Harmonie von Seraphin ================================================================================ Kapitel 33: Die Geister, die ich rief... ---------------------------------------- Kapitel 33: Die Geister, die ich rief Draco Malfoy saß alleine in einem Gartenpavillon und schämte sich. Es war mittlerweile Januar und seine Stimmung war ebenso trübe und trostlos wie das Wetter. Er schämte sich, weil er jede Nacht schreiend aufwachte. Er schämte sich, weil er manchmal, wenn er aufwachte und nicht wusste wo er war, auf Hermine losging. Er schämte sich, weil er manchmal nachts schlafwandelnd im Haus umherirrte und sich vor irgend etwas verstecken wollte. Solange, bis ihn jemand „einfing" und ihn zurück in sein Bett brachte. Er schämte sich, weil er seine Mutter, nachdem sie ihn mal wieder während des Essens beharrlich ignoriert hatte, angeschrieen und ins Gesicht geschlagen hatte. Deswegen war er hier. Sein Vater hatte ihn aus dem Haus gezogen und war mit ihm spazieren gegangen. Jetzt hatte ihn Lucius kurz allein gelassen, weil er auf die Toilette musste. Draco hatte darum gebeten, noch ein wenig hier bleiben zu dürfen. Er schämte sich dafür, solch eine Last für seine Eltern zu sein. Seine Mutter litt so unter seiner Gegenwart, dass sie nicht einmal mit ihm reden konnte, weil ihr vor seinen Taten graute. Sein Vater hatte kaum noch Zeit zu arbeiten und musste Tag für Tag Dracos Beleidigungen und körperliche Angriffe über sich ergehen lassen. Wenn Lucius wieder anfangen würde zu trinken, wäre es seine Schuld. Draco wusste, wie schwer er für alle im Haus zu ertragen war. Er schämte sich dafür, dass er heute morgen zugelassen hatte, das Sam ihn wie ein Kleinkind in den Arm nahm, als Dracos Kopfschmerzen und Bilder so schlimm wurden, dass er nur noch wimmernd am Boden sitzen konnte. Er schämte sich dafür, in der Psychiatrie zu sein und dort einen eigenen Betreuer nur für sich alleine zu brauchen, weil er eine Gefahr für andere war. Er schämte sich dafür, dass ihn sein Vater und Hermine diese Woche schon dreimal aus irgendwelchen Schränken herausgezogen hatten, als er während heftiger Flashbacks geglaubt hatte, in Gefahr zu sein. Er schämte sich dafür, dass er sich jedesmal wie ein verängstigtes Kleinkind an Lucius drängte, wenn der ihn ins Krankenhaus brachte oder ihn abholte. Es war demütigend, aber er fürchtete sich entsetzlich vor den Blicken der anderen Menschen und eigentlich war sein größter Wunsch, wie Potter einen Tarnumhang zu besitzen. Er schämte sich dafür, dass er verrückt geworden war und manchmal, wenn er sich gar nicht mehr zurückhalten konnte, seine Freundin schlug. Er schämte sich dafür, dass er Hermine dazu genötigt hatte, hier bei ihm zu bleiben. Er wusste, dass seine Eltern sie hassten und er wusste, dass Hermine unter seinen Eltern litt. Er wusste, dass Hermine unglücklich war… wegen ihm. Es ging ihr hier schlecht und sie langweilte sich furchtbar. Was konnte man denn mit ihm schon anfangen? Er schämte sich dafür, eine solche Enttäuschung für alle zu sein. Er hatte keinen Schulabschluss, hielt andere von wichtigen oder schönen Dingen ab, schwieg entweder oder schrie, war undankbar und machte die, die er liebte, krank und einsam. Hermine konnte keinen Besuch empfangen, weil das hier eben Malfoy Manor war und seine Eltern luden selten jemanden ein, weil er vielleicht auf Gäste losgehen würde. Ganz sicher schämten sie sich furchtbar für ihn. Er schämte sich dafür, dass seine Tante für ihn hatte sterben müssen und er deswegen den Hass seiner Mutter verdient hatte. Er schämte sich ebenso dafür, dass er Snapes Tod nicht verhindert hatte. Er hatte von den Pillen gewusst und es niemandem gesagt. Sicher hasste sein Vater ihn deswegen heimlich ebenso wie seine Mutter. Er schämte sich, weil Hermine einen viel besseren Notendurchschnitt gehabt hätte, wenn es ihn nicht gäbe. Sie hatte sich mit ihren Freuden zerstritten, mit ihren Eltern überworfen und konnte nichts von den Dingen verwirklichen, die sie früher für ihre Zeit nach der Schule geplant hatte. Er schämte sich dafür, dass er ihr Leben ruiniert hatte. Er schämte sich dafür, dass die Tatsache, dass sie weniger Freunde hatte als früher, nicht nur daran lag, dass er diese vergrault hatte sondern auch daran, dass er sie umgebracht hatte. Draco presste sich die Hände vor die Augen bei diesem Gedanken. Die Kopfschmerzen kamen wieder. Er schämte sich dafür, Hunderte von Menschen getötet zu haben. Einfach so. Die Kopfschmerzen wurden stärker. Er schämte sich dafür, dass er grundlos, wahllos und grausam gemordet hatte. Dass er ein Monster war. Das war er auf jeden Fall. Wie in einem Film spielten sich seine eigenen Taten wieder und wieder vor ihm ab. Die Klinge in seiner Hand am Kehlkopf eines Mannes. Er dachte an diese Sache mit den Kindern. Die Hand am Zauberstab, als er Flitwick in Fetzen riss. … und er dachte an die Sache mit den Kindern. Er, der den Opfern in die Augen sah, bevor sie starben und dabei nichts empfand. ... und da war diese Sache mit den Kindern. Die Kopfschmerzen pochten und pochten und pochten. Er schämte sich dafür, ein böser Mensch zu sein. Draco Malfoy wollte sterben. xxx Der Heiler rückte seine Brille zurecht, schlug die Beine übereinander und faltete seine Hände locker über seinem Bauch. „Möchten Sie mir etwas über gestern erzählen?" Draco zog die Knie enger an die Brust, rutschte in dem Sessel, auf dem er sich zusammengekauert hatte, etwas weiter nach vorne und knetete Harvey so heftig, als versuche er, ihn auf die Größe einer Erbse zusammenzudrücken. „Nein!" „Gut, ganz wie Sie wollen." Der Heiler lächelte freundlich, nickte und drehte gelassen Däumchen. Eine Minute, zwei Minuten. Nach fünf Minuten hielt Draco dieses freundlich-gelassene Schweigen nicht mehr aus. „Mein Vater hat es doch eh schon erzählt. Und überhaupt… also ich… ach… was sitz ich überhaupt hier?" Trotz seines Protests verließ er seinen Sessel nicht und begnügte sich damit, die Füße auf den Boden zu stellen und die Arme trotzig vor der Brust zu verschränken. Der Heiler grinste verschämt, als sei er gerade bei einem lustigen Streich ertappt worden, schnalzte mit der Zunge und zwinkerte freundlich. „Ja. Ich habe mit Ihrem Vater geredet. Mit Ihrer Freundin übrigens auch. Aber die beiden können mir ja viel erzählen, nicht?" Er zuckte vielsagend mit den Augenbrauen, woraufhin Draco sein Gesicht nur noch grimmiger verzog und statt dem Heiler eine Fliege an der Wand mit seinen Augen verfolgte. „Nun, Draco, da wir uns ja darauf geeinigt haben, uns gegenseitig zu respektieren und als Erwachsene zu behandeln, war es mir wichtig, auch Ihre Version des gestrigen Tages zu hören." Er schnaufte schwer, räusperte sich und fuhr in ruhigem Ton fort. „Also… Ich wurde gestern Nacht um drei Uhr von Ihrer wirklich sehr aufgewühlten und sehr besorgt klingenden Familie geweckt, die das Recht, mir auch zu Hause lästig werden zu dürfen, sehr eifrig genutzt und mich über den Kamin kontaktiert hat." Er kicherte albern und als Draco seinen Kopf hob, blickte er in das empörenderweise ausgesprochen belustigte Gesicht des Heilers, der mit den Schultern zuckte, als wisse er auch nicht, was so viel Aufwand solle, und ihm eine Hand auffordernd entgegenstreckte. „Also, Draco, nun sind Sie dran. Was glauben Sie, warum Ihre Familie Sie an einem Sonntagmorgen um sieben Uhr hierher gebracht hat?" Dracos Magen zog sich zusammen und seine Speiseröhre begann zu brennen. Ihm wurde langsam übel und sein Kopf begann dumpf zu dröhnen. Er zog Harvey von der Sessellehne und begann wieder, mit dessen Ohren zu spielen. „Ich habe dazu nichts zu sagen. Das ist meine Sache." Der Heiler nickte. „Nun ja, solange Sie dabei nicht unseren Vertrag verletzen, haben Sie da vollkommen recht. Aber Ihre Familie zweifelt ja genau das an. Die behauptet, dass Sie gestern vertragsbrüchig geworden sind. In diesem Falle müssten wir jetzt Konsequenzen überlegen, da…" „Die wollen mich doch nur loswerden", fiel er dem Heiler ins Wort und schämte sich augenblicklich für die kindische Zurschaustellung seiner Angst davor, zuhause zurückgewiesen zu werden. „Sie behaupten einfach irgendwas, damit sie mich zu fremden Leuten wegschicken können. Dann sind sie mich los und haben ihre Ruhe." „Warum sollten sie denn das wollen?" „Weil ich ihnen lästig bin!" Draco hatte aufgehört Harvey zu streicheln, er verspannte sich mehr und mehr und um dieses Gefühl aushalten zu können, begann er Harvey an den Ohren zu ziehen und ungeduldig mit den Füßen zu trippeln. „Die wollen vor Ihnen nur besser dastehen, deswegen übertreiben sie alles maßlos, weil sie einen Grund brauchen, um mich loszuwerden. Dann müssen sie mich nicht mehr aushalten!" „Hmm, möglich. Wobei sie dann schon sehr gut schauspielern müssten, denn ich hatte eigentlich den Eindruck, dass die sich schon wirklich Sorgen um Sie gemacht haben." „Ach, von wegen", schnarrte er wütend, zog die Beine wieder hoch auf den Sessel und drückte die Oberschenkel an seine Brust. „Ich hatte lediglich Migräne… also keine… nicht so normale Migräne… Sie, Sie wissen schon." Draco sprach immer schneller und verfluchte sich selbst dafür, dass er seine Nervosität nicht besser verbergen konnte. „Nein, weiß ich nicht. Ich könnte Vermutungen aufstellen, aber wir treffen uns ja heute Morgen, damit ich nicht vermuten muss und Sie stattdessen alle Behauptungen richtigstellen können." Draco wurde bei soviel Freundlichkeit wütend. Der Mann machte sich über ihn lustig, das sollte er nicht tun. Ihm war wohl nicht klar, mit wem er hier saß. Er stieß einen tiefen, kehligen Laut aus und erklärte, während er seine Schläfen massierte, in ärgerlichem Ton: „Die Migräne, die ich immer zusammen mit den Bildern habe. Seien Sie doch nicht so schwer von Begriff! Also, es war so: Ich war im Garten und habe zufällig gesehen, wie ein paar Hauselfen Teppiche ausgeklopft haben. Ja? Und dann… also... es war… ich… also, dann fingen die Kopfschmerzen an und ich bin ins Haus gegangen. Und… also, es wurde immer schlimmer und… weiß nicht, irgendwann war dann das Bild wieder da, das…" Er schluckte Magensäure hinunter, die eben in seinen Mund geschwappt war und senkte die Augen auf Harvey. „Sie wissen doch, dass ich oft bei Einsätzen dabei war. Also dass wir… dass…" Der Heiler nickte und wirkte nun endlich vollkommen ernst. „Das weiß ich. Offen gesagt bin ich nicht sicher, ob wir das Gespräch in diese Richtung fortführen sollten. Das Thema regt Sie merkbar auf und wir haben noch nicht geübt, wie Sie sich bei solchen Themen schützen können." Draco wischte sich die Stirn. Er schwitzte und nahm deswegen das Glas Wasser dankbar an, das ihm der Heiler reichte. Er nahm einen Schluck, kippte sich dabei die Hälfte über und war mittlerweile viel zu aufgewühlt, um zu bemerken, dass der Heiler sein nasses Hemd mit einem knappen Zauberstabdreher trocknen ließ. Noch ein Schluck, sein Mund war so trocken. Harvey war ebenfalls nass und der Heiler verpasste auch ihm einen Trockenzauber. Draco atmete schwer und rieb sich die Schläfe mit Harvey, so dass es sich anfühlte, als ob ihn jemand streicheln würde. „Ich… ich will das jetzt aber sagen. Sie verstehen mich sonst nicht!" Er erzählte, ohne es selbst steuern zu können und wieder lief die Erinnerung vor seinen Augen ab, die sich gestern mit überwältigender Gewalt zurück in sein Bewusstsein gedrängt hatte. „Wir mussten nach Albanien, weil es dort Leute gab, die von früher Dinge über den Dunklen Lord wussten. Die haben wohl in ihrer Nachbarschaft ziemlich viel rumerzählt. Ging wohl schon eine ganze Zeit so… Also, wir… naja… wir waren schon mal dort und dann haben wir die… ähm..." Er hustete und verstummte. „Tief durchatmen, ich bin bei Ihnen! Sie erinnern sich? Wir haben darüber gesprochen, dass es manchmal entlastend ist, das Erlebte aus der Sicht eines Beobachters beschreiben." Draco nickte, schloss die Augen und versuchte seine Perspektive so zu ändern, dass er nun außen zu stehen schien und, so gut es ging, von der Warte eines Fremden aus berichtete. „Die Todesser waren im Frühling schon mal dort gewesen, um die Tochter des Verräters zu töten. Als Warnung. Er hat sich danach versteckt, aber er wollte nicht still sein und hat immer weiter über… Sie-wissen-schon-wen geredet. Es war nicht schwer ihn zu finden. Der Dunkle Lord hatte überall Leute. Der Mann hat sich mit seiner Frau und seinen Enkelkindern im Keller eines Bekannten versteckt. Als die Todesser kamen, spielten Kinder auf der Straße. Weil man nicht wusste, welche Kinder die richtigen waren, wurden einfach alle mitgenommen und... Also, der Dunkle Lord wollte jetzt die Kinder, weil er wusste, dass er den Alten damit am meisten treffen würde. Es… also… mit Flüchen, das klappte aber nicht weil… an dem Tag hatten alle schon eine Menge Pillen geschluckt und… ja, so anderes Zeug eben auch. Alle waren total drauf und… also es ging nicht mehr. Zaubern war nicht möglich." Draco zitterte so stark, dass er nicht mehr mit Sicherheit sagen konnte, ob er es war, oder der Sessel, der hin und her schwankte. Jemand legte ihm eine Hand auf das Knie, was ein wenig Halt gab und das unangenehme Karussellgefühl, das seine Übelkeit verstärkte, ein wenig milderte. Er rieb sich über die zusammengepressten Augen und versuchte, sich auf seine Atmung zu konzentrieren. „Weil es mit Magie nicht ging, wurde beschlossen, dass man die kleineren Kinder an den Füßen nimmt und sie an der Wand totschlägt. Die größeren wurden auf den Boden gelegt und…Das... Das dauerte eine Weile, aber… Der Mann und seine Frau waren gefesselt, die konnten ja eh nichts anderes tun als zusehen. Es waren acht Kinder und jeder hat zwei…" Er brach ab. Der Heiler drückte ihm das Knie. „Sie müssen es nicht sagen. Es ist schon gut. Und dieses Bild kam, als Sie den Elfen beim Teppichklopfen zugesehen haben?" Draco nickte. Er kippte leicht zur Seite, konnte sich aber wieder fangen und schaffte es, sich trotz seiner puddingweichen Arme zu einer aufrechten Sitzposition hochzudrücken. „Ja und… und ich bekam Kopfschmerzen. Wirklich schlimme. Deswegen wollte ich das sagen. Ich… ich habe auf einmal überall Blut an der Wand gesehen und… und… also… auch so… Flecken auf dem Boden und…. Und… an meinen Händen und… die Kopfschmerzen… sie waren so schlimm… also… ich konnte nicht mehr klar denken, wegen der Kopfschmerzen. Ich… es war so furchtbar, dass ich… ich wollte doch nur, dass es aufhört. Ich bin dann… weiß nicht…. vielleicht hat mich jemand dabei gesehen. Ich weiß auch nicht genau, wie es passiert ist, aber irgendwann war ich unten in der Küche und dann… dann waren die auch schon da. Also dieses Messer… sie… ich kam ja gar nicht dazu… Ich habe nicht mal eine Schramme!" „Ihr Vater hat gesagt, dass er und Ihr Onkel Sie gemeinsam festhalten mussten, damit Sie sich nicht das Messer in den Kopf stoßen. Sie wären in die Küche gerannt und hätten nach einem Messer verlangt. Die Elfen wollten nicht, mussten dem Befehl aber nachgeben. Sie haben aber Ihren Onkel und Ihren Vater gerufen. Einer von diesen beiden hat Sie dann geschockt." Draco schlang die Arme um sich und zuckte mit den Achseln, weil er nicht nicken wollte. „Draco, bitte sehen Sie mich an!" Widerstrebend gehorchte er und sah in die besorgten Augen des Heilers. „Wollten Sie sich mit diesem Messer umbringen?" Draco war kalt, sehr kalt. „Weiß nicht." Er zuckte die Achseln und quietschte, weil der Schmerz bei dieser Bewegung unerträglich wurde. „Es war doch nur... ich… die Kopfschmerzen. Ich wollte nur, dass die Kopfschmerzen aufhören. Ich… ich konnte nicht klar denken. Es war… es hat so furchtbar wehgetan und überall war… dieses Zeug. Ich wollte das nicht mehr sehen und… Ich wollte nur meine Ruhe und", er brach ab und schwankte. Er würgte, als das Bild eines Kindes vor seinem Geist Gestalt annahm. Ein Kind am Boden. Dunkle Flecken und Haare an der Wand. Er beugte sich vornüber, presste die Hände vor die Augen und keuchte. Jemand legte ihm die Hand auf den Rücken. „Das tut weh, ich weiß. Aber Draco, bitte, sehen Sie mir in die Augen." Und obgleich er versuchte, seinen Kopf wegzudrehen, fühlte er die Hand des Heilers, der sein Kinn nur mit der Fingerspitze nach oben zwingen und ihm zudrehen konnte. „Sie haben schlimme Dinge erlebt, wirklich Grauenhaftes. Aber, das ist nicht Ihre Schuld. Man hat Sie mit Drogen vollgepumpt, bis Sie nicht mehr klar denken konnten und Ihnen dann eingeredet, dass das der einzig richtige Weg ist. Es war schrecklich, aber es ist nicht Ihre Schuld und Sie hätten nie in diese Situation kommen dürfen!" „Das nützt aber keinem mehr!" Draco schüttelte den Kopf, auch wenn der Schwindel dabei so überwältigend wurde, dass er sich nicht mehr halten konnte und gegen den Heiler kippte. „Ich höre sie", flüsterte er mit tonloser Stimme. „Seit Monaten kann ich sie schreien hören. Immer wieder und sie sind wütend auf mich und weinen." Er schluckte schwer und fügte kaum hörbar hinzu: „Ich halte das nicht mehr aus, ich will nicht mehr." „Sind Sie deswegen abends wieder in die Küche gegangen?" „Ich… ich schlafwandle manchmal, ich weiß nichts mehr von letzter Nacht." „Ihre Freundin hat gesagt, dass Sie für den Rest des Nachmittags apathisch auf dem Sofa im Salon gelegen hätten. Irgendwann wäre sie aufgestanden, weil sie auf die Toilette musste und sie dachte, Sie würden schlafen. Als sie wiederkam, waren Sie weg. Sie hat Ihren Vater geholt und die beiden haben Sie dann schon wieder unten in der Küche gefunden… Im heftigen Kampf mit einem Elfen, der sein Fleischmesser nicht hergeben wollte… Ich frage nochmal. Wollten Sie sich mit diesem Messer umbringen?" Draco stöhnte und schloss die Augen. „Die Kopfschmerzen… die, die kommen immer, wenn ich die Schreie höre. Ich wollte die… ich wollte sie aus mir rausschneiden, damit ich das nie wieder hören muss. Ich wollte, dass das alles aufhört…" Er schluckte, rieb sich die Schläfe und wimmerte wie ein kleines Kind. „Darf ich mich hinlegen, Sir? Ich bin müde." Der Heiler nickte. „Ich werde Sam bitten, dass er Sie in den Ruheraum bringt. Ja?" Draco stöhnte und presste die Handballen gegen die Augen. Die Schmerzen wurden schlimmer. Dann verlor er das Bewusstsein. Sam musste ihn getragen haben, denn er erinnerte sich nicht mehr daran, wie er auf das schmale Bett gekommen war. Man hatte ihm wohl ein Schmerzmittel gegeben, denn als er realisierte, wo er lag, waren die Kopfschmerzen besser und die Schreie in seinem Kopf verstummt. Er konnte nur noch Sam sehen und hören, der auf einem Stuhl neben ihm saß und kichernd den Klitterer durchblätterte. Xxx Draco hatte also seinen Vertrag verletzt und hätte nun eigentlich wieder „entrechtet und bevormundet" werden müssen. Er konnte die Elfen in seinem Badezimmer aber abwenden, indem er beiden Heilern glaubhaft versicherte, dass er seinen Vertragsbruch bereute und sie, zumindest im übertragenen Sinne, auf Knien anbettelte, ihn nicht von zu Hause fort, zu fremden Leuten zu schicken, wie es des Öfteren zur Diskussion stand. Die Heiler wanden sich eine Weile, doch dann stimmten sie zu, alles beim alten zu lassen, wenn Draco seine Vertragszeit um zwei Monate verlängern würde. Er schimpfte und stöhnte, doch letzten Endes waren zwei Monate länger aushalten nicht so abstoßend wie erneut elfische Gesellschaft auf der Toilette. Ganz so folgenlos sollte der Vorfall jedoch nicht bleiben. Man verbot den Elfen ausdrücklich, Befehle von Draco entgegenzunehmen und forderte sie dazu auf, einen für Menschen undurchdringbaren Schutzwall um die Küche herum zu errichten. Im Nachhinein musste Hermine zugeben, dass sie zu dieser Zeit in pausenloser Angst lebte. Auch wenn er versichert hatte, dass er stark genug war, seine Vertragszeit zu erfüllen, sie glaubte ihm nicht. Hermines Herz und ihr Gemüt sanken, als ihr klar wurde, dass er es früher oder später wieder versuchen würde. Er musste seine Zeit nur aussitzen, und dann… Drei Selbstmordversuche in acht Monaten und niemanden, mit dem sie darüber reden konnte… Xxx Trotz des kühlen Wintertages hatte Hermine ihr Fenster weit geöffnet. Eigentlich weniger, weil sie zum Lesen frische Luft brauchte, sondern vor allem, weil es ihr mittlerweile zur lieben Sünde geworden war, Lucius und Rodolphus zu belauschen. Rodolphus Lestranges Appartement war nur zwei Räume von ihrem entfernt und da er Pfeife rauchte, hielt er seine Fenster meist offen. Ein kleiner Abhörzauber hatte geholfen, das schwache Gemurmel, das zu ihr herüberdrang, soweit zu verstärken, dass sie jedes Wort verstehen konnte. Nicht nur, weil sie dann hörte, wann sie es wagen konnte, sich in Dracos Zimmer zu schleichen, sondern auch, weil, nun, wenn sie ehrlich war, weil sie die Meinung der beiden Männer zu Draco einfach interessierte. Doch nach wie vor würde Lucius sich eher einer Ganzkörperkaltwachsenthaarung unterziehen, als mit Hermine auch nur einen vernünftigen Satz über seine Sicht von Dracos Zustand zu unterhalten. „Er versucht es ja noch nicht einmal", hörte Hermine Lucius jammern und konnte förmlich sehen, wie er sich vor seinem Schwippschwager aufbaute und die Hände rang. „Verlange ich zu viel? Ist es wirklich zu viel, dass er zumindest versucht, sich einen einzigen Tag nicht wie ein komplett Irrer zu benehmen? Kapiert er nicht, dass ich einfach keine Zeit dafür habe?" Rodolphus erwiderte: „Hmm." Lucius flehte steinerweichend weiter: „Ich will doch nur einen einzigen Tag, an dem er einmal nicht durchdreht. Einmal muss das doch zu machen sein, dass wir ohne Geschrei und Nervenkrise essen können. Ein einziges Mal muss er sich doch zusammennehmen können." Rodolphus machte „hmm" und Lucius brüllte weiter: „Sehe ich aus wie ein Kindermädchen? Wenn du mich ansiehst, hast du dann Gefühl, dass ein Kindermädchen vor dir steht?" Rodolphus machte: „Mhm." Lucius grunzte zur Bestätigung, bevor er lautstark weiterjammerte: „Ich habe einen Beruf! Ich bin wichtig. Ich bin eine der wichtigsten Personen in diesem Land, aber im Moment komme ich zu rein gar nichts, weil ich ständig meinem irren Sohn hinterher rennen muss. Weiß er eigentlich, wie anstrengend das ist? Dass ich noch etwas anderes zu tun habe, als seine Katastrophen zu begrenzen und mich dafür hinterher auch noch vor meiner Frau rechtfertigen muss? Ich meine… ich habe wegen ihm ein Schlammblut in meinem Haus!" Lucius' Ton nach sprach er gerade davon, dass er sich Draco zuliebe Silberfische an der Wand und Kakerlaken in der Speisekammer angeschafft hatte. „Ein Schlammblut! Und er treibt mir ihr was weiß ich was. Und ich weiß das und gestatte es ihm, nur, damit er sich wohl fühlt. Er… er… und was ist mit mir? Das kann doch kein Mensch von mir verlangen, dass ich mir das jeden Tag antun muss. Oder? Und warum? Warum? Die nervt er doch genauso wie uns. Wenn das Mädchen nur einen Funken Selbstachtung im Leib hätte, würde sie ihm eine runterhauen und für alle Zeiten verschwinden! Aber nein… Draco, es wird ja immer alles für Draco gemacht. Wir opfern unser ganzes Leben nur für Draco!" Rodolphus knurrte bestätigend und feuerte Lucius nur dadurch zu neuen Höchstleistungen an. „Ich sag dir jetzt was! Morgen gehe ich zu diesem Heiler und sage ihm, dass er doch eine Pflegefamilie für ihn finden soll. Mit ist absolut gleich, was er bei denen dann anstellt. Ich habe mich genug aufgeopfert! Ich… ich bin verheiratet, verdammt nochmal. Meine Ehe ist absolut scheiße, weil jetzt", er lachte laut und boshaft, „jetzt ist sogar meine Frau auf meinen Sohn eifersüchtig, weil ich mich viel mehr mit ihm als mit ihr beschäftige und soll ich dir was sagen, sie hat recht! Ich… ich… morgen geht er. Ich bringe ihn morgen in die Klinik und da bleibt er. Das kann kein Mensch von uns erwarten, dass wir ihn auch nur eine Sekunde länger aushalten!" Hermine verdrehte die Augen und beschloss weiterzulesen. Sie kannte das schon. Als sie diese Drohung zum ersten Mal gehört hatte, war ihr heiß und kalt geworden. Rot vor Zorn war sie Rodolphus' Zimmer gestürmt und hatte den größten Schreikampf ihres Lebens gegen Lucius ausgefochten. Unerbittlich… zumindest, bis Draco, dessen Schlafmittel nicht richtig gewirkt hatte, dazu kam und beide zusammen um Längen mit Lautstärke und Raserei übertroffen hatte. Mittlerweile war dies allerdings bestimmt schon die fünfzigste oder sechzigste Rauswurfdrohung und Draco war immer noch im Manor. Es lief ja immer nach dem selben Schema ab. Draco schrie Lucius an. Danach schrie Narzissa Lucius an und wenn der dann nicht mehr still sein konnte, schrie er Rodolphus an, der seinerseits erfreulich abgehärtet in Sachen Verbalattacken zu sein schien. Lucius' Entrüstung verlief ebenfalls geradezu langweilig vorhersehbar. Zuerst bedauerte er sich selbst, dann ratterte er sämtliche Schandtaten Dracos der letzten achtundvierzig Stunden herunter („Weißt du, was er jetzt schon wieder gemacht hat?"), wies vehement darauf hin, dass er viel zu wichtig war, um Dracos Kindermädchen zu sein und stieß zuletzt ein Reihe von Verwünschungen aus, die alle damit endeten, dass er Draco so schnell wie möglich loswerden wollte. Nachdem er sich ausgebrüllt hatte, wurde es abrupt leiser. Nur aus Neugierde war Hermine einmal zu Rodolphus' Salon geschlichen und hatte durch den angelehnten Türrahmen gespäht, um zu sehen, was sich nun ereignete. Ebenfalls immer dasselbe. Lucius sank auf einem Sessel in sich zusammen und jammerte, dass er selbst letztendlich alleine schuld sei, man dem armen Jungen keine Vorwürfe machen dürfte, dass er so war wie er war und dass er, Lucius, nun ausbaden müsse, was er in seinem Leben alles falsch gemacht hatte. Meistens endete diese Litanei mit sehr geschickten, dezenten, zaghaften Fragen, ob Rodolphus nicht eventuell und unter Umständen ein Gläschen… Hier kam die Stelle, an der man Rodolphus zum ersten Mal sprechen hörte, denn er wies dieses Ansinnen jedesmal mit einem schroffen „nein!" zurück, das so deutlich war, dass Lucius sich danach aus dessen Zimmer entfernte. Aber heute wurde Lucius nicht hinausgeworfen, obwohl er schon zweimal angedeutet hatte, dass er nichts lieber täte, als sich für die nächsten beiden Wochen mit ausreichend Whiskyflaschen in seinem Arbeitszimmer einzuschließen. Der Vorfall mit den Küchenmessern war erst zwei Tage her und Rodolphus war wohl der Meinung, dass er Lucius unter diesen Umständen ein paar extra Jammerstunden gönnen musste. „Weißt du", hörte sie Lucius sagen. „Weißt du, was ich heute gedacht habe, als diese beiden Heiler mit mir über ihn geredet haben? Wenn er ein Besen wäre, müssten wir ihn verschrotten… Totalschaden!" Hermine hatte bereits ihre Sachen zusammengepackt, um zu gehen, doch bei dieser harschen Aussage zuckte sie innerlich vor Entrüstung zusammen und setzte sich wieder auf ihr Bett. Sie ballte ihre Hände, atmete tief durch und lauschte empört auf das, was Lucius wohl als nächstes sagen würde. „… Pferde, also kranke Pferde tötet man. Nicht wahr?" Rodolphus knurrte: „Hmm." Lucius sprach weiter. Mit einem Mal klang er matt, ja, richtig verzagt: „Ja, und wenn ich das so höre… wenn ich so höre, was diese Heiler und die Pfleger über ihn sagen, dann denke ich mir… wie ungerecht die Welt doch ist. Mit einem Pferd hätte man Mitleid und würde es von seinen Qualen erlösen." Stille trat ein und im Nachbarzimmer war es wohl so leise, dass sie die Atemzüge mindestens eines der beiden Männer hören konnte. „So?", hörte sie Rodolphus leise fragen. Die wenigen Worte, die er während Lucius' Selbstmitleidsattacken sprach, schienen dem vollkommen als Ermutigung für weitere Monologe zu genügen. „Ja." Lucius, er musste es sein, denn seine Stimme klang kraftlos und… ja… so traurig, dass nur es gewesen sein konnte, der so schwer und sorgenvoll geseufzt hatte. „Sieh ihn dir doch mal an. Das tut doch weh, wenn man sowas mit ansehen muss. Er… ist wie ein… wie ein krankes Tier. Er leidet doch darunter… und wir können absolut nichts machen!" Wieder drangen Seufzen, Stöhnen und das unruhige Hin- und Herlaufen zweier Füße aus dem Nachbarzimmer zu Hermine. „Er ist doch nicht der erste, der nicht damit klar kommt, aber die haben das ja auch nie so lange aushalten müssen. Ich habe mir eigentlich immer gesagt, dass es richtig war, diese Leute zu töten. Auch um ihretwillen… Die würden doch nie wieder einen guten Tag in ihrem Leben haben. Manche werden damit fertig und andere eben nicht. Tja, und dann denke ich an Severus…" Rodolphus machte ein trauriges: „Mhm." „Ja", bestätigte Lucius den zustimmenden Laut seines Schwagers. „Er auch. So… so ist es doch eigentlich am besten. Wer damit nicht klar kommt, sollte wie ein lahmes Pferd erschossen werden. Alles andere ist doch Quälerei!" Täuschte sich Hermine oder hatte das eben wie ein Schluchzen geklungen? Sie runzelte nachdenklich die Stirn und verengte die Augen, als würden die Worte dadurch deutlicher werden. Kalter Wind strich durch das Fenster, wehte ihr eisig um den Körper und ließ sie erschauern, doch abgesehen von diesem Zittern rührte sie sich nicht und lauschte weiter angestrengt in die Unterhaltung der beiden Männer. „Das tut richtig körperlich weh, weißt du? Er leidet doch… Da gibt es doch gar nichts mehr, was noch bei ihm klappt und was soll man ihm denn sagen? Er hat nun mal gemacht, was er gemacht hat und nun hasst er uns, aber vor allem sich selbst dafür. Wirklich… und manchmal denke ich, dass es jeden Tag schlimmer wird. Am Anfang ging's ihm besser, oder? Gut… er war…" Lucius brach ab und ließ Hermine Zeit, die Worte „anstrengend, brutal, aggressiv" zu denken, doch er sagte nur „provokativ" und seufzte schwer. „Aber jetzt? Mit jeder weiteren Woche geht es ihm schlechter. Es ist, als ob er immer kleiner und blasser werden würde. Von ihm ist doch gar nichts mehr übrig. Er ist nur noch eine leblose Hülle, die im Haus herum irrt, nichts mehr redet, nichts essen will, an die Wand starrt und Anfälle kriegt. Das kann doch kein Leben sein… Ich kann ihm doch nicht sagen, dass er so weiterleben soll… aber… aber… was denn sonst?" „Was sagen denn die Leute im Krankenhaus?" „Die sagen, dass das normal ist. Die finden alles immer normal. Sie sagen, dass er sich die ganze Zeit über beherrscht hatte, versucht hat, alles zu verdrängen und jetzt würde er langsam so ruhig und reflektiert werden, dass er anfängt, sich mit diesen Dingen zu befassen. Dabei könnte es eben zu Aussetzern kommen." Er lachte bitter. „Hörst du? Die sagen, das ist ein Zeichen dafür, dass er sich entwickelt. Es wäre eine gefährliche Phase, aber eigentlich eine Verbesserung!" Lucius seufzte schwer und Hermine nickte betrübt, denn bedauerlicherweise verstand sie vollkommen, was er meinte. „Ich hoffe nur, dass er nicht irgendwann so reflektiert und ruhig ist, dass er vor lauter Besserung stirbt!" Xxx Hermine fühlte sich etwas unwohl dabei, hier zu sein, im Salon des Grimmauldplatzes. Das war schon das zweite Ordenstreffen dieses Jahr und sie wusste nicht, wie viele ihr im letzten Jahr entgangen waren. Man hatte sie aber sowieso nur zu diesen letzten beiden Treffen eingeladen. Das vorherige hatte sie wegen Dracos drittem Suizidversuch abgesagt, weil sie weder Draco alleine lassen, noch in die lachenden Gesichter ihrer Freunde sehen wollte. Harry hatte sie es gesagt. Sie hatte es nicht beabsichtigt, doch als sie, wie jeden Tag, gemeinsam in der Kantine zu Mittag gegessen hatten, hatte sie sich nicht mehr zurückhalten können und war in Tränen ausgebrochen. Und irgendwie hatte sie das ja erklären müssen. Harry hatte nichts dazu gesagt, weil er grundsätzlich nicht wusste, was er zu dem Malfoythema sagen sollte. Aber immerhin hatte er sie ausweinen lassen, ihr unbeholfen den Rücken getätschelt und ihr dann zum Abschluss auch noch einen Muffin geschenkt. Der letzte, der an diesem Tag im Ministerium zu bekommen gewesen war. Das war so ziemlich das Maximum dessen, was Harry unter diesen Umständen an Trost spenden konnte. Mittlerweile waren ein paar Wochen vergangen, Draco war… nicht ganz so suizidal wie sonst und Hermine hatte es sogar gewagt, ihm zu sagen, wo sie hinging. Wer da noch alles war, das musste niemand im Manor wissen. Als sie so da saß und ihre Freunde und Bekannte dabei beobachtete, wie sie blind miteinander kommunizieren konnten, wenn ein einziger Wimpernschlag schon reichte, damit der andere lachte, eine gemeinsam erlebte Begebenheit erzählte oder unangenehm schauderte, dann fühlte sie sich fremd und nicht mehr wirklich dazu gehörig. Gekommen war, wer noch lebte. Das Treffen erwies sich als einigermaßen überflüssig. Lupin, McGonagall und Lyra berichteten von der Schule und Hermine fand es sehr befremdlich, von Streitereien, Unruhen und Vorurteilen zu hören, die sie nicht mehr betrafen. So lange war die Schule doch noch gar nicht her, oder? Und dennoch…. Auch wenn sie sich wirklich Mühe gab, sich für all das zu interessieren, es war vorbei. Sie konnte dem ganzen zumindest nicht mehr aus der Schülerinnenposition aufrichtig folgen. Hagrid lud Harry und Hermine ein, ihn so bald wie möglich zu besuchen. Hermine druckste ein wenig herum, weil „so bald wie möglich" ihrer Einschätzung nach Monate dauern konnte, aber Harry machte unverfroren einen Termin für die nächste Woche aus und beharrte darauf, dass Hermine auch mit all ihren Mühen im Manor nicht unentbehrlich war. Zumindest einen Nachmittag lang. Neville und Luna waren nicht da. Harry verriet Hermine, dass Neville schon seit längerer Zeit jedes Treffen mit Moody mied. Seit dieser Sache mit Bellatrix eigentlich und Hermine schämte sich, weil das schon wieder fast ein Jahr her war und Hermine diese ganze Zeit verpasst hatte. Aber Neville und Luna wären zusammen und sie könnten sie ja besuchen, nachdem sie bei Hagrid gewesen waren. Hermine müsse sich eben durchsetzen und sich nicht ständig vor ihren eigenen Problemen im Manor verstecken. Weil das vollkommen lächerlich war, denn Hermine war der Meinung, dass sie absolut kein Problem hatte und auch ganz sicher überhaupt nichts verdrängte, stieß sie Harry wütend zur Seite und verzog sich stattdessen mit Ginny, Mrs. Weasley und Fleur in die Küche, um dort furchteinflößenden Geschichten über Fleurs Schwangerschaftsbeschwerden zu lauschen, die Mrs. Weasley eifrig zu übertreffen versuchte. Hermine hielt es dort nicht mehr aus, als Fleur laut darüber nachdachte, ihr Kind entweder Ronald Charles oder Charles Ronald zu nennen. Im Wohnzimmer hatten die Männer angefangen zu trinken. Hermine saß dicht neben Lupin und bekam so einen ihrem Geschmack nach viel zu schonungslosen Bericht darüber, dass sich das Leben der Werwölfe nach Voldemorts Sturz eher noch verschlechtert hätte. Sie versprach das Ganze auf der Arbeit zum Thema zu machen und bot ihm an, mit ihr gemeinsam einen aufrüttelnden Zeitungsbericht zu schreiben. „Wenn Sie wieder nüchtern sind", fügte sie im Geiste hinzu und verschwand, als Lupin sein Hemd aufknöpfte und eine seiner Narben mit denen von Bill und Moody verglich. „So ist das oft", raunte Harry ihr zu, der sich zusammen mit Ginny vor Fred und George im Treppenhaus versteckte, weil die sich gar zu sehr für Harrys Ausbildung interessierten. „Sie haben zu wenig zu tun. Das ganze letzte Jahr über waren sie ständig unter Strom und sind nur von einer Gefahr zur nächsten gehetzt. Jetzt passiert ihnen zu wenig und sie wissen nicht mehr, was sie machen sollen! Die Ruhe macht ihnen mehr zu schaffen als alles andere." „Das sind eure Treffen also, Saufgelage für gelangweilte Invaliden?" „Nicht nur, aber es macht sie traurig, bei diesen Treffen immer wieder daran erinnert zu werden, wie viele der ehemaligen Mitglieder nicht kommen." Ginny seufzte und bedachte Hermine mit einem vorwurfsvollen Blick, doch gleich darauf schüttelte sie sich. „Tut mir leid. Ich will dir nicht böse sein, aber ich denke immer daran und…" Hermine nickte, weil sie Ginny verstand, doch sie sagte nichts, weil sie wusste, dass das ein Thema war, über das sie nie mit Ginny würde sprechen können. Die anderen und Ron… und wegen wem sie gestorben waren. „Wisst ihr, ich merke es auch auf der Arbeit. Also Moody, er lädt manchmal ein paar andere Ordensleute ein, um Flüche zu demonstrieren, Taktiken zu besprechen und so weiter… Wenn sie uns dann auf Einsätze mitnehmen, dann machen sie unwahrscheinlich viel Aufstand um ganz kleine, traurige Fische. Immer wenn ich das sehe, denke ich, dass sie die Todesser irgendwie vermissen. Denen fehlt etwas… Manchmal da denk ich mir, dass ein paar der Leute da drinnen", Harry deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Salon, wo die anderen versammelt waren, „am liebsten selbst irgendetwas machen würden, irgendeinen kleinen Anschlag. Nur, um wieder was zu haben, womit sie sich beschäftigen können!" Hermine verbiss sich die Frage, ob es Harry ebenso ging und entschuldigte sich auf die Toilette. Sie musste eigentlich nur kurz pinkeln, aber weil es sie mit jeder Minute mehr aufwühlte zu sehen, wie kaputt dort draußen doch alles war, vertrieb sie sich ein wenig Zeit, in dem sie Harrys Badezimmer durchwühlte. Sie stieß zunächst auf nichts Interessanteres als Zahnpasta, dreckige Socken, saubere, offenbar nie benutzte, doch entsetzlich altmodische Unterhosen - zweifellos ein Geschenk von Mrs. Weasley, das ein verborgenes Dasein im Wäscheschrank fristete - sowie allerlei Hygieneartikel, die wild durcheinander in den Spiegelschrank über dem Waschbecken gestopft worden waren. Ein Tablettendöschen ohne Deckel stand gefährlich weit in einem viel zu vollgestopften Regal ganz oben. Hermine versuchte es nach hinten zu drücken, weil sie fürchtete, dass es herunterfallen könnte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte ihren Arm aus, sie drückte sich nach oben, verlor für einen Moment das Gleichgewicht und hielt sich in einem gedankenlosem Augenblick an eben der Dose fest, die auch vorher schon knapp vor dem Herunterfallen gewesen war. Es kam wie es kommen musste, Hermine kippte zur Seite, das Döschen fiel polternd zu Boden und etwa zwanzig runde, weiße Tabletten kullerten lustig rund um Hermine durch das Badezimmer. Hermine fluchte ärgerlich über sich selbst und ihre Ungeschicklichkeit und zog ihren Zauberstab, um die Medikamente per Aufrufzauber zurück an ihren zugewiesenen Platz zu ordern. Es war eigentlich nicht ihre Absicht, die Tabletten genauer in Augenschein zu nehmen, doch weil die letzte der Tabletten in einer Ritze des Spiegelschrankes klemmte, legte sie ihren Stab weg und griff stattdessen mit der Hand nach dem Medikament. Kaum auf ihrer Hand, kam ihr die Tablette unangenehm bekannt vor. Sie drehte und wendete sie und fand, was sie suchte. Eine kleine Gravur, auf dem Seitenrand. „A.D." Jemand anderes als Hermine hätte damit gar nichts anfangen können und selbst wenn, hätte diese Person wohl auch nichts anderes getan, als die Tablette schleunigst zurück in die Dose zu legen und alles zusammen so weit wie möglich nach oben zurück in den Schrank zu stellen. Hermine nicht. Die Dose blieb auf dem Waschtisch stehen, als Hermine das Bad verließ und den mit Ginny knutschenden Harry von seinem gemütlichen Versteck auf der Treppe wegzuholen, um ihn mit der fadenscheinigen Ausrede, dass der Wasserhahn kaputt sei, ins Badezimmer zu locken. Als Harry ihrer Aufforderung folgte und zu ihr ins Badezimmer kam, wenn auch mit reichlich verschüchtertem Gesichtsausdruck und einem „Ich mag dich ja, aber möchte doch lieber platonisch mit dir befreundet sein" auf den zusammengekniffenen Lippen, erwartete ihn Hermine mit der kleinen, braunen Dose in der Hand. „Sag, was ist das, Harry?" Nur eine Millisekunde entspannten sich seine Züge, als er begriff, dass Hermine ihn weder ins Bad gelockt hatte, um an seine Wäsche noch an andere Besitztümer zu gehen, sondern um mit ihm zu reden. Als ihm jedoch nur einen Herzschlag später klar zu werden schien, was Hermine da in der Hand hatte, gefror das entspannte Lächeln auf seinen Lippen zu Eis. Er trat zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Tür stieß und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Nichts, nur Schmerztabletten." Hermine schüttelte den Kopf und gleichzeitig die Dose in ihrer Hand. „Das sind keine Schmerztabletten, Harry. Das ist ein Antidepressivum!" „Ach was!" Er lachte gekünstelt und wedelte mit der Hand. „Nein, nein!" „Doch, doch", beharrte Hermine und zog die Tabletten unter Harrys Nase weg, um noch einen prüfenden Blick in die Dose zu werfen. „Doch, das sind Anti-Depressiva. Ich kenne die, Draco muss die täglich dreimal nehmen! Ganz sicher, genau die gleichen!" Harry verzog den Mund und machte „Hmpf!" Er hätte den Raum zu gern einfach wieder verlassen. Das konnte sie ihm ansehen. Aber wenn er ohne Kommentar ginge, käme das einem Geständnis gleich. Stattdessen runzelte er die Stirn, verdrehte die Augen grüblerisch nach oben und schnaufte wie ein alter Mann. „Die sind... noch von Sirius!" Hermine glaubte ihm nicht. „Die sind nicht von Sirius." Traurig, doch mit der Bestimmtheit einer Person, die weiß, dass sie eine Ausrede hört, schüttelte sie den Kopf. „ Hätte er die mal genommen." Sie drehte sich von ihm weg, um die Tabletten zurück in den Spiegelschrank zu stellen. „Tut mir leid, ich hätte nicht stöbern sollen. Aber…", sie versteckte ihr brennend heißes Gesicht hinter der geöffneten Schranktür. „Naja, du bist neu eingezogen und ich war neugierig." Sie seufzte schwer und schloss den Schrank, blieb aber dem Spiegel zugewandt stehen, statt sich umzudrehen. „Harry, die sind nicht von Sirius. Ich… also schön… nachdem der Fuchsbau gebrannt hatte… ich hab schon mal in deinen Schränken gewühlt und… da war nichts. Aber jetzt, und jetzt wohnst du hier… Und ich kenne diese Tabletten. Das sind Anti-Depressiva. Draco kriegt die gleichen, weil er sonst den ganzen Tag im Bett liegt und nur aufsteht, um aufs Klo zu gehen." Hermine drehte sich um und sah einen Ausdruck auf seinem Gesicht, als fühle er sich in einer Falle gefangen. Er hatte seine Brille abgezogen und rieb sich über Gesicht und Schläfen, als habe er Kopfschmerzen. „Dein Draco ist nicht der einzige, der ein Recht auf Albträume hast, weißt du?", sagte er schließlich, zog die Brille wieder auf und lehnte sich mit dem Rücken noch weiter gegen die Tür, die Arme vor der Brust übereinandergelegt. „Oh, Harry, seit wann?" „Seit wann ich sie nehme?" Hermine nickte und überschlug schnell im Kopf, wann der Fuchsbau abgebrannt war und ob sie in der Zwischenzeit noch einmal hier gewesen war. Letztes Weihnachten, oder? Hatte sie da auch spioniert? „Seit Halloween letzten, nein, mittlerweile ja vorletzten Jahres. Also seit… ja… Ich wurde ja ins Krankenhaus gebracht und untersucht und… sie haben mit mir geredet und irgendwann haben sie mir diese Pillen gegeben." Er zuckte mit den Achseln und zog die Augenbrauen hoch. „Malfoy hat in dem Punkt aber gewonnen. Ich soll pro Tag nur eine nehmen, dann geht's wieder." Er zuckte mit den Schultern. „Meistens zumindest." Hermine schob sich an der Wand entlang vom Schrank weg und setzte sich etwas unbeholfen auf den Rand einer großen, alten Gusseisenbadewanne. „Aber warum hast du denn nichts gesagt?", fragte sie vorsichtig. Harry schwieg einen Moment und Hermine fragte sich schon, ob er überhaupt zugehört hatte, doch gerade als sie ihre Worte wiederholen wollte, antwortete er, auch wenn er es mit emotionsloser, mechanischer Stimme tat. „Weil mir niemand zugehört hätte. Sowas will doch keiner hören. Im Orden zumindest, auch wenn ich wetten könnte, dass es den anderen ähnlich geht." Er schnaubte, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. „Du hast deine Pflicht zu tun und damit zufrieden zu sein, dass es das Richtige ist und dass das alles einen Sinn hat. So, und jetzt ist es vorbei und deswegen muss das Thema erledigt sein!" „Harry…" Hermine streckte ihren Arm aus und berührte seine schlaff herunter hängende Hand. „Es tut mir leid", … weil Hermine sich jetzt schon über ein Jahr damit abplagte, einem jungen Mann zu helfen, der kein größeres Vergnügen gekannt hatte, als die jüngere Hermine zu mobben und ihre Freunde zu demütigen. Damit war sie so beschäftigt gewesen, dass sie, wenn sie ehrlich war, gar nicht hatte wissen wollen, wie es den Leuten ging, die ihr näher gestanden hatten. „Schon gut." Er schüttelte sie unwirsch ab und winkte beschwichtigend ab. Vorsichtig ließ er sich neben sie auf den Wannenrand gleiten und stützte seine Arme auf die Knie. „Es geht mir nicht so schlecht. Ich komme zurecht und ich… ich hätte ja auch nicht gewusst, wie ich es hätte sagen sollen. Darüber redet man nicht so gerne." „Worüber genau, meinst du jetzt? Über die Tabletten oder", … das, weshalb du sie nehmen musst, vollendeten zumindest Hermines Augen den Satz. „Beides." Er seufzte und seine Augen wurden leer. „Beides. Du tust, was du tun musst, weil es das Richtige ist und weil du damit größeren Schaden verhindern kannst. Vermutlich zumindest." Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich war ja gar nicht so oft dabei. Vielleicht hätte ich mich irgendwann dran gewöhnt, so wie Moody, wenn ich öfters mitgemacht hätte. Andererseits… ich weiß nicht. Will ich das denn? So werden?" Er zuckte die Achseln und lächelte Hermine dünn an. „Nein, eigentlich nicht." Hermine nickte, denn sie verstand, was er meinte. Sie legte ihre Hand auf seine und drückte sie, doch plötzlich wurden ihre Finger taub und rutschten kraftlos von ihm weg. „Haben sie denn alle da draußen…?" „Ja."Kalt und rau war sein Stimme, wie der eisige Winterwind, der in eben dieser Minute die Fenster des Grimmauldplatzes zum Knirschen brachte. „Alle! Dafür waren wir ja da. Nicht die ganze Zeit und auch nicht jeder gleich oft… aber... ja, dafür waren wir da!" Er hob die Hand zu einer wegwerfenden Geste und strich sich gleich darauf verlegen über den Nacken. „Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nicht, was wir eigentlich jetzt vorhaben. Also, was wir so machen sollen, wenn wir nicht…" Seine Hand sank herab. „Ich habe die Tabletten abgesetzt, nachdem Voldemort weg war, weil ich dachte, es wäre ja jetzt wieder alles in Ordnung. Aber… ja… ich nehm sie wieder, seit ich in der Aurorenschule bin. Diese Übungsstunden, sie… sie regen mich auf und… die anderen dort verstehen das nicht. Auch die Einwände, die ich habe… Moody am allerwenigsten." Er wandte sich ihr zu und fügte mit Nachdruck hinzu. „Und deswegen will ich auch nicht, dass es irgendjemand weiß. Hörst du? Ich habe Ginny gesagt, dass das… ich habe gesagt, ich hätte eine Allergie und die wären dagegen gut." „Ist gut, aber… hat denn Ginny…" Harry blickte unsicher. „Ich weiß es nicht. Ich denke nicht. Bei Neville bin ich fast sicher, dass nicht. Zumindest bei Bellatrix hat er gekniffen und dann ist er ausgestiegen. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass… also vorher..." „Ron?", fragte sie atemlos, denn ihr Atem hatte in der Sekunde gestockt, als sich ihr eine eiskalte Hand aus Furcht und Vorahnung um die Kehle gelegt und zugedrückt hatte. „Ich denke, nein. Sicher nicht. Er hat immer gesagt, dass er es tun will… vor allem Greyback. Aber… naja… zu diesem Zeitpunkt war es noch nicht so wie… naja, danach eben. Er hat große Reden geschwungen, das ist alles. In der Theorie hat er sich das recht leicht vorgestellt." Unvermittelt fing er an zu lachen. So laut und ehrlich, dass Hermine erschrocken zusammenfuhr. „Aber wenn er geahnt hätte, wo du jetzt bist, dann wäre es mit der Theorie auf jeden Fall vorbei gewesen. Dann hätte er all seine Brüder zusammengetrommelt, sich Mistgabeln und Klatscher geschnappt und hätte Malfoy zu Brei geschlagen!" Er hatte witzig sein wollen, sie wusste es, dennoch trieb diese Bemerkung Hermine die Tränen in die Augen. Wenn Ron wüsste… Harry schien nicht mitzubekommen, wie sehr dieser Gedanke sie getroffen hatte. Er lachte weiter, bis Hermine, vollkommen unfähig zu weiteren Worten, aufsprang und konnte erst „Hermine, das war doch nicht so…" rufen, als sie schon zur Tür draußen war und das „gemeint" hinter ihr im Bad verklang. Xxx Dracos Gefängniswärter, Leibwächter, Kammerdiener und Mädchen für alles, Sam, hatte zwei große Lieben in seinem Leben. Die erste war seine Familie, die zweite der Klitterer. Er hatte Draco anvertraut, dass er seit Jahren davon träumte, Xenophilius einmal auf einem seiner Erkundungstrips durch die Welt zu begleiten und das auch sicher noch tun würde, wenn seine Kinder etwas größer wären. Außerdem schrieb er – zu Dracos grenzenlosem Entsetzen - des öfteren Artikel für diese Zeitung, in denen er über Außerirdische, Schnarchkackler und die grüne Gehirnpest fachsimpelte. Um nicht selbst einer solchen zu erliegen, hatte Draco irgendwann auch begonnen, von seinem Leben zu erzählen. Er mied die Todesserzeit - was ihm Sam sehr sensibel zu umschiffen half - und berichtete stattdessen von seiner Familie, Hermine und ihren dämlichen Freunden. Heute bestand Dracos praktische Übung aus etwas angenehmerem als Kochen. Sam, der rotbärtige Pfleger Ed, Draco, Flint, Pucey und ein junger Afrikaner namens Malique sollten eine Hütte zu bauen, da die Heiler Tiere im künstlichen Krankenhauspark heimisch machen wollten. Nachdem Malique wehmütig davon erzählt hatte, welche Tiere er und seine Familie in Afrika gehabt hatten, bevor die Armee dort alles niedergebrannt und ihn geholt hatte, ließ Draco sich darüber aus, dass für „Tiere und körperliche Arbeit" im Manor die Elfen zuständig wären. Ein freundlicher Einwand Sams („Deine Angeberei nervt die anderen, Prinzessin") ermunterte Draco zu einem Themenwechsel. Statt über das Manor selbst, ließ er sich nun über die Personen aus, die das Manor bewohnten. Wie schön doch seine Mutter war („Aber im Moment geht es ihr nicht so gut") , wie einflussreich sein Vater („zudem noch gutaussehend, intelligent, gebildet, kultiviert… und dauerbetrunken, aber jetzt lässt er's zum Glück"), dass sein „Onkel" eine neue Freundin hatte, die man vor Narzissa verheimlichte, dass Narzissa langsam die traditionellen Zauberergerichte ausgingen („Merlin sei Dank"), dass Hermine im Ministerium arbeitete („Der letzte Job, wirklich. Die verdient dort fast gar nichts und muss jeden Abend Berge von Gesetzen nachlesen. Sie hat nicht mal eine Sekretärin.") und überhaupt, dass Lucius und Hermine sich des Öfteren bekriegten… Darüber erzählte er besonders gerne, aber Draco hörte sich sowieso gerne selbst reden. Während sie so im künstlichen Park in der gezauberten Sonne saßen und versuchten etwas zusammenzubauen, das zumindest entfernt an einen Verschlag erinnerte, war Draco gerade an der Stelle angekommen, wo Hermine seinem Vater eine slytheringrüne Leuchtschrift an die Bürotür gehext hatte, auf der in dicken Lettern „herzloser Sklavenhalter" stand. Das Essen, zu dem Lucius überraschend Todesserkollegen eingeladen und Hermine mit „das ist Miss Granger. Sie geht mit meinem Sohn ins Bett und zwar vollkommen umsonst" vorgestellt hatte, verursachte sogar noch größeres Gelächter. Das heißt, der rote Ed, Sam, Malique und Draco lachten. Adrians und Marcus' Mienen waren ebenso starr wie feindlich. Dracos Lachen blieb ihm in der Kehle stecken, als er sah, wie Marcus langsam aufstand und sich drohend vor ihm aufbaute. „Sag mal, schämst du dich denn gar nicht?" Einen Herzschlag später war Draco ebenfalls auf den Beinen. Jeder Muskel und jede Sehne einzeln angespannt, sein Herzschlag doppelt so schnell, seine Atmung flach. Wachsam und tödlich. Draco war einsatzbereit. „Was soll das heißen?" „Jungs!" Die beiden riesenhaften Pfleger standen auf, hielten sich aber noch zurück. Nun erhob sich auch Adrian. „Musst du das wirklich noch fragen?" Sams tiefe Stimme befahl: „Malique, steh auf!" Und Malique, der zwischen Draco und seinen beiden Herausforderern saß, gehorchte. Draco ballte und entspannte seine Fäuste. Er lächelte und ging einen Schritt auf die beiden zu. Auf den ersten Blick wirkten die drei jungen Männer amüsiert, denn alle lächelten. Entspannt, so wie sie und sich gegenseitig offen ansahen und beieinander standen, als wollten sie plaudern. Wer sie kannte, wusste es besser. Ein falsches Wort und sie würden sich umbringen. Wer den Blick in ihren Augen gesehen hatte, wusste, dass es nur dieser kleinen Andeutungen und Provokationen bedurfte und schon waren sie bereit und fähig zu töten. Gleich hier und jetzt. Draco hörte, wie die Pfleger ihre Zauberstäbe zogen. Er bedauerte, dass sie dieses Mal nicht nach Muggelart gearbeitet hatten. Ein Hammer wäre ihm jetzt sehr willkommen in seiner Hand. Stattdessen hielt er dieses nutzlose Werkzeug von einem Handwerker-Zauberstab in seinen Händen, der einzig und alleine dazu nützlich war, Holz zu bearbeiten. „Ja, ich frage das und ich will eine Antwort. Was soll der Scheiß? Wofür soll ich mich schämen?", fragte er, denn er musste sich auch ohne Hammer und richtigen Zauberstab nicht fürchten. Er hatte schon oft mit bloßen Händen getötet. Marcus lachte wieder. Er überwand die kurze Distanz, die sie noch trennte und ignorierte Malique, der ebenfalls näher herantrat, bereit, sich zwischen die beiden zu werfen. „Na, dafür", grinste Marcus und tippte Draco auf den Hals. Nein, nicht auf den Hals. Auf die Kette darum und noch genauer, auf den Ring, der daran hing. Er kicherte abfällig und schüttelte den Kopf, als könne er es nicht fassen, dass jemand wie Draco so etwas machte. Seine Finger spielten mit Hermines Anhänger, er lächelte, tat freundlich und lehnte sich entspannt nach hinten, als er Adrian neben sich wusste. „Da stehst du hier und schämst dich nicht, das Ding zu zeigen und sagst, wo du es her hast. Einfach so, nachdem wir letztes Jahr dieses Ungeziefer noch mit eigenen Händen zerquetscht haben. Nach allem, was uns der Dunkle Lord gesagt hat, nachdem du zum Anführer unserer Gruppe bestimmt worden warst und nachdem dein eigener Vater sich ein Leben lang dafür eingesetzt hat, dass diese Ratten aus unseren Häusern verschwinden, stehst du hier und sagst uns offen ins Gesicht, dass du so eine bei dir im Haus hast und schämst dich nicht mal! " Marcus und Adrian verzerrten ihre Gesichter voll Häme und Abscheu. Adrian schüttelte ungläubig seinen Kopf, während Marcus' Finger weiter mit Hermines Ring spielten. „Du bist ein dreckiger Verräter! Wie tief bist du nur gesunken, du Schlammblutficker!" Xxx „Ich will… au… Sie sollen… ah… lassen Sie ihn mir endlich nachwachsen!" „Bitte." „Sie sollen mir den Zahn nachwachsen lassen!" „Sie sollen „bitte" sagen, Draco." Der Heiler zwinkerte freundlich. „Das ist höflicher." Draco knurrte und verdrehte die Augen. „Also schön, lassen Sie mir bitte den Zahn nachwachsen!" „Nein." Dracos Hand sank herunter und mit ihr der Kühlbeutel, den er sich eben noch auf das Gesicht gespresst hatte. Todesblicke trafen den Heiler, der dessen ungeachtet nur amüsiert in sich hinein gluckste. „Sieht doch nett aus, mit dem Veilchen und der Zahnlücke. Ich denke, wir sollten ihrer Familie das Vergnügen gönnen, Sie so farbenprächtig zu bewundern." Draco grunzte wütend und drückte sich den Beutel wieder auf sein prall geschwollenes, schmerzendes Auge, allerdings etwas zu heftig, was ihm einen Schmerzenslaut entlockte. „Na, unangenehm? Draco, mir ist schon klar, dass Sie genau das nicht wollen. Da haben wir gerade letzte Woche mit Ihren Leuten darüber gesprochen, wie viel ruhiger Sie geworden sind und dass Sie sich nicht mehr wie ein tollwütiger Werwolf benehmen… und dann das!" Er kicherte nervtötend und steckte sich, wie Draco mit dem heilen Auge erkennen konnte, einen Ingwerkeks in den Mund. „Tja… aber das gehört leider zum Erwachsen werden dazu", nuschelte er noch kauend, „dass man sich zu dem bekennen muss, was man gemacht hat." „Was man gemacht hat?" Draco war mit einem Satz auf den Beinen. Harvey, den er – so kindisch das auch sein mochte - vorhin auf seinen Schoss gezogen hatte, fiel herunter, als Draco sich den Kühlakku vom Auge riss und ihn mit aller Kraft, die sein schmerzender Arm zuließ, nach dem Heiler warf. „Ich hab doch gar nicht angefangen! Hey, ich lass mich hier doch nicht als aggressiv hinstellen, wenn die zwei Wichser mich vor versammelter Mannschaft anpissen!" Der Heiler räusperte sich, legte den Ice-pack mit spitzen Fingern neben der Keksdose auf dem Boden ab und rutschte in seinem Sessel etwas nach vorne. „Sie sind also nicht aggressiv", fragte er und ruckte mit den Augen zu dem Beutel, der ihm fast gegen den Kopf geflogen wäre, wenn er ihn nicht geschickt abgefangen hätte. „Warum muss ausgerechnet ich hier sitzen? Die haben mich provoziert, die… ja, sehen Sie sich doch mal mein Auge an, was soll der Scheiß? Warum muss ich hier schon wieder nur ich bei Ihnen sitzen, während die in Ruhe gelassen werden?" „Das sollte zwar nicht Ihre Sorge sein, aber ich kann mich nicht in drei Teile zerschneiden." Sayer nickte und lehnte sich wieder entspannt zurück. „Eins nach dem anderen. Nun sind eben Sie an der Reihe, Draco… Dann erzählen Sie doch mal, was war denn so furchtbar, dass es diese Schlägerei rechtfertigt?" Draco schnaubte und ächzte. Egal wie verrückt er dabei aussehen musste, schon wieder heftig atmend und mit geballten Fäusten über einem Mann zu stehen und ihm zu drohen, das hier war ungerecht und er hatte es nicht verdient, Vorhaltungen zu hören. „Wollen wir darüber reden, oder wollen wir uns anschreien?" Der Finger des Heilers deutete auf die Erkerbank, von der Draco gerade aufgesprungen war. „Wenn wir reden sollen, so, dass ich Ihre Gründe verstehen kann, würde ich es vorziehen, wenn Sie sich dafür wieder hinsetzen." Widerwillig gehorchte er. Mit einem festen Griff packte er Harvey an den Ohren und verfrachtete ihn wieder auf seinen Schoß. Er musste noch einen Moment warten, tief durchatmen und sich sammeln, bevor er wirklich ruhig genug war, um das ganze erklären zu können. „Wir waren gerade dabei, diesen komischen Hühnerstall zu bauen. Ich erzähle von… ja… ach, verdammt… ich hab eben von zu Hause erzählt und auf einmal gehen Marcus und Adrian, die beiden Wichser, auf mich los und … sie… sie haben angefangen. Da können Sie jeden fragen, der dabei war. Ich habe ganz friedlich gesessen und an dem Hühnerstall rumgeschraubt, da stehen die beiden auf einmal vor mir und sagen, dass ich ein Verräter wäre und nennen mich Schlammblutficker!" Ein Schatten huschte über das Gesicht des Heilers. Zu Dracos absoluter Verwunderung wich der Schatten in Sekunden einem Lächeln, das an einem heißen Julitag im Garten nicht sonniger hätte sein können. Ebenso strahlend und fröhlich wie der Therapieraum war auch das Gesicht des Heilers. „Ja und? Sie haben doch recht." „Was?" Dracos Muskeln verspannten sich, um wieder aufzuspringen und mit irgendetwas zu werfen, als der Heiler beschwichtigend abwinkte und ihn stoppte. „Nein , nein. Lassen Sie mich erklären. Hier… nehmen Sie das." Er warf ihm den Ice-Pack zu. „Sie können wohl etwas Kühlung gebrauchen. So, gut. Ihr Auge wird Ihnen danken, wenn Sie den Kühlbeutel daran halten anstatt ihn nach mir zu werfen. Nun, die Sache ist die, Draco. Wenn ich auch über die Wortwahl nicht sehr glücklich bin, so beschreiben die beiden doch einen Umstand, der absolut den Tatsachen entspricht, oder?" Dracos Hände sanken vor Erstaunen herunter, so dass der Kühlakku auf den armen Harvey fiel. „Wie bitte?" „Ihr Auge, Draco. legen Sie den Kühlbeutel wieder an Ihr Auge. Nun… wenn ich mich nicht sehr irre, ist Ihre Freundin doch tatsächlich muggelgeboren, oder? Wissen Sie, ich bin ein politisch interessierter Mensch und konnte es mir nicht verkneifen, auf einige der politischen Veranstaltungen Ihrer Familie und Ihres… nun ja… Anführers zu gehen. Es wurde zwar nicht Wort für Wort genau ausgeführt, doch es kam schon durch, dass er, dessen Namen nicht genannt werden darf, keine Verbindungen zwischen Reinblütern und jemandem wie Hermine schätzt. So gesehen… Wenn man es genau nimmt, haben Marcus und Adrian recht." Er lächelte in Dracos erzürntes Gesicht. „Die Frage ist doch nur, ob Sie sich wirklich daran stören wollen?" „Wie meinen Sie das?" „Nun, Draco. Ich denke, wir sollten uns jetzt einmal über etwas Grundsätzliches unterhalten. Etwas, über das ich mir eigentlich sehr sicher bin und das Sie wohl noch nicht bemerkt haben. Wie lange sind Sie schon hier?" „Ich", er brach ab, strich mit den Fingern über Harveys Schnurrhaare und zählte im Geiste mit. „Seit Juni… neun Monate!" „Neun Monate… so lang schon? Wie doch die Zeit vergeht… Nun, mir scheint es noch nicht so lange her, da saßen wir drüben in meinem Büro und Sie haben voll Inbrunst erklärt, dass Sie ihren Vater verachten, weil er gegen Ihren Anführer gemeutert hat. Ja, genau, und dann haben Sie erklärt, dass Sie mit Ihrer, nebenbei bemerkt muggelgeborenen, Freundin in die Winkelgasse ziehen wollen, um dort die Todesserbewegung am Laufen zu halten, richtig?" Draco gab ein unwilliges Knurren von sich und senkte griesgrämig den Kopf. Ja natürlich erinnerte er sich daran, wenn ihm sein Auftreten im Nachhinein auch ziemlich peinlich war. „Draco, bitte sehen Sie mich an." Sein Kopf folgte der Aufforderung, langsam, widerwillig, doch er tat es und sah dem Heiler offen in die bebrillten Augen. „Möchten Sie das heute auch noch? Wenn man Sie heute entlassen und man Ihnen erlauben würde, von zu Hause auszuziehen. Würden Sie losgehen, sich ein paar Ihrer Männer zusammentrommeln und weiterkämpfen? Draco, wollen Sie zurück zu den Todessern?" Dracos Herz setzte einen Schlag aus, da diese Frage, so einfach sie auch war, sein Denken, Handeln und alles, was er sonst noch war, für einen unendlich scheinenden Moment lähmte. „Ich… eigentlich nicht", antwortete er leise. Und er dachte an die Aktionen, die Schreie, das Blut, die Überfälle, die Angriffe gegen ihn selbst, das brennende Manor, Karkaroff am Boden, die Kinder an der Wand, die Frau, die starr vor Angst unter ihm gelegen hatte und daran, wie er selbst so oft starr vor Angst gewesen war, wenn sein Leben bedroht wurde… … und fügte „auf keinen Fall" hinzu. Dieser Nachsatz hing folgenschwer im Raum, lastete auf Dracos Schultern und brachte ihn dazu, sich wieder nach vorne zu beugen und seine gefalteten Hände anzusehen. Draco hörte das Ticken der Uhr. Er hörte das Heulen des Windes vor dem Fenster. Hörte den Heiler einen weiteren Keks kauen und… atmen. Er saß da, auf der gepolsterten Erkerbank, und beobachtete Harveys Ohren dabei, wie sie hin und her wackelten, als er seine Finger darüber kreiseln ließ. Letzte Woche hatte er mit Malique und einem anderen jungen Mann aus Burma zusammen gesessen und gemeinsam hatten sie geübt, wie man Dinge auch ohne Körperkontakt und Zauberstab gezielt bewegen kann. In diesen anderen Ländern, die nicht so industrialisiert waren, konnten die Leute das viel besser als Westeuropäer wie er. „Draco?" „Ja?" Draco sah auf, der Heiler hätte nicht schnipsen müssen, soweit war er nicht weg gewesen. „Warum sind Sie damals Todesser geworden, wie kam das?" Draco stöhnte und verzog das Gesicht, bis sich tiefe Falten über seine Stirn zogen. „Tja… also. Wissen Sie das nicht? Als mein Vater, ähm… inhaftiert wurde, da sollte ich dann ja Dumbledore… ähm… töten." Er räusperte sich verhalten, das Thema war so verwirrend, dass er es, wie viele andere verwirrende Dinge, die mit den Todessern zusammen hingen, gerne mied. „Das haben Sie schon gesagt, ja. Aber ich meinte eigentlich etwas anderes. Nicht, was Sie in ihrer Anfangszeit gemacht haben, sondern wie es überhaupt dazu kam, dass Sie mitgemacht haben. Sie waren damals ja noch recht jung. Sechzehn, nicht? Wie kommt ein sechzehnjähriger Junge zu solchen Leuten?" „Oh, also… ähm… ich wurde nicht gezwungen, wenn sie das meinen. Es war freiwillig, ja…" Er seufzte und hing für einen Moment dem Gedanken nach, wie wenig er damals doch davon gewusst hatte, was ihn erwarten würde, bevor er mit matter, verlegener Stimme weiter sprach: „Meine Tante meinte, dass ich nun alt genug sei, um meine Familie unterstützen zu können und dass der Dunkle Lord mir eine Chance geben würde, meiner Familie Ehre zu machen und… ja… Also ich wollte unbedingt… Ehre machen. Ich dachte… so viele aus unserer Familie sind dabei und Vater… naja… also ich war dann wirklich froh, diese Chance zu haben!" Er verzog sein Gesicht, da die Worte so bitter wie Galle in seinem Mund schmeckten und er am liebsten gespuckt hätte, um das ekelhaft brennende Gefühl, das sie verursachten, loszuwerden. Er hob den Kopf und sah den Heiler eifrig auf seinem Klemmbrett herum kritzeln. Ab und zu setzte er ab, saugte an der Feder, was der aus unerfindlichen Gründen neue Tinte an ihrer Spitze bescherte, und kritzelte dann umso munterer weiter. „Darf ich das lesen?" „Heute nicht", lehnte Sayer einmal mehr lächelnd ab, legte das Klemmbrett zur Seite und lehnte sich entspannt zurück. „Aber bald. Ich hebe alles auf und ich denke, wir sehen uns demnächst einmal die Notizen zu allen Sitzungen der letzten Monate an. Nun, Draco. Heute habe ich eine Hausaufgabe für Sie." „Hausaufgabe? Ich bin nicht in der Schule und… also ich… warum?" „Weil ich möchte, dass Sie über eine bestimmte Sache nachdenken und ich denke, dass das besser klappt, wenn Sie dafür die nötige Zeit und Ruhe haben." Er hätte ihm gerne widersprochen, wusste aber, dass viele der anderen Männer, zumindest die, die nicht ganz frisch waren, auch Hausaufgaben bekamen und dass man ihm Vertragsbruch vorwerfen würde, wenn er sich weigerte. „Also was?", fragte er so genervt, dass zumindest seine Haltung zu diesem Punkt deutlich wurde. „Sie sagen, Sie sind freiwillig zu den Todessern gegangen, richtig?" Draco zuckte die Schultern. „Ja, schon…" „Ja… schon…", wiederholte der Heiler und nickte. „Nun, Sie werden mir zu Hause zwei Aufsätze schreiben. Es muss nicht viel sein, aber auch wenn Sie nur ein paar Zeilen schreiben, dann denken Sie gut darüber nach. Als erstes möchte ich, dass Sie mir die Worte „freiwillig" und „freier Wille" definieren. Vielleicht mit eigenen Worten und es kann wohl nicht schaden, wenn Sie zusätzlich noch in ein Lexikon hineinsehen. Sie sind wenige Tage nach Ihrem sechzehnten Geburtstag beigetreten, nicht? Nun, warum? Also nicht, wieso man mit diesem Auftrag zu Ihnen kam sondern, warum Sie zugestimmt haben. Was waren Ihre persönlichen Gründe zuzustimmen und was haben Sie mit fünfzehn oder sechzehn dort erwartet? Heute ist Freitag, Sie haben also das ganze Wochenende Zeit darüber nachzudenken und am Montag sehen wir uns das zusammen an und sprechen darüber, ja?" Draco gab es auf, Harveys Ohren verknoten zu wollen und zog den Hasen enger an sich. Seine Wut war mittlerweile von diesen neuen Gedanken wie weg geweht. Er beugte sich leicht nach vorne, presste die Lippen zusammen und schloss die Augen. „Bauchschmerzen?" Draco nickte und stöhnte, weil sich bei dieser Bewegung nach vorne nun auch noch sein Auge und sein fehlender Zahn in Erinnerung brachten. „Gut, dann machen wir für heute Schluss. Gehen Sie zu Sam, er soll Ihnen etwas geben. Und, wenn Sie Marcus sehen, können Sie ihn mir gleich herein schicken." Er lächelte und warf sein Klemmbrett so gekonnt platziert in ein Regal hinter ihm, dass Draco Magie dahinter vermutete. „Schichtwechsel… Am Montag kriegen Sie ihren Zahn zurück!" Draco erzählte Lucius auf dem Heimweg von der Sache. Nicht nur, weil der über Dracos farbenfrohe Erscheinung so gar nicht froh war, sondern auch, weil ihn diese Sache innerlich aufwühlte. Er erzählte, was im Park passiert war und dass der Heiler gesagt habe, dass Flint und Pucey ja im Prinzip recht hätten. Lucius hörte zu, runzelte die Stirn und betrachtete Draco so nachdenklich, dass es schon an Besorgnis grenzte. „Ich verstehe, was diese Leute meinen", sagte er schließlich und seufzte, weil Draco sich beim Anblick einiger ihnen entgegenkommender Passanten augenblicklich näher an ihn heran schob. „Es ist nur so, Draco. Ich erlebe es ja selbst täglich am eigenen Leib. Wenn du dich offen gegen andere Todesser stellst, ohne gleichzeitig zur anderen Seite überzulaufen, stehst du womöglich ziemlich alleine da. Es ist nicht einfach, dann wieder eine Position zu finden, in die man hineinpasst." Sie durchmaßen den Park des Manors und Draco senkte den Kopf, als seine Augen erste blühende Bäume erblickten. Es war verwirrend und immer mit einem Anflug von Ungehörigkeit beladen, schöne Dinge zu sehen. Er hatte genug getan, über das er traurig sein sollte. Jemand wie er hatte einfach kein Recht, sich über so etwas zu freuen. So kam es, dass er mit dem lauten Ausruf seines Vaters zunächst einmal gar nichts anfangen konnte. Verwirrt hob er den Kopf und suchte nach der Ursache von Lucius' Erstaunen. Er fand ihn vor dem Portal des Haupteinganges. Unzählige Bücher - dem Anschein nach immer das gleiche - waren schrankhoch zu einer Pyramide aufgetürmt worden. Am Fuße der Pyramide huschten emsige Elfen herum, beluden sich immer wieder mit viel zu hohen Bücherstapeln, die ihnen die Sicht versperrten. Entweder sie fanden den Weg nach drinnen trotzdem, oder sie knallten mit anderen Elfen zusammen und begruben sich gegenseitig unter dem Bücherberg. „Was ist hier los? Ich verlange eine Erklärung. Pikes!" Ein kleiner, dünner Elf schlich schuldbewusst auf Lucius zu, hob seine dünnen Ärmchen in Richtung Pyramide und wimmerte verängstigt. „Das ist für die Miss, das Schlammblut. Heute Mittag kamen Männer und haben einen noch viel höheren Stapel vor dem Portal abgeliefert, Master. Das Schlammblut will die Bücher in ihrem Zimmer stapeln lassen!" Die tennisballgroßen Augen des Elfen huschten unruhig zwischen Lucius, Draco und den Büchern hin und her. „Master, ich bitte… darf ich… weiterarbeiten? Das Schlammblut hat angedroht, uns Stundenweise zu bezahlen. Wir müssen deswegen so schnell wie möglich fertig werden, sonst verdienen wir dabei noch Geld!" Der Elf zitterte bei dieser Aussicht so jämmerlich, als habe Hermine ihm angedroht, ihn zu foltern. Statt einer Antwort, schob Lucius das zitternde Wesen mit seinem Gehstock zur Seite und ging mit energischen Schritten auf die fraglichen Bücher zu. „Wozu braucht sie hundertmal das gleiche Buch?" Draco wurde flau im Magen. „Ich habe da so eine Ahnung." Lucius hätte die Pyramide nicht misstrauischer beäugen können, wenn Hermine ein ganzes Rudel „Monsterbücher" geordert hätte. Er streckte den Arm aus, zögerte und drehte sich noch mitten in der Bewegung zu Draco, „Sprich. Was für eine Ahnung?", und griff blind nach einem Buch, das oben auf lag. „Naja, sie wollte doch ein Buch schreiben und… es… ich fürchte, dass sie fertig ist und die fertigen Bücher hier lagern will, bis sie sie verkauft." „Verkauft?" Lucius riss zuerst das Buch an sich und dann die Augen auf. Draco beobachtete, wie sein Vater zuerst weiß vor Schreck und dann rot vor Zorn wurde. Sein Mund klappte auf und zu und Draco beeilte sich, näher zu kommen, weil er einen Moment wirklich fürchtete, Lucius könne gerade einen Herzanfall erleiden. „Master!", quietschte eine andere Elfe besorgt. „Bitte nicht, sehen Sie nicht hin. Das ist Schmutz!" Salsa sprang unter Lucius herum und auch als es ihr gelang, das Buch zu erreichen und wie ein Basektballspieler am Korb daran baumelte, gelang es ihr nicht, den Gegenstand aus Lucius' Fingern zu winden. „Master, bitte, das ist Schmutz!" „Was?" Draco angelte nach einem Buch, schlug zwei Elfen unwirsch zur Seite, die sich schützend auf den Stapel werfen wollten und nahm ein weiteres Exemplar von der Pyramide. „Elfen in der Zaubererwelt" las er laut und fügte mit einem entnervten Stöhnen hinzu: „Von Hermine Granger. Eine Bestandsaufnahme der katastrophalen Lebensbedingungen, die Zauberer ihren Sklaven zumuten!" „Elfen? Lebensbedingungen? Sklaven?", keuchte Lucius atemlos und während die Elfe noch ausrief „Nein Master, tut das nicht!" klappte er das Buch auf. Draco tat es ihm gleich, da Lucius' Wutschrei einen sehr informativen Inhalt prophezeite. „Dafür fliegt sie raus! Hörst du, Draco? Die… also… jetzt ist sie endgültig zu weit gegangen!" Dracos Augen wurden groß. Starr und wie geschockt las er die Inschrift auf der ersten Innenseite. „Geschrieben in der Elfenrechtszentrale Malfoy Manor. Ich widme dieses Buch Lucius Malfoy, der mir eine Inspiration war und ohne dessen Vorbild dieses Buch nicht möglich gewesen wäre." Ein greller Blitz traf den Bücherstapel, doch obwohl augenblicklich mannshohe Flammen um die Bücher empor züngelten, verbrannte und rauchte kein Pergament. „Brandsicher, Master", piepste ein anderer Elf schuldbewusst. „Die Dinger sind unzerstörbar, wir haben es auch versucht. Wir können sie nur so schnell wie möglich wegbringen, bevor sie noch Gäste sehen!" Draco konnte nicht mehr, das Buch glitt ihm aus den Händen, er krümmte sich, er stützte sich auf den Knien ab und brach in schallendes Gelächter aus. Lucius tobte weiter und versuchte gemeinsam mit einigen Elfen, die es eigentlich besser wussten, einen Fluch nach dem anderen, um das Denkmal, das Hermine ihm gewidmet hatte, zu zerstören. Draco half ihm nicht. Im Gegenteil, er schüttete sich aus vor Lachen, bis er hörte, wie über ihnen ein Fenster geöffnet wurde und Hermine sich mit triumphierendem Grinsen aus dem Fenster beugte. Augenblicklich richtete er sich auf, breitete seine Arme weit über seinen Kopf aus, legte den Kopf in den Nacken und schrie: „Hermine, ich liebe dich. Du bist einmalig!" Xxx Es kostete ihn viel Überredungskunst, Beschwichtigung und Versprechungen, doch am Ende des Tages wurde Hermine weder aus dem Manor geworfen noch von Lucius verprügelt oder gefoltert. Wenn Draco und Hermine an diesem Abend auch sicherheitshalber nicht mit den anderen im Esszimmer aßen. Hermine hatte zur Feier des Tages eine Pizza besorgt. Gemeinsam mit der Pizza und dem grauenhaften Gesöff, dass Hermine Cola nannte, verschanzten sie sich weit, weit weg vom Hauptgebäude in einem Pavillon, lachten über Lucius und überlegten, wie man Hermine in den nächsten Tagen vor dessen todsicherer Rache schützen konnte. Wenn Draco auch nur halbherzig versprach ihr zu helfen, denn er stellte sich vor, dass die Rache seines Vaters ausgesprochen amüsant werden könnte. Xxx Als Draco in dieser Nacht im Bett lag, dachte er über Flint und Pucey nach. Vor allem über Flint. Sie waren in Hogwarts nicht wirklich Freunde gewesen, doch sie hatten sich einigermaßen verstanden und Draco wusste eine Menge über ihn. Marcus war nie ein guter Schüler gewesen und hatte die Abschlussprüfung zweimal wiederholen müssen. Nach seiner Zeit in Hogwarts hatte er sich mit Gelegenheitsjobs herumgeschlagen. Er hatte damals zusammen mit seinen Eltern in Slytherins Winyard gewohnt. Ein Ort, wo viele reinblütige, voldemortbegeisterte, aber ziemlich arme Zauberer wohnten. Sein Traum von einer Qudidditchkarriere endete, als ihn auch nach mehreren Monaten Suche kein größeres Team für längere Zeit verpflichten wollte und seine Eltern darauf beharrten, dass er zum Lebensunterhalt beitragen sollte. Abends hatte er sich an zwielichtigen Orten herumgetrieben und war wohl auch das eine oder andere Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er hatte sich Voldemort angeschlossen, als der in Dracos fünftem Schuljahr verstärkt nach jungen Zauberern gesucht hatte. Wie Draco, wurde auch Marcus für die Drecksarbeit eingeteilt. Die brutalen Raubzüge und Bestrafungen, auf die die älteren Todesser eigentlich keine Lust hatten. Für Marcus eine echte Verbesserung. Er hatte eine Aufgabe gehabt, von der er leben konnte… Und andere junge Männer um sich herum, die ihm gleichgestellt und nicht überlegen waren. Marcus war nun kein armer, dummer Junge mehr, sondern ein Mann, vor dem andere Respekt hatten und der all die Streber-Schlammblüter so behandeln konnte, wie sie ihn immer angesehen hatten. Für Marcus waren die Todesser eine echte Chance gewesen, um die er gegen seinen Willen beraubt worden war. Von Dracos intrigantem Vater… Dass Potter und Hermine daran beteiligt gewesen waren, wusste er. Draco hatte ja oft genug darüber geschimpft. Marcus, da war Draco sicher, würde sofort zu den Todessern zurückgehen, wenn er die Chance dazu hätte. Wo sollte er auch sonst hin? Nicht nur, dass er ein vorbestrafter, psychisch labiler Ex-Krimineller mit katastrophalem Schulabschluss war, seine Familie hatte sich auch geweigert, ihn wieder aufzunehmen, weil sie mit „so jemand" (arbeitslos, in therapeutischer Behandlung, Ex-Todesser, gewaltbereit) nichts zu tun haben wollten. Und Draco? Wie war das bei ihm? Was hatte er sich denn erhofft und was hatte er letztendlich bekommen? Was hatte er denn von den Todessern und Voldemort gewusst? Damals hatte er wohl gedacht, es sei eine Menge. Heute wusste er, dass er vollkommen ahnungslos gewesen war. Er war traurig gewesen, dass Lucius weg war und hatte ihn rächen wollen. Er wollte seine Mutter verteidigen und nun als Mann in der Familie das Manor vertreten. Und wie sonst sollte er das tun, wenn nicht als Todesser? Es gab so viele davon in seiner Familie und die, die nicht dabei waren, hatten Voldemort trotzdem bewundert. Das war nie in Frage gestellt worden. Draco war mit Slytherins Lehren aufgewachsen und man hatte ihm eingetrichtert, dass Voldemorts Weg der einzige war, um dieses hohe Ziel zu erreichen. War es denn wirklich freiwillig, sein freier Wille gewesen, wenn man ihm vom Kleinkindalter dazu erzogen hatte, alles zu glauben, was Slytherin und Voldemort ihn lehrten? Draco wusste es nicht und der Gedanke bereitete ihm Kopfschmerzen, noch mehr. Um sich davon abzulenken, drehte er sich um zur leise schnarchenden (was sie natürlich stets abstreiten würde) Hermine und rüttelte an ihrem Arm. „Hey, aufwachen!" Hermine schnarchte lauter und Draco verdrehte genervt die Augen. Entweder er konnte ihr das abgewöhnen oder er würde nachts einen Schweigezauber auf sie legen. „Aufwachen, Hermine!", rief er schon etwas lauter, setzte sich neben sie und knetete ihren Rücken, als sei sie ein Hefeteig. „Wach auf, ich muss dir was sagen!" Hermine ächzte, öffnete für einen Moment die Augen und stöhnte. „Was? Ist schon Morgen?" „Nein, setz dich, du schläfst ja schon wieder ein…" „Schlafen", murmelte sie zufrieden und drehte sich wieder zur Seite. „Nein, du sollst dich hinsetzen!" Und wieder wurde Hermine gerüttelt und geschüttelt. Solange, bis sie sich mit verquollenen, müden Augen und hängenden Lidern hochquälte und ihn herzzerreißend süß angähnte. „Was ist denn los? Es ist…", sie drehte sich verwirrt nach allen Seiten, um weil sie in ihrem Halbschlaf nicht wusste, wo sie war und wo die Uhr hing. „Sag mal, ist heute nicht Samstag? Es ist… vier Uhr morgens an einem Samstag. Leg dich wieder hin und lass mich schlafen!" „Nein, Moment noch. Ich muss dir etwas sagen!" Draco krabbelte an ihr vorbei und kniete sich mit kerzengeradem Rücken vor die zusammengekauerte, gähnende Hermine. So dunkel es auch im Raum war, er strahlte fast so eifrig wie das Mondlicht, das seinen weißen Schein ins Zimmer warf. „Hörst du zu?" „Ja, ja…" „Okay!" Draco setzte eine feierliche Miene auf, nahm Hermines dämmriges Gesicht zwischen seine Hände, warf sich in die Brust und erklärte voll Inbrunst. „Liebe Hermine, du wolltest doch wissen, was mit meinem Gesicht passiert ist. Ich habe mich heute mit Flint und Pucey geprügelt, weil die mich Schlammblutficker genannt haben. So… und soll ich dir was sagen? Das macht mir jetzt gar nichts mehr aus, weil sie eigentlich recht haben und ich finde, dass das kein Grund ist, sich zu schämen. Also… äh… Hermine, es ist mir egal, ob du ein Schl…muggelgeboren bist und ganz egal, was Voldemort davon halten würde!" Voll Stolz über seinen eigenen Mut beugte er sich vor und drückte der selig grinsenden Hermine einen Kuss auf die Stirn. „Das ist schön", gähnte Hermine, kippte wie ein Stein zur Seite und verfiel sofort wieder in leises, behagliches Schnarchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)