Harmonie von Seraphin ================================================================================ Kapitel 20: Der Feind in meiner Schule -------------------------------------- Kapitel 20: Der Feind in meiner Schule Gegen zweiundzwanzig Uhr abends, Draco kam gerade von der Strafarbeit bei Filch, begann das Mal zu brennen. Es war eigenartig, die eigenen Gedanken und Gefühle in einem anderen Gesicht wiederzuentdecken. Als würde er in einen Spiegel blicken war es, als sich die Tür des Gemeinschaftsraums öffnete und die Person vor ihm das Gesicht verzog, als sie den selben Schmerz fühlte wie er. Dieses Kribbeln - als würden Würmer durch seine Haut kriechen - das sich innerhalb von Sekunden zu einem unangenehmen Brennen ausweitete und in den ganzen Arm ausstrahlte. Ebenso wie er hob auch Crabbe vor ihm den Unterarm, umfasste ihn mit der rechten Hand und presste ihn an die Brust. Ebenso wie in seinem war auch in Goyles Gesicht diese spezielle Mischung aus Anspannung und Angst zu lesen, als ihr Meister seine Diener zu sich rief. Und doch, was Crabbe und Goyle nicht wussten, heute stand nicht ganz so viel Anspannung und Angst wie sonst in seinem Gesicht geschrieben, denn heute musste er nicht alleine gehen. Sie berührten ihre Male und ließen sich von deren Sog zu ihrem Herren führen. Draco wunderte sich, wieso so viele Menschen hier waren, und wieso diese Leute einen Fotoapparat dabei hatten. Er zückte seinen Zauberstab und überlegte, auf welchen er zuerst zielen sollte. Es wunderte ihn hingegen nur wenig, dass sie sich auf dem Grundstück seiner Tante und seines Onkels befanden, wo erst vor kurzem so viele Menschen sinnlos und unwissend durch Voldemorts Willkür und des Phönixordens Rachsucht hatten sterben müssen. Das Gut war gereinigt worden und somit wieder gebrauchsfähig. Eigentlich war es gar nicht so verwunderlich, dass so viele Menschen hier waren. Die Todesser hatten zur Zeit regen Zulauf und Draco sah auf ihren Treffen regelmäßig neue Gesichter. Viele dieser neuen kannte er noch von deren Schulzeit. Adrian Pucey, Markus Flint oder Montague zum Beispiel. Einige dieser Neutodesser waren jedoch nicht in Slytherin gewesen. Todesser zu sein war nun schon fast normal. Aber wieso durften so viele dieser Fremden, die offenbar noch nicht einmal das Mal trugen, Voldemort treffen? Und – Draco zuckte zusammen, schrie und richtete seinen Zauberstab auf die Quelle des Blitzes - Fotos schießen? Crabbe und Goyle tauschten ratlose Blicke. Sie sahen zu Draco, zu sich, zu den Menschen und dann wieder zu Draco. „Sollen wir… sollen wir auch?“ Draco hörte sie nicht mehr. Das wohlvertraute Schauspiel in seinem Kopf begann. Diese Menschen waren gefährlich. Sie hatten Waffen. Flüche schossen über seinen Kopf. Sie hatten sich hier zusammengerottet, um die Todesser anzugreifen und Voldemort hatte ihn gerufen, damit er gegen dieses Pack kämpfen sollte. Und er würde kämpfen… Draco holte tief Luft, zielte, sammelte allen Hass und alle aus seinem Innersten, alle Wut auf diesen Mob, ballte dies zu einem tödlichen Geschoss zusammen und schleuderte alles durch die Spitze seines Zauberstabes auf den Mann vor ihm, der ebenfalls zum Angriff ansetzte. „Avada…“ „Expelliarmus!“ Dracos Zauberstab wurde ihm aus den verkrampften Finger gerissen und der grüne Fluch, der gerade daraus hervorbrach, schoss in einen Baum und traf eine Eule. Das Tier gab in der Millisekunde, bevor es vom Fluch getroffen wurde, ein überraschtes Gurgeln von sich, dann kippte es nach hinten weg und fiel wie ein Stein zu Boden. Jemand packte ihn am Arm und zog ihn weg. Jemand schüttelte ihn, die Hand, die ihm ins Gesicht schlug, gehörte zu einem hakennasigen Mann, der ihn mit kalter, wütender und dennoch bemüht leiser Stimme wütend anzischte: „Bist du wahnsinnig geworden?“ Die Antwort darauf blieb Draco glücklicherweise erspart, denn schon waren Crabbe und Goyle bei ihm, um zu fragen, was sie nun tun sollten. Draco sah die Augenbrauen seines ehemaligen Lehrers bei ihrem Anblick für einige Sekunden in die Höhe wandern, dann wurde Snapes Gesicht wieder so undurchdringlich wie eh und je. Er teilte ihnen mit, dass hier schon alles seine Richtigkeit hätte. Die Zeit wäre reif, um einen Schritt weiterzugehen. Voldemort wollte selbst Kontakt mit der Öffentlichkeit aufnehmen. Dennoch wäre es nötig, die Augen offen zu halten. Man könne nie wissen, ob nicht jemand vom Orden anwesend sei. Laut Snape waren die meisten Menschen, die hier waren, vorhin auch im Ministerium gewesen. Aber auch andere Menschen, welche, die Snape noch nie zuvor gesehen hatte, waren hier. Abgesehen von Lucius kleinen privaten Propagandaeinlagen hatten die Todesser noch zahlreiche andere Wege gewählt, um über Voldemort reden zu können. Auf diese Weise hatten sie alle auf diesen Abend hingearbeitet. Draco trottete unsicher neben Snape her. Blitze, überall Blitze. Er wusste mittlerweile, dass die Blitze keine Flüche waren, sondern von Kameras stammten, die hier sowohl von Pressemitgliedern wie auch von Privatleuten herumgetragen wurden. Dennoch zuckte er jedes Mal unwillkürlich zusammen, wenn es neben ihm hell wurde. Snape betrachtete ihn aus den Augenwinkeln, das sah er, wollte dem aber eigentlich keine Beachtung schenken, denn er hatte bemerkt, dass Snapes Miene mit jedem weiteren Zucken grimmiger wurde. Draco sah den Vampir Sanguini, den er schon einmal, auf Slughorns Weihnachtsfeier im letzten Jahr, gesehen hatte. Um ihn herum standen einige blässlich aussehende Frauen und ein ebenso blasser Mann, die Draco alle miteinander lüsterne Blicke zuwarfen. Draco blieb stehen und starrte wie gebannt in die riesengroßen, meergrünen Augen einer der Frauen, die ihren Finger hob, um ihn zu sich zu locken. Snape zog ihn energisch am Arm und löste so den Bann der Vampirin. Draco erwachte aus seiner Erstarrung und eilte, ohne sich noch einmal umzusehen, nun einige Schritte vor Snape her. Er verlangsamte sein Tempo wieder, als er fast in zwei große, sehr behaarte Männer gerannt wäre, die, wie er wusste, etwas mit Greyback zu tun gehabt hatten. „Werwölfe und Vampire?“, fragte er und schämte sich für die allzu offensichtliche Angst in einer Stimme. „Ja!“, erwiderte Snape kühl. „Alle, die jetzt im Untergrund leben, werden das bald nicht mehr tun müssen. Behauptet er zumindest...“ Draco drehte sich um und blickte in Snapes undurchdringliche Miene. „Da!“, schnarrte der, statt seine letzte Bemerkung zu begründen und stieß Draco in Richtung seiner Mutter, die zusammen mit Lucius, Bellatrix und Rodolphus neben etwas stand, das vermutlich eine Bühne sein sollte. Alle vier waren in bester Stimmung. Bellatrix und seine Mutter überschlugen sich fast vor Lachen und schnitten sich ständig gegenseitig das Wort ab, als sie Draco vom missglückten Auftritt der DA erzählten. Bellatrix‘ schwarze Augen strahlten voller Stolz und überschwenglicher Freude, als sie ihm verriet, dass Voldemort mit Dracos bisheriger Arbeit zufrieden sei. Draco hätte sich als nützlich erwiesen. Narzissa lächelte ihn voller Dankbarkeit und vermutlich auch Erleichterung an. Die Dinge änderten sich. Die Sorge, die er vor dem Schuljahr in ihren Augen gesehen hatte, war vielleicht noch nicht ganz gewichen, schien aber nicht mehr so übermächtig zu sein. Rodolphus schlug ihm auf die Schulter und lud ihn ein, mit ihm nach dem offiziellen Teil mit Voldemort, wenn sich der engere Todesserkreis auf Malfoy Manor zurückziehen würde, etwas zu trinken. Narzissas Augen wurden leer, sie lächelte seelenlos und drehte sich zur Bühne. Jetzt erst bemerkte Draco, dass Lucius weg war. Er hatte nicht bemerkt, wann er gegangen war, aber er musste wohl mit Snape zusammen verschwunden sein. Sein Vater hatte ihn weder angesehen, noch irgendetwas zu ihm gesagt. Kein persönliches Wort, seit Weihnachten. Draco sah in einiger Entfernung langes, weißblondes Haar rasch näher kommen. Einige Sekunden später sah er auch Snape, der wegen seines dunklen Haares und der dunklen Kleidung länger von der Nacht verborgen gewesen war. Nun erkannte er auch, wer zwischen den beiden ging… Lord Voldemort. Der Dunkle Lord sah nicht nach links, nicht nach rechts. Unbewegt in der Mimik, unmenschlich, überirdisch… weder hier, noch da daheim. Er schien über den Boden zu gleiten, als würden seine Füße kaum den Boden berühren. Lautlos, wie ein Schatten, glitt er auf die verstummte Menge von Sympathisanten zu, die, wie die Goldfische im Wasserglas, mit geöffnetem Mund atemlos seinen Bewegungen folgten. Die Menge um Draco herum war so blass und starr geworden, als stünde er inmitten einer gebleichten, chinesischen Terakottaarmee. Waren sie nun starr vor Schreck oder reglos vor Bewunderung? Wer konnte das sagen? Sie hatten wohl gehört, dass „er“ wirklich erscheinen sollte, doch so ganz geglaubt hatte es offenbar niemand. Man hätte genausogut das Gerücht verbreiten können, dass der Teufel höchstpersönlich bei den Nachbarn zum Tee erscheinen würde. Sicher wären manche der hier Anwesenden hingegangen, um die närrischen Nachbarn auszulachen… vielleicht sogar die etwas leichtgläubigeren unter ihnen, um den sanften Grusel bei dem Gedanken daran zu spüren, dass es immerhin wahr sein könnte… doch wirklich daran glauben? Und nun stand er da. Nicht der Teufel, sondern Voldemort und was Draco betraf, war da kaum noch ein Unterschied. Die wohlbekannte Eiseskälte, die er immer bei dessen Anblick spürte, kroch einmal mehr in seinen Körper. Kribbelte an den Zehen, kitzelte in den Füßen, floss seine Beine hoch, lähmte Becken und Bauch, fror seine Lunge ein und strahlte von hier aus zuerst in seine Arme bis sie letztendlich seinen Kopf erreichte und jeden anderen Gedanken als an den Dunklen Lord selbst zum Erstarren brachte. Bellatrix war nicht mehr zwischen ihnen. Entsetzt darüber, dass Lucius und Snape Sekunden mit Voldemort ohne sie verbringen durften, war sie auf die provisorische Bühne gehuscht, warf sich zuerst vor Voldemorts Füße und redete dann auf ihn ein. Lucius und Snape stiegen von der Bühne und hielten nun wieder respektvollen Abstand zu ihrem Herren. Nur noch Bellatrix war bei Voldemort und fuchtelte, eifrig etwas erklärend, mit beiden Händen vor dessen Gesicht herum. „Die Frau an seiner Seite“, raunte Snape zu Rodolphus, der daraufhin das Gesicht verzog, abfällig schnaubte und nickte. Aber auch Bellatrix‘ Zeit mit ihrem angebeteten Meister war vorüber. Ein Wink mit der Hand, ein Nicken in eine unbestimmte Richtung, und sie las ihrer Ikone dessen nächsten Wunsch von den Augen ab und verschwand. Voldemort selbst hob seinen Zauberstab und für einen Moment kam Leben in die Terrakottafiguren. Sie zuckten alle wie auf Befehl zusammen, griffen nach ihren Zauberstäben und ließen, eine Millisekunde später, ihre Hände wieder sinken, als Voldemorts magisch verstärkte Stimme über das Gelände hallte: „Ich weiß, dass die meisten von euch vorhin im Ministerium waren, um sich dort einmal mehr Märchen erzählen zu lassen. Seit vielen Jahren erfahrt ihr von dort nichts anderes. Aber ich bin nicht hier, um euch Märchen zu erzählen.“ Voldemort reckte sein Kinn in die Höhe und drehte seine Kopf in einer fließenden Bewegung von links nach rechts, um seinen Blick über all diejenigen schweifen zu lassen, die seine Wahrheit erfahren wollten. Wie viele mochten es sein? Mittlerweile mehrere hundert, sicherlich. „Wenn ich mich hier umsehe“, schallte die kalte Stimme zu Draco und all denen, die mit ihm hier waren, „sehe ich Hexen, Zauberer, Vampire, Werwölfe, Kobolde und zahlreiche andere, die nach der Meinung der Muggel nur in Märchen existieren, sofern sie überhaupt von ihrer Existenz wissen.“ Er machte eine Pause und sah hinter sich, wo Draco etwas schweben sah, das ein Dementor sein mochte. Die Menge schrie auf und drängte sich zusammen. Voldemort hob die Hand in Richtung Dementor, um ihn zu stoppen, dann drehte er sich zur Menge um, legte eine Finger vor seine Lippen und zischte leise: „Scht!“ Die Schlange Nagini, die sich zu seinen Füßen ringelte, antwortete, als wäre sie gemeint gewesen. Voldemort neigte den Kopf zur Seite und sprach mit sanfter, wohlwollender Stimme fort: „Nicht wahr? Die Dinge, die wir nicht verstehen, machen uns Angst. Und ich sage euch, dass das Ministerium bisher alles daran gesetzt hat, dass das auch so bleibt.“ Der Dementor wich etwas weiter zurück, doch er blieb. Draco konnte ihn weiter hinten noch erkennen. Narzissa atmete flach und rückte etwas näher zu ihm heran. Bellatrix, die auf der anderen Seite neben ihm stand, fürchtete sich nicht, so wie sie sich nie vor irgendetwas oder irgendjemandem fürchtete, wenn ihr Lord bei ihr war. Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen und offenstehenden Mund an, denn der Dunkle Lord führte seine Erklärungen fort: „Die Muggel erzählen sich Geschichten über uns. Sie schreiben Bücher und machen Filme, bewegte Bilder. Gruselgeschichten, Spukgeschichten… Geschichten, die gemacht sind, um anderen Angst zu machen.“ Er drehte sich zu einer Werwolfgruppe, die bei Voldemorts Anblick enger zusammengerückt war und ihn mit ehrfürchtigen, doch auch eingeschüchterten Augen ansahen: „Ihr Werwölfe… wisst ihr, wie sie euch darstellten? Tiere seid ihr für sie. Wilde, triebgesteuerte Tiere, mehr nicht. Und ihr… Vampire… Sie bewundern euch und doch läuft es immer wieder auf dasselbe hinaus, man muss euch töten.“ Er machte eine Pause und hob die Arme, um in einer weit ausholenden Geste alle Anwesenden einzuschließen: „Ihr alle… Sie wollen euch alle töten. Hexen und Zauberer… wisst ihr, was die Inquisition ist? Ihr alle wisst, dass es keine Märchen sind, was ich euch hier sage. Das sie wirklich Jagd auf uns gemacht haben. Dass sie sich zusammengerottet haben und Jahrhunderte lang kein anderes Ziel hatten als Folter und Mord an uns.“ Er trat einen Schritt vor und deutete mit beiden Händen auf seine Brust. „Ich weiß warum. Unwissenheit und Angst. Und was tut das Ministerium dagegen? Was haben sie all die Jahrhunderte getan, um diesem anschwellenden Hass entgegen zu wirken?“ Er hob dem Publikum seine geballte Faust entgegen, „nichts“, und öffnete die Hand, um seine leere Handinnenfläche zu zeigen. „Absolut nichts…“ Draco atmete tief durch. Der Dementor, die Werwölfe, die Vampire, sein Vater, der ihn noch nicht einmal ansah… ihm wurde leicht schwindelig. Er sah sich in der Menge um. Crabbe und Goyle standen unweit von ihnen bei ihren Vätern und lauschten voll stummer Ehrerbietung. Ob sie Voldemort wirklich glaubten? Am Ende, so dachte Draco, ist auch er, der Dunkle Lord, nichts weiter als ein Märchenonkel. Wenn auch ein begabter. Er erklärte, dass das Ministerium nicht einmal ansatzweise daran denken würde, die Lage der Werwölfe und Vampire zu verbessern. Sie würden nur immer mehr in den Untergrund und in die soziale Isolation getrieben werden. Sie müssten sich doch wehren , so sagte Voldemort, um nicht zu verhungern. Bei ihm, hätte jeder den Platz, der ihm zustünde. Er sagte, dass diese Angst und das Unverständnis nur daher rührten, dass immer mehr Schlammblüter von außen in die magische Gemeinschaft hereindrängen würden. Sie seien die Urheber der verschlechterten Situation gewesen, über die Jahrhunderte hinweg. Märchen stammten von Schlammblütern, die ihren Familien von der magischen Welt erzählten, sie aber dennoch nicht verstehen konnten. Das wäre bis heute so geblieben. Schlammblüter wären anders, ihnen würde das Verständnis für die Welt fehlen, weshalb die die Angst unter den Muggeln nur umso mehr schüren würden.. und…. muggelstämmig wie sie waren, Hass schürten. Man müsste sie ausschließen… Die Menge nickte und Draco dachte an Hermine, der er versprochen hatte, sie zu beschützen. Voldemort sagte, dass es in der Natur der Sache läge, dass Zauberer Muggeln gegenüber überlegen wären. Sie hätten Fähigkeiten, die diese nicht hatten. Daher der unerbittliche Hass und Neid der Muggel, da sie dies wüssten. Die Inquisition und alles, was danach kam, waren nichts als Versuche, das Unvermeidliche aufzuhalten… Aber er, der Dunkle Lord, würde nicht weiter zusehen wollen. Er, wollte Frieden. Wenn jeder wusste, wo sein Platz war, dann würde wieder Frieden sein… Bis dahin aber würden er und seine Todesser alles tun, um diejenigen, die von magischem Blut waren, vor denen zu beschützen, die sie bedrohten. Muggel und Schlammblüter, die natürlichen Feinde und Konkurrenten. Dann ging er und ließ Menschen zurück, die ihn am liebsten auf der Stelle zum nächsten Zaubereiminister bestimmt hätten. Xxx Nevilles Beine baumelten im Nichts. Er saß hier auf dem Geländer, das auf der Plattform des Nordturms angebracht war, um Schüler davor zu schützen, sich totzufallen. Welch Ironie, in diesem Moment, wo er doch eigens die vielen Treppen bis ganz nach oben hochgestiegen war. Noch hielt er sich mit beiden Händen an dem Geländer fest, auf dem er saß. Seine Finger krampften sich so fest um die Eisenstäbe, dass die Fingerknöchel sich deutlich unter der dünnen Haut abzeichneten. Hermine warf Harry und Ginny einen Hilfe suchenden Blick zu. Ginny erwiderte diesen nicht, sondern stand gegen die Wand gelehnt neben Harry und starrte Neville mit ausdruckslosen Augen an. Harry kaute nervös auf seiner Unterlippe herum und hob die Arme in Richtung Hermine, als wollte er sagen: „Mach was. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Hermine verstand die Geste zwar, doch fühlte sie sich in diese Situation auch nicht besser. Der Stoff ihrer Kleidung rieb unangenehm schmerzhaft über der Gänsehaut, die sie vor Anspannung bekommen hatte. Ein falsches Wort, eine falsche Geste… irgendein Fehler… Sein Körper bebte. Der Wind zerzauste sein Haar und trug sein leises Wimmern zu ihnen herüber. Sie sahen, wie sein ganzer Körper zitterte und wie er die Position seiner leicht über das Geländer rutschenden Hände immer wieder korrigieren musste. Hermine biss die Lippen zusammen und drehte sich zu Harry. Sie hob ihre Hand und deutete vielsagend zu dem Jungen an der Brüstung, der immer wieder unsicher auf dem Geländer schwankte. Harry nickte und seufzte leise. Hoffentlich waren Nevilles Hände nicht so schwitzig, dass ihm der Halt entgleiten würde. „Neville“, begann sie zögerlich. „Neville, bitte sieh uns an.“ Neville schüttelte den Kopf. Seine Fingerknöchel traten noch weiter hervor. Er schwankte wieder und Hermine hörte, wie Ginny Harry ein ängstliches: „Er ist doch nicht schwindelfrei“ zuraunte. Wieder trug ein Windstoß ein Geräusch zu ihnen. Neville weinte und Hermine hätte am liebsten mitgeweint, vor Angst, Ratlosigkeit und der überwältigenden Panik, etwas Falsches zu sagen. „Sagt Oma, dass es mir leid tut“, kam es schwach aus Nevilles Richtung. Er zitterte heftiger. Für den Bruchteil einer Sekunde lockerten sich Nevilles Finger, sein Körper kippte und - ihr Herz blieb stehen - fing sich wieder. Nevilles Füße glitten vom Geländer herunter auf den schmalen Steinvorsprung, der ihn noch vom Sturz trennte. Er ging leicht in die Knie, atmete heftig. Seine Fußspitzen ragten nun bereits über dem Abgrund. „Deine Oma wird… sie wird dir keine Vorwürfe machen“, hörte Hermine Harry neben sich sagen. Ein schwacher Versuch. Sie drehte sich um und selbst Luna durchbohrte Harry mit einem mahnenden Blick, denn alle hatten gehört, wie wenig überzeugt Harry selbst von dieser Aussage schien. Neville drehte sein Gesicht halb zu Harry. Blass, rund, tränenüberströmt. Wie das Gesicht einer Puppe glänzte es im Mondlicht, nur so viel ernster. „Sie wird es nicht verstehen“, wimmerte er und drehte sich wieder zum Abgrund um. „Sagt ihr, dass es mir leid tut.“ Hermines Gedanken rasten wie ein Tornado durch den Strudel ihrer Erinnerungen. Es musste doch irgendetwas geben, irgendetwas, das sie jemals gelernt hatte, was ihr jetzt helfen konnte. Ironischerweise war der Gedanke, der am hilfreichsten schien nicht einem Buch, sondern einer Fernsehserie entnommen, die sie vor ein paar Jahren gesehen hatte. Sie mussten mit Neville reden, um Zeit zu gewinnen. „Warum denn nicht?“, fragte sie laut, damit ihre Stimme auch auf jeden Fall zu ihm vordringen konnte. „Ich komme jetzt näher“, informierte sie, sich daran erinnernd, dass sie nichts Unvorhersehbares tun durfte, da ihn das erschrecken könnte. So erschrecken, dass er unbeabsichtigt loslassen könnte und… „Bleib weg! Ich will nicht, dass du mich festhältst!“ Sein Gesicht huschte für eine Sekunde herum, dann, als wäre ihm die Höhe, in der er sich befand, viel bewusster, wenn er hinsah, drehte er seinen Kopf ruckartig wieder zurück und starrte nach oben. Immerhin, die Höhe machte ihm Angst. „Wir wollen dich nicht festhalten“, hörte Hermine Lunas Stimme hinter sich, „Wir kommen nur ein paar Schritte näher, weil der Wind hier oben so heftig geht. Man versteht sich so schlecht!“ Harry, Hermine und Ginny drehten sich gleichzeitig zu Luna um, und lächelten sie dankbar an. Neville nickte ruckartig. Seine Finger rutschten zentimeterweit am Geländer hin und her. „Ihr dürft mich nicht festhalten. Hört ihr? Es ist mir ernst!“ „Ist uns klar“, sagte Harry. „Also… was versteht deine Oma nicht. Dass du hier stehst oder dass du… dass du… Bellatrix…?“ „Beides!“, kreischte Neville heiser und ließ sich vom Wind näher an das Geländer hinter ihm drücken. „Sie versteht das alles nicht. Und ihr auch nicht!“ „Dann sag es uns doch!“, drängte Hermine flehend. „Neville, wenn… wenn du Angst hast, dass sie enttäuscht ist… Also, das kriegen wir schon hin. Sie hat dich doch lieb… Auch wenn sie an dir rummäkelt. Sie… sie wird es verkraften, dass du…“ „Dass ich schon wieder zu schwach war!“ Neville heulte auf, ließ seinen Kopf hängen und erschauerte. Sekundenlang lockerte sich sein Griff, er kippte leicht vor - Hermine und Luna schrien auf - dann packte er wieder fest zu. „Denkst du, sie glaubst, dass du deine Eltern verraten hast?“, hörte Hermine Harry fragen. Entsetzt fuhr sie herum und schlug ihm, ehe sie sich zurückhalten konnte, mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Harry wich zu Ginny zurück, die ihn jedoch auch nur mit mörderischen Blick durchbohrte und langsam, beinahe drohend, den Kopf über soviel Unverstand schüttelte. „Ja!“, schluchzte Neville. „Natürlich hab ich sie enttäuscht. Ich sollte genauso stark, mutig und tapfer kämpfen wie meine Eltern. Das wollte sie immer. Deswegen hab ich ja mitgemacht. Genau das wollte ich doch tun und dann…“ „Aber… aber, du kannst doch immer noch kämpfen!“ Ginny kam einen Schritt näher und Hermine sah, wie die Panik in ihren Augen die beschwichtigenden Worte Lügen strafte. „Das war doch nur… einmal. Ehrlich… Wenn Bellatrix vor mir so gelegen wäre… Ich wüsste auch nicht… Wenn sie mich dabei angesehen hätte… Das kann man doch verstehen, das ist doch wirklich schwer, es… Es ist doch nicht vorbei. Wir werden es weiter versuchen und du hast noch tausend andere Möglichkeiten, um deine Eltern zu rächen.“ „Du bist nicht schwach“, versuchte es Harry, nun ein wenig geschickter. „Du bist unheimlich mutig und tapfer. Dass du überhaupt versucht hast, Bellatrix mitzunehmen. Sie ist eine gefährliche Irre und… es ist doch normal, wenn man Angst hat. Du hast das noch nie getan und dann alleine mit Bellatrix, die da liegt und dich ansieht. Sie ist gefährlich. Das wissen wir alle!“ „Aber sie konnte sich doch gar nicht rühren. Ich hab sie doch gelähmt. Sie war doch gar nicht gefährlich“, wimmerte Neville mit leiser und verzagter Stimme, die Hermine an das verzagte Quietschen eines kleinen, verängstigten Mäuschens in der Falle erinnerte. „Und wenn schon, ist doch egal. So eine Situation macht doch jedem Angst. Deine Oma…“ Neville unterbrach Ginny erneut, mit seinem flehenden Wimmern: „Sie wird enttäuscht sein, weil sie mich für einen Versager hält. Ich hab eure ganze Aktion ruiniert. Wir wollten doch beweisen, dass wir keine Irren sind und dann…“ „Vergiss es!“ Hermine schüttelte energisch den Kopf, auch wenn Neville den Kopf wieder krampfartig nach hinten, in den Nacken drückte, die Augen geschlossen hielt und sie nicht sehen konnte. „Das war schon ruiniert, bevor wir kamen. Malfoy hat uns verraten!“ Sie verschwieg wohlweislich, wer es war, den Malfoy ausspioniert hatte. Vermutlich hatte er Nevilles Gedächtnis manipuliert… Neville hatte genug andere Probleme, das war im Moment nebensächlich. „Genau!“, bekräftigte Harry eifrig und kam noch einen Schritt näher. Ganz leise war er geschlichen, in einer Hand hielt er den erhobenen Zauberstab. Würde er die Hände ausstrecken, war es sowohl möglich, dass er Neville entweder zu fassen bekam oder aber, dass er ihn versehentlich hinunterstoßen würde. Hermine hob die Hand und schüttelte den Kopf. Noch nicht. Harry nickte ihr zu, um zu zeigen, dass er die Geste verstanden hatte und versuchte, Neville weiter mit Beschwichtigungen abzulenken. „Wir werden uns Malfoy nachher vorknöpfen. Wenn irgendjemand das alles versaut hat, dann er. Du… das war nur normal, dass du nervös warst… Also ich wüsste nicht, ob irgendjemand von uns den Fluch hätte sprechen können, wenn er dem… dem… dabei ins Gesicht sehen müsste.“ „Das ist es doch nicht.“ Beide Füße ragten zur Hälfte über den Sims. Seine Arme zitterten gefährlich. Neville würde diese unbequeme Haltung nicht mehr lange durchhalten können. Neville schluchzte verzagt und schüttelte den kopf. Dann… Ein Schrei! Luna schlug sich die Hände vor den Mund… Neville hatte mit einer Hand losgelassen, ein Bein glitt vom Stein… Hermine schrie auch und Harry musste mit ausgestreckten Armen feststellen, dass er doch nicht nahe genug gewesen war… Neville schwang sich herum, sah ihnen nun direkt ins Gesicht und klammerte sich wieder mit beiden Händen am Geländer fest. „Das ist es doch nicht“, hauchte er leise. „Begreift ihr es denn nicht?“ Er schüttelte den Kopf und Tränen tropften auf seine Schultern. Er sah im blassen Mondlicht leicht grünlich aus, als wäre ihm schlecht. „Ich bin doch nicht hier, weil ich es nicht tun konnte. Ich bin doch hier, weil ich es wirklich tun wollte!“ Neville schluchzte und beugte sich leicht nach vorne. Seine Knie rutschten ein wenig durch die Geländerstreben, doch seine Füße standen nicht mehr fest auf dem Boden, sondern ragten leicht über den Absatz hinaus. „Ich hätte fast einen anderen Menschen umgebracht. Ich hatte sie, ich hatte den Stab, sie war gelähmt.. und ich hätte fast eine wehrlose Frau getötet, nur…“, er schluchzte und nun klang er nicht mehr verzweifelt, sondern wütend und aufgebracht. „Nur weil meine Oma das von mir wollte… Ich hätte fast jemanden umgebracht, nur weil ihr gesagt habt, dass es vernünftig ist!“ Neville wimmerte wieder und schüttelte den Kopf. „Was seid ihr nur für Menschen? Wie könnt ihr dastehen und planen, andere Leute umzubringen und dann immer noch behaupten, dass ihr zu den Guten gehört?“ Neville schluchzte auf und die Tränen flossen wie ein Fluss aus Bitterkeit und Vorwürfen aus ihm heraus. Wie ein Gift, das monatelang sein Herz, sein Gehirn und sein Blut vergiftet hatte, rannen nun all die falschen Sprüche und Ideale aus ihm hinaus und ließen nur noch den Jungen übrig, der er vorher gewesen war. Den lieben, guten Neville, der niemals jemandem weh tun wollte. Harry und Ginny tauschten Hilfe suchende Blicke. Sie waren bestürzt und erschüttert, ratlos, unfähig etwas dazu zu sagen. Aber Neville sprach, jetzt, da es heraus war, da er seinen Vorwurf gegen sie, den Orden, diese Welt und vor allem gegen sich selbst geäußert hatte, schien wieder genug Luft in seine Lungen zu gelangen, um all seinen Frust herauszulassen. „Wie könnt ihr das nur tun? Ich habe gesehen, wie auf Malfoy Manor Gefangene und Hauselfen vergast wurden. Ihr tötet Leute auf der Beerdigung ihrer Angehörigen. Ihr foltert genauso herzlos wie sie und ihr schreckt vor nichts zurück, um sie zu stoppen. Wo seid ihr denn überhaupt noch besser als sie? Da ist doch gar kein Unterschied mehr!“ Seine Hände lockerten sich, Hermine kam einen Schritt näher, versuchte ihren Zauberstab in ihrem Umhang zu ertasten und hoffte, dass ihr das glatte Holz nicht durch die schwitzigen Hände rutschen würde. „Und ich bin genau wie ihr!“, schrie Neville verzweifelt. „Ich bin so, wie ich nie werden wollte. Ich will nicht rumlaufen und wahllos Leute umbringen. Ist mir doch egal, wer sie sind und was sie gemacht haben. Ich will so nicht sein, ich will nicht… Oma wird das nie verstehen, dass ich nicht so ein Fanatiker bin wie Mum und Dad, die sich lieber für den Orden geopfert haben als bei mir zu bleiben!“ „Deine Oma muss so denken!“ Luna kam ein wenig näher und Neville beugte sich zwar leicht nach hinten, doch er versuchte nicht sie zu vertreiben. Im Gegenteil, ein klein wenig schien er erleichtert. Lunas aschblondes Haar wehte im Wind. Wehte vor Nevilles Gesicht wie eine weiße Fahne, so dass Hermine sich nun nur noch vorstellen konnte, wie seine Augen zu jemanden blickten, der ebenso einsam und seltsam war wie er. „Sieh mal… sie brauchte doch auch einen Grund, warum ihr Sohn nicht zu ihr zurückgekommen ist. Wenn sie solche Sprüche nicht gesagt hätte“, Luna zuckte die Achseln, „dann wäre sie doch traurig gewesen. Aber so ergibt es für sie Sinn. Wenn dein Vater und deine Mum einfach gegangen wären, wenn sie den Leuten alles gesagt hätten, dann hätte doch auch deine Oma ihren Sohn wieder. Denkst du nicht, dass sie heimlich nicht auch oft böse auf ihn ist, deswegen? Dass er nicht wiedergekommen ist? Und deswegen hat sie dir das gesagt, damit sie selbst nicht so traurig sein muss…“ „Aber ich will so nicht sein!“, schrie Neville. Luna nickte ernsthaft. „Das bist du auch gar nicht. Deswegen stehst du doch da. Sieh mal, Neville, wenn du genauso kalt wärest, wie du befürchtest, dann würde dir das doch gar nichts ausmachen!“ Luna wagte, ihm eine Hand auf die Wange zu legen und darüber zu streicheln, legte den Kopf in den Nacken und seufzte wohlig. „So ein schöner Wind heute Nacht, nicht? Wirklich schön, sieh mal, Neville. Der Mond ist ganz rot… So eine schöne Nacht!“ Neville schniefte, drehte sich um und blickte, mit leicht verdrehtem Hals, zum Mond. „Wirklich schön“, murmelte er. Luna lächelte „Und auch gar nicht so kalt, nicht? Dafür, dass jetzt erst März ist… Ich glaube, wir kriegen einen schönen milden Frühling und einen warmen Sommer, was meinst du?“ Neville zuckte die Schultern und nickte ergeben. „Kann sein!“ Hermine und Harry tauschten Blicke. Harry drehte sich kurz zu Ginny, die seinen Blick nicht auffing. Sie hatte die Arme um sich geschlungen, sich von Harry abgewandt und starrte auf ihre Füße. Hermine musste nicht fragen, woran sie dachte. Ron, den Fuchsbau und alles, was Voldemorts Leute sonst zerstört hatten… nicht zuletzt ihre Pläne für diesen Abend. Ginny hätte es getan und nun war sie hin- und hergerissen, weil ihr Neville einerseits leid tat, sie selbst aber andererseits nicht vor dem Fluch zurückgeschreckt wäre. „Dann… dann mach es nicht!“, platzte Harry heraus. „Dann, dann lass es einfach. Niemand muss mitmachen. Das haben wir von Anfang an gesagt. Komm… kletter einfach wieder hier rüber und wir gehen was essen. Vergessen wirs… wir werden nie wieder was zu der Sache sagen. Du hast uns heute Abend gar nichts versaut… das waren die… Und wenn du nicht mitkämpfen willst, dann lass es doch einfach.“ „Genau!“ Hermine kicherte, weil ihr auf einmal soviel leichter ums Herz schien. Neville weinte nicht mehr, er hatte sich etwas näher als Geländer gelehnt und beide Füße standen nun wieder sicher auf dem Stein. „Komm, Neville, ich mach doch auch nicht mit. Und Luna auch nicht. Du musst doch gar nichts tun. Wenn deine Oma das nicht einsieht, dann zieh doch nach der Schule aus. Deine Eltern haben dir doch sicher Geld hinterlassen. Nimm dir eine Wohnung, lass sie reden und glauben, was sie will. Wenn du anders sein willst… dann… dann mach das doch einfach!“ „Anders sein!“ Neville atmete tief durch und schloss die Augen. „Aber… ich… ich habe Angst, dass sie mich auslachen, wegen heute…“ „Wer denn?“, grinste Harry. „Die Slytherins? Na und? Das tun sie seit fast sieben Jahren bei jedem von uns. Vergiss sie… Im Juli ist die Schule aus, und dann bist du sie los.“ Neville nickte und wiederholte wie ein Papagei „…bist du sie los…“ „Ich hab Hunger. Gehen wir Pudding essen!“, giggelte Luna, und stieß Hermine in die Seite. „Hast du auch Hunger?“ „Auf jeden Fall“, bestätigte Hermine eifrig. „Neville, willst du Schoko oder Vanille?“ Er sah auf, weitete die Augen und flüsterte mit atemloser Stimme. „Schoko… mit ganz viel Sahne.“ Luna grinste, Harry lachte, Hermine atmete erleichtert auf und Ginny drehte sich etwas widerwillig um. Neville schloss die Augen, nickte noch einmal, als habe er endgültig einen Entschluss gefasst. „Mit sehr viel Sahne“, hauchte er. Dann beugte er sich ein wenig zurück, um seinen Fuß auf das Gelände zu stellen. Luna streckte ihr Hand aus, um ihm zu helfen. Neville ließ mit einer Hand los, ergriff Lunas Hand.. und… Nevilles Gesicht fiel. Wie eine Handpuppe, die vom Puppenspieler weggezogen wird, da die Szene wechselt, fiel Nevilles Gesicht nach unten und verschwand unter dem Rand des Simses. Harry machte einen Satz nach vorne und warf sich zu Boden. Ohne nachzudenken hob auch Hermine ihren Zauberstab und warf sich unter den Gitterstäben des Turms durch, bis sie auf dem Bauch mit dem Kopf nach unten über dem Abgrund baumelte. Unter ihnen hing Neville, die Arme um eine herausragende Steinfigur geschlungen, kreidebleich im Gesicht, Augen so groß und weit, dass sich die Sterne darin spiegelten. Xxx Draco, Crabbe und Goyle schlenderten so gelassen und beschwingt durch den Verbotenen Wald, wie es nur nach einer eingehenden Inspektion von Lucius‘ Hausbar möglich war. Um das wohlige Gefühl noch recht lange aufrecht halten zu können, hatte Draco beim Gehen eine Flasche Absinth mit einem Nachfüllzauber belegt und in seinen Umhang gesteckt. Seine Eltern wussten das nicht. Narzissa war gleich nach der Rückkehr ins Manor verschwunden und Lucius war auch irgendwann, gestützt von Rodolphus und Snape, aus dem Zimmer gebracht, genau genommen geschleift worden. Draco wusste, dass die Nächte kalt waren. Im März waren die Nächte in Hogwarts noch so kalt, dass er bei jedem Atemzug kleine Rauchwölkchen auszustoßen schien. Wie ein Drache. Draco kicherte bei dem Vergleich, nahm einen weiteren Schluck Absinth-oder-was-auch-immer und stolperte etwas ungelenk über eine Baumwurzel. Er fiel nicht, da er von Crabbe aufgefangen wurde. Crabbe legte seinen Arm um seine Schulter und Draco legte jeweils einen Arm um Crabbes und Goyles Schulter. Es torkelte sich viel lustiger, wenn man dabei nicht alleine war. Draco war nicht alleine. Er war so „gemeinsam“ wie seit langem nicht mehr. Nachdem Voldemort von der Bühne abgegangen war, waren die Todesser gemeinsam ins Manor appariert, um diesen unglaublichen Erfolg, den sie errungen hatten, gehörig zu feiern. Voldemort war nicht mitgekommen. Er war gleich nach seinem Auftritt verschwunden. Gefolgt von einer strahlenden Bellatrix. Narzissa war, wie gesagt, frühzeitig zu Bett gegangen. Der Rest hatte sich betrunken. Zudem rangen die Jüngeren unter ihnen dem finster in die Runde funkelnden Snape gehörige Mengen der Droge ab, die normalerweise vor Einsätzen ausgeteilt wurden. Draco, Crabbe und Goyle gehörten dazu. Warum auch nicht? Merlin, laut Rodolphus waren Menschen aus dem Publikum aufgesprungen, um die Todesser vor Potters Witzfiguren zu beschützen. Das musste man sich mal vorstellen… Danach war die aufgestachelte, erregte Menge mit Racheplänen besänftigt worden und dann aus dem Ministerium hinaus, zu dem Wohltätigkeitszentrum der Lestranges gefloht. Der Abend war ein voller Erfolg gewesen. Die Todesser waren keine gesichtslosen Außenseiter mehr. Keine gesuchten Terroristen und keine dubiose Geheimorganisation. Sie waren bejubelte Freiheitskämpfer. Im Manor hatten er, Crabbe und Goyle ihre Hemden ausgezogen, es gab nichts mehr, das sie verstecken mussten. Es war etwas kühl gewesen, mit nacktem Oberkörper. Die vielen lauten, lachenden Menschen, die feurigen Reden und nicht zuletzt die nicht unerhebliche Menge Alkohol, die sie alle getrunken hatten, heizten ihnen jedoch bald ein. Auch jetzt noch, als sie zu dritt fast gegen einen Baum gerannt wären, waren ihre Oberkörper, und natürlich ihre Arme, unbekleidet. Sie stolperten lachend an Hagrids Hütte vorbei, ließen ihm aus Spaß all die Saat im Boden absterben und verschlossen ihm magisch die Hüttentür, dann fiel Goyle um und Draco und Crabbe obendrauf. Crabbe und Draco setzte sich wieder auf, Goyle nicht. Der beharrte darauf, dort liegen zu bleiben, bis Hogwarts sich zumindest etwas weniger schnell um ihn drehen würde. Goyle sang vollkommen falsch, doch glücklicherweise auch fast unhörbar leise, ein altes Zaubererlied, während Draco und Crabbe vor Lachen fast umfielen. Sie reichten sich die Flasche Absinth hin und her, ignorierten den grauenhaft bitteren Geschmack und freuten sich stattdessen über die 60% Alkohol und philosophierten darüber, womit sie Potter und den Rest des Phinux? Phönöx? Phönös… schwieriges Wort… des Ordens morgen alles quälen könnten. Sie waren an der Macht. Niemand konnte ihnen mehr etwas antun. Betrunken sein war einfach toll. „Hey, schau mal da!“ Crabbe, der die ganze Zeit ein vorhin geklautes Omniglas vor Augen hatte, um sich wieder und wieder Longbottom anzusehen, der sich auf Bellatrix warf, fuchtelte aufgeregt mit dem Arm in Richtung Nordturm. Draco drehte sich um, streckte den Arm nach dem Omniglas aus, kippte nach vorn und prallte auf Crabbe. Kichernd und prustend lagen sie Gesicht an Gesicht aufeinander. Beide kicherten albern und lachten sogar noch lauter, als sie Goyle neben sich im Schlaf laut rülpsen hörten. Draco stützte die Ellenbogen ab, grinste zu Crabbe hinab, da er sein Omniglas nun doch stibitzt hatte. Crabbe merkte es nicht, stattdessen spitzte er den Mund und leckte sich über die Lippen „Küss mich, Baby!“ Draco beugte sich hinunter und brach brüllend vor Lachen zusammen, als er Crabbes fleischige Zunge auf seine Nase spürte. Sie witzelten eine ganze Weile vor sich hin, bis Draco langsam auf die Idee kam zu fragen, was Crabbe denn vorhin gesehen hatte. „Longbottom hängt am Turm.“ „Was?“ Draco schoss kerzengerade in die Höhe, schnappte das Omniglas und spähte zum Nordturm hinüber. „Ich seh‘ ihn aber nicht.“ „Ja, dann ist er halt schon runtergefallen…“ Draco verzog das Gesicht, überlegte, ob er sich den Anblick eines zerschmetterten Longbottoms am Boden wirklich antun wollte, doch die Neugier siegte. „Nein, da unten liegt er auch nicht.“ Draco atmete tief durch und versuchte das leichte Schwindelgefühl und die aufkeimende Übelkeit zu ignorieren. Aus den Augenwinkeln sah er, dass die Absinthflasche neben Goyle am Boden lag und die Flüssigkeit ohne Unterlass im Boden versickerte. Draco drehte sich weg und legte die Hand auf seinen Mund. Der bittere Geschmack des hochprozentigen Getränks, verbunden mit dem Geruch, machten alles nur noch schlimmer. „Ich muss weg, mir wird schlecht.“ Er stand leicht taumelnd auf und trottete ein paar Schritte von den beiden weg. Ein paar Mal meinte er, sich übergeben zu müssen, doch dann wurde es etwas besser. Er überlegte, ob er sich den Finger in den Hals stecken sollte, um freiwillig zu erbrechen. Dann hätte er es immerhin hinter sich. Der Wind kam von Süden und brachte den Geruch nach Absinth auf feuchter Erde und Erbrochenem mit sich. Crabbe würgte. Draco beugte sich nach vorn, die Überlegung mit dem Finger hatte sich erledigt. Etwas zittrig und leider immer noch immer etwas schwindelig, tapste er zu einem nahegelegenen Baum hinüber und ließ sich daran hinunter sinken. Die Bilder der Omniglasaufnahme waren etwas unscharf. Zumindest für ihn. Crabbe setzte sich neben ihm auf den Boden und roch ebenso sauer wie Draco vermutlich auch. Sie beugten sich weit über das Omniglas und sahen sich gemeinsam Longbottom an, der mit den Schatten einiger anderer Schüler auf der Turmplattform stand. Die Aufnahmen zeigten , wie der Name schon sagte, alles. Nicht nur den Teil, den Crabbe gesehen hatte, sondern auch das, was davor und danach kam. Draco sah, wie Longbottom über das Geländer krabbelte und sich umdrehte. Er zoomte die Aufnahme etwas weiter heran und nun konnte er auch die schattenhaften Begleiter erkennen, die vorsichtig näher kamen. Potter, und der Rest des Haufens, der sich heute Abend lächerlich gemacht hatte. „Gibt’s dazu auch Ton?“ Draco drehte das Omniglas herum, begutachtete es von allen Seiten und suchte mit den Fingern nach Erhebungen. „Sieht nicht so aus.“ Longbottom schwankte hin und her, zuerst glaubte Draco, dass er wirklich springen wollte. Es war ihm nun doch unbehaglich dabei, den Selbstmord eines anderen Menschen zu beobachten. Selbst wenn es Longbottom war, dann fiel ihm jedoch wieder ein, dass Longbottom ja gar nicht unten lag, er konnte nicht gefallen sein aber… Doch… Er fiel… Und… Fing sich mit den Händen an einer Steinfigur ab. Er war nicht tief gefallen, ein paar Fuß unter der Brüstung baumelte er. Draco und Crabbe grinsten einander an und giggelten Schadenfroh. „Sogar dazu ist er zu blöd“, kicherte Draco und sah, begleitet von Crabbes wieherndem Lachen zu, wie Potter und… Granger… Hermine? ... ja, sie war es… sich zu ihm hinunterbeugten und ihn... es musste irgendein Zauber dabei sein, denn Hermine hatte ihren Zauberstab in der Hand und Sekunden später bildete sich eine Art Wolke um Longbottom herum… „Draco, weißt du, was das ist?“ Draco schüttelte den Kopf. Was immer es auch war, es konnte fliegen oder schweben und war kräftig genug, um den fetten Longbottom nach oben zu bringen und ihn sicher auf der anderen Seite des Geländers landen zu lassen, wo ihm diese Irre Loony um den Hals fiel. Hier endete die Aufnahme. Draco kicherte und schüttelte ungläubig den Kopf. „Dieser Trampel kann aber auch nichts richtig machen.“ „Ob der wirklich springen wollte?“ Draco zuckte die Achseln und warf das Omniglas weg. „Keine Ahnung“, er zog den Zauberstab, zielte, traf und sprengte es mit einem vernichtend roten Blitz in die Luft. „Wahrscheinlich. Er hat doch alles ruiniert für sie, oder? Nutzlos… zu blöd zum Leben und zu dämlich zum Sterben.“ Er knurrte und stand auf. „Da sind sie ja!“ Draco deutete begeistert auf eine Gruppe dicht zusammengedrängter junger Leute, die langsam vom Turm weggingen. Crabbe sprang auf die Füße, kippte und hielt sich an Draco fest, der sich seinerseits am Baum festhielt. „Die nehmen wir uns vor. Weck Goyle!“ Voller Vorfreude richtete Draco seinen Zauberstab locker auf die Gruppe vor ihm hergehender Gryffindors und eilte ihnen so schnell es eben ging hinterher. Die Fünf vor ihm gingen langsam. Longbottom in der Mitte, neben ihm Lovegood und Gr… Hermine, außen die Weaselin und Potter. Er bleckte die Zähne, leckte sich genüsslich die Lippen und überlegte amüsiert, welche von diesen fünf Flaschen er sich zuerst vornehmen sollte. Granger, Hermine, war im Moment nicht weiter wichtig. Das, was da vorne die Arme um diesen Schlappschwanz gelegt hatte, war bestenfalls ihr nerviger Zwilling. Ihr nerviger, fremdgehender Zwilling. Aber egal, sie war hier nicht von Belang. Er grinste boshaft, während seine Augen von Longbottom zu Potter und wieder zurück huschten. Er warf einen Blick über die Schulter. Crabbe hatte Goyle hochgezogen und nun trotteten beide, ebenfalls mit erhobenen Zauberstäben - wenn der von Goyle auch in die vollkommen falsche Richtung zeigte - auf ihn zu. Die Show konnte beginnen. „Hey, Longbottom!“ Alle Fünf wirbelten herum. Im Dunkeln konnte Draco ihre Gesichter nicht gut erkennen, doch er malte sich aus, wie die Angst ihre Augen weitete und die Schande über das , was am Abend gewesen war, ihre Wangen rötete. „Hier!“ er reckte beide Arme in die Luft, präsentierte seine nackte Brust und verharrte so, bis nur zwei Sekunden später Crabbe und ein recht klebriger Goyle neben ihm auftauchten, auf deren Schulter er seine Arme sinken ließ. „Wolltet ihr schwulen Witzfiguren nicht, dass ich mein Hemd ausziehe? Da!“ Er grinste, trat einen Schritt näher und schwenkte seinen linken Arm triumphierend in der Luft. „Kuckt doch! Crabbe! Goyle! Ihr auch!“ Beide gehorchten, wie immer. Draco machte sich von seinen Gefährten los, hakte die Hände in seinem Hosenbund ein, schlenderte lässig näher, blieb dann einige Schritte vor der Gruppe stehen und begann zu lachen. „Kuck mal!“, rief er und streckte seinen Arm in Richtung Neville aus. „Der Versager heult!“ Potter und die Weaselin zogen ihre Zauberstäbe und positionierten sich angriffsbereit vor ihm. Crabbe und Goyle, Draco rümpfte die Nase, als er den immer noch halb bewusstlosen Goyle herantrotten sah, nahmen ihn in ihre Mitte und verschränkten simultan mit ihm ihre Arme. Luna und Granger rückten dichter an Longbottom heran. Unwillkürlich huschten seine Augen zu ihnen, als die beiden ihn einige Schritte wegzogen. Granger sah zu ihm, für eine Sekunde begegneten sich ihre Augen, dann sah sie weg und Draco höhnte genüsslich. „Longbottom, bist du so eine Null, dass dich jetzt schon zwei Mädchen beschützen müssen? Oh Merlin, wie erbärmlich ist das denn?“ Crabbe und Goyle kicherten pflichtschuldig und richteten ihre Zauberstäbe auf die Gryffindors. Innerlich hoffte Draco, dass zumindest Crabbe gut zielen konnte. Wie gut konnte er im Moment eigentlich selbst zielen? Ziemlich… ziemlich gut… das Karussell hatte angehalten. Der Boden war aber immer noch überraschend weich und federte unter seinen Schritten, als stünde er auf einer Seifenblase. Lustig, sehr lustig. Draco fühlte sich großartig. Mächtig, stark, überlegen… er lachte. Neben ihm gluckerte etwas. Erst jetzt bemerkte er, dass Goyle in der zauberstablosen Hand den Absinth hatte. Der hatte schon genug getrunken. Draco nahm ihm die Flasche ab, nahm selbst einen tiefen Zug und drückte sie stattdessen Crabbe in die Hand. Potter grinste. Warum grinste der? Warum hatte der keine Angst, sondern kam einen Schritt näher und drehte seinen Zauberstab weg, um sich stattdessen die Hand vor die Nase zu halten? „Na, Malfoy, mal wieder besoffen? Lass mich raten… du warst gerade bei deinem Daddy?“ Draco wurde heiß. Zuerst begannen seine Wangen, dann seine Ohren und zuletzt sein ganzer Körper zu glühen. Er schnaubte, riss dem verhalten protestierenden Goyle die Flasche aus dem Arm und kühlte seinen brennenden Hals mit ebenso, wenn auch angenehmer brennendem Alkohol. Er wurde stärker, mächtiger… und Potter mit jedem weiteren Schluck immer hässlicher und verachtenswerter. Draco schlenderte, ganz sicher taumelte er nicht, gelassen auf Potter zu, bis er nur noch eine Handbreit von ihm entfernt war und der kleinere Junge, der bei seinem Geruch die Nase angeekelt rümpfte, unwillkürlich eine Schritt zurückwich. „Ja, wir waren vorhin bei uns zuhause, bei meinem Vater, Potter. Da habe ich auch gehört, wo ihr vorhin wart!“ Draco gluckste, nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche, genoss das Gefühl, dass der Boden unter ihm fester wurde und war sich ganz sicher, dass er sehr imponierend und Furcht einflößend aussah. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Goyle an dem Weasleymädchen rumfingerte. Ein Lichtblitz, etwas schwirrte, Longbottom fiel auf den Boden und die Weaselin heulte auf vor Zorn. Hatte es Crabbe wirklich geschafft, ihr den Zauberstab abzunehmen? Sehr gut, dafür würde er ihm nachher einen Hundekuchen geben. Draco grinste schief, versuchte Potter so sicher wie möglich in seine irgendwie verschwommen aussehenden Augen zu sehen und drohte, so unheilvoll er konnte: „Soll ich dich zu deinem Vater zurückschicken, Potter?“ Draco hob den Zauberstab und bohrte ihn in Potters Kehle. Er fühlte etwas Spitzes gegen seinen eigenen Bauch drücken. Ein kurzer Blick… Potter zielte ebenfalls auf ihn. Draco grinste breiter und drückte seinen eigenen Zauberstab noch ein wenig fester gegen die Haut des anderen. „Soll ich den ehemaligen Retter, der ab morgen, wenn die Zeitungen rauskommen, nur noch eine Witzfigur ist, soll ich ihn umbringen? Soll ich Potter töten?“ „Draco, es reicht!“ Das Schla… Granger war nicht mehr bei Longbottom, sie hatte ihn am Arm gepackt, ignorierte die Protestrufe der Weaselin und von Potter und zog ihn zu sich hinüber. Draco stolperte, kippte gegen sie, doch fasste sich wieder und schaffte es, eine angemessen eindrucksvolle Haltung einzunehmen. „Geh ins Bett und werde wieder nüchtern! Geh und hau ab. Alles andere würde dir morgen leid tun. Geh schlafen!“ Draco grinste und legte seinen Arm um sie. Er war der König hier, im Moment. Er war allen anderen überlegen und fühlte sich extrem erotisch. Ganz sicher sah das Mädchen das auch so. Immerhin war sie ja sein Mädchen. Er kraulte ihre Schulter, zog sie enger an sich, beugte sich über ihr Ohr, und raunte verheißungsvoll. „Wenn du mitgehst…“ „Hermine!“ Longbottom war aufgesprungen und noch eher Potter ihm zur Seite eilen konnte, hatte der fette Trampel Draco gepackt und ihn hart auf den Boden gestoßen. „Du perverser Sack. Lass sofort deine dreckigen Hände von ihr!“ Longbottom stand breitbeinig über ihm, grün im Gesicht, verheult und zitterte am ganzen Leib. Draco fühlte sich bei dem Anblick an einen schwammigen, riesigen, grünen Wackelpudding erinnert. „Du… du… du… ich tu dir was, wenn du sie anfasst!“ Draco lachte lauter. Er kullerte auf den Bauch, ging in die Knie und versuchte aufzustehen, kippte zur Seite, und blieb sitzen. Alles sehr komisch. Longbottom wollte ihn bedrohen? Das Mädchen war bei ihm. Sie legte ihm den Arm um die Schulter und flüsterte zärtlich: „Komm, Neville, wir gehen. Die sind nur besoffen. Wir gehen jetzt, ja? Du hattest einen schlimmem Tag und ich will hier weg!“ Draco ging langsam, darauf bedacht, nicht schon wieder umzukippen, auf beiden Händen abgestützt, auf die Knie und drückte sich etwas ungelenk nach oben. Er taumelte ein, zwei Schritte zur Seite, dann stand er wieder. Die Flasche links, den auf Longbottom gerichteten Zauberstab rechts, schrie er mit all der Kraft des in ihm aufwallenden Zorns: „Ich lasse mich nicht von so einem nutzlosen Versager wie dir ficken! Hörst du?“ Lauter als er vorgehabt hatte, doch er genoss die Wirkung, denn Neville zuckte zurück. Selbst schuld. Was bildete sich dieser Typ eigentlich ein, ihn zu bedrohen? Er sollte das lassen, sonst würde er, Draco, ihm Dinge antun, die sich dieser Vollidiot nicht einmal vorstellen konnte. Hinten schrie jemand. Die Weaselin hatte Crabbe in den Schritt getreten, der taumelte und presste die Beine zusammen. Potter war bei ihr, schubste Crabbe zur Seite und schrie etwas. Auf der anderen Seite hatte Goyle gerade auf Lovegood gekotzt. Egal, sie waren beschäftigt. „Sag mal, was glaubst du Abschaum eigentlich, wer du bist?“ Draco kam langsam näher, baute sich vor Neville auf und knurrte tief und hasserfüllt: „Denkst du, eine Sau stört es, wenn ich so einen Versager wie dich umbringe? Denkst du, irgendjemand heult dir nach? Du Penner bist doch für dein ganzes Leben zu blöd. Seit ich dich kenne bist du nichts als eine Ansammlung von Peinlichkeiten.“ Das Mädchen wimmerte. Sie versuchte Longbottom wegzuziehen und funkelte Draco zornig an, das interessierte ihn jetzt aber nicht. Longbottom hatte es gewagt, sich mit ihm anzulegen. Dieser Penner, diese Witzfigur, hatte ihn beleidigt. Draco trat einen Schritt vor und Longbottom zitterte so heftig, dass ihm der Zauberstab aus den Fingern glitt. Wundervoll, wundervoll… Er beugte sich über ihn und schnupperte. „Du stinkst nach Angst, du Nichts. Du bist gar nichts, weißt du das? Alle haben dich gesehen, heute Abend. Weißt du, ich tue dir einen Gefallen, wenn ich dich jetzt töte!“ Bauch und Bauch, oder eher Wampe an Bauch, musste Draco nur noch flüstern, um die Botschaft klar zu machen „Denk nicht, du bist der Erste. Aber du bist der Erste, bei dem es keine Sau interessieren wird…. Dich sollte es auch nicht interessieren, denn morgen kommen die Leute aus Askaban und holen dich ab. Entweder, du Irrer kommst dorthin, wo auch schon Mami und Papi verreckt sind, in die Irrenanstalt, oder du kommst mit Potter zusammen nach Askaban. Na, was sagst du dazu?“ „Du… du lügst“, piepste das Nichts unter ihm. „Ich komme nicht.. wir kommen nicht…“ „Potter!“ Draco hob den Kopf und schrie unnötigerweise, denn Potter war schon neben ihm… neben Hermine. „Was sagst du dazu? Vater hat die Polizei informiert… Vater hat der Polizei genau gesagt, dass ihr die Leute während ihres Vortrags angegriffen habt und versucht habt, meine Tante zu entführen. Morgen schicken die Beamte in die Schule, um dich abzuführen. Na, wie findest du das?“ Hermine und Potter tauschten Blicke, die Draco nicht richtig entschlüsseln konnte. Zwei Zauberstäbe deuteten auf ihn. Draco kicherte nur noch lauter. „Und deswegen bedroht ihr mich? Nachdem ihr heute Abend meine Familie bedroht habt… bedroht ihr mich? Schön, das wird sicher wunderbar in der Anklageschrift machen… ihr Serientäter.“ Potter biss sich auf die Lippen. Granger drückte sich an Potter und murmelte etwas, daraufhin sank sein Zauberstab etwas herab. Draco nutzte die Gelegenheit, um Longbottom den Rest zu geben. Der heulte schon wieder. Er sammelte Speichel im Mund, spitzte die Lippen und spuckte ihm ins Auge. „Das ist alles, was du für die Leute bist. Du bist nichts als Schleim. Nicht mal deine Oma wird sich darum kümmern. Die freut sich doch, du Schandfleck!“ Dracos Grinsen wurde breiter, er hob eine Hand und deutete ohne hinzusehen in Richtung Nordturm. „Na los, Schlappschwanz. Geh hoch und zeig mir, dass du doch ein Mann bist. Geh hoch, springen… oder kannst du nicht mal das?“ Longbottom wurde grün. Ein Zauberstab drückte sich Draco ins Genick. Die Weaselin. „Das reicht jetzt, Malfoy! Ein Wort und…!“ „Tu doch nicht so, als würde dich dieser Dreckhaufen interessieren. Ein Versager ist er…. Niemand interessiert sich für dich, Longbottom. Niemand!“ Er schüttelte den Kopf. Longbottom kippte gegen die vollgekotzte Luna, die ihm die Hand um den Rücken legte und ihren Kopf an seine Schulter schmiegte. „Deine arme Oma…reinblütige, stolze Familie… und ihr eigener Enkel ist so dumm, dass er sich nicht mal selbst erledigen kann.“ Crabbe und Goyle waren wieder da. Nein, nur Crabbe, stand neben ihm, machte die Weaselin nervös und grinste. Draco grinste ihm zu und drehte sich wieder zu Longbottom. „Was war das für eine geile Show… wir haben dich da oben rumbaumeln gesehen!“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. „Merlin, sogar dazu bist du zu blöd. Nicht mal das kannst du. Kannst du überhaupt irgendetwas machen, ohne dich zu blamieren? Nicht mal runterspringen kannst du!“ Er kicherte und Crabbe und Goyle stimmten mit ein. Draco schüttelte verächtlich den Kopf über soviel Dummheit. „Habt ihr jemals so was Erbärmliches gesehen wie diese Null? Er blamiert sich im Leben und im Tod… Nicht mal das, nicht mal das, Longbottom. Du bist der erste Mensch der Welt, der so dumm ist, dass er selbst beim Sterben versagt!“ Schneller als er die Faust gesehen hatte traf sie ihn ins Gesicht. Draco taumelte nach hinten. Longbottom heulte. Potter war vor ihm. Schrie etwas, holte erneut aus… Aber diesmal war Draco schneller, er packte Potter am Hals, überlegte nicht eine Sekunde, sondern holte aus und schlug mit der harten, waldgrünen Absinthflasche nach Potters Schädel. Potter schrie auf, hielt sich die Hände vors Gesicht und krümmte sich. Draco hatte schlecht getroffen, die Flasche war noch ganz. Dennoch belustigte ihn der Anblick des gekrümmten Feindes. Laut johlend goss er den Flascheninhalt über Potters Kopf. Kühler Absinth rann über die Finger seines Opfers. Und Blut. Potters Blut. Der blutete wie ein Schwein und das, wo er doch höchstens seine Nase gebrochen hatte. Longbottom schrie, die Weaselin stimmte ein und Granger wirbelte zu ihm herum, holte aus, schlug ihm hart ins Gesicht und schrie mit schriller, durchdringender Stimme auf ihn ein: „Du Irrer! Der einzige, der hier eingesperrt werden sollte, bist du!“ Ihre Augen glühten vor Hass. Schneller als er reagieren konnte, sah er sich ihrem drohend erhobenen Zauberstab gegenüber. „Geh weg! Hau ab oder ich schwöre dir, ich werde dir einen Fluch auf den Hals jagen, der dir …!“ Sie mochte wütend sein, aber sie war auch unaufmerksam. „Expelliarmus!“, und Grangers Zauberstab flog im hohen Bogen in Richtung Wald. Er packte sie am Kragen ihres Umhanges, zog das sich heftig windende und wehrende Mädchen zu sich her, drehte ihr den Arm auf den Rücken und schüttelte sie: „Du drohst mir? Du wagst es, mir zu drohen, Schlammblut? Hör zu, hört alle gut zu!“ Draco sah auf, drehte sich mit der vor Schmerz jaulenden Hermine zu den restlichen Gryffindors und schrie den gerechten Zorn des sicher Triumphierenden heraus: „Wir gewinnen und wenn ihr noch einmal versucht uns anzuwichsen, dann schicke ich euch alle eigenhändig zum toten Weasley!“ Er hatte nicht sie gemeint, nicht Granger alleine. Er hatte sie alle gemeint, die heute Abend im Ministerium gewesen waren, sich lächerlich gemacht hatten und es danach gewagt hatten, seine Leute anzugreifen. Das Mädchen starrte ihn mit offenem Mund an. Er ließ ihren Arm los. Sie zitterte und griff wie in einem unbewussten Reflex Rettung suchend an ihren Weasley-Anhänger. „Wie kannst du es wagen…“, jammerte sie. Dann war alles aus. Die Hand schloss sich um den Anhänger. Er packte ihre Hand. Ein lauter Schrei „Ron!“ und Draco verlor, einmal mehr, jede Beherrschung über sich selbst. Er hatte die Flasche nicht mehr, aber er hatte seine Faust. Wie konnte sie es wagen, hier vor ihm Weasley zu befingern? „Lass mich, Draco! Verspiss dich! Lass die Finger von dem Anhänger! Du verstehst das nicht. Du verstehst nicht, wie das ist. Lass mich!“ Sie schrie, wand sich und versuchte nach ihm zu treten, um diesen wertlosen Schrott mit beiden Händen vor ihm schützen zu können. „Lass sofort los!“ Sie weinte, wimmerte, schüttelte den Kopf und schluchzte. „Du darfst ihn mir nicht wegnehmen. Er ist alles was ich noch habe!“ Es war nur ein kurzer Moment. Doch so kurz dieser Augenblick auch war, er war mächtig, geradezu überwältigend. Einen überwältigenden Augenblick lang war sie nichts als ein Schlammblut und er ein reicher, reinblütiger Todesser. Stark, mächtig, auf der Gewinnerseite und ethnisch und sozial soweit über ihr, dass sie in seinen Augen zu nichts als einem Haufen übelriechenden Dreck zusammenschrumpfte. Und dieser Haufen Dreck wagte es, ihm ins Gesicht zu sagen, dass ein dämliches Weasleybild alles war, was sie noch hatte? Dass dieses behämmerte, verwandelte Bild mehr zählte als er? Er packte das Mädchen an den Haaren, holte aus und boxte ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Einmal, zweimal, dreimal… Das Mädchen klappte ein und kippte um wie ein gefällter Baum. Draco tat einen Schritt vor, hörte sie schreien, ballte die Fäuste, hörte sie irgendetwas rufen, holte aus, sah sie zucken und… …wurde von Potters Fluch zurückgeschleudert. Der Stupor traf ihn hart wie der Fußtritt eines Hippogreifes in die Brust. Der Rest des Abends war etwas unklar. Crabbe, der noch am nüchternsten gewesen war, teilte ihm am nächsten Morgen mit, dass Potter mehrere Flüche auf ihn abgeschossen und nur von ihm abgelassen hatte, weil Longbottom und Granger, die erstaunlich schnell wieder auf den Füßen gewesen war, ihn zurückgezerrt hatten. Die Weaselin hatte ihm in die Weichteile getreten, doch Draco war liegengeblieben. Weitere Racheaktionen hatten sie vermieden, da Lovegood daran erinnerte, dass es wirklich nicht gut aussähe, wenn man Lucius Malfoys Sohn ausgerechnet an diesem Abend schwerverletzt in Hogwarts finden würde. Sie fluchten, sie schimpften… aber sie gingen. Einen heulenden Longbottom in der Mitte, gestützt vom blutenden Potter und der zugeschwollenen Granger. Teilweise auf zwei Beinen, teilweise auf allen Vieren, schafften es die Slytherins zurück in die Kerker und legten sich schlafen. Xxx Als Draco am nächsten Morgen ziemlich verkatert aufwachte, zog er sich die Decke über den Kopf, drehte sich vorsichtig und schön langsam zur Seite und beschloss, für den Rest seines Lebens hier zu bleiben. Er war müde, er hatte Kopfschmerzen, seine Speiseröhre brannte und außerdem war ihm kalt. Er reinigte sein Kissen und zog es unter seinem Kopf weg, da so flach wie möglich dazuliegen etwas gegen die Übelkeit half. Gegen dieses andere Gefühl, das er nicht beschreiben konnte und wollte, half es zumindest ein wenig, das Kopfkissen stattdessen an sich zu ziehen und es wie ein Kuscheltier aus Kindertagen in seinen Arm zu nehmen. Nachdem er gestern schon etwas weniger heiter in sein Bett gefallen war und das höhnische, siegreiche Geprahle von Crabbe und Goyle kaum mehr wahrgenommen hatte, war der Kater an diesem Morgen besonders unangenehm, denn er rührte nicht nur vom Alkohol her, sondern auch von dem Wissen darum, etwas falsch gemacht zu haben. Crabbe und Goyle kannten solche Gefühle offenbar nicht. Die krabbelten irgendwann stöhnend aus dem Bett, machten sich, wenn er sich nicht irrte, auf zu Madam Pomfrey und wurden für den Rest des Tages nicht mehr gesehen. Vielleicht hatten sie einen Blackout, vielleicht lag es auch einfach daran, dass sie sich dahinter verstecken konnten Mitläufer zu sein und eigentlich, wenn er ehrlich war, sich auch nicht halb so entsetzlich wie er benommen hatten. Das war das tückische an den meisten seiner Alkoholerfahrungen in der letzten Zeit. Jemand wie Lucius hatte gestern sicher so viel getrunken, dass er sich heute an nichts mehr erinnern konnte. Draco nicht. Die Übelkeit hielt sich, wurde irgendwann etwas besser. Rufe seiner Mitschüler, dass er endlich aufstehen sollte, ignorierte er. Heute war Sonntag, sie sollten ihn in Ruhe lassen. Er wollte hier liegen bleiben und in Selbstmitleid und Selbsthass ertrinken, bis der Kater vergangen war. Oder bis er irgendwann, verhungert und verdurstet, gefunden werden würde. Das wäre immer noch wesentlich reizvoller als aufzustehen und anderen Schülern zu begegnen. Schülern, die vermutlich schon gehört hatten, dass er gestern sein Mal herumgezeigt hatte. Dass er seine… dass er ein Schlammblutmädchen zusammengeschlagen hatte, dass er Sankt Potter eine Absinthflasche auf den Kopf geschlagen hatte, dass er Longbottom… Draco presste die Augen zusammen und warf sich auf die andere Seite. Nein, daran wollte er lieber nicht denken. Er quälte sich lieber mit dem Anblick von Hermine, die sich aus Angst vor ihm an ihren Weasley-Anhänger geklammert hatte. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer und ergänzten sich mit seinen Bauchschmerzen zu einer exquisiten, crutiatusgleichen Folter. Zur Mittagszeit hielt er es schließlich nicht mehr aus. Er zog sich an, putzte sich die Zähne, wobei er versuchte nicht zu würgen, und schlurfte zu Madam Pomfrey. Er hätte schon früher gehen sollen, die Schmerzen waren längst unerträglich, doch die leise Befürchtung, dort oben auf einen der Menschen zu treffen, die ihm gestern Abend vor dem Nordturm begegnet waren, hatte ihn zurückgehalten. Aber jetzt ging es nicht mehr anders. Wenn er kein Schmerzmittel bekam, würde er wahnsinnig werden. Andererseits… wahnsinnig werden? War er das nicht schon längst? Draco schlich mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf in die Krankenstation hinein. Er hörte Madam Pomfrey geschäftig in ihrem Nebenraum herumklappern. Als die Tür hinter ihm zufiel, hielt sie in ihrer Arbeit inne und wuselte emsig zu ihrem nächsten Patienten. Als sie jedoch sah, wer das war, blieb sie noch in der Tür stehen, verschränkte die Arme und bedachte ihn mit einem Blick, der ihn von der gefühlten Maus, die er sowieso schon war, zu einem sehr kleinen Haufen Abfall zusammenschrumpfen ließ. „Aha. Auch da?“ Sie kam mit langen, festen Schritten näher und baute sich direkt vor ihm auf. „Und, was ist es diesmal?“ Draco schluckte schwer. Nicht wegen der Übelkeit, die wurde im Moment komplett von Angst, Scham und schlechtem Gewissen überlagert. „Bauchschmerzen und Kopfschmerzen“, antworte er mit dünner, brüchiger Stimme. Die Krankenschwester verengte die Augen, packte sein Kinn und hob es leicht an, um ihm in die Augen sehen zu können. Unwillkürlich trat Draco einen Schritt zurück, denn die Abneigung in ihren Augen war unerträglich. Es war ja nicht so, dass er zu Madam Pomfrey ein besonders enges, inniges Verhältnis hatte, doch unbestritten wusste sie sehr viel von ihm und den Dingen, die er in diesem Schloss so tat. Gerade gestern Nacht hatte er ihr ja schon wieder Arbeit hochgeschickt. Man hätte es glatt Teamwork nennen können, wenn es nicht so erbärmlich gewesen wäre. „Hinsetzen!“ Sie ließ von ihm ab, drehte sich um und ging zurück in das Medikamentenlager. Vermutlich, um Tränke zu holen. „Wie ich hörte, waren sie gestern Abend aus, Mr. Malfoy? Haben wir einen kleinen Ausflug mit Freunden unternommen?“ Draco grunzte, krabbelte auf das nächstbeste Bett und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Eine Kugel, deren Gesicht in die entgegengesetzte Richtung sah. „…Sie wissen, von wem ich das gehört habe?“ Die Tür im Nachbarraum knallte schmerzhaft laut zu. Eine subtile Foltermethode, da war er sich sicher. Da er allerdings mit ihr darin übereinstimmte, dass er das verdient hatte, wehrte er sich auch nicht dagegen, dass sie alle Vorhänge aufzog und betont langsam einen schrill quietschenden Stuhl zu seinem Bett hinüberzog. Sie reichte ihm das Mittel und setzte sich dann mit verschränkten Armen vor ihn. Draco trank in einem Zug aus, reichte ihr die leere Phiole und rollte sich im Bett wieder zusammen. „Und, war Ihr gestriger Abend ebenso unterhaltsam wie meiner?“, fragte sie spöttisch. Draco seufzte, überwand sich dazu, sich zu ihr umzudrehen und schüttelte den Kopf. „Nein… ich meine… ja… aber… ich bin nicht stolz drauf.“ „Das will ich hoffen. Sie wissen, welche Konsequenzen das haben kann?“ Er nickte schwach „Haben Sie es… dem Schulleiter?“ Madam Pomfrey schüttelte den Kopf. „Nein, aber wozu auch? Denken Sie, dass er es nicht auch so erfahren wird? Aber Sie muss das ja nicht stören. Sie haben das sicher genau durchgeplant. Sie haben ja kein Problem, wie Sie mir gestern verkündet haben!“ Draco kniff die Augen zusammen und zog die Decke höher. „Ich weiß doch… Ich sag‘ ja gar nicht… Es ist doch nur… das Mädchen, Hermine, sie stand doch genau nebendran und ich wollte nicht, dass“, er schloss die Augen vor Scham und wimmerte, „ …dass sie mich für verrückt hält!“ Er hustete und schluckte abermals, doch der Kloß im Hals war ebenso hartnäckig wie seine schmerzenden Augen trocken blieben. Er konnte nicht weinen, es ging nicht. Er konnte gar nichts, außer sich bloßgestellt und wertlos fühlen. „Ach... Und weil sie nicht schlecht von Ihnen denken soll, boxen Sie ihr ins Gesicht, prügeln auf ihre Freunde ein und überreden Longbottom zum Selbstmord?“ Draco fuhr hoch. Ihm war kalt, er zitterte und sein Mund stand offen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in das strenge Gesicht Madam Pomfreys. „Hat er… hat… ist er…?“ „Er ist nicht tot. Er war vollkommen am Ende und wir mussten ihn die ganze Nacht über bewachen, aber ja, er lebt noch. So überzeugend sind Sie wohl doch nicht. Mr. Potters Verletzung erwies sich als leicht heilbar und Miss Granger“, sie machte eine Pause, woraufhin Draco augenblicklich die Galle im Magen aufschäumte, „Miss Granger geht es auch wieder gut. Glücklicherweise. Ich fürchtete, dass sie eine Gehirnerschütterung haben könnte. Sie sah schon recht grün und blau im Gesicht aus.“ Draco wurde noch ein wenig blasser und zog die Schultern hoch. „Sie hat nicht gejammert. Sie hat nicht einmal gefragt, ob ihr Gesicht weder heil ist, sondern hat sich sofort mit ihren Freunden um Mr. Longbottom gekümmert. Das sind gute Freunde, nicht wahr? Gute Freunde und fürsorgliche Menschen, finde ich!“ Draco nickte schwach und schlang die Arme um sich. Madam Pomfrey stöhne und schüttelte entnervt wirkend den Kopf. „Glauben Sie mir jetzt endlich, dass Sie Hilfe brauchen?“ Draco schluckte schwer und atmete gegen den Sog an, der zuerst seine Augenbrauen, dann seine Mundwinkel und auch sein Herz nach unten zog. „Denken Sie, ich weiß nicht, was für ein Mensch ich bin?“, krächzte er unglücklich. „Ich weiß doch, dass ich der letzte Dreck bin.“ Madam Pomfrey schüttelte den Kopf und seufzte. Sie erhob sich ächzend, setzte sich neben ihn auf das Bett und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Lassen Sie sich doch endlich helfen. Sie tun sich damit doch nur selbst weh!“ Draco neigte seinen Kopf, gegen ihre Schulter. In diesem Moment war Madam Pomfrey für ihn Mutter, Vater, Freundin und Heilerin, auf eine ganz besondere Weise. Gerne hätte er ihr gesagt, was ihn bedrückte, was er genau getan hatte. Nicht, dass sie es nicht ohnehin wusste, nur wäre es eben noch mal etwas anderes gewesen, es aussprechen zu dürfen. Nur war es nun mal so, dass er solche Dinge nur Hermine sagen konnte und eben die würde nie wieder mit ihm reden wollen. Wollen, oder doch eher sollen? Wäre es nicht besser, wenn sie wütend auf ihn war und ihn mied? Es wäre sicherer, denn in diesem Moment stand ihm so deutlich vor Augen, wie er Madam Pomfreys Schwesterntracht vor sich sah, was für ein abgrundtief schlechter Mensch er doch war. Wertlos, bitterböse und gefährlich. Hermine sollte sich von ihm fernhalten, dann würde es ihr besser gehen. Er war giftig und konnte sie nur krank machen… falls er nicht erneut die Nerven verlieren sollte, wenn kein Potter dabei war und er sie umbrachte. Es wäre einfach und schön gewesen, jetzt hier, in diesem Krankensaal, um all die Leben die er zerstört hatte, weinen zu können. Vielleicht sogar um sein eigenes. Doch da war nichts mehr, nichts, das zu so viel Gefühl noch fähig gewesen wäre. Und nicht zuletzt, Madam Pomfrey war nett zu ihm gewesen. Sicher, sie musste ihn allein aus Berufsgründen immer und immer wieder, mehrmals am Tag sogar, zusammenflicken. Dennoch wurde immer wieder klar, dass sie darüber hinaus noch mehr tat. Sie dachte über ihn nach, machte sich Sorgen und versuchte, ihm im bescheidenen Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen. Dennoch würde er sie früher oder später umbringen müssen. Es war keine Frage des Wollens, es war eine Notwendigkeit. Sie wusste zu viel von ihm. Es wäre lebensgefährlich, wenn dieses Wissen in die falschen Hände geraten würde. Genauso wie der Dunkle Lord ihm mitgeteilt hatte, dass er sich doch bitte auch einiger Lehrer entledigen sollte, wenn das Schuljahr zu Ende war und die Tage seiner Schulzeit gezählt sein würden. Um die Lehrer tat es ihm nicht leid. Viele von ihnen waren Mitglieder des Ordens, die diese letzte Bastion der Muggelfreunde, trotz des unbestreitbar nahenden Todes am Leben erhielten. Sie würden sterben und er würde es tun. Warum nicht? Am Ende gewöhnte man sich eben doch an alles. Deswegen war er genau das, menschlicher Abfall. Doch noch nicht alles war verrottet und verkommen, er konnte immerhin bedauern. Er wollte Madam Pomfreys Zeit nicht unnötig verkürzen, und deswegen sagte er nichts. Sie fragte aber auch nicht weiter. Sie mochte nur eine Schulkrankenschwester sein, aber sie war eine kluge Frau und hatte vor allem ihn und seine Lage genau durchschaut. „Ich weiß, dass es schwer ist, etwas dagegen zu tun. Ich habe einen neuen Trank da… wir können ihn mal versuchen.“ Sie seufzte und strich sich ein paar heraushängende Haare in ihre Haube zurück. „Ich weiß, dass es verheerend wäre, wenn Ihre Leute von all diesen Dingen hier erfahren würden, aber es ist ebenso verheerend, wenn es nicht endet. Muss ich Ihnen denn wirklich erklären, in welcher Gefahr Sie sich befinden? Auch wenn… auch wenn …. Ihre Leute.. wenn es besser läuft… aber es wissen doch alle, wer an dieser Schule Informationen preisgibt. Es ist doch eigentlich schon egal, warum… Man wird sich an Ihnen rächen, das wissen Sie! Früher oder später… vermutlich früher… das wissen Sie? Und dann wird kein Trank mehr helfen, den ich hier habe.“ Draco nickte schwach. Natürlich… es wunderte ihn, dass er immer noch lebte. Warum er noch nicht tot war konnte er nicht einmal ahnen. „Gehen Sie von der Schule!“ Madam Pomfrey beugte sich näher an ihn heran und flüsterte eindringlich: „Sie müssen sofort hier weg. Man will und man wird Sie töten. Sie geben diesen Leuten jeden Tag mehr Grund dazu… Gehen Sie von der Schule. Ich versuche seit Monaten jemanden zu finden, der ihnen mit diesen Anfällen helfen kann. Bleiben Sie dort, werden Sie gesund und dann… versuchen Sie woanders weiterzuleben. Hier gehen Sie unter!“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht! Wenn ich hierbleibe, bin nur ich in Gefahr… und ich… das macht mir nichts. Wenn ich gehe… denken Sie, meine Familie, meine Freunde… denken Sie, er wird sie nicht rein aus dem Verdacht heraus töten, dass sie mir geholfen haben? Ich muss bleiben… es…. Es ist irgendwann vorbei und ich…“, er zuckte mit dem Achseln, „ich hab doch eh nichts zu verlieren.“ Xxx Madam Pomfrey hatte ihm, als er gerade zur Tür hinaus wollte, den Rat nachgeworfen, dass er sich bei Hermine entschuldigen sollte, wenn es ihm wirklich wichtig war, was sie von ihm dachte. Wichtig war es ihm schon und dennoch wäre er wohl lieber zu seiner eigenen Hinrichtung geschritten, als Hermine zu suchen, denn ihre Verurteilung würde ihn auf eine ganz andere Art verletzen, als es irgendeine andere Person hätte tun können. Er versuchte es zunächst im Innenhof. Glücklicherweise sah er Potter und die Weaselin kichernd in einer der dunklen Ecke des Innenhofes verschwinden, bevor sie ihn bemerkt hatten. Ohne Hermine. Wenn er Glück hatte, war sie alleine. Draco schlich so leise und unauffällig wie möglich an den beiden vorbei und wünschte sich nichts sehnlicher, als unsichtbar zu sein. Longbottom sah er nicht und war froh darum. Er suchte Hermine in der Bibliothek, in den Kerkern und in dem Abschnitt, wo sich der Eingang zum Gryffindorturm befinden musste. Er fand sie, als er zufällig zu einem Fenster hinaussah, da ihm die nunmehr bunt blühenden Felder um die Gewächshäuser aufgefallen waren. Sie saß alleine auf einer Bank vor einem der Glashäuser und las. Er zögerte einen Moment, doch dann eilte er die Treppen hinunter, um zu ihr zu gehen. Das Wetter war nicht kalt, aber an diesem Tag auch nicht so warm, dass sich die Schüler überall auf dem freien Gelände herumtummelten. So wie es aussah, war dort in der Mittagspause sonst niemand und sie saß mit dem Rücken zur Wand. Nun, eher zum Gewächshaus. Auf jeden Fall konnte sie nicht einfach verschwinden, bevor er sie auch nur angesprochen hatte. Er kickte einen Stein von sich weg und stellte sich insgeheim vor, dass es der Kopf von Longbottom oder Potter war. Sekunden später konnte er nur mit Mühe dem Impuls widerstehen, den Stein voll Reue zurückzuholen und ihn wieder sicher an seinen Platz zu legen. Hermine blätterte gelassen ihr Buch um und hob es etwas höher vor sich. „Ich… äh...“, er rieb sich nervös über die Brust und versuchte krampfhaft so zu tun, als ob ihn ihre Nichtachtung nicht verletzen würde. „Ich… will mit dir reden. Über gestern.“ „Verpiss dich!“ „Ich will mich aber entschuldigen“, murmelte er kleinlaut. „Gut, dann entschuldige dich und verpiss dich danach!“ Draco überlegte, wie ironisch es war, dass er bei ihren harschen Worten und der Angst, die er im Moment hatte, wenn er an den gestrigen Abend dachte, tatsächlich einen unangenehmen Druck auf der Blase verspürte. Aber es half alles nichts. Madam Pomfrey hatte Recht. Er sollte die Sache klären und… am vernünftigsten wäre es wohl sich zu entschuldigen, sich dann wirklich „zu verpissen“ und sie für alle Zeiten in Ruhe zu lassen. Er schloss die Augen, wartete einen Moment und als er hörte, wie sie ihr Buch langsam weiterblätterte, holte er tief Luft und gab sich eine Ruck: „Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe. Du… ich… Madam Pomfrey“, er brach ab und räusperte sich. „Sie hat mir gesagt, dass du ein ziemliches Veilchen hattest. Das… das tut mir leid, ich wollte nicht“, seine Stimme wurde leiser und doch lag das Flehen darin so wahr und schwer, wie es ihm nur irgend möglich war, weil er es, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, wirklich ernst meinte. „Ich… wir haben ziemlich viel getrunken und kamen von dieser Feier… wir waren total aufgeheizt und… deine Freunde waren dabei und meine und…“ Er brach ab, denn zu sagen, dass sie ihn mit dieser Hilfe suchenden Geste zu ihrer Kette mehr verletzt hatte, als es ihr durch tausend Flüchen möglich gewesen wäre, traute er sich nicht. „Es gab auch Drogen… und… also wir haben einiges genommen. Sie machen aggressiv und putschen auf und…“ Er schluckte schwer und versuchte, nicht ganz so klein und zittrig zu klingen: „Du kennst mich doch“, hauchte er. „Du weißt doch, wie ich bin. Ich kann mich doch eh nie beherrschen. Ich… ich… du weißt doch, warum sie mich alle Psycho nennen. Sie haben ja recht… ich… ich kann das einfach nicht. Ich bin immer wütend und wenn es einmal losgeht, kann ich mich nicht mehr… beherrschen.“ Er sprach leise und abgehackt. Hier stand er und erniedrigte sich selbst vor einem Schlammblut, doch er wollte bleiben und ihr sagen, was er sich vorgenommen hatte. Zumindest das… „Und ich war betrunken und… ich würde dich doch nie… ich wollte doch nie… aber… ich habe die Kontrolle verloren. Du weißt doch… es… ich kann dann nichts dagegen machen. Es… es kommt einfach über mich und ich kann nicht aufhören. Ich weiß, dass ich das alles nicht hätte machen sollen…“ Seine Lippen zitterte, der Druck auf die Blase wurde heftiger und sein Hals schmerzte. Jetzt war der Punkt, an dem er ihr sagen sollte, dass sie Recht hatte, wenn sie ihn wegjagte. Dass er eine Gefahr war und es rücksichtlos von ihm wäre, sie weiterhin mit seiner Anwesenheit zu quälen. Er schluckte schwer und formte die Worte in seinem Geist, die seine Lippen taub werden ließen, noch ehe sie darüber geschlüpft waren… „Aha! Und weiter… Sonst hast du zu dem Abend nichts zu sagen?“ Sie schnaubte und hob das Buch ein wenig höher. Draco war sich ziemlich sicher, dass sie das Buch nun so nah an ihrem Gesicht hatte, dass sie sicher gar nichts mehr lesen konnte, doch verbot er sich, dies zu kommentieren. Er hatte schon zu viel und das absolut Falsche gesagt. Also versuchte er es zumindest diesmal besser zu machen. „Ich… ich weiß, dass das nicht so gut war, was… Also wir… du weißt, wo wir gestern Abend waren?“ „Ich kann es mir denken“, keifte sie spitz. „Nein, ich weiß es. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Immerhin bist du sogar auf einem Foto zu sehen.“ „Oh, scheiße.“ Auch das noch. Sie griff neben sich eine Zeitung, die halb von ihrem Umhang verborgen gewesen war, hervor und hielt sie ihm unter die Nase. Dort, auf einem der vielen Fotos, die auf der Titelseite des Tagesproheten abgebildet waren, erkannte er wirklich sich selbst. Vielleicht nur klein und am Rand, dennoch… Andererseits… seine Familie war dort gewesen und er hatte seine Familie begleitet. Er würde nachher selbst nachlesen um herauszufinden, ob dort wirklich etwas über ihn und das, was er so tat, zu lesen war. Aber vorher: „Ja, jedenfalls. Es ging ja nicht so lange… Aber, also das war ein guter Abend für uns. Als der Dunkle Lord dann ging, ist der engere Todesserkreis ins Manor appariert, um dort die neuen Ereignisse zu feiern. Also vielleicht“, er trat unbehaglich von seinem Fuß auf den anderen. „Vielleicht haben wir ein bißchen viel getrunken und du weißt ja, wie das ist… Also man steigert sich schnell in was rein, redet dummes Zeug ohne nachzudenken und… weiß nicht. Es hat sich einfach so gut angefühlt zwischen all denen zu sitzen die… ich… also ich war da nicht alleine und der Abend lief gut und ich… weiß nicht. Ich hab mich gut gefühlt und dann kamen wir zurück und da war Longbottom und es war…“ Seine Finger verkrampften sich in seiner Hose und auch wenn er sie nicht sehen konnte, stellte er sich doch vor, wie klauenartig diese aussehen mussten. Wie unnatürlich und krank, ebenso, wie er sich in diesem Moment fühlte. Seine Stimme zitterte ebenso wie er selbst. „Es war einfach wie ein Zeichen, dass wir gewonnen haben. Wir haben… wir haben gesiegt. Ich… Bitte, sieh mich an! Ich… es… ist einfach… wenn ich Potter nur sehe, werde ich schon sauer, weil er… mein Vater und Askaban… und er und seine Freunde greifen meine Familie an und dann stand der da und…und… ich dachte, ich zeige ihm, dass er…“ Draco schluckte, doch Scham und Schuld ließen sich nicht so einfach wie Speichel im Mund herunterschlucken. „Ich wollte einfach zeigen, dass er uns ernst nehmen soll und… es ist einfach… er ist der Feind und Longbottom auch. Das ist der Feind, aber wir gehen in eine Schule. Das funktioniert nicht. Ich weiß, dass ich ausgerastet bin und dass das schlecht war, aber… die Leute versuchen, uns zu töten. Ich meine… also…“ „Das mag ja alles sein, Draco“, schnarrte Hermine kalt, warf die Zeitung ärgerlich zu Boden und blätterte stattdessen zur nächsten Seite ihres Buches „Kampf gegen die dunklen Künste. Fortgeschrittene Banne“ um, „aber weder Harry noch irgendein anderer meiner Freunde käme auf die Idee, dir hier in der Schule eine Flasche auf den Kopf zu schlagen. Wir können nur von Glück reden, dass du zu besoffen warst, um fest genug zuzuschlagen. Es hätte ihn töten können.“ „Ich weiß!“ Draco versuchte aufrichtig, nicht so weinerlich zu klingen, doch wie sollte er nicht, wo ihm doch im Moment genau danach, nach weinen, zumute war? „Ich wollte doch auch nicht… Aber wir, wir waren high und betrunken und ich hab mich gut gefühlt, weil es für uns langsam bergauf geht und… dann… keine Ahnung.“ „Weißt du“, blaffte sie ihn hart an. „Dafür, dass du dich so über die Trinkerei deines Vaters beschwerst, benutzt du diese Ausrede aber selbst ziemlich oft.“ Draco biss sich auf die Lippen und seufzte. Hinter sich hörte er Stimmen. Er drehte sich um und sah Professor Sprout mit einer Gruppe jüngerer Schüler zielstrebig auf das Gewächshaus drei zusteuern. „Wir sollten weggehen. Die arbeiten da an irgendeinem Projekt.“ „Da hast du recht. Dann geh mal schnell, dann sieht man uns nicht mehr zusammen.“ Das Mädchen nickte ihm gelassen zu, verzog den Mund und verschwand erneut hinter ihrem Buch. Es war demütigend, hier vor ihr zu Kreuze kriechen zu müssen und am liebsten wäre er weggegangen. Warum tat er es nicht? Immerhin hatte er ja jetzt andere Leute, die mit ihm Zeit verbringen würden. Nun waren Crabbe und Goyle wieder bei ihm. Und sie waren nicht die einzigen. Andere ehemalige Slytherins waren zu den Todessern gestoßen und er wusste immerhin drei andere, noch nicht einmal Slytherins, die ihn ebenfalls gefragt hatten, ob er sie nicht mit dem einen oder anderen bekannt machen könnte. So allein war er ja gar nicht mehr. Er könnte gehen. Sein Magen begann sich zu verkrampfen. Er rieb sich mit zitternden Fingern über seinen Umhang und überlegte, dass er es doch eigentlich gar nicht nötig hatte, hier vor ihr zu stehen und sie anzubetteln, ihm zuzuhören. Trotzdem blieb er und versuchte es erneut. „Sie haben uns doch provoziert. Also jetzt nicht mich, aber ich hab‘ gehört, was auf dieser Versammlung gesagt wurde und Longbottom, der Bellatrix mitnimmt… Also das konnten wir doch nicht einfach auf uns sitzen lassen. Ich weiß, ich hab mich ihm gegenüber fies benommen aber… hey… er wollte meine Tante umbringen. Das ist persönlich. Dafür wollte ich… ich wollte ihm zeigen, dass… “ „Nein, Draco!“ Sie klappte das Buch zu, legte es auf ihrem Schoß ab und faltete ihre Hände darauf. Ihr Kinn stolz in die Höhe gereckt bedachte sie ihn mit einem Blick, der genauso wie ihm jedem anderen Todesser, Menschen, die sie hasste, hätte gelten können. „Neville hat gestern bewiesen, dass er ein wundervoller Mensch ist. Bellatrix und ihr Mann haben seine Familie zerstört. Seine Kindheit. Mehr noch, sie haben ihn zu jahrelanger Folter, Scham und Angst verurteilt. Durch dich, um genau zu sein. Zudem weißt du von den Plänen des Ordens. Es wäre seine Pflicht gewesen, Bellatrix zu töten. Es wäre das gewesen, was seine Großmutter, seine familiäre Verpflichtung, der Orden und seine Freunde von ihm erwartet hätten. Aber er hat es nicht getan, weil er ein Gewissen hat. Und dann stand er da oben auf diesem Turm, weil er angewidert von sich selbst war, so etwas wie Mord und Rache in Erwägung zu ziehen. Neville hat mehr Größe und Anstand bewiesen als jemand wie… du“, sie spuckte das Wort aus, als würde es ihre Zunge vergiften, „auch nur ansatzweise verstehen kann. Und ich dachte…“, sie schnaubte und schüttelte den Kopf. „All dieses Gejammer von dir. Das ist einfach nur Selbstmitleid. Das ist einfach nur deine Feigheit. Du bist ein verachtenswerter Mensch, Draco Malfoy. Du kapierst ja nicht mal, dass du dich nicht bei mir oder Harry, sondern vor allem bei Neville entschuldigen solltest.“ Draco biss sich auf die Lippen. Sein Hals fühlte sich unangenehm eng an und die Übelkeit und der Schwindel, den er spürte, waren nur teilweise auf den verbleibenden Kater zurückzuführen. Wieder hörte er Stimmen. Draco wandte sich zur Seite und erstarrte, als er eine blutige Masse, die aussah wie rotes Gelee, zwischen den frühblühenden Narzissen sprießen sah. Das war vorhin noch nicht dort gewesen. Sein Herzschlag beschleunigte sich. „Hast du auch nur ansatzweise darüber nachgedacht, wie es Neville dabei geht?“, keifte sie unvermittelt und riss Draco von dem Blut auf den Blumen weg. Er zuckte zusammen und fuhr zu ihr herum. Sie schenkte seinem Schreck gar keine Beachtung, als er sie wieder ansah, obwohl das Buch nun wieder auf ihrem Schoß lag, sondern fuhr ihn augenblicklich vorwurfsvoll an. „Ist dir klar, dass Neville gestern beinahe gestorben wäre? Dass er sterben wollte?“ Sie schnaubte und hob das Buch in seine Richtung. Draco trat unwillkürlich eine Schritt zur Seite weil er den Bruchteil einer Sekunde glaubte, dass sie es nach ihm werfen würde, stattdessen begnügte sie sich damit, es in Richtung Nordturm zu strecken, um den Schauplatz des Dramas noch einmal zu vergegenwärtigen. „Neville war verzweifelt, weil er sich selbst nicht mehr verstanden hat. Und dann kommst du Vollidiot und machst dich über all das lustig. Draco, das kannst du nicht auf den Alkohol schieben. Du bist einfach ein kranker Sadist, der gerne Leute quält.“ Sein Hals wurde enger und seine Knie langsam weich. Obwohl er genau wusste, dass sie ihn nicht weit genug von sich wegwünschen konnte, trat er einen Schritt näher und setzte sich neben sie, jedoch so weit wie möglich weg, auf die Bank. Hermine warf der freien Stelle neben ihm einen angeekelten Blick zu und rutschte ihrerseits in einer fließenden Bewegung zum anderen Ende der Bank. Die größtmögliche Distanz, er hatte es schon verstanden. Aber musste sich setzen, weil er nicht wollte, dass sie eine wackligen Knie bemerkte. Die zitternden Hände konnte er verbergen, die wackligen Knie würde sie sehen. „Du bist ein absolut widerwärtiger Mensch, Draco Malfoy. Wir mussten die ganze Nacht bei Neville Wache sitzen und aufpassen. Er war so am Ende, der wäre doch glatt schon wieder auf diesen Turm hochgerannt, wenn wir nicht bei ihm geblieben wären. Harry und ich und die anderen, wir waren die ganze Nacht bei ihm, obwohl wir selbst genug abbekommen haben. Und?“ Sie hob ihr Kinn herausfordernd und würgte die Worte voll soviel Hass und Abscheu heraus, dass er die Bitterkeit und den Ekel, die sie vor ihm empfand wie Messerstiche in sich eindringen fühlte. „Bist du nun stolz? Bist du stolz auf dich, dass du es mal wieder geschafft hast, dich als das größte Arschloch der Schule zu beweisen?“ Draco kaute angespannt auf seiner Unterlippe und versuchte, sich gegen das in ihm aufsteigende Bild von Longbottom zu wehren, der mit zerschmettertem Körper am Fuße des Nordturms lag. Er hatte Dumbledore zerschmettert am Boden liegen sehen, in dieser Nacht, im letzten Juni… Er sah ihn wieder dort liegen, nur dass er jetzt das Gesicht von Longbottom hatte. Draco schloss die Augen und ignorierte das Blut, das aus dem Blumenbeet zu seiner Linken wie aus einem Brunnen herausquoll. Hermine störte das Blut nicht, also war es vielleicht besser, dieses verwirrende Detail im sonstigen Frühlingsidyll nicht zu beachten. Aber was blieb dann noch? Longbottom am Fuße des Turms. „Ich hab es nicht so gemeint“, murmelte er schwach. „Ich wollte doch nicht, dass… Er war doch schon wieder unten und ich war… Ich wollte doch nicht wirklich, dass er… soweit hab ich einfach nicht nachgedacht.“ Er verstand sie ja. Jetzt erst wurde ihm klar, dass er sich den ganzen Morgen über nicht nur wegen des Katers und der Schläge gegen Potter und vor allem Hermine so schlecht gefühlt hatte, sondern auch wegen des noch viel schmerzhafteren Schlages unterhalb von Nevilles Gürtellinie. Es war nicht so, dass er gar nicht denken konnte. Ihm war klar, dass er etwas falsch gemacht hatte und das nicht hätte sagen sollen. Nicht in dieser Nacht, in dieser Situation, nach dem, was kurz zuvor geschehen war. Was er jetzt vorzuschlagen erwog, kostete ihn viel. Würde, jahrelange Übung im Verachten und sein Gesicht. „Soll ich, soll ich mich entschuldigen? Ich… also jetzt vielleicht nicht, wenn andere dabei sind. Das kann ich nicht, weil… ja es ist halt Longbottom, aber… ich… ich hab es nicht so gemeint, dass er wirklich springen soll … das kann ich ihm ja sagen.“ „Ach?“ Ihre Stimme klang kein bißchen kalt, nur zutiefst erstaunt. Er hob die Augen und sah Hermine, die ihn entgeistert von der Seite begutachtete, als habe sie ihn nie zuvor gesehen. „Das würdest du tun?“ Er nickte, wandte sich aber schnell wieder ab, da es schon peinlich genug war zu wissen, dass er feuerrot war. Wenn sie ihn schon erniedrigte, musste er ihr dabei wenigstens nicht auch noch ins Gesicht sehen. „Ja…“ Draco grunzte und versuchte sich selbst davon abzuhalten zu sagen, dass er Longbottoms Füße küssen und abschlecken würde, wenn sie ihn dann nicht mehr hassen würde. „Das hätte ich nicht gedacht.“ Immer noch klang sie einfach nur… überrascht. Ein wenig wie die verrückte Lovegood. Überrascht und etwas entrückt. Sie schwieg für eine Weile und sah ihn einfach nur an, dann, nach einer qualvollen, gefühlten Ewigkeit, erklärte sie ruhig: „Er ist nicht hier. Wir haben seiner Großmutter gestern Abend eine Eule geschickt. Er ist die nächsten Wochen dort. Vielleicht bis zu den Osterferien, mal sehen. Wir haben ihr geschrieben, dass er etwas Abstand braucht und dass sie ein bisschen Rücksicht auf ihn nehmen soll.“ „Soll ich ihm schreiben?“, bot er an und hoffte inständig, dass sie ablehnen würde. „Ich weiß nicht… besser nicht. Ich denke nicht, dass er irgendetwas von dir hören will und du würdest ihnen wohl auch eher Angst machen als irgendetwas anderes. Sie werden nach der letzten Nacht sicher keine Briefe von Todessern empfangen wollen. Geschweige denn, sie öffnen. Ich meine, irgendwo hast du ja recht. Also wir sind im Krieg, nicht? Besser du sagst nichts, auch nicht zu Harry… Es ist halt so, es gibt zwei Seiten an dieser Schule. Das wird jetzt eben immer deutlicher.“ Draco atmete erleichtert auf. Es war eine Sache, Longbottom nicht tot sehen zu wollen, es ihm aber auch noch zu sagen oder zu schreiben, war mehr, als er sich freiwillig vorstellen konnte. „Tut es dir leid, Draco? Verstehst du zumindest, dass man so etwas einfach nicht macht? Dass das nicht witzig ist?“ Er atmete tief durch und riss sich von dem Blut am Boden weg, das Hermine weder zu bemerken geschweige denn zu beunruhigen schien. „Ja!“ Er nickte knapp und zwang sich, nicht gleich wieder wegzusehen, obwohl er sehr genau spürte, worüber sie nachdachte. Über ihn, und ob sie ihn weiter aushalten konnte. „Du, Draco!“ „Ja?“ Er drehte sich zu ihr um und wunderte sich, dass sie zwar mit ihm sprach, es jedoch erneut vermied ihn anzusehen. „Erinnerst du dich daran, wie ich dir kurz nach Weihnachten gesagt habe, dass du und deine Familie der allerletzte Dreck seid und dass es um euch nicht schade wäre? Dass es egal gewesen wäre, ob ihr sterbt oder nicht?“ Draco konnte nichts erwidern. Er nickte, öffnete den Mund, doch schloss ihn wieder, da sein Hals augenblicklich zu schmerzen begann, als ob jemand eine feuerheiße Schlinge darum gelegt hätte und zuzog. „Ich hätte das nicht sagen sollen. Merkwürdigerweise ist mir das gestern erst klar geworden, als du Neville fast dasselbe gesagt hast. Es war grausam, dir das so ins Gesicht zu sagen. Ich war sehr traurig, einsam und wütend und ich… Ich sehe es manchmal immer noch so. Aber ich habe nachgedacht. Auch wegen Neville… wieso er Bellatrix hat laufen lassen.“ Sie seufzte und klappte ihr Buch zu, legte es behutsam auf ihren Beinen ab und doch konnte sie es nicht loslassen, sondern klammerte sich weiter fest um den Einband und nach wie vor sah sie zum Buch, nicht zu ihm. „Solche Dinge sagt man einfach nicht. Man darf niemandem einreden, dass er besser tot sein sollte... finde ich. Nicht mal euch.“ Draco biss sich auf die Lippen und zog die Schultern hoch. Er hatte seit dem Zusammenbruch in der Dusche im letzten August nur ein einziges Mal geweint, in der Silvesternacht… und jetzt konnte er es auch nicht. Es ging einfach nicht… obwohl er kaum trauriger sein und mehr Angst als jetzt haben konnte. „Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe… das…“ Hermine nickte nachdenklich und jetzt endlich, ließ sie von ihrem Buch ab, und drückte seine Hand. „Ich weiß. Ich weiß, wie du bist und ich weiß, dass du es nicht wolltest.“ Wenn sie jetzt auch noch sagen würde, dass sie ihm vergab, würde er sich übergeben. Ihm war schon wieder ganz schummrig und sein Magen produzierte bitter-saure Flüssigkeit, als wolle er sich selbst zerfressen. „Ich habe Angst, dass ich es noch mal tue… Ich will es nicht, aber manchmal verliere ich die Kontrolle und dann… Ich habe Angst, dass ich es noch mal tue und niemand ist da und das…“ „Ich kann auf mich aufpassen!“ Sie drückte seine Hand fester . „Sei doch nicht so naiv… gestern…“ „Gestern hätte ich dich verfIucht. Ich bin nicht naiv… Ich weiß, woran ich bei dir bin… aber ich weiß um deinen Zustand und ich versuche einfach, noch eine Weile damit klar zu kommen. Wir sehen uns ja bald sowieso nicht mehr, nach der Schule. Trotzdem musst du versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Verstehst du mich?“ Er nickte schwach: „Madam Pomfrey sagt… Du weißt, was sie sagt… aber es ist nicht so einfach. Ich versuche es, aber“, er zuckte mutlos mit den Schultern. „Ich kann zu niemandem gehen. Es wäre gefährlich. Ich verspreche, ich bemühe mich… mehr kann ich nicht machen!“ Sie presste die Lippen zusammen und sah ihn nachdenklich an, dann nickte sie und zog ihre Hand langsam von ihm weg. „Ich weiß!“ „Können wir gehen?“, fragte er zaghaft und warf den blutenden Blumen einen nervösen Blick zu. „Ich fühle mich hier nicht so wohl.“ „Nein, ich muss noch etwas lernen. Würde dir auch nicht schaden, wenn du immerhin schon mal Zeit hast, solltest du sie sinnvoll nutzen.“ Sie legte den Kopf zur Seite und presste die Lippen ebenso hart zusammen wie sich sein Herz bei diesem Satz zusammenzog. Sie wollte ihn nicht mehr bei sich haben, weil er ein schlechter Mensch war. „Vielleicht heute Abend, ja?“ Sie lächelte und Wärme durchflutete ihn, wie die Strahlen der Frühlingssonne über ihm es nicht gekonnt hätten. Nur ganz sacht strich sie ihm über die Wange, doch das Echo der Berührung hallte immer noch auf seiner Haut nach, als sie sich schon längst wieder über ihr Buch gebeugt hatte. „Geh wieder rein. Es ist auch für dich besser, wenn uns keiner zusammen sieht.“ Draco nickte gehorsam und ging. Gut, heute Abend könnte er sie ja noch mal sehen. Heute Abend würde er sich sicher beherrschen können. Er würde ihr eben ein andermal sagen, dass sie sich von ihm fern halten sollte. Morgen, oder übermorgen… vor den Osterferien… irgendwann eben. Hosted by Animexx e.V. 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