischt hätte. „Naja... ich dachte, ich kaufe dir etwas aus einem Muggelladen. Weil du doch ein Schlammblut bist...“ Er schnaubte und blies sich eine Strähne aus dem Gesicht, und dann, als das offensichtlich nicht geklappt hatte, fuhr er mit leicht fahrigen Bewegungen durch sein helles Haar. „Vergiss es einfach. Nimm es einfach als Bezahlung.“ Eine vollführte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, als ob das alles viel zu niedrig sei, um sich damit zu befassen, entflammte seinen Zauberstab und begann wie ein Storch auf ein Waldstück zuzumarschieren, dass von Zentaurenhinterlassenschaften übersät war. „Da hinten!“ Er leuchtete mit dem Zauberstab zu einem Platz, wo ein umgefallener Baum und einige große Steine wie zu einer Sitzgruppe zusammengefügt am Boden lagen. „Da kannst du dich hinsetzen und warten. Wird nicht so lange dauern.“ Der Platz inmitten der Steine war nicht vollkommen frei. Reisig, Laub und trockene Zweige waren zu einem halbmeterhohen Scheiterhaufen aufgetürmt worden, den Draco nun mit einer leichten Drehung seines Zauberstabs entzündete. Hermine fragte sich, während sie näher kam und die Wärme des Feuers auf ihrer Haut spürte, wie hektisch Malfoys Nachmittag gewesen sein musste. Alles was sie hier sah, dieser Platz, dieses Geschenk sowie alles andere.. wie hatte er das in ein paar Stunden geschafft? Noch dazu für sie! Hermine setzte sich auf einen dicken, umgefallenen Baumstumpf und betrachtete das Paket auf ihrem Schoß. Ihre Finger glitten über rotgoldenes Geschenkpapier und sie fragte sich, ob er das Muster, das eigentlich viel besser zu Weihnachten gepasst hätte, selbst ausgesucht hatte. Es zerriss unter ihren Fingernägeln und fiel zu Boden. Das, was sie sah, ließ sie das achtlos zu Boden gefallene Papier vergessen. Ein Telefonbuch. Malfoy war in ein Muggelkaufhaus gegangen, um ihr ein Telefonbuch zu besorgen. Hermines Blick folgte Draco, der sich, den leuchtenden Zauberstab in der Hand, mit vorsichtigen Schritten von einem halbwegs sauberen Fleck Waldboden zum nächsten tastete. Ihre Augen wanderten wieder auf das schwere Telefonbuch in ihren Händen, dann wieder zu Draco, der gerade seinen Zauberstab auf einen Haufen Zentaurendung richtete und zurück zu dem Buch. Hermine dachte darüber nach, wie wenig Zeit Draco gehabt haben musste. Dennoch hatte er es geschafft, aus dem Schloss herauszukommen, in eine Großstadt hineinzuapparieren und wieder pünktlich zurück zum Abendessen zu sein. Hermine schüttelte ungläubig ihren Kopf und holte tief Luft, da ihre Kehle enger zu werden schien. Draco warf ihr einen vorsichtigen Blick über die Schulte zu, verzog seinen Mund zu einem scheuen, unsicher wirkenden Lächeln und widmete sich dann wieder seinen Zentaurenhaufen. Hermine konnte nicht einmal ansatzweise erahnen, wie viel Überwindung es ihn gekostet haben musste, sich alleine ins tiefste Muggel-London zu begeben. An einen Ort, den er bisher immer nur verspottet hatte und außerdem überhaupt nicht kannte. Aber es war ihm doch verboten, sich vom Schulgelände zu entfernen. Wusste er denn nicht, dass man ihn hätte verfolgen und im Zweifelsfall verhaften oder töten können? Doch, das wusste er! Hermine war klar, wie viel Angst er gehabt haben musste. Nicht nur vor der äußerst realen Gefahr, dass ein Ordensmitglied ihn auf einer Mission für Voldemort wähnte. Hermine malte sich mit leicht entrücktem Lächeln die Szene vor, wie Draco nervös, unsicher und vollkommen ratlos durch ein Muggelkaufhaus irrte und angestrengt darüber nachdachte, welches der Dinge hier, die er alle nicht kannte, denn ein schönes, unverfängliches Geschenk für Hermine sein könnte. Und dann fand er ein Telefonbuch. Hermine kicherte und hielt sich sofort die Hand vor den Mund, damit er sie nicht hören konnte. Aber vielleicht hatte er sie ohnehin lächeln gesehen? Immer wieder hielt er kurz in seiner Aufgabe inne und drehte sich mit angespannter Miene zu ihr um. Nein, eher prüfend. Sicher wollte er sehen, wie sein Geschenk bei ihr ankam. Die Hand glitt von ihrem Mund weg und berührte stattdessen das Buch, ihr Buch, und streichelte es liebevoll. Das Geschenk war nicht teuer, aber bei einem Menschen, der so viel Geld hatte wie Draco, wäre auch ein teures Geschenk nichts Besonderes gewesen. Dennoch wurde ihr so deutlich klar, dass es ihr Herz in ihrer Brust schmerzhaft verkrampfen ließ, dass sie noch nie ein Geschenk bekommen hatte, das den Schenkenden so viel gekostet hatte wie es Draco gekostet haben musste, ihr dieses nutzlose Telefonbuch zu besorgen. Draco stakste weiter in den Wald hinein, sah sich zu ihr um und widmete sich dann wieder seiner Arbeit. Hermine legte das Buch auf ihre Oberschenkel und klappte es auf. In der Mitte, beim Buchstaben „M“. M wie Malfoy. Sie lächelte bei diesem Gedanken und dachte darüber nach, ob es nun Zufall oder vielleicht eine geheime, ihr selbst nicht bewusste Art von Magie war, die sie das Buch bei „M“ und nicht bei „L“ oder „N“ aufschlagen ließ. Ihre Finger glitten die Reihen von Familiennamen hinab. Name, um Name, um Name las sie. Hermine tadelte sich selbst, als ihr klar wurde, dass sie nach dem Namen „Malfoy“ suchte. Wie albern, als ob Menschen, die nicht die geringste Ahnung hatten, was ein Telefonbuch war, ein Telefon besitzen würden. Sie streckte den Arm aus und griff nach seinem Rucksack. Er hatte ihr ja erlaubt, sich etwas daraus zu nehmen, dennoch konnte sie sich eines Anflugs von schlechtem Gewissen nicht erwehren, als sie die Tasche öffnete um darin herumzuwühlen. Wenn er hier wäre, um mit ihr gemeinsam in der Tasche zu kramen, würde es sich richtiger anfühlen. Wie überhaupt der Gedanke, ihn bald neben sich sitzen zu haben, unvermutet wärmend war. Wärmender als das Feuer, wärmender als ihre Jacke, wärmender als selbst das Sonnenlicht es hätte sein können. Wo war er denn überhaupt? Sie sah ihn nicht mehr, stand auf und sah sich irritiert um. „Ist was?“, schnarrte seine vertraute Stimme aus einiger Entfernung hinter ihr. Hermine schüttelte den Kopf und drehte sich um, während sie darauf achtete, dass sie nicht schon wieder dieses breite Lächeln im Gesicht trug. „Nein, nein. Bist du bald fertig?“ Draco schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. „Ein paar Minuten noch, setz dich wieder hin und nimm dir was zu trinken!“ Er drehte sich halb um und richtete den Zauberstab wieder auf einen Haufen Dung, doch unvermittelt wandte er sich wieder um und Hermine war überrascht, wie jungenhaft, hoffnungsvoll und neugierig seine Miene innerhalb weniger Sekunden geworden war. „Gefällt dir das Buch? Es gab in dem Laden irgendeine Aktion, sie haben es verschenkt. Stapelweise hatten sie das Buch da.“ Er grinste ein herzerweichendes, schüchternes Kleinejungenlächeln. „Ich dachte, wenn es so oft geführt wird, dann muss es ziemlich beliebt sein.“ Hätte ein Windhauch die Flammen des Feuers in diesem Moment nicht gefährlich nah an sie herangeweht, so dass ihre Hand plötzlich in Berührung mit der Hitze kam, hätte sie ganz sicher schallend angefangen zu lachen. So hatte sie aber einen Moment, als sie sich umdrehte, ihre Hand erschrocken wegzog und ein wenig zur Seite rückte, um ihre Fassung wieder zu gewinnen. „Es ist wirklich toll. Ich hatte ohnehin vor, es mir zu holen, wenn ich das nächste Mal nach London komme“, antwortete sie und stellte milde amüsiert fest, dass das ja eigentlich nicht gelogen war. „Setz‘ dich wieder! Ich bin bald fertig.“ Er drehte sich so schnell weg, dass Hermine sicher war, dass er seine vor Freude und Stolz geröteten Wangen verbergen wollte. Sie lächelte überlegen und erwog, ihn damit aufzuziehen, dass sie es gesehen hatte, verwarf den Gedanken aber wieder. Erst wollte sie daran arbeiten, ihre eigene Mimik im Zaum zu halten. Sie legte sich das Buch wieder auf die Oberschenkel und blätterte fasziniert durch Seiten voller Namen von Menschen, die ihr in diesem Moment überhaupt nichts bedeuteten. Plötzlich hielt sie inne, denn sie war beim Buchstaben „W“ angekommen. Etwas Kaltes, Schweres, Scharfes stach ihr in den Bauch bei dem Gedanken daran, dass „W“ der erste Buchstabe von „Weasley“ war. Schlechtes Gewissen überflutete sie und brach wie die zerstörerische Welle eines Tsunamis über sie herein, schwemmte innerhalb Sekunden all die zarten, beinahe zufriedenen Gedanken weg, die sie eben noch gehabt hatte. Das Buch wurde mit einem mal kalt, schwer und bedeutungslos. Angewidert schlug sie das Buch zu und warf es achtlos neben sich. Um irgendetwas zu tun, angelte sie nun doch nach Malfoys Rucksack und nun, da das schlechte Gewissen, weil sie fremdes Eigentum durchwühlte, durch den schmerzlichen Gedanken an Ron überlagert war, machte es ihr nichts aus, die Tasche aufzureißen und ihren Inhalt vor sich auf den Boden zu schütten. Hermine verengte die Augen und beugte sich ein wenig hinunter, um den Warenhaufen besser begutachten zu können. Sie griff hinein und angelte eine Cola-Flasche heraus, die sie fassungslos anstarrte. Aber nicht nur Cola-Flaschen, eingeschweißte Päckchen mit Grillwürstchen, die Draco sicher für das Lagerfeuer besorgt hatte, Kaugummis, eine Ketchup-Flasche und sogar eine Packung Marshmallows lagen vor ihr. So schnell die Trauer um Ron gekommen war, so schnell verdrängte Hermine sie angesichts dessen, was ihre staunenden Augen sahen. Fassungslos, mit offenem Mund starrte sie die braune Flüssigkeit darinnen an, als würde sie so etwas zum ersten Mal sehen. Hinter sich hörte sie Malfoy ärgerlich fluchen. Vermutlich war er in einen der letzten, bislang unentdeckten Haufen hineingetreten. Sie öffnete die Flasche und nahm einen tiefen Zug. Die Wirkung betäubte sie und versetzte sie in eine Art Trance. Hermine beobachtete mit entrücktem Blick die im sanften Wind hin und her wogenden Flammen. Die Wärme war wieder da, umfing sie und hüllte sie in einen Nebel aus zarten Gedanken und aber auch Unsicherheit ein. Nicht einmal ansatzweise konnte Hermine sich vorstellen wie schrecklich es für Draco gewesen sein musste, in die Gringottsbank hineinzugehen, um dort seine vertrauten Münzen in Muggelgeld zu wechseln. Nicht nur die Gefahr, die damit verbunden war, zur Bank zu gehen. Auch die Überwindung, die es ihn gekostet haben musste, an einen Ort zurückzukehren, wo er einen der schlimmsten Tage seines Lebens verbracht hatte. Die Bilder, das schlechte Gewissen, die Ängste und die Flashbacks, die ihn dabei ganz sicher überrollt hatten. Es musste für ihn furchtbar gewesen sein, in diese Bank hineinzugehen und zu wissen, dass er sich wieder nicht würde beherrschen können, wenn die Bilder kamen. Trotzdem hatte er es getan. Sie beugte sich nach vorne und hob eine Pfundnote auf, die er unachtsam nach dem Einkauf zusammen mit den Waren in den Rucksack hineingestopft hatte. Das, was sie so wärmte, war nichts, das von ihr kam. Nicht das, was sie über ihn im Moment dachte oder empfand. Es war einfach das zugleich schöne wie erschreckende Gefühl zu wissen, wie sehr er sie doch mochte, auch wenn es nicht sagte. Das Gefühl, gemocht zu werden. Sie erschrak etwas, als er auf einmal neben ihr stand, leise fluchend seine mit Sicherheit sündhaft teuren Schuhe am Waldboden abstreifte und sich dann nur zwei oder drei Handbreit von ihr entfernt auf den Baumstamm setzte. Er legte einen langen, dünnen Ast vor sich auf den Boden, den er sicher mitgebracht hatte, um darauf die Würstchen aufzuspießen. Er sah sie nicht an und Hermine musste sich ein wenig vorbeugen, um zumindest ein klein wenig von seinem Gesicht erkennen zu können. Nervös sah er aus und rot. Er war rot wie ein schüchternes Mädchen. Hermine kicherte über diesen unpassenden Vergleich, was ihr einen unsicheren Blick von Draco einbrachte. „Stimmt was nicht, kann man ein paar von den Dingern nicht essen?“ Hermine grinste und schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Du hast gut eingekauft für deinen“, sie hob sie Augenbrauen und fragte sie beiläufig wie möglich, „ersten Einkauf in einem Muggelgeschäft?“ Er nickte stumm, griff nach dem Bratwurstpack und legte ihn sich auf die Oberschenkel. Schließlich hob er das Päckchen hoch und inspizierte es vorsichtig von allen Seiten, als wäre es entweder zerbrechlich oder könne beißen. Sie konnte sich schon denken, was sein Problem war, trotzdem wollte sie das Schauspiel noch ein wenig genießen. Er verengte die Augen und schien einen Moment zu zögern, dann holte er tief Luft und begann die Würstchen zu schütteln. Als auch das ohne den erwünschten Effekt war, schlug er die Packung ärgerlich auf den Boden. Einmal, zweimal… beim dritten Mal konnte sie nicht mehr anders und musste lachen. Todesblicke trafen sie, doch Hermine lachte weiter. Glockenhell, befreit und zum ersten Mal seit langem, annähernd sorgenfrei. Draco seinerseits half das nicht im Geringsten. Seine Bewegungen wurden immer hektischer und seine Miene finsterer. Er schüttelte die Packung abermals, klopfte drauf, quetschte sie, riss daran, schrie sie an, doch sie wollte sich einfach nicht öffnen. Mit einem letzten verzweifelten Schrei warf er die immer noch hartnäckig verschlossen bleibende Wurstpackung auf den Boden und Hermine konnte gerade noch rechtzeitig aufspringen und danach greifen, bevor sein Fuß sie zerstampft hätte. Mit fachmännischem Blick fand sie sofort die Einkerbung und riss die Packung vor Dracos wütendem Gesicht auf. Siegessicher hob sie die Würste in die Luft, als wolle sie ihm damit zuprosten und überreichte sie ihm triumphierend. Statt eines Kommentares schnaubte er nur verächtlich und grapschte nach seinem Stock, auf dem er die Würstchen aufspießen wollte. Sie hätte ihn nun damit aufziehen können, es ihm genüsslich unter die Nase reiben oder einfach nur erwähnen, dass er nur richtig hätte hinsehen müssen. Stattdessen lehnte sie sich zurück und griff nach dem Buch, das sie vorhin neben sich hatte fallen lassen und legte es behutsam neben sich auf den Baumstamm. Es war eigenartig, Draco so nahe zu sein, ohne Wut, Scham oder auch nur Mitleid zu spüren. Zumindest heute Abend war es klein wenig anders als sonst. Beunruhigend, zweifellos, aber nicht nur. Ein klein wenig angenehm war es, ihn dabei zu beobachten, wie er die Würstchen mit grimmiger Genugtuung eines ums andere aufspießte und dabei soviel sadistisches Vergnügen zu haben schien, als könne er Harry persönlich durchbohren. Hermine lächelte verschmitzt und atmete tief ein, als ihr sie den Geruch seines Duschgels wahrnahm. Denn das hatte er offenbar getan. Ein anderes Mädchen hätte vielleicht gesagt, dass der Geruch nach Duschgel und Aftershave so penetrant war, dass man ihn Ohnmacht fallen konnte. Aber Hermine störte sich nicht daran. Eigentlich war der Geruch recht angenehm, fand sie. Nun saß sie aber etwas unbequem, sie rutschte auf dem Baumstamm herum, um eine bequemere Position zu finden. Als ihr Bein dabei aus Versehen gegen seines stieß, erschrak sie zuerst, doch als sie das Lächeln sah, das bei dieser unachtsamen Berührung über seine Lippen huschte, zog sie sich nicht zurück. Er drehte ihr den Kopf zu und lächelte verlegen als er merkte, wie nahe sie ihm tatsächlich war. Hermine konnte nicht einmal selbst genau sagen, warum sie nicht zurückwich, als sein Gesicht so nahe kam, sondern stattdessen ein wenig nach vorne rutschte, um ihm sogar noch etwas näher zu sein. Sie wusste nicht, warum es ihr keine Angst machte und wieso es nicht unangenehm war, einem anderen Menschen so nahe zu sein, dass sie ihn riechen konnte. Aber im Moment war das auch nicht wichtig. Im Moment war diese Nähe überraschend angenehm. Draco wollte irgendetwas sagen, immerhin hielt er ihr die Packung Marshmallows vor die Nase, dennoch grinste er sie nur etwas dümmlich an und schluckte eines ums andere Mal. Ob er vergessen hatte, was er eigentlich sagen wollte? Dem verwirrten Gesichtsausdruck nach durchaus möglich, doch es fiel ihm schneller wieder ein, als Hermine es sich gewünscht hatte. „Soll ich die zwischen die Würstchen spießen?“, fragte er, und drückte ihr die Marshmallows etwas zu schnell in die Hand. „Diese Frau im Laden hat gemeint, dass man die an einem Lagerfeuer braten kann. Denkst du, sie schmecken gut zwischen den Würstchen?“ Der Moment war vorbei. Hermine kicherte und schüttelte den Kopf. „Nein, die…. Also man kann sie aufspießen. Aber ich glaube, zusammen mit den Würstchen schmeckt das nicht so gut. Lass sie uns nachher machen.“ Draco nickte, als habe er verstanden und streckte ihr stattdessen mit ernsthafter Miene die Packung Kaugummi entgegen. „Wie ist es damit?“ Kopfschütteln. Draco räusperte sich, setzte eine noch würdevollere Miene auf als zuvor, griff in den Haufen ausgeschütteter Waren und hielt ihr ein Päckchen Batterien unter die Nase. Kopfschütteln. „Die kann man nicht essen.“ Hermine biss sich auf die Lippen um ein Lachen zu unterdrücken. Was sehr schwer fiel. Sie senkte ihre Augen, um ihr immer breiteres Grinsen zu verbergen, das Draco mit einem kalten Blick quittierte. Um weitere peinliche Ausrutscher zu vermeiden, griff sie selbst in den dort liegenden Berg hinein, wühlte mit amüsierten Grinsen in all dem herum, was Draco für Muggelnahrung hielt und fischte schließlich ein paar fette, rohe Hähnchenkeulen heraus. „Die könnten wir versuchen.“ Draco nickte und setzte ein Gesicht auf, als hätte er das schon immer gewusst, doch nahm er Hermine die Packung nicht ab, bis sie sie geöffnet hatte. Anstatt sich zu bedanken, spießte er die Schlegel wortlos auf einen Holzstab, den er daraufhin neben den anderen Spieß, um seine eigene Achse drehend, schwebend in der Luft positionierte. Er sagte nichts, doch der befriedigte Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag, während er den Schwebezauber gesprochen hatte, war Beweis genug dafür, dass das was er dachte nur so etwas wie „Zauberer sind doch besser“ sein konnte. Hermine wühlte zwischen den eingekauften Dingen herum und angelte nach einer Flasche Ketchup. „Willst Du?“, fragte sie und streckte ihm die Flasche entgegen. Draco sah kurz zu ihr hinüber, zurück zu der Flasche in ihren Händen, die er erneut misstrauisch begutachtete und schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab keinen Durst.“ Hermine lachte. Hell und klar und als sie in Dracos missmutiges Gesicht sah, lachte sie nur noch ausgelassener. Draco schenkte ihr ein bitteres Lächeln und kommentierte in herausforderndem Ton: „Du findest das wohl alles sehr lustig, nicht? Jetzt denkst du, dass du gewonnen hast?“ Hermine legte den Kopf schief und grinste. „Ja, das denke ich. Das Schlammblut hat für heute Abend gewonnen.“ Die Antwort waren hochgezogene Augenbrauen, ein höhnisch verzogenes Gesicht und eine verneinende Kopfbewegung. Dennoch, er sah im Grunde eher belustigt als empört aus. Wenn man ihn so sah, hier, das spitze, blasse Gesicht vom Schein des Feuers erhellt, wie er imstande war, eine Niederlage gegen ein Schlammblut einzustecken, dann konnte man ihn fast nett finden. Fast. Sie lächelte still in sich hinein und überlegte, wie sie das Thema unverfänglich wechseln könnte. Die Runde ging eindeutig an sie. Besser, sie beließ es nun dabei. Hermine runzelte die Stirn, seufzte und musterte ihr Gegenüber mit aufmerksamem Blick. „Draco… was bedeutet das eigentlich?“ „Was bedeutet was?“ Er nahm einen Stock aus dem Feuer, fummelte etwas ungeschickt an der Spitze herum und sog scharf die Luft ein, als er sich an dem immer noch glimmenden Holz verbrannte. Sie zögerte nur kurz, dann griff sie eine Hand und blies darauf, so, wie es eine Mutter bei ihrem Kind machen würde. Dracos Gesicht war jedoch nicht das eines Kindes. Eben noch vor Schmerz verzerrt, verspannten sich die Züge etwas. Überrascht hörte sie auf und sah ihm von unten herauf in die Augen. „Ist das unangenehm?“ „Nein.“ Er rutschte etwas unbehaglich auf seinem Platz herum und schlug die Beine übereinander. „Mach weiter!“ Es war wegen des Feuerscheins schwer auszumachen, doch Hermine glaubte, eine echte Röte, die nichts mit den Flammen vor ihnen zu tun hatte, in seinem Gesicht zu sehen. Verwirrt schüttelte sie den Kopf und ließ von ihm ab. „Nein, lieber nicht.“ Sie biss sich auf die Lippen und rutschte einige Zentimeter weg. Draco machte nichts, blieb weiter mit erhobener Hand sitzen und sah sie an. Er kaute unbehaglich auf seiner Unterlippe und seine Finger spielten in Zeitlupe. Eine Sekunde, zwei Sekunden, dann streckte er seinen Arm etwas aus, doch bevor seine Fingerkuppen ihr Ohr berühren konnte, warf Hermine sich in einem Anflug von Panik zur Seite. „Lass das, ich will nicht. Das ist mir unangenehm.“ Seine Hand sank herab, er wirkte enttäuscht, als er die Hände vor seinen nun wieder nebeneinander stehenden Beinen faltete. Hermine krabbelte zurück zu ihrem Platz, wenn sie auch ein klein wenig weiter weg von ihm sitzen blieb als vorher, zog ihren Zauberstab und sprach einen Kühlungszauber über die Spitze des Stabes, auf den Draco seine Würstchen gespießt hatte. „Du kannst es jetzt herunternehmen“, murmelte sie verschämt und um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, während sie ihm den Ast reichte, beugte sie sich gleichzeitig vor, um nach ihrem eigenen Spieß zu angeln. „Tut mir leid“, entschuldigte sie ihre abwehrende Reaktion und verteidigte sich doch im nächsten Satz mit: „Du weißt doch, dass ich es nicht haben kann, wenn mich jemand anfasst.“ Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er nickte. Er machte keinen weiteren Versuch, das Würstchen vom Spieß zu ziehen, sondern biss nun direkt vom Stock ab. Ein paar Minuten sprach niemand und Hermine hörte nichts außer Draco, der auf seinem Würstchen kaute, und dem prasselnden Geräusch des Lagerfeuers. Hermine fühlte sich ein wenig unbehaglich, da sie sich selbst als ungerecht empfand. Immerhin hatte sie ihn selbst in einer Art und Weise angefasst, die ihn… beeindruckt hatte. Sie schluckte ihren Bissen Hähnchenschlegel hinunter begann, wieder mit dem anderen Thema. „Ich meinte deinen Namen, Draco. Wer hat sich das denn ausgedacht?“ „Mein Vater. Viele Kinder aus Zaubererfamilien haben Namen aus der Mythologie. Manche aus der keltischen, die meisten aber aus der griechischen Mythologie. Meine Mutter heißt, wie du weißt, Narcissa. Bellatrix, Andromeda, Sirius und so weiter sind auch Sternenbilder, die aus der Mythologie übernommen sind.“ Er grinste in sich hinein und biss erneut von seinem Würstchen ab, gar zu offensichtlich stolz, dass er etwas wusste. Hermine rollte innerlich ihre Augen, doch sie ließ ihm seinen Triumph. „Draco ist auch ein Sternbild, aber wer war Draco?“, fragte sie stattdessen. Graue Augen funkelten sie voller Leben und Freude an. Er nickte heftig, schluckte den letzten Bissen hinunter und deutete mit dem fast nur gegessenen Spieße in den Himmel hinauf. „Ja dort, sieh mal.“ Hermine beugte sich ein wenig zu ihm hinüber, gerade so weit, dass ihre Locken seine Schulter berührten und legte den Kopf in den Nacken. Natürlich wusste sie, dass Draco ein Sternbild war und wo dies zu finden war, doch er wirkte einfach zu froh darüber, gerade ihr etwas erklären zu können, dass sie ihn nicht stoppen wollte. Er drehte den Kopf kurz zu ihr, grinste leicht verlegen als er merkte wie nah ihm ihr Gesicht war, dann drehte er sich wieder um und nahm den Stab hinunter. Er biss sich auf die Lippen und Hermine sah ein verlegen lächeln, als er merkte, wie ihr Kopf, der immer noch ganz leicht zur Seite geneigt war, ganz sacht seine Schulter berührte. Er holte tief Luft, schluckte einen weiteren Bissen hinunter und erklärte mit leicht unsicher wirkender Stimme: „Draco ist keine Person, es steht für eine ganze Geschichte. Es stellt den Drachen Ladon dar, den Hera zur Bewachung des Baumes mit den goldenen Äpfeln angeschafft hatte. Zeus hatte ihr das Apfelbäumchen nämlich zur Hochzeit geschenkt. Diese Äpfel waren kostbar und begehrt, selbst die sonst so ehrlichen Hesperiden konnten der Versuchung, goldene Äpfel vom Baum zu stehlen, kaum widerstehen. Daher wurde Ladon als Verstärkung der Hesperiden um diesen Baum gelegt. Der feurige Drache erwies sich als ein zuverlässiger Wächter, aber Herkules, der den Auftrag erhielt, die goldenen Äpfel zu stehlen, erschoss Ladon aus sicherer Entfernung mit Giftpfeilen. Die waren so giftig, dass später sogar die Fliegen, die über die blutenden Pfeilwunden liefen, an dem Gift starben. Hera versetzte voll Trauer den toten Ladon auf ewig an den Himmel.“ Hermine nickte und setzte sich wieder gerade, da sie sich ihren nächsten Spieß aus dem Feuer holte. „Das wusste ich nicht, du kennst dich wohl mit griechischen Sagen aus.“ Draco kicherte kleinjungenhaft als Hermine ihn daraufhin mit hochgezogenen Augenbrauen angrinste. Er zuckte in einem Versuch gelassen zu wirken die Schultern und fügte mit Augen, die vor Stolz strahlten, hinzu. „Dein Name ist auch aus der griechischen Mythologie. Hermione ist eine schöne Königstochter aus Sparta, die zwei verschiedenen Helden als Braut versprochen ist.“ Er presste die Lippen zusammen und zog die Augenbauen hoch. Für Hermine sah es so aus, als würde er sich gerade krampfhaft damit abmühen, nicht allzu verlegen zu grinsen. Trotzdem konnte er es nicht ganz verhindern, als er leise hinzufügte: „Ich hab in den Ferien mal nachgelesen. Tja…“, er drehte sich zu ihr und nun sah Hermine, dass er nicht nur rosa, sondern feuerrot war. Trotzdem war das Lächeln, das seine Lippen umspielte, eher süffisant und herausfordernd als verlegen. „Da siehst du mal, was ich alles von dir weiß. Das hättest du nicht gedacht, oder?“ Hermine giggelte und schüttelte den Kopf. „Nein, Draco. Das hätte ich nicht gedacht.“ Sie grinste ihn an und vielleicht dauerte es eine Minute oder länger, in der sie beide nichts anderes taten als sich, mit glühenden Ohren und tiefrot im Gesicht, gegenseitig anzulächeln. Doch dann fing sie sich wieder, schüttelte leicht enttäuscht den Kopf und drehte sich wieder zu ihrem Spieß um. „Schade, ich hätte lieber einen Namen wie Professor McGonagall. Minerva ist immerhin die Göttin der Weisheit. Das gefällt mir besser als jemand, der nix zu melden hat und höchstbietend verschachert wird.“ Sie seufzte und beschloss, dass Thema nicht zu persönlich für sich selbst werden zu lassen. „Woher weißt du das eigentlich?“ „Oh!“ Draco schluckte den nächsten Bissen Wurst hinunter und warf den leeren Spieß ins Feuer, der sofort zischend in Flammern aufging. „Vater, sagte ich doch.“ Er nickte und nahm einen Schluck Cola, verzog das Gesicht und schüttelte sich. Doch Hermine empfand einen gewissen Respekt für ihn, er beschwerte sich nicht, sondern trank tapfer weiter. „Vater hat mir früher viele Geschichten aus der Mythologie erzählt. Ist eine Leidenschaft von ihm, weißt du?“ Er nickte bedächtig und holte den nächsten Spieß aus dem Feuer. „Mutter interessiert sich mehr für Musik. Sie weiß sehr viel darüber und spielt auch einige Instrumente. Tja“, er zuckte mit den Achseln. „Jedenfalls haben sie beide mir immer viel Geschichten erzählt, Bücher geschenkt usw.“ Er grinste Hermine schief an, bevor er den nächsten Bissen nahm. „Ich bin nicht ganz so dumm, wie du dachtest, oder?“ Hermine überlegte, dass sie ihn in den letzten Monaten nie so viel essen gesehen hatte wie jetzt im Moment, doch vielleicht war es besser, nichts dazu zu sagen. Solange er es nicht merkte und abgelenkt war, würde er hoffentlich damit weitermachen. Stattdessen sagte sie also: „Ich hätte deine Eltern nicht als Leute eingeschätzt, die ihren Kindern Märchen erzählen oder Lieder vorsingen.“ „Ach nein?“ Er schluckte und hob überrascht die Augenbrauen. „Warum nicht?“ Das war nun etwas schwierig. Wie sollte sie es so schonend wie möglich ausdrücken. „Ich weiß nicht“, begann sie zögerlich. „Ich dachte deine Eltern seien eher… kühl, sachlich und… naja…arro“, sie räusperte sich, „fordernd.“ Draco zog ein Gesicht, da er sehr wohl verstanden zu haben schien, was sie eigentlich sagen wollte. „Es tut mir ja leid, aber meine Eltern haben mich nicht schlecht behandelt. Wenn ich sage, dass sie mir alles gegeben haben, was ich brauchte, meinte ich damit nicht unbedingt Geld.“ Er bedachte sie mit einem mahnenden Blick, dann nach einem weiteren todesmutigen Schluck Cola, erklärte er: „Mutter ist zärtlicher als Vater. Sie nimmt mich immer noch ab und zu in den Arm und sie hat nie etwas gesagt, wenn ich eine schlechte Note hatte. Da ist Vater schon anders, der hat mir schon klar gemacht, was von mir erwartet wird, aber… naja… er hat mir viel gezeigt und mir immer das Gefühl gegeben, dass er gerne mit mir zusammen ist.“ Draco seufzte und eine Spur Wehmut lag in seinem Gesicht. Hermine dachte an die Dinge, die Ron ihr gesagt hatte und an die teilweisen Geständnisse von Draco, die darauf schließen ließen, dass das traute Heim der Malfoys im Moment nicht mehr ganz so traut war wie früher. Doch er fing sich schnell, und schon redete er weiter. „Glaub mir, meine Eltern sind toll. Also, ich weiß, sie können auf andere schon kalt wirken. Aber glaub mir, wenn wir zusammen sind, sind die ganz anders. Also manche sagen ja, dass sie mich verwöhnt haben. Ich seh‘ das aber nicht so“, verkündete er selbstsicher. „Vater ist Diplomat, weißt du? Er hatte immer viel zu tun, noch dazu kümmern er und Mutter sich um unsere Aktiengeschäfte und so weiter, aber… also sie haben es immer hingekriegt, sehr viel Zeit für mich zu haben. Ich hatte noch nicht mal ein Kindermädchen.“ „Nein?“ Hermine hob die Augenbrauen. Fast vergaß sie, dass ihr Mund immer noch voll Hühnchen war, als sie weitersprach. „Isch dach-“, sie verzog den Mund und hielt sich verschämt die Hand davor, murmelte „'Tschldigung“ und schluckte das Fleisch hinunter. „Ich dachte…“ „Nein!“ Er schluckte ebenfalls und Hermine zählte innerlich einen weiteren leergenagten Spieß. „Ich sagte ja, die haben sich immer viel Zeit genommen. Naja, gut, bis vor ein paar Jahren haben ja noch meine Großeltern im Manor gelebt. Vaters Eltern, die waren auch immer für mich da. Aber trotzdem. Mutter und Vater haben mich eben immer überall hin mitgenommen. Wenn sie mal keine Zeit hatten, haben sie mir ein Spielzeug gekauft, mit dem ich mich solange beschäftigen konnte bis sie fertig mit ihren Besprechungen waren.“ Das überraschte Hermine nun weniger. „Weißt du Draco, ich will ja nichts falsches sagen, aber du klingst wirklich, als ob du deine Eltern am liebsten heiraten würdest.“ „Ach?“ „Ja.“ Sie nickte bekräftigend. „Vor allem deinen Vater. Man könnte manchmal meinen, du wärest verliebt in ihn. Aber auch wie du von deiner Mutter erzählst… du klingst unheimlich anhänglich.“ Draco zuckte leichthin die Achseln und winkte gelassen ab. Er nahm einen weiteren Schluck Cola, leerte die Flasche und drehte sich wieder Hermine zu. „Du nicht!“, gab er zurück, während er mit dem Flaschenhals auf sie deutete. „Du erzählst nie von deinen Eltern.“ Er zog die Stirn kraus. „Ich glaube, ich habe deine Eltern auch nie gesehen. Außer vielleicht mal… ist schon Jahre her. In der Winkelgasse…“ „Warum solltest du meine Eltern kennen?“, gab sie schnippisch zurück. „Du kennst ja auch meine“, antwortete er gelassen und sah sie wissender an, als es Hermine recht war. „Die rennen hier ja auch ständig rum und mischen sich überall ein.“ „Eben!“ Draco nickte und grinste dünn. „Deine nicht. Das meine ich ja. Warum rennen deine Eltern nicht auch hier rum und mischen sich überall ein?“ Hermine errötete und nahm schnell einen Schluck Cola, um nichts Falsches zu sagen oder um ihr nunmehr blasses Gesicht von ihm abwenden zu können. „Ich meine“, begann er wieder. „Die Weasleys habe ich hier oft gesehen. Auch die Eltern von anderen Kindern waren immer mal wieder hier. Potter, naja… klar. Aber du hast doch Eltern, aber ich hatte immer dein Eindruck, dass du viel öfter bei den Weasleys bist als bei ihnen. Warum?“ Hermine seufzte schwer und rutschte etwas weiter von ihm weg. „Sie haben eben viel zu tun.“ Sie spähte zu Draco hinüber, der sich gelassen räkelte, wobei seine Hand einen Moment lang zu nah bei ihren Schultern lag, sie sofort aber wieder zurücknahm, als er Hermines eingeschüchterten Gesichtsausdruck sah. „Sie sind Zahnärzte. Das sind Leute, die…“ „Ich weiß was Zahnärzte sind!“ „Jaaa… Also sie sie sind vielleicht keine Millionäre wie deine…“ „Eigentlich sind sie Milliardäre. Wir haben genug Geld“, stellte er in gelangweiltem Ton richtig. Hermine klappte der Mund auf, beschloss dann aber, den halb erschreckenden, halb faszinierenden Gedanken an Dracos Milliarden auf später zu verschieben und erklärte stattdessen weiter. „Jedenfalls sind Zahnärzte unter Muggeln sehr angesehene Leute. Sie haben ihre eigene, sehr gut gehende Praxis und sind Mitglieder in vielen Wohlfahrtsorganisationen. Sie sind… also, sie sind sehr intelligent und sie haben mir klar gemacht, dass sie von mir auf diesem Gebiet, schulisch, auch nur das allerbeste erwarten.“ Hermine seufzte schwer und schlang die Arme um sich. „Aber ehrlich gesagt haben sie nie Zeit. Auch vor Hogwarts. Ich habe die eine Hälfte meiner Kindheit bei meinen Großeltern und die andere Hälfte bei diversen Kindermädchen verbracht. Ich glaube, sie waren immer ganz froh, wenn ich in den Ferien bei den Weasleys war. So hatten sie Zeit für ihre anderen Projekte. Ärzte-ohne-Grenzen. Da fliegen Mediziner in arme Länder und helfen dort kranken Leute umsonst.“ Sie schluckte schwer und beugte sich nach vorne, damit ihre Locken ihr Gesicht verbargen und Draco nicht sah, dass sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln wischte. „Ich bin wirklich stolz auf sie, dass sie so sozial sind und so vielen Menschen helfen. Aber ehrlich gesagt wäre es schön gewesen, wenn sie mich auch mal in ihrem Terminkalender eingeplant hätten. Das war das Schöne daran, mit Ron zusammen zu sein. Es war eine Familie, wie ich sie nie gekannt habe. Auch wenn sie jetzt nicht so… naja“, sie grinste ihn kurz schief an, drehte sich aber weg, weil sie einen ungewohnt freundlichen Gesichtsausdruck im Moment nicht ertragen konnte, „gut aussehend und reich sind wie deine Eltern. Ich meine, deine Eltern sehen wirklich beide verdammt gut aus… ja… aber die Weasleys sind sehr herzlich, einander zugewandt und liebevoll. So kannte ich das nie…und jetzt…“ „Gehst du nicht mehr zu ihnen?“ Das Laub unter seinen Füßen knirschte, weil er ein wenig näher gerückt war, doch diesmal wich sie nicht aus. „Nein. Ich kann nicht. Noch nicht, Harry sagt, dass dort überall Bilder von Ron stehen. Molly weint den ganzen Tag und… ich kann nicht. Ich bin durch die Erziehung meiner Eltern sehr, nun ja, selbstständig und sachlich geworden. Wenn es Probleme gibt, dann mache ich das mit mir selbst aus. Ich wüsste einfach nicht, was ich machen soll“, sie seufzte und senkte ihre Augen auf ihre gefalteten Hände, „wenn ich vor so viel Gefühlen nicht mehr weglaufen kann. Ich meine… Greyback war das eine. Aber dass es Ron nicht mehr gibt“, sie schluchzte und wischte sich erneut die Augen, auch wenn er es diesmal sicher gesehen hatte. „Damit kann ich nur umgehen, wenn ich so wenig wie möglich darüber nachdenke.“ Sie schluckte und drehte sich zu Draco um. „Ich habe das noch nie jemandem gesagt.“ Draco beugte sich nach vorne, um seine Ellenbogen auf den Knien abzustützen. Er schien einen Moment zu überlegen, dann nickte er, schloss die Augen und sagte leise: „Mein Vater ist Alkoholiker. Er ist ständig betrunken, seit er aus Askaban draußen ist. Meine Mutter hat sich auch verändert. Sie schließt sich stundenlang in ihrem Schlafzimmer ein und redet mit niemandem.“ Er holte noch einmal tief Luft. „Und es tut mir leid, dass ich dir bei Greyback nicht geholfen habe. Ich dachte, dass er dich töten würde und das wollte ich sicher nicht, aber ich hatte einfach Angst. Es tut mir auch leid, dass ich nichts für Ron getan habe. Ich weiß nicht, ob es möglich gewesen wäre. Ich hab es gar nicht versucht. Ich konnte es einfach nicht.“ Er verzog das Gesicht. „Ich bin ein Feigling und ehrlich gesagt, ich glaube, ich bin gerade dabei, meinen Verstand zu verlieren. Ich denke, es stimmt, ich bin ein Psychopath!“ Sie saßen schweigend am Feuer, bis es nur noch ganz schwach brannte. Sagten nichts, hingen ihren Gedanken nach und beobachteten die Flammen. Erst als das Feuer fast ganz abgebrannt war, räumten sie ihre Sachen zusammen. Hermine klemmte das Telefonbuch unter ihren Arm und sah Draco zu, der die Feuerstelle verschwinden ließ. Als alles weg war, hob Hermine den Schutzbann um die Feuerstelle auf und sah zu Draco, der leicht verlegen wirkend mit ausgestreckter Hand vor ihr stand. Sie zögerte, doch dann legte sie ihre Hand in seine und ließ sich aus dem Wald führen. Na gut, dann durfte er sie eben doch anfassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)