Harmonie von Seraphin ================================================================================ Kapitel 34: Narzissas Geburtstag -------------------------------- Kapitel 34: Narzissas Geburtstag Hermine wartete auf Lucius' Rache. Merkwürdigerweise kam die nicht. Die ersten Tage nach der Hauselfenbuchlieferung schwieg er während des Frühstücks, suchte sie auch im Ministerium nicht für ein strenges Gespräch auf und wenn sie ihm am Abend beim Essen gegenüber saß, war er sogar ausgesprochen höflich zu ihr. Nur dann und wann wurde sein Blick leer und ein seltsam hintergründiges Lächeln trat auf seine Lippen. Hermine drängte Draco zwar, bei seinem Vater zu spionieren, doch der konnte auch nicht mehr in Erfahrung bringen. Kurz, die Sache war suspekt. „Ach was", wehrte Draco einige Tage später, als sie gemeinsam das Hamam besuchten, ihren Verdacht lapidar ab. „Warum soll er sich darüber aufregen, was du geschrieben hast, wenn das Buch eh niemand haben will?" „Woher will er das denn wissen? Zufällig ist das Interesse sehr groß und ich habe sogar schon einige Exemplare verkauft!" „An Potter und Longbottom, die das nur machen, damit du sie in Ruhe lässt! Glaub's mir, sowas interessiert wirklich niemanden." „Ignorant!", gab sie spitz zurück, verzog sich in eine extra dampfige Ecke und beschloss am nächsten Tag Luna zu fragen, ob sie ihr Buch haben wollte. Bei den Weasleys war sie dabei ja leider auf taube Ohren gestoßen. Hermine fühlte sich trotzdem beschwingt, noch mehr gute Taten zu vollbringen. So hatte sie beispielsweise ihr Angebot wahr gemacht und tatsächlich ein Interview mit Remus Lupin über die aktuelle Werwolfssituation geführt. Da niemand dies veröffentlichen wollte, hatte sie das Ganze auf eigene Kosten auf Flugblätter kopiert, die sie überall im Ministerium und in der Winkelgasse verteilt hatte. Abgesehen von gelegentlichen schiefen Blicken und mühsam unterdrücktem Kichern, bekam sie jedoch keine Antwort, wenn sie Leute darauf ansprach, ob sie es denn gelesen hätten. „Einerlei", dachte Hermine, „in ein paar Jahren werden alle einsehen, dass ich recht hatte und dann werden sie sich entschuldigen müssen." Xxx Hermines Misstrauen gegenüber Lucius wuchs, als der in der nächsten Zeit immer freundlicher zu ihr wurde. Zumindest, wenn er sie zufällig im Ministerium traf, was eigentlich so oft der Fall war, dass Zufall schon fast ausschied. Jedes Mal, wenn er sie sah, fiel er lautstark über sie her, hielt jede nur irgend erreichbare Tür für sie auf – auch wenn sie gar nicht durchgehen wollte -, stellte sie jedem Kollegen vor, der nicht schnell genug etwas anderes vorhaben konnte und an seinem Geburtstag im März ließ er ihr sogar ein paar Stücke von dem Kuchen bringen, den „Gracie", seine dürre Sekretärin, für ihn gebacken hatte. Man hätte das falsch verstehen können. Selbst Hermines Kollegen konnten sich nicht mehr zurückhalten und fragten, ob Lucius Malfoy sie umwerben würde, als er im März damit anfing, ihr jede Woche einen kleinen Blumenstrauß für ihren Schreibtisch durch Gracie übermitteln zu lassen. Hermine schüttelte zu dieser Frage nur entschieden den Kopf. „Da ist was faul. Der plant was!" Draco in dieser Sache zu fragen, erwies sich als frustrierend ergebnislos. Zu Beginn dachte sie ja, dass er wirklich nichts wusste, als sie jedoch bemerkte, dass er nach ihrer Frage oft heimlich zu Lucius schlich und mit dem und Rodolphus hämisch kicherte, wurde Hermine misstrauisch. Schön! Draco hatte sich also mit den anderen Männern gegen sie verbündet und wollte nicht verraten, wieso ihr jeder Platz machte, wenn sie in der Kantine anstand. Wieso ihr jeder Platz machte, wenn sie und Harry sich zum Essen hinsetzten und wieso Lucius doch tatsächlich eine Putzelfe - allein das war schon mehr als frech - für Hermines Büro gesponsert hatte. Sie begann die Fakten durchzugehen. Lucius hatte sich nicht für die Elfenrechtszentrale gerächt. Im Gegenteil, seitdem war er zunehmend freundlicher geworden. Zumindest im Ministerium war er ein beständiger Quell der Hilfsbereitschaft. Und nicht nur das, er hatte auch seine Mitarbeiter angewiesen, sie ausgesprochen zuvorkommend zu behandeln. Gracie war so höflich, dass es schon fast wirkte, als habe sie Angst vor Hermine. Angst? Moment mal. Gracie, ohnehin ein nervöser, unruhiger Typ, begann ja regelrecht zu zittern, wenn sie Hermine nur von weitem sah. Vor ein paar Wochen hatten sie sich noch recht freundschaftlich unterhalten. Gracie hatte sich sogar für Elfenrechte interessiert, zumindest, wenn Lucius außer Haus war und nicht kontrollieren konnte, wo seine Sekretärin die Mittagspausen verbrachte. Aber jetzt… Vielleicht machte man ihr gar nicht wirklich Platz? Wenn sie so darüber nachdachte, wirkte es fast so, als würde man ihr aus dem Weg gehen. Nicht, weil man sie nicht mochte, eher… konnten die Leute fürchten, sie wäre ansteckend? Zaubereiminister Fudge, des Öfteren in Begleitung von Lucius anzutreffen, brach jedesmal, wenn er sie sah, in herzzerreißende Rührseligkeit aus, nannte sie tapfer und bestärkte sie darin, dass „trotz allem" noch wundervolle Zeiten vor ihr liegen würden. Wenn sie sich nicht irrte, hatte die Kantine Besteck eigens für sie angefertigt. Wenn man es genau bedachte, hatte Hermine schon eine ganze Menge „eigener" Gegenstände im Ministerium. Auffällig waren auch die schiefen Blicke, die sie seit ihrem Interview mit Lupin erntete, die mittlerweile zu schüchtern und zurückhaltend waren, um sie einfach als Missbilligung werten zu können. So war sie fast schon erleichtert, als Harry sie eines Tages in der Mittagspause schnappte und sie in einen wenig frequentierten Gang zerrte. Dort angekommen, schob er sie in eine dunkle Ecke, sah sich vorsichtig nach allen Seiten um und raunte geheimnisvoll: „Ich weiß jetzt, warum in der letzten Zeit alle so höflich zu dir sind. Sie haben Angst!" „Kam mir auch so vor." Hermine nickte und runzelte grüblerisch die Stirn. „Aber warum?" „Wegen deines Interviews mit Lupin!" „Wieso sollten sie deswegen Angst vor mir haben?" Harry grinste schief, trat einen Schritt zurück, als fürchte er, die Antwort auf ihre Frage könnte selbst für ihn schmerzhafte Folgen haben und offenbarte: „Ich hab's zufällig im Aufzug von zwei Leuten aus Lucius' Abteilung mitbekommen. Er… naja… also Malfoy, er behauptet… du hättet dieses Interview geführt und veröffentlicht weil… ähm… weil du gebissen worden und selbst ein Werwolf bist!" „Wie bitte?" Hermine wartete Harrys ausführlichere Schilderung nicht ab. Bei den ersten Worten stieß sie ihn von sich und eilte schimpfend und fluchend zu Lucius' Büro. Vermutlich hatte Lucius Malfoy Glück, dass er an diesem Tag beruflich im Ausland war. Wäre er im Ministerium gewesen, Hermine hätte ihn vor versammelter Mannschaft geköpft. Es musste sich um eine langwierigere Sache handeln, denn er hatte sie – durchaus höflich - am Morgen darum gebeten, Draco im Krankenhaus abzuholen, er würde erst sehr spät abends zurückkehren. Draco selbst konnte Hermines Wut nicht nachvollziehen. „Ich weiß gar nicht, was du hast. Du bist doch viel glaubwürdiger in deinem Beruf, wenn du selbst betroffen bist." Aus Rache beschloss Hermine, an diesem Tag in ihrem eigenen Zimmer und nicht in Dracos Bett zu schlafen. So war es zumindest geplant, denn an Schlaf war nicht zu denken. Lucius' Verunglimpfung regte sie so auf, dass sie kochend vor Wut fünfzehn Briefe an ihre Freunde versandte und mindestens doppelt so viele an den armen Remus Lupin allein. Als das immer noch nicht half ruhiger zu werden, beschloss sie nachzusehen, ob Lucius schon zurückgekehrt war. Sollte er im Haus sein… Nun, dann würde sie ihm gehörig die Meinung sagen. Tatsächlich sah sie Licht aus seinem Arbeitszimmer dringen, als sie gegen halb zwölf in der Eingangshalle stand und auf besagte Tür zuging. Sie klopfte energisch an und war schon im Raum, als sie ein lahmes „Ja?" zur Antwort bekam. Sie war nicht zum ersten Mal hier drinnen. Natürlich hatte sie schon des Öfteren im Vorbeigehen hineingesehen, immer wenn die Tür angelehnt war und Stimmen herausdrangen. Sie hatte sich auch schon einmal heimlich hineingeschlichen, wenn Lucius Draco zum „Spazierengehen" abgeführt hatte und die Tür verlockend offen stand. Sie kannte den Raum also. Sie wusste, dass er eine große Menge Bücher enthielt, eine Sitzgruppe vor dem Kamin stand, ein großer Schreibtisch und Regale, die mit allerlei ziemlich verboten aussehenden Gegenständen gefüllt waren. Ein wenig sah es hier aus wie in einer Luxusversion von Borgin & Burkes. Hermine hatte heute keine Zeit zu überlegen, wie viele der Gerätschaften in den Schränken schwarzmagisch waren und sie hatte schon gar keine Lust zu überlegen, wofür Lucius eine mit Nägeln gespickte eiserne Jungfrau neben der Tür platziert hatte. „Sir", begann sie aufgebracht, noch während sie die Tür hinter sich schloss. „Ich habe heute erfahren, dass Sie behaupten, ich wäre ein Werwolf. Das ist ja nun wirklich…" Hermine verstummte bei dem Anblick, der sich ihr bot. Lucius hing schlaff in einem Sessel, der vor dem lodernden Kamin stand, die Beine auf einen Schemel hochgelegt, die Augen halb geschlossen. „Was ist?", murmelte er müde. Hermine legte den Kopf schief und betrachtete sich Dracos Vater etwas genauer. Auf seinem Schoß lag ein zugeklapptes Buch. Die eine Hand hing seitlich am Sessel herab und streifte hin und her baumelnd immer wieder den Hals einer Flasche, die Hermine eindeutig als Feuerwhisky erkannte. Die andere Hand hielt ein fast leeres Glas. „Ähm, ich…" Hermine zögerte verlegen, dann trat sie einen Schritt näher und versuchte eine unbefangene Haltung einzunehmen. „Sie haben behauptet, dass ich mich nur deswegen für Werwolfsrechte interessiere, weil ich selbst einer bin!" „Ach, ja" Lucius kicherte albern, leerte sein Glas und beugte sich ungeschickt nach vorne, um nach der Flasche zu greifen. „Hast du was dagegen?", nuschelte er matt und schenkte sich ein weiteres Glas ein. „Gibt doch Männer, die mögen haarige Frauen. Immerhin macht es dich doch so richtig zu einem Teil unserer Welt." „Ich, ich bin aber kein Werwolf!", widersprach sie lahm - fassungslos wegen des sich ihr bietenden Anblicks - und erschauderte bei dem Gedanken daran, was passieren würde, wenn Draco zufällig ins Zimmer kommen und Lucius so sehen würde. Er würde ihn umbringen vor Wut. „Ja, ja." Lucius winkte gelangweilt ab. „War nur ein Witz… Ich stelle das bei Gelegenheit richtig. Zufrieden?" Sie hätte gerne einiges dazu gesagt, dass das eben kein Witz, sondern eine ungeheure Frechheit und er ein unmöglicher Mensch war, doch sie konnte es nicht. Sie atmete tief durch und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Das hier war ein absoluter Supergau. Das war so ziemlich das Schlimmste, was Lucius im Moment machen konnte. Wenn die Heiler das wüssten, würden sie Lucius an Ort und Stelle auspeitschen. Nein, natürlich nicht. Aber dann wäre Draco auf jeden Fall aus dem Manor raus und Hermine würde das ja auch begrüßen, wenn es nicht garantiert einen kompletten Nervenzusammenbruch zur Folge haben würde. So ungern sie das auch zugab. Draco hing an seinem Vater und er brauchte ihn und die Gewissheit, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Wenn schon Narzissa abweisend war, brauchte er zumindest Lucius. Und wenn der jetzt wieder… nicht auszudenken. „Was ist denn jetzt noch?" Lucius stellte das Glas beiseite, rutschte umständlich im Sessel herum, als versuche er, eine gemütliche Schlafposition zu finden und gähnte mit offenem Mund. „Hast du sonst noch was zu sagen?" Hermine schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. „Nein, Sir." „Ja, dann geh endlich und lass mich in Ruhe!" „Ja, Sir." Entgegen ihrem Vorsatz schlich sie sich danach doch in Dracos Bett. Es hatte einfach etwas Beruhigendes, ihn neben sich zu spüren. Ein betrunkener Lucius war beunruhigend genug. Lucius war am nächsten Morgen etwas blass und erklärt seiner Frau während des Frühstücks, dass er sehr spät, zwei Uhr oder noch später, nach Hause gekommen sei. Narzissa runzelte die Stirn, gab ein zutiefst misstrauisches „so?" von sich, sagte aber sonst nichts dazu. Hermine bemerkte, dass er ihr immer wieder flüchtige Blicke zuwarf, denen sie stets mit eiskalter Miene standhielt. Er hatte nichts zu ihr gesagt, diese Blöße würde er sich nie geben, doch bereits an diesem Mittag sah sie Gracie wieder, die nun wieder viel entspannter war und lachend von einem dummen Missverständnis erzählte und dass ihr Chef sich wohl langsam ein Hörgerät anschaffen sollte, so oft wie er Dinge in Gesprächen falsch verstand. Man hätte es als stillschweigendes Abkommen bezeichnen können. Lucius nahm die Werwolfbehauptung zurück und im Gegenzug sagte sie niemandem etwas von seinem geheimen Treffen mit einer Whiskyflasche. Man hätte können, allein, es wäre unzutreffend gewesen, denn Hermine hätte nur zu gerne mit einem anderen Menschen über ihre diesbezüglichen Befürchtungen gesprochen. Aber mit wem? Narzissa würde ihr nicht zuhören. Hermine kannte Dracos Heiler kaum, weshalb sie sich davor scheute, mit ihnen ein Gespräch über ein solch brisantes Thema zu führen. Draco… würde hemmungslos ausrasten. Einzig Rodolphus blieb, aber der war in letzter Zeit abends immer seltener im Manor. Sie würde mit ihm sprechen, wenn sie ihn einmal abends alleine zu Gesicht bekam. Hoffentlich bald… Xxx Hermine war zu Lucius' Geburtstag im März erwartungsgemäß per Eule ausgeladen worden. Es wunderte Draco, dass eine Eule mit ähnlicher Aufforderung ausfiel, als Narzissas Geburtstag im Mai anstand. Auf Nachfragen erklärte sein Vater, dass Narzissa aus Trauer um Bellatrix überhaupt nicht zu feiern gedenke und er davon ausging, dass sie sich einmal mehr den ganzen Tag in ihrem Zimmer verkriechen würde. Am Geburtstagsmorgen sah es ganz so aus, als würde das auch so eintreffen. Dem Frühstück blieb Narzissa fern und Draco war fast froh darum, denn er hätte nicht gewusst wie er damit umgehen sollte, wenn sie ihn auch bei dem Versuch ein Geburtstagsgeschenk zu überreichen, einmal mehr ignoriert hätte. Eigentlich hoffte er, dass sie wirklich den ganzen Tag über wegbleiben würde. Dann könnte er sein Geschenk – ein paar koboldgearbeitete Edelsteinohrringe - an Lucius weitergeben, der Narzissa das Päckchen abends im Bett überreichen sollte. Obwohl Draco mit Narzissas Abwesenheit eine peinliche Situation erspart blieb, fühlte er sich an diesem Morgen ausgesprochen schlecht. Zurückgewiesen, einmal mehr. Draco war nicht gerne „draußen". Immer noch nicht. Die Freitage, an denen man ihn zwang, mit der Heilerin und manchmal auch mit Hermine draußen unterwegs zu sein, waren eine Qual. Die ersten paar Male hatte er es nur ein paar Minuten ausgehalten, als ihm die ersten Passanten entgegenkamen, wurde er panisch und musste „entfernt" werden. Die nächsten Male verliefen kaum besser. Die Angst war immer die gleiche. Sobald er auf der Straße war, fühlte er sich nackt und bedroht. Man sah ihm die Todesserei an, da war er sich ganz sicher. Er selbst hätte sofort sagen können, wer dabei gewesen war und wer nicht, man sah es an den Augen… die waren danach nie wieder die gleichen. Und vielleicht würde ihn jemand wiedererkennen ? Irgendjemand, dessen Verwandten er getötet oder verletzt hatte, jemand, dessen Haus sie niedergebrannt hatten, würde sich vielleicht an ihn erinnern. Das Letzte, was Draco auf Erden wollte, war, irgendeinen dieser Menschen wiederzusehen. Aber natürlich gab es ja auch den Orden und andere Organisationen der Muggel, die sich gegen die Todesser gewehrt hatten. Frieden hin oder her… hier auf der Straße war er nicht sicher. Da heute wieder Freitag war und Narzissa ihren Geburtstag ungesehen zu verbringen gedachte, würde diese Tortur auch an diesem Nachmittag auf ihn warten. Er würde rausgehen müssen. Man hatte ihm schon gestern angekündigt, dass er mit Hermine und Heilerin Chang im Muggelkaufhaus Harrods einkaufen sollte. Allein bei dem Gedanken daran überkam ihn schon das Zittern. So war er auch extrem ungehalten darüber, dass Lucius ihn nicht sofort auf die Station hochbrachte, als sie das Krankenhaus betraten, sondern es Draco zumutete, unter Unmengen von Leuten in der Eingangshalle stehen zu müssen, während sein Vater mit zwei Bekannten sprach, die ihm zufällig über den Weg gelaufen waren. Draco war zu faul und in gewisser Weise auch zu scheu, um die Männer in ihrem Plausch zu stören und darauf zu drängen, mit dem Aufzug endlich hochzufahren. Alleine hochzufahren war bedrohlich und schien angesichts der Tatsache, dass man ihm seinen Zauberstab immer noch nur selten und nur unter Aufsicht überließ, einfach nur leichtsinnig. Und er alleine, mit fremden Leuten eingesperrt? Undenkbar… da drückte er sich doch lieber gegen die Wand und schob sich, wachsam nach allen Seiten spähend, in Richtung Besuchertoilette. Da drinnen könnte er immerhin eine Weile alleine sein. Die Tür zur Damentoilette öffnete sich unvermittelt, heraus kam „sie" und Draco stand einer kleinen, rundlichen Frau um die Vierzig gegenüber. Die Frau hätte ihn nicht näher angesehen, doch da der vor Schreck erstarrte Draco ihr nicht aus dem Weg ging, berührte sie ihn vorsichtig am Arm und blickte auf. „Entschuldigen Sie, Sir, ich…!" Sie sah ihm ins Gesicht. Erkannte ihn. Begann zu schreien. Draco hatte das Gefühl, als wäre er von einer Milchglaswand umgeben. Innerhalb weniger Sekunden nahm er die Welt außerhalb dieser gefühlten Glaskugel nur noch gedämpft und wie aus Entfernung wahr. Es war nicht so, dass er es nicht geahnt hätte. Zu oft hatte er diese seltsamen Träume gehabt. Sexuell, aber zu brutal, um erotisch zu sein. Lucius' Andeutungen, als er vor ein paar Monaten die Beherrschung verloren hatte, die Schreie von Frauen und Kindern, die in seinem Kopf immer lauter wurden, wenn es um ihn herum leise war. Erinnerungsfetzen, die sich mal sekundenlang wie ein Blitzlicht, mal quälend lang in blutiger Grausamkeit aufdrängten… nein, es traf ihn nicht vollkommen unerwartet, sich daran zu erinnern, was er mit der schreienden Frau vor sich gemacht hatte und mit ihren Kindern. Aber er hatte nicht erwartet, dass sie überlebt hatte. Es wäre wohl angemessen gewesen, wenn er in diesem Moment selbst geschrien, geweint oder sonst etwas getan hätte, um zu zeigen, wie sehr ihn die eigene Tat entsetzte. Allein... er konnte nicht. Wie betäubt stand er paralysiert vor dem Eingang der Besuchertoilette und war zu nichts anderem fähig als reglos dazustehen und alles was um ihn geschah wie ein unbeteiligter Beobachter zu verfolgen. Die Frau brach vor ihm in die Knie. Ein Mann, der Draco vage bekannt vorkam, schob sich durch die Menge und beugte sich über die schreiende Frau, redete sanft auf sie ein und legte ihr den Arm um die Schulter. Sie wollte sich aber nicht beruhigen lassen, aufgelöst in Tränen klammerte sich an ihren Mann und schüttelte ihn. „Das ist einer von denen!", schrie sie heiser. Draco stand immer noch einfach nur da, kam sich fehl am Platz vor und überlegte, ob es auffallen würde, wenn er jetzt einfach wegginge. Schon schob er sich zentimeterweise an der Wand entlang in Richtung… ach, egal, wohin dieser Weg führte, er führte von der schreienden Frau und ihrem Mann weg. Weg von den beiden, genau da wollte Draco hin. Eine Hand an seiner Schulter stoppte ihn. Draco drehte sich wie in Trance um und sah in Lucius' verwirrtes Gesicht. „Was ist denn da los?", flüsterte er so leise, dass nur Draco es hören konnte. „Oh, Merlin!" Sobald der Mann Lucius entdeckte, begann auch er zu schreien. „Das… das… das sind diese Leute, diese Todesser!" Draco errötete und drehte sich mit beschämtem Blick zu seinem Vater. „Wir haben sie mal besucht", gestand er kleinlaut und stellte verdutzt fest, dass er sich trotz der Dramatik der Situation nicht anders fühlte, als wenn hier die Rede von ein paar Süßigkeiten wäre, die er diesen Leuten heimlich geklaut hatte. Gleichwohl wurde Lucius kreidebleich. Er legte Draco den Arm um die Schulter und drückte ihn so fest, dass er nicht wusste, ob er nun Draco schützen oder sich selbst abstützen musste. Draco selbst blieb gelassen. Diese Aufregung betraf ihn nicht. Er war lediglich Zuschauer. Der Teil von ihm, der für diese Szene hier verantwortlich war, war vorhin vor Schreck erstarrt. Er stand nicht hier und erlebte die Situation, vor der er sich seit Monaten fast zu Tode fürchtete. Er war eher ein interessierter Beobachter, der ein wenig abseits zusah, wie ein unbekannter junger Mann öffentlich als Kindsmörder, Monster und eben auch Todesser benannt wurde. Die Menschentraubte zog sich enger um das aufgebrachte Ehepaar in der Ecke zusammen und wurde um die beiden Malfoys herum weiter. Draco überlegte, ob er etwas sagen sollte. Vielleicht „Entschuldigung"? Er könnte auch „War nicht so gemeint" oder „kommt nicht wieder vor" sagen, aber so wie die Frau schrie und keuchte, würde die eh nicht zuhören. Der Mann war vor seiner Frau in die Knie gegangen und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Er wimmerte Worte, die Draco nicht hören konnte. Dafür hörte er die Frau aber sehr genau. Die stützte sich mit beiden Händen auf die Schultern des Mannes und brüllte: „Ihr werdet damit nicht durchkommen, wenn der Prozess kommt, sagen wir aus und ihr sollt bezahlen!" Draco drehte sich zu Lucius um. „Welcher Prozess?" „Welcher Prozess?" Der Mann war wieder auf den Füßen und stand breitbeinig inmitten der Menge. „Welcher Prozess? Der Prozess gegen euch Abschaum!" Draco zuckte mit den Achseln. „Davon weiß ich nichts, ich geh nicht vor Gericht!" Er hörte Lucius neben sich stöhnen. „Draco, komm. Wir gehen jetzt hoch!" Draco schüttelte entschlossen, doch wie betäubt den Kopf. „Nein, nein. Die verstehen das falsch, die da." Er hob den Finger und deutete auf die entsetzten Leute, nur um Sekunden später seine Hand von Lucius heruntergeschlagen zu bekommen. „Ich geh zu keinem Prozess, nein. Warum soll ich denn da hin?" Draco merkte schon, dass er sich wie ein kleines Kind anhörte. Irgendwie fühlte er sich auch so. Klein, verwirrt und absolut nicht dazu in der Lage, mit der Situation umzugehen. „Warum?" Der Mann schrie und machte einen Satz nach vorne. Er hätte sich auf Draco geworfen, wenn Lucius und seine beiden Gesprächspartner von vorhin sich nicht dazwischen gestellt hätten. Draco registrierte milde überrascht, dass er seinen Vater noch nie sprachlos erlebt hatte. Bis zu dieser Begegnung. Wachsweiß im Gesicht, konsterniert und irgendwie geschrumpft sah er aus. Er ging, als ob er den Gehstock wirklich brauchen würde, um nicht umzufallen. Die beiden Männer redeten auf den aufgebrachten Mann der Frau ein, während sie abwechselnd kreischte und heulte und die Menge um sie herum, murmelte feindselig klingende Worte. Draco spürte erst, dass Lucius ihn am Arm gepackt hatte, als er von ihm mit sich gezogen wurde. Nur wenige Schritte und sie ließen den Aufruhr hinter sich, waren sicher und geborgen im stillen Aufzug. Dass die Leute, die ebenfalls mitfahren wollten, in weitem Bogen vor ihnen auswichen, als fürchteten sie, sie könnten sich mit einer besonders ekelhaften, schweren Krankheit infizieren, berührte Draco wenig. So wenig wie alles andere. Die Türen schlossen sich und Draco wandte sich erneut zu Lucius. Zitterte der wirklich oder waren das die Bewegungen des Aufzugs? Er schwitzte, seltsam. Draco überlegte, ob er auch schwitzte oder zitterte, aber so sehr er sich auch Mühe gab, das herauszufinden, er konnte es nicht fühlen. „Welcher Prozess?", fragte er mit lebloser Stimme. Lucius schloss für einen Moment die Augen, legte die Hände vors Gesicht und atmete tief durch. „Draco, diese Leute… haben die… hast du… haben sie recht? Sie haben dich erkannt, ja? Das war doch dieser Presseangestellte mit den fünf Kindern…" „Jetzt hat er keine mehr", Draco zuckte leichthin mit den Schultern und fügte lapidar hinzu. „War Befehl, wir haben…" „Ja, ja... ich will es nicht wissen!" Lucius hatte die Hand erhoben, als wolle er Draco von sich wegstoßen, oder zumindest fernhalten. Draco vergrub seine Hände in der Jackentasche und legte den Kopf leicht zur Seite. „Bist du mir böse?", fragte er und wunderte sich milde überrascht, wie kindlich er dabei klang. Dann straffte er sich, als ihm schon wieder derselbe Gedanke wie vorhin in den Sinn kam, auf den Lucius einfach nicht antworten wollte. „Welcher Prozess?" Die Tür öffnete sich und Draco spürte, dass Lucius ihn mit sich in den Korridor der Station zog. „Ein großangelegter Prozess gegen Todesser." Er hustete verlegen und hielt sich eine Hand vor den Mund. Draco lehnte sich müde gegen die Glastür, während er Lucius zusah, wie er den Zauber sprach , der das Personal rufen würde. „Wie du sicherlich weißt, habe ich eine Amnestie ausgehandelt", erklärte sein Vater, den Kopf starr nach vorne zu dem Pfleger gerichtet, der für sie die Tür öffnete. „Das gilt jedoch nur für unsere Familie, nicht für die Todesser allgemein. Außerdem haben die… nun ja… die Gegenseite eine Massenklage gegen die Todesser eingereicht, Kriegsverbrechen und… anderes…" Er räusperte sich, warf Draco einen vorsichtigen Blick über die Schulter zu und trat einen Schritt weg, als die Tür vor ihm aufschwang. „Wir, also du, ich und Rod, haben ein Vorladung erhalten. Vor… eigentlich schon vor ein paar Monaten." Draco wurde durch die Tür in den Korridor gezogen und Lucius direkt gegenüber an die Wand gestellt. Seinem Gefühl nach, wurde die Milchglasglocke um ihn herum immer dicker. Immer weniger nahm er von der Welt um in herum wahr. Wie von Mauern umgeben, blieb alles Schmerzhafte hinter dieser Mauer zurück. Zwei behandschuhte Hände, Lucius' Hände, lagen auf seine Schultern. Seltsam war, dass der Pfleger neben ihm so ein ernstes Gesicht machte und Lucius so vorsichtig sprach. Draco war doch ganz ruhig, wirklich. Vollkommen ruhig und gelassen. Warum nur wirkten die beiden Männer so bedrückt? „Wir wollten es dir schon länger sagen, aber du warst… wir fürchteten, dass es dich zu sehr aufregen würde. Also… im… September ist der Prozess. Wir werden aussagen müssen und…nun ja, die Leute werden natürlich auch gegen uns aussagen." Draco nickte gleichmütig. „Die von da unten auch?" Lucius leckte sich die Lippen, atmete tief durch und wandte den Kopf von ihm ab. „Eine Frau hat ihn erkannt… und ihr Mann", raunte er dem Pflege zu, dessen Namen Draco merkwürdigerweise gerade vergessen hatte. „Ach… ich glaube, ich weiß wer sie ist", wisperte der sorgenvoll zurück. „Sie ist auch in Behandlung. Andere Station…" Beide Männer nickten. Draco blieb ruhig, eher wie gelähmt mit schlaff herabhängenden Armen, vor Lucius stehen und überlegte. Ein Prozess? Gericht? Er war vor das Zauberergamott wegen Kriegsverbrechen und… anderem vorgeladen worden? Eine Massenklage…? „Wer klagt denn alles?", fragte er und so träge wie er dabei klang, wirkte er, als würde er unter Drogen stehen.. Beide Männer tauschten undeutbare Blicke. „Überlebende und Angehörige von der Gegenseite. Sie… sie haben so lange gebraucht, um den Prozess zu starten, weil umfassende Ermittlungen gegen alle möglichen Leute durchgeführt wurden." Lucius ließ von ihm ab und senkte den Blick. „Ich denke, sie wissen über unsere Arbeit recht gut Bescheid. Wir überlegen, ob wir dich für prozessunfähig erklären. Das ist aber nicht so einfach… Ich werde oft genug offen angefeindet, weil die Leute glauben, dass du nur eingewiesen wurdest, um dich vor dem Gefängnis oder dem Dementorenkuss zu retten. Es… Draco, es wird auf jeden Fall straffrei für dich ausgehen, aber die Leute… sie wollen dich da sehen und… ich weiß nicht, ob wir das verhindern können." Die Leute wollten ihn sehen. Die Leute! Welche Leute? Leute wie die Frau unten und ihr aufgebrachter Mann? Die meisten, die Draco besucht hatte, lebten ja nicht mehr. Der Gedanke stimmte ihn für einen Moment vollkommen ruhig und gelassen. Aber dann bohrte sich etwas anderes in sein Bewusstsein. Irgendjemand musste ja davon wissen, sonst hätte man ihn nicht als Zeugen vorladen können. Er hatte in den Zeitungen oft genug von seinen eignen Schandtaten gelesen… nur waren da keine Namen genannt worden. Da hatten sie nicht gewusst, wer zum Beispiel dieses Rentnerpaar aus Surrey… oder den jungen Mann in Edinburgh… wer Befehle ausgeführt hatte. Aber jetzt wussten sie es und sie würden es sagen. Sie würden es in aller Öffentlichkeit sagen und dann würden es alle wissen. All seine kleinen, grausamen Geheimnisse. Alle… auch Hermine und Mutter. Und Mutter… die ihn doch auch jetzt schon verachtete und Hermine, die immer noch Angst vor dunklen Räumen und unvorbereiteten Berührungen hatte. Wegen Greyback… und die immer noch das verwandelte Bild des toten Weasleys um den Hals trug. Sie würde erfahren, was Draco für ein Mensch war. Sie… und alle anderen. Lucius hatte noch weiter geredet, Draco erinnerte sich daran, dass er sah, wie sich dessen Lippen bewegt hatten. Eigenartigerweise erinnerte er sich aber nicht mehr daran, auch nur ein einziges Wort gehört zu haben. Es musste an dem Brummen liegen, das in diesem Moment in seinem Kopf anschwoll, dass er für alle Geräusche von außen taub wurde. Draco schob Lucius und den gesichtslosen Pfleger von sich, trottete wie im Halbschlaf den Gang entlang und ließ sich im Gemeinschaftsraum auf die Couch fallen. Dort hockte er, während er sich einmal mehr in seinen Erinnerungen verlor. Man sagte ihm später, dass er wohl an diesem Tag eine ganze Reihe von äußerst heftigen Flashbacks gehabt hätte. Er wäre panisch, zitternd, aggressiv und ein anderes Mal wieder apathisch gewesen. Es war wohl einigermaßen schlimm gewesen mit ihm, denn er erinnerte sich dunkel an einen scharfen Pieks in seinem Arm und eine kurz darauf einsetzende, bleierne Müdigkeit, die ihn die Augen schließen ließ. xxx Draco träumte unruhig. Alles war etwas wirr und unklar, doch er wusste hinterher noch, dass er von der Schule geträumt hatte. Er war im Slytherinschlafsaal gewesen, hatte seinen Schrank aufgemacht und hatte sich trotz der morbiden Scheußlichkeit dieser Situation nicht darüber gewundert, dass ihm ein Berg von blutigen Leichenteilen entgegenfiel. Manche so klein, dass sie von Kindern stammen mussten. Merkwürdigerweise beunruhigte ihn die Frage gar nicht, von wem dies alles stammte, er musste es gewusst haben, war vermutlich auch Ursache der Verstümmelung. Was ihn dort, in diesem Traum beunruhigte, war einzig die Frage, was er jetzt damit machen sollte. Snape war erstaunlicherweise ebenfalls in diesem Zimmer und raunzte ihn an, seine Sachen gefälligst ordentlich aufzuräumen, sonst würde er ihm fünfhundert Punkte abziehen. Er hatte den Schrank nicht gesehen und Draco hatte große Angst, für das Blut am Boden ausgeschimpft zu werden. Als Snape, den er gar nicht das Zimmer betreten gesehen hatte, auf unerfindliche Weise verschwunden war, beschloss Draco, dass sein Spind nicht der richtige Ort für abgehackte Leichenteile war. Er nahm sich also sein Kopfkissen, zog den Bezug ab und füllte ihn mit viel mehr Körperteilen, als logischerweise hineinpassen konnten. Er knotete den Bezug zu, schulterte den auf einmal um ein Vielfaches gewachsenen Sack und überlegte, wo er den brisanten Inhalt besser verstecken könnte. Zunächst schob er ihn unter sein Bett, doch der Sack rollte darunter herum und immer wieder schaute die eine oder andere blutige Ecke unter dem Bett heraus. Draco wurde hektisch, denn es war langsam Zeit. Er wusste nicht wofür, aber er hatte gleich einen Termin. Vielleicht eine Unterrichtsstunde, Quidditchtraining oder Abendessen. Er musste einen anderen Platz finden. Er befand sich für genial, nachdem er den Sack unter Theodor Notts Bett gesteckt hatte. Dann fiel ihm aber ein, dass Theodor ja tot war und er dessen Kopf gerade in den Sack gesteckt hatte. Augenblicklich wurde ihm auch klar, dass manche der Leichen schon eine ganz Weile tot waren und deswegen furchtbar stanken. Also Notts Bett war keine Lösung, man würde es riechen. Ebenso wenig der Spind eines anderen Jungen. Draco schulterte den Sack erneut und spazierte damit wie ein blutiger Weihnachtsmann durch den Slytheringemeinschaftsraum. Die anderen sahen ihm alle direkt ins Gesicht und wichen vor ihm zurück. Draco wurde bewusst, wie seltsam er sich das ganze Jahr über benommen hatte und dass sie nun sicher alle Angst vor ihm hatten. Er schämte sich für den Sack auf seinen Schultern, denn wenn sie herausfänden, was darin war, wäre alles aus. Er schämte sich furchtbar und überlegte, wie er die Hände, Füße usw. erklären sollte, doch als ein Kind entsetzt schrie und auf die blutige Spur zeigte, die Draco hinter sich herzog, beschloss er, den durchtränkten Sack so schnell wie möglich wegzubringen. Er rempelte sich nach draußen, schleppte sich die Kerkertreppen nach oben und keuchte schwer unter seiner Last, als er die Eingangshalle durchquerte. Sein neuer, genialer Plan bestand darin, den Sack in einer verborgenen, dunklen Ecke stehen zu lassen und dann schleunigst wegzurennen. Dann wüsste niemand, was da drinnen war, wie es hinein gekommen war und was Draco damit zu tun hatte. Auf einmal öffnete sich die Tür und hunderte von Schülern und deren Eltern strömten in die Halle. Draco wurde klar, dass ja heute ein Schulfest war und sich deshalb die halbe, magische Welt hier versammelt hatte. Er beeilte sich zwischen den Leuten durchzukommen, rempelte mal diesen und mal jenen an und flüchtete, bevor die empörten Leute sich über Dracos blutige Last wundern konnten. Er schaffte es zum Portal, boxte sich hinaus und als er gerade dachte, dass er es schaffen würde hinauszukommen, um sein Geheimnis an Hagrids diverse Haustiere zu verfüttern, stolperte er über die Füße eines der vielen Gäste. Draco fiel, der Sack platschte neben ihm auf den Boden und platzte wie ein rohes Ei auf. Augenblicklich floss literweise Blut über die Treppe des Portals und über Draco selbst. Die Köpfe kullerten die Treppe herunter, Hände lagen auf seinen, so dass er im ersten Moment gar nicht erkennen konnte, was seine und welches die toten Hände waren und einfach alles, was Draco so unbedingt geheimhalten wollte und wofür er sich so schämte, lag nun offen auf dem Boden und alle konnten es sehen. Draco sprang auf, versuchte sich aus all dem herauszuwinden und wischte sich das Blut von seinem Gesicht. Aber warum denn eigentlich? Jetzt war es raus. Hunderte von Leuten um ihn herum starrten ihn fassungslos an, weinten, schrieen, zeigten mit dem Finger auf ihn und schimpften. Weil Draco ein böser Mensch und ein Mörder war und alle konnten es sehen. Draco fuhr hoch. Im ersten Moment war ihm nicht klar, wo er war und er fuhr fort, sich Blut aus seinem nassen Gesicht zu wischen. Er wischte und wischte und sah sich dabei hektisch nach allen Seiten um, um die Leute zu suchen, die ihn eben noch angeschrieen hatten. Es dauerte eine weitere Minute, bis ihm klar wurde, dass hier keine Menschenmassen um ihn herumstanden, sondern nur ein einziger Mann, und dass der auch nicht mit dem Finger auf ihn zeigte, weil er viel zu sehr von seiner Lektüre des Klitterers gefangen war. „Na, aufgewacht?", fragte Sam, der wohl an seinen Bewegungen gehört hatte, dass Draco aufgewacht war. Er klappte die Zeitung zu und warf sie achtlos neben sich auf den Boden. „Ach, Junge…", sagte er und machte ein für Draco unverständlich betrübtes Gesicht. Er sah Sam in seinen Taschen wühlen, bis er schließlich ein blütenweißes Taschentuch daraus zu Tage förderte und es Draco kommentarlos überreichte. Draco nahm es an, doch verstand er nicht, wieso Sam es ihm gegeben hatte. Erst als er seine feuchten Hände betrachtete, mit denen er eben das vermeintliche Blut abgewischt hatte, wurde ihm klar, warum sein Gesicht, sein Kopfkissen und seine Hände so feucht waren. Er hatte geweint. Nein, er weinte immer noch. Erst jetzt wurde er sich bewusst, dass ihm immer noch die Tränen über die Wangen kullerten. Und dann war alles wieder da. Die Frau in der Halle, warum sie ihn hasste, warum ihn noch so viele andere ebenfalls hassten und dass das bald jeder wissen würde, weil man ihm den Prozess machen würde. Was die Frau gesagt, geschrien, angedroht hatte. Draco beugte sich nach vorne und begann haltlos zu schluchzen, während sich zwei Arme schützend um ihn legten. So saßen sie für unbestimmte Zeit und auch als Draco keine Tränen mehr hatte, hielt er sein Gesicht immer noch verborgen. Er drückte die Oberschenkel an die Brust und vergrub sein Gesicht zwischen seinen Knien. Die Arme legte er sich über den Kopf, als hoffe er, unsichtbar zu sein, wenn er niemanden sehen konnte. Er fror fürchterlich, fühlte sich schwach, hatte Durst und eigentlich musste er auch auf die Toilette, doch alles in ihm sträubte sich, diese vollkommene Verschlossenheit, die er erreicht hatte, auch nur ansatzweise zu verlassen. Selbst reden wäre schon zuviel gewesen. Sam war wohl bei ihm, redete beruhigend auf ihn ein und streichelte ihm beruhigend den Rücken, aber Draco weigerte sich auch nur seinen Kopf zu heben, um ihn anzusehen. Aufzustehen, um etwas zu essen oder gar das Zimmer zu verlassen, um von irgendeiner der anderen Personen dort draußen gesehen zu werden? Undenkbar. Die einzige Antwort, die er Sam und den beiden vom ratlosen Sam dazu geholten Heilern gab, war: „Ich will nach Hause!" Er wusste nicht, wie lange er hier gewesen war, doch irgendwann öffnete sich die Tür tatsächlich und auch ohne dass er hochsah wusste er, dass man Lucius wirklich geholt hatte. Er hörte den Gehstock klappern. Wenig später roch er auch das vertraute, schwere Aftershave, hörte seine Stimme leise abwechselnd mit der der Heiler murmeln. Draco lag in all dieser Zeit zusammengrollt im Bett, die Arme um seinen Kopf geschlungen und die Augen fest zusammengepresst, doch als er eine Hand an seiner Schulter fühlte, fuhr er hoch, sprang aus dem Bett und… ja, er wollte Lucius anschreien, dass der ihm nicht früher von der Gerichtsladung gesagt hatte. Er wollte ihn schütteln und ihm Vorwürfe machen, wollte ihm erklären, dass er lieber sterben würde, als vor dem Zauberergamott zu stehen, um dort über die Todesserzeit zu reden und dass er unter gar keinen Umständen die Frau, die ihn heute morgen erkannt hatte, jemals wieder sehen wollte. Dass er um keinen Preis in der Welt ertragen würde, dass Hermine und seine Mutter erfuhren, was er gemacht hatte. Alles was er stattdessen zustanden brachte, war, erneut in Tränen auszubrechen, gegen die Brust seines Vaters zu kippen und zu schluchzen. Es war einfach nur Lucius' Gesicht gewesen, das erneut alles hochbeschworen hatte. Weil der es doch wusste, weil der ihn doch eigentlich verstehen sollte und weil er dazu da war, Draco zu helfen. Er brach in die Knie und sank zu Boden. Er spürte Lucius neben sich knieen und obgleich es kindisch, würdelos und nichts war, was er selbst gutheißen würde, ließ er sich gegen ihn sinken, in die Arme nehmen und wie ein kleines Kind über den Kopf streicheln. Es war, als ob die Frau am Morgen einen Schalter umgelegt hätte. Seit er sie gesehen hatte, war alles wieder da. Alles was er geahnt, vergessen und verdrängt hatte, war wieder da und mit den Erinnerungen kamen auch all die Gefühle wieder, gegen die er sich so erbittert gewehrt hatte. In den letzten Monaten waren sie immer wieder kurz durchgebrochen und jetzt gab es kein Halten mehr und Draco fühlte sich wie von einer Naturkatastrophe überrollt, die ihn zu Boden drückte und die mit sich in erdrückender Schwere all die Scham, Schuld, Angst und vor allem auch Trauer brachte, die er so lange nicht hatte fühlen können. Er hatte seit Monaten, vielleicht Jahren nicht mehr geweint. Es ging einfach nicht, er war zu leer, zu apathisch und zu tot gewesen. Aber jetzt war die Trauer wieder da. Trauer um seine toten Freunde, seine Opfer und auch um sich selbst, weil ihm in vollem Umfang klar wurde, wozu er geworden war. Hier saß er und flehte, dass er nicht vor Gericht wollte. Dass er darüber doch nie in der Öffentlichkeit reden könnte, über seine dreckigen Geheimnisse. Von seiner anfänglichen Angst vor Voldemort, Dumbledore, wie schlimm er die ersten Einsätze gefunden hatte, die Drogen, was er getan hatte, wenn man ihn nachts gerufen hatte, von den Toten, der Folter, der Frau, den Kindern und dass er Angst habe, dass das noch nicht einmal alles war. Er legte die Hände auf seine Ohren und schrie all die Panik, den Ekel und die Schuld aus sich heraus, bis er heiser war. Er schlug sich mit den Händen an den Kopf, um die Bilder und Stimmen darin zu vertreiben, wimmerte und schluchzte wieder, als ob er all die Tränen, die er die letzten zwei Jahre zurückgehalten hatte, an einem einzigen Tag loswerden müsste. Die Trauer war schmerzhaft wie der Stich eines Messers in seinem Herzen, erdrückend wie starke Hände, die seine Kehle zudrückten und schwer wie die Last, die er in seinem Traum symbolisch mit sich herumgetragen hatte. Jetzt war der Sack geplatzt, es war heraus und alle würden bald wissen, dass er Dinge getan hatte, die bewiesen, dass er schlecht war. „Weil sowas doch nur ganz schlechte Menschen machen", wimmerte er immer und immer wieder, als er von den Kindern erzählte. Nicht nur denen der Frau, auch die anderen, ihren Schreien… von dieser Mutter, die er am Morgen gesehen hatte und all die anderen, deren Leben er auf die eine oder andere Weise zerstört hatte. Er hatte keine Ahnung, wie lange er gesessen, geweint und erzählt hatte, er hatte kein Zeitgefühl mehr. Es hätten Stunden sein können oder nur Minuten, er wusste es nicht. Er saß immer noch an Lucius gelehnt, ließ sich trösten und schneuzte sich in das millionste Taschentuch, als er ruhig genug wurde, um zu merken, dass er nun doch ganz dringend zur Toilette gehen sollte. Er ließ sich hochziehen und führen, vermutlich von Sam mit oder ohne den Heiler. Der war ja eben bei ihm gewesen und hatte ihm mit dem Zauberstab das inzwischen recht vertraute, wenn auch nach vor niederstreckend starke Beruhigungsmittel gespritzt hatte. Als er zurückkam, plapperte der Heiler davon, dass man Draco heute nicht alleine lassen sollte. Er drückte Lucius irgendetwas in die Hand, meinte, er solle es Draco geben, wenn er wieder zusammenbrechen würde, erzählte irgendetwas von Hermine, dass sie informiert werden sollte und dass im Umgang mit Draco heute Vorsicht geboten war. Draco hörte sehr komplizierte Worte wie „eventuelle Prozessunfähigkeit", „Anwalt"; „Gamott", „Gutachten" und „Anhörung", seelisch betäubt wie er im Moment aber war, verstand er nicht viel davon. Er wusste auch nicht, wie er nach Hause gekommen war, irgendwann fand er sich auf der Couch in seines Vaters Arbeitszimmer wieder und sah Hermine in die Augen, die sich neben ihn gekniet hatte und ihm über die Stirn strich. Xxx Immer noch etwas benommen, schlurfte er durch den Korridor. In Gedanken war er nicht hier, sondern im Zaubereiministerium, wo man von ihm erwartete zu reden. Wo diese Frau stehen und mit dem Finger auf ihn zeigen würde und… sie würde es sagen. Und es würde noch mehr Leute geben, die über weitere Vorfälle reden würden. Über ihn, was er gemacht hatte und er würde das, was die Zeugen und Opfer nicht sagten, selbst erklären müssen. Und alle würden es hören. Alle… aber nein, er würde ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Seine Therapieprobezeit war bald vorbei und… nein, unter gar keinen Umständen, im wahrsten Sinne des Wortes „nie im Leben und nur über seine Leiche" würde er zulassen, dass er vor dem Zauberergamott ebenso bloßgestellt wurde, wie in seinem Alptraum aus der Schule. Jemand packte ihn am Arm. Draco drehte sich verwirrt um uns sah Hermine, die ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah und mit dem Daumen in Richtung der Tür neben ihr deutete. Draco zwang sich zu einem verlegenen Lächeln und folgte ihr in das Zimmer, an dem er in Gedanken versunken glatt vorbeigelaufen war. Draco hatte Lucius gesucht, weil er ihn etwas fragen wollte. Genauer gesagt wegen des Prozesses mit Fragen bestürmen, so deutlich war er aber vor Hermine nicht geworden. Hermine war zur großen Tafel in der Empfangshalle gelaufen und hatte gesehen, dass Lucius und einige andere Leute im Esszimmer waren. Ein sehr unangenehmes Gefühl hatte Draco beschlichen, als er das gehört hatte. Gleichwohl waren sie dorthin gegangen, weil sie beide gar zu neugierig waren zu erfahren, wer sich da warum alles versammelt hatte. Unbekannte, zumindest unvertraute, Stimmen drangen hinaus. Frauen, die sich angeregt unterhielten. Er hörte Gelächter, das Geklirr von Besteck auf Geschirr, tiefe Männerstimmen angeregt palavern und leise Musik untermalte alles. Hermine öffnete die Tür und gab den Blick auf einen festlich geschmückten Raum frei. Die Wände waren mit Blumenranken und blütenweißen Kerzen verziert, die umstehenden Kommoden waren mit silbrig schimmerndem Elfenstaub bedeckt und elfenbeinfarbene Kerzenständer erhellten zwischen Blumentöpfen in Kindergröße den Raum. In der Mitte war der runde Tisch einer großen, feierlich gedeckten Tafel gewichen, die mit allerlei Kuchen, Sandwiches und Scones gedeckt war. Um den Tisch herum saßen Männer und Frauen, die Draco als Narzissas Freunde und Verwandte kannte. Dracos Augen huschten zu einem Sideboard hinter seiner Mutter, wo sich, schön in funkelndes Papier eingewickelt, die Geschenke stapelten. Narzissa war bei seinem Anblick schamrot geworden. Sie hustete verlegen und sah aus, als ob man sie gerade bei etwas sehr Ungehörigem ertappt hätte. Draco versteifte sich und verharrte in der geöffneten Tür. Hermine blieb ebenfalls stehen, als sie bemerkte, dass er ihr nicht folgte. „Was macht die denn hier?", tönte Narzissa vom anderen Ende des Raumes her. Seine Mutter legte ihre Gabel neben sich ab und wandte sich an seinen Vater. „Heute ist Freitag, sollten die beiden heute nicht… irgendwo in der Stadt sein?" Eine dunkelhaarige Frau neben Narzissa, die der toten Bellatrix überraschend ähnlich sah, reckte den Kopf neugierig an Narzissa vorbei zur Tür. „Ist das Draco? Und… wer ist denn dieses Mädchen?" Andromeda Tonks, deren Tochter er erwürgt hatte. „Seine Freundin", nuschelte Lucius so betroffen, als ob er sich gerade für einen peinlichen Faux-Pas entschuldigen würde. „Narzissa, es… es ging ihm heute nicht so gut. Wir mussten ihn früher abholen und…nun, wir besprechen das später, ja? Lass uns essen!" Die anderen Leute am Tisch musterten die beiden Neuankömmlinge von neugierig bis missbilligend. Wobei die missbilligenden Blicke vor allem von denen kamen, die Hermine erkannten. Lucius stöhnte und erhob sich, er streckte den Arm in Richtung Hermine und erklärte: „Das ist Miss Granger, sie ist Dracos Freundin. Die beiden wohnen seit einiger Zeit zusammen hier." Zu Dracos großem Erstaunen ersparte sich sein Vater die üblichen spöttischen Demütigungen, die er so gerne verteilte, wenn er Hermine anderen Leuten vorstellte. Stattdessen zog er seinen Zauberstab, richtete ihn auf den Tisch und winkte ihnen mit der anderen Hand zu, näher zu kommen. „Die beiden hatten heute Mittag eigentlich etwas anderes vorgehabt, aber jetzt sind sie doch früher heimgekommen. Kommt rein und setzt euch!" „Wir haben aber gar keinen Platz mehr", presste Narzissa zwischen krampfhaft zusammengebissenen Zähnen hervor und funkelte ihren Mann wütend an. Die anderen Gäste drehten sich ihr mit verwirrten Gesichtern zu. Sie verstanden nicht. Draco schon… Draco verstand sehr gut, dass seine Mutter nur behauptet hatte, dass sie ihren Geburtstag nicht feiern würde. Das tat sie aber offensichtlich doch und zwar ganz bewusst an einem Freitag, nicht nur, weil das tatsächlich ihr Geburtstag war, sondern weil sie auch davon ausgegangen war, dass Hermine und Draco nicht anwesend sein würden. Weil sie genau an dem Tag feiern wollte, wo sie von Draco verschont gewesen wäre. Und nun war er doch hier und sie ärgerte sich maßlos. Rodolphus schob seinen Teller leicht zur Seite und deutete neben sich. „Wir könnten den Tisch mit einem Erweiterungszauber vergrößern… Setzt euch doch neben mich." Er strahlte hoffnungsvoll und Draco verdrehte innerlich die Augen. Wobei er ihn verstand. Wer war nur auf die Idee gekommen, ihn neben Andromeda Tonks zu setzen, die ihrer Schwester so ähnlich war. Eine morbide Idee, die vermutlich von seiner Mutter ersonnen worden war. Den Todesblicken nach, mit denen sie nun abwechselnd Lucius und Rodolphus bedachte, waren auch diese beiden nicht wirklich geladene Gäste gewesen. Hermine drehte sich zu Draco um und warf ihm einen Hilfe suchenden Blick zu. Er grinste schief, trat mit weiten Schritten in den Raum und ergriff ihre Hand. Noch während sie zu den für sie geschaffenen Plätzchen gingen, begann Narzissa mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu intervenieren. „Ich denke nicht, dass Sie diese Unterhaltung hier sehr interessieren würde, Miss Granger." Sie lächelte Hermine gar zu freundlich an, ignorierte ihn, Draco, der direkt neben Hermine stand, mit geradezu beneidenswerter Perfektion und fügte hinzu: „Sie würden sich nur langweilen, ich denke nicht, dass Sie den Gesprächen hier folgen können." Hermine holte Luft und setzte zu einer Erwiderung an, doch Narzissa wedelte energisch mit der Hand, um sie abzuwehren. „Nein, nein. Das ist ein Treffen für meine Freunde und Verwandte. Junge Leute interessiert sowas nicht." „Ich kenne die Leute aber schon, Mutter. Und ich bin sehr interessiert!" Draco schob Hermine energisch in Richtung Stuhl, zerrte sie fast an ihren Platz und drückte sie hinunter. Böse lächelnd ließ er sich neben Andormeda Tonks nieder, die ihn etwas unschlüssig, aber nicht unfreundlich ansah. „Ich bin Draco", stellte er sich lächelnd vor und reichte ihr die Hand. „Wir haben uns noch nicht gesehen, glaube ich." „Ähm, nein." Andromedas Augen verfolgten ihn freundlich, während er sich neben ihr niederließ. „Deine Mutter hat mir mal ein Bild geschickt, als du noch ein Baby warst und nun", sie schüttelte ungläubig den Kopf und musterte fasziniert sein Profil, „bist du ein erwachsener Mann und kannst uns alle auf den Kopf spucken." Sie lachte und drehte sich zu ihrer Schwester um. „Er ist ja wirklich groß… und richtig hübsch, nicht wahr?" Narzissa presste die Lippen zusammen. Draco wusste schon warum, sie überlegte krampfhaft einen Weg, wie sie antworten konnte, ohne dabei zu offenbaren, dass sie Draco bemerkt hatte. Ihr Lächeln offenbarte, wie gezwungen und befangen sie war, wenn ihre Stimme auch leicht und sorglos klang. „In der Tat, es ist lange her. Ich freue mich, dass du… trotz allem… dass du gekommen bist." „Nun ja, Ted war… ich dachte, es ist einfach, wenn ich erst mal alleine komme. Aber ja, ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich in den letzten Jahren gewünscht hätte, mal wieder mit dir sprechen zu können! Und dann nach Bellas Tod… Nein, ich will nicht noch eine Schwester verlieren." Narzissa lächelte dankbar und nickte. „Ja, Bellatrix. Genau das habe ich auch gedacht. Es ist… viel zu lange her, dass wir miteinander gesprochen haben. Tja…Lucius!" „Ja, Liebes?" „Vielleicht… also versteh' das nicht falsch, aber Andromeda und ich haben uns so lange nicht mehr gesehen. Vielleicht nimmst du… die… die beiden und… wolltet ihr nicht noch etwas vorbereiten, das ihr uns nachher zeigen wolltet?" Lucius verdrehte die Augen. Er hatte wohl begriffen, dass Narzissa nicht locker lassen würde, bis alle, die sie nicht geladen hatte, aus diesem Raum entfernt waren. „Aber das könnt ihr doch auch später machen", sagte ein Mann, den Draco vage als einen weiteren Black kannte. „Draco haben wir doch auch schon ewig nicht mehr gesehen. Lass die Beiden doch da. Ihr beiden Damen könnt doch ruhig weiter schnattern, wir reden dann unter uns." „Du missverstehst meine Mutter", erklärte Draco mit teuflischen Grinsen und schob seinen Teller von sich, um entspannt die Hände auf dem Tisch übereinander zu legen. Hermines Eingeweide zogen sich auf die Größe einer Erdnuss zusammen. Sie ahnte Übles. Beschwichtigend legte sie ihm eine Hand auf den Oberschenkel. „Bitte…" Lucius und Rodolphus wechselten unheilahnende Blicke. Rodolphus murmelte etwas und Lucius nickte ihm eifrig zu. „Ich denke…", begann er und erhob sich. „Du hast recht, Liebes. Wir wollten ja wirklich noch eine Überraschung vorbereiten. Kommt." Er winkte Draco und Hermine zu. „Das sollten wir nicht aufschieben, sonst reicht uns die Zeit nicht mehr." Draco grinste noch breiter, lehnte sich entspannt zurück und schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke nicht. Wisst ihr", fragte er die etwas perplex wirkenden anderen Gäste in verschwörerischem Ton. „Es ist nämlich so. Meine Mutter will uns einfach nur rauswerfen, weil sie keine Lust auf uns hat." „Draco!" Er fühlte Lucius' Hand an seiner Schulter. „Nein, Vater. Es ist doch so. Sie will uns hier weghaben, damit niemand rausfindet, dass Hermine ein Schlammblut ist, nicht?" Die Leute direkt gegenüber tauschten zuerst unbehagliche Blicke und beäugten Hermine so neugierig, als sei sie ein besonders exotisches Tier in einem Zoogehege. Draco lachte, obgleich seine Mutter neben ihm gefährlich laut atmete und ihre ganze Haltung angespannt und gereizt wirkte. „Außerdem schämt sie sich für mich", flötete er lachend weiter. „Da, guckt mal!" Draco schob seinen linken Ärmel zurück und winkte mit dem Dunklen Mal in die Runde. Hermine packte seinen Arm und drückte ihn auf den Tisch. „Lass den Quatsch und komm jetzt!" „… weil ich ein Todesser bin, wisst ihr? Also vielleicht weniger, weil ich einer bin, sondern weil ich nach der Zeit in die Psychiatrie eingewiesen wurde." Er kicherte irre und legte der entsetzten Andromeda den Todesserarm um die Schulter. „Ja, ja… wir haben schon ein paar witzige Sachen da gemacht, Tante, weißt du? Zum Beispiel habe ich deine Tochter..." „Draco!" Unisono von Narzissa, Hermine, Lucius und Rodolphus. Hermine zog Draco am einen Arm von Andromeda weg und Lucius hatte den anderen Arm von hinten gepackt, um ihn in die Höhe zu zerren. Er wehrte sich kaum, vielleicht, weil er so mit Feixen und Kichern beschäftigt war. „Aber es ist doch wahr… In der Winkelgasse, Bellatrix war auch dabei. Nymphadora hat mich dort erwischt und wollte mich verhaften, also hab ich sie entwaffnet und…" Eine Hand wurde ihm von hinten um die Schultern gelegt und presste sich auf seinen Mund. „Er… Er hat das alles nicht so gut verkraftet. Das war eine schlimme Zeit für uns alle und Draco ist seitdem -" Lucius hätte mit seinem üblichen Vortrag darüber, dass Draco nichts für sein Verhalten konnte, weitergemacht, wenn Andromeda nicht angefangen hätte zu schluchzen. Draco wehrte und wand sich, wollte sich aus Lucius' Griff befreien und den Arm von seinem Mund zerren, doch nun hatte ihn auch noch Hermine gepackt und, verstärkt durch Rodolphus, wurde er nach hinten vom Tisch weggezogen. Er hasste es, ignoriert zu werden, er hasste es, angestarrt zu werden, er hasste es, dass er wie ein peinliches Familiengeheimnis versteckt werden sollte und vor allem ließ er sich nicht den Mund zuhalten. Er riss an den Armen, die ihn hielten und als das auch nicht half, trat er mit den Füßen, um sich freizukämpfen. Er hörte Geschirr auf dem Tisch klirren, Stühle umfallen und irgendwann traf er jemanden an der Schulter. „Schaff ihn endlich raus!", kreischte Narzissa aus vollem Hals. Gläser klirrten und ein weiterer Stuhl fiel um, Narzissa musste ebenfalls aufgesprungen sein. „Schaff ihn weg, raus aus diesem Haus!", brüllte sie. „Ich kann diesen Irren nicht mehr ertragen!" Sie weinte, schrie sich heiser und brüllte durchdringend, schrill und laut wie eine Sirene weiter. „Alles macht er mir kaputt, alles. Ich sehe meine Schwester nach über zwanzig Jahren wieder und sofort macht er das auch kaputt!" Draco schaffte es, sich Lucius' Hand vom Mund zu reißen. „Fick dich doch, du dumme Kuh. Ich scheiß' doch auf dich und deine…" Lucius hatte den Arm wieder auf seinen Mund gezwungen und drückte ihn nach unten. Seine drei Bändiger gingen mit ihm in die Knie. „Sollen wir ihn schocken?", hörte er Rodolphus über sich. „Nein, die Heiler haben mir was mitgegeben", keuchte Lucius und Draco bekam vage mit, wie sein Vater in seinem Umhang nach dem vom Heiler mitgegebenen Medikament suchte. Andromeda weinte, Narzissa schrie, weitere Gäste erhoben sich. Er hörte sie tuscheln, er hörte Stühle rücken, hörte Menschen gehen, Gläser, Besteck, Teller und dann… gerade als er Hermine von seinen Beinen geschüttelt hatte und sich aufbäumte, um sich hochzudrücken, spürte er einen brennenden Stich in seinem Arm und sackte kraftlos in sich zusammen. Xxx Draco wachte in seinem Bett auf. Er gähnte müde und streckte sich. Noch realisierte er nicht wirklich ganz, wo er war und wieso er hier war. Er streckte sich wieder und stellte verwundert fest, dass er noch vollständig angezogen war und auch nur auf dem Bett, nicht aber zugedeckt war. Warum war er dann aber hier. Müde drückte er sich nach oben und rieb sich die Augen. „Oh, du bist wach." Er wirbelte überrascht herum und sah Hermine in der Tür zum Bad stehen. Auch sie war noch angezogen und wirkte nicht müde. „Wie spät ist es?" „Acht Uhr am Abend." „Was, aber, warum", er schüttelte den Kopf, rutschte mit den Beinen über die Bettkante und rubbelte sich das Gesicht. „Warum… warum bin ich dann schon im Bett?" Hermine biss sich auf die Lippen und atmete tief durch. Verlegen strich sie sich über ihre Unterarme. „Naja… heute Nachmittag, vorhin…" „Oh!" Es war ihm eingefallen, als er gesehen hatte, wie sie über ihren Arm fuhr. Wie er seinen Arm vorhin gezeigt hatte. Wie er das Mal den Leuten gezeigt hatte und wie er… wie er Andromeda Tonks die Sache mit ihrer Tochter gesagt hatte. Vor allen Leuten… Er stöhnte vor Scham. Hermine sank neben ihm auf das Bett und legte ihren Arm um ihn. „War ganz schön heftig", murmelte sie und strich ihm sanft über den Rücken. „Wir mussten dir etwas geben, damit du schläfst." Er begann zu zittern und presste sich die Hände vor die Augen, als ihm alle demütigenden, peinlichen Details dieses Geburtstagskaffees wieder einfielen. „Dein Vater hat dich hochgetragen." Er schüttelte den Kopf und stöhnte erneut. „Und… die Leute… die…was haben die...?" Sie zuckte die Achseln. „Sie sind gegangen. Deine Eltern haben sich gestritten und das war denen peinlich. Deine Tante war… naja… sie war ziemlich fertig. Jemand hat sie heimgebracht und die anderen sind dann auch weggeschlichen. Deine Mutter…" Sie brach ab und drückte ihn fest an sich. Er spürte weiche Lippen und ihr zart kitzelndes Haar auf seiner Wange. „Draco, das war… das war wirklich das allerletzte von ihr. Sie hat dich doch absichtlich von ihrem Geburtstag ausgeladen und war dann richtig eklig, als du doch gekommen bist. Wirklich, wenn meine Mutter… also ich wäre auch wütend, glaube ich. Dein Vater war richtig sauer!" „Auf mich." „Nein, nicht auf dich. Du bist doch wirklich nicht alleine schuld! Nein, nein… auf deine Mutter. Das war wirklich… also, du warst schon… das mit Andromeda, das war… aber… naja..." „Ja, ich bin ein Gestörter und da kann man ja nichts anderes von mir erwarten, als peinlich zu sein. Nicht?" Er schob sie unsanft von sich weg und stand auf. „Nein, Draco. Komm!" Sie nahm seine Hand, versuchte, ihn wieder nach unten zu ziehen. Draco blieb stehen und zog stattdessen Hermine zu sich hoch, die ergeben seufzte. Sie kannte ihn und seine Ausraster eben doch. „Draco, du… nein. Pass auf, das war schon daneben aber… also, es ging dir ja schon in der Klinik nicht gut wegen diesem Prozess und…" „Wusstest du das etwa auch?" Er wirbelte herum und stieß Hermine dabei aus Versehen zurück aufs Bett. „Woher?" Ihre Wangen überzogen sich mit einem verschämten Rot. Sie hüstelte umständlich und suchte mit den Augen im Zimmer herum nach einem Platz, wo sie unauffällig an ihm vorbei sehen konnte. „Ich… dein Vater und dein Onkel. Wir haben mal darüber gesprochen und… also, wir meinten… ähm. Dass das zu stressig für dich wäre, wir dachten, es wäre besser, dir das ein andermal zu sagen." Sie lächelte scheu und ertappt zu ihm hinauf. „Moment mal… heißt das, dass alle außer mir davon wussten?" Wenn überhaupt möglich, verfärbten sich ihre Wangen und Ohren noch ein wenig dunkler. Wieder rieb sie sich die Unterarme. „Naja…" „Mein Vater redet mit dir! Er redet mit dir über den Prozess und mir sagt er nichts?" „Ähm, die Heiler im Krankenhaus sagten ihm… es würde dich zu sehr aufregen und…" „Und wann wolltet ihr mir das sagen?" Draco hatte sich schwer atmend vor der eingeschüchtert wirkenden Hermine aufgebaut. Eine Hand in die Hüften gestemmt, mit der anderen drückte er ihr Kinn hoch, so dass sie ihm in die Augen sehen musste. Sie schluckte schwer. Sie hatte Angst. „Wann? Ich habe dich etwas gefragt, Hermine. Eine Woche vorher? Und das regt mich nicht auf, wenn ich mitten auf der Straße von fremden Leuten angeschrien und beschimpft werde bis dahin?" Sie wand sich, versuchte ihm auszuweichen, aber die Chance wollte er ihr nicht geben. Beide Hände auf ihren Schultern, hielt er sie fest wo sie war, ihm ausgeliefert, in der Falle. So könnte man es sagen und ja… er würde sie hier festhalten wie eine gefangene Maus, wenn sie ihm nicht ehrlich antworten würde. „Sag schon!", forderte er laut. „Draco, bitte!" So laut er war, so leise und schwach klang sie. Sie zitterte und versuchte seine Hände von ihren Schultern zu schieben, doch er wollte sie nicht gehen lassen, packte sie stattdessen nur noch fester. „Was habt ihr euch denn dabei gedacht? Dass ihr mich monatelang anlügen könnt, dass ich ihr euch gegen mich verbündet…" „Das ist doch lächerlich!" „… und mich dann irgendwann im September mit Beruhigungsmitteln zuballert und mich dann ohne Vorwarnung in den Gerichtssaal reinschiebt? Ja?" „Nein! Jetzt…" Sie drückte sich so energisch nach oben, dass er ihr wehgetan hätte, wenn er seinen Griff nicht gelockert hätte. Er ließ zu, dass sie sich erhob, dennoch blieben seine Hände dort, wo er sie unter Kontrolle halten konnte. An ihren Schultern. Unsicher stand sie auf, atmete flach und hob ihre Hände vor sich. Um ihn wegzuschieben, zu besänftigen oder beides. „Wir hätten es dir schon gesagt und... diese Amnestie... du… du… dir kann da ja nichts passieren, du musst doch nur hingehen und…" Draco schrie auf und krallte seine Finger in seine Haare. Hermine wich von ihm zurück, streifte das Bett aber nur, verdrehte sich ungelenk das Bein und stürzte polternd zu Boden. Er achtete nicht weiter darauf. Schrie verzweifelt und drückte die Unterarme wie zum Schutz auf seinen Kopf. „Ich muss nur hingehen und allen sagen, was wir gemacht haben? Ich… ich muss nur hingehen und mich vor Gericht stellen und all den Leuten sagen, dass ich ihre Familie umgebracht habe? Und… und… die Frau heute morgen? Hat er dir das nicht gesagt? Und die Leute dort… und das soll mich nicht aufregen?" Hermine wimmerte und setzte sich stöhnend auf. Sie rieb ihr schmerzendes Knie, wich seinem Blick aus, rutschte zur Bettkante und ließ sich dagegen sinken. „Draco, es ist doch… es... sie wollen zeigen, dass die Schuld doch vor allem die trifft, die im Hintergrund alles befohlen und organisiert haben." „Ja, wer denn?", schrie er aus voller Lunge und stampfte wie ein trotziges Kleinkind mit den Füßen auf den Boden. Seine Augen brannten, waren feucht, möglicherweise weinte er, er wusste es nicht. „Mein Vater? Bellatrix? Der Rest meiner Familie? Und ich soll mich da hinstellen und sagen, dass meine Familie nur aus Mördern besteht und dass ich deswegen genauso bin? Und… Argh!" Ein lauter, unartikulierter irrer Wutschrei entfuhr ihm, als er sich wieder inmitten der Menge in der Krankenhauseingangshalle sah. „Die… die… die hassen mich, die verstehen das nicht. Niemand versteht es, wenn er nicht dabei war und… ich will… hörst du… ich will nie wieder darüber reden. Auf keinen Fall!" Hermines Lippen bebten. Sie sah aus, als ob sie Angst vor ihm hätte, aber er wollte ihr ja gar nicht wehtun und überhaupt galt sein Zorn einem anderen. „Vater hat mir das eingebrockt. Der denkt, ich mache da mit, aber das könnt ihr vergessen!" Als Hermine „Draco, nicht!" rief, war er schon an der Tür und als sie es selbst humpelnd zur Tür geschafft hatte und ihm „Lass ihn in Ruhe! Deine Eltern haben sich gestritten und du machst doch nur alles noch schlimmer", nachbrüllte, war er schon längst den Gang hinunter. Er machte sich nicht die Mühe, nach Lucius zu suchen. Er würde auf der Tafel in der Eingangshalle schon sehen, wo er war. Vor allem würde er dann auch sehen, wo Narzissa nicht war. Würde er sie jetzt sehen, dann, nein… Vater, an nichts anderes durfte er jetzt denken. Er musste Vater finden und ihn… anschreien. Unbedingt, er musste Vater unbedingt anschreien, mit Sachen nach ihm werfen und ihm klar machen, dass er um keinen Preis der Welt vor diesem Gericht aussagen würde und dass es das allerletzte war, ihm all das zu verheimlichen. Ihn dumm und unwissend zu lassen wie ein Kind, mit dem man alles machen konnte. Draco polterte durch die Gänge, trat Blumenkübel um, boxte gegen die Wand, schmiss Vasen von Kommoden und wischte Bilder von der Wand, bis er angekommen war, wo er Lucius wusste. Hermine hatte er längst abgehängt. Draco packte den Griff der Arbeitszimmertür, rüttelte und riss daran. Nichts, verschlossen. So einfach würde er es ihm nicht machen. Er war eben nicht das dumme, schwache Kind, als das ihn hier alle hinstellen wollten. Draco trat einen Schritt zurück, sammelte all seine Energie und Kraft und trat mit voller Wucht gegen das Türschloss. Es musste Magie im Spiel gewesen sein, ja wirklich, er hatte die Magie gespürt, als das Holz krachend vor ihm zerbarst und das Türschloss klirrend in den Raum fiel. Draco war eben immer noch ein Zauberer. Trotz allem. Obwohl man ihn seit fast einem Jahr kastriert und gedemütigt hatte, war noch Magie und Kraft in ihm. Und die wollte jetzt raus. Das würde er Vater schon zeigen. Ein zweiter Tritt und die Tür schwang nach innen auf. Draco genoss den beängstigenden Auftritt, den er hier veranstaltete. Mit stolzgeschwellter Brust und doch rasend vor Zorn, stampfte er in den Raum und… erstarrte. „Vater, was tust du da?" „Hmm?" Lucius hob seinen schweren Kopf, sah Draco aus blutunterlaufenen Augen an und richtete sich mühselig in seinem Sessel am Feuer auf. „Ach, du", murmelte er matt, trank in einem einzigen Zug das noch volle Whiskyglas leer und sackte wieder zusammen. „Was willst du denn hier?", lallte er schwerfällig und kippte ungelenk nach vorne, als er nach der Flasche zu seinen Füßen griff. Draco starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, wie er sich ungeschickt ein weiteres Glas einschenkte und dabei bestimmt einen halben Liter Alkohol über seine Hand statt in das Glas kippte, weil er dabei so schwankte und sich nicht gerade in einer Position halten konnte. Die Flasche war immer noch voll. Natürlich, ein Auffüllzauber. Den beherrschte Lucius besser als jeder andere. Draco stand innerlich in Flammen. Sein Ärger hatte sich von Minute zu Minute gesteigert seit er festgestellt hatte, dass seine Mutter ihn einmal mehr aus ihrem Leben ausgeladen hatte und jetzt wollte diese Wut heraus. Jetzt heulte er wirklich und vermutlich sah er mehr denn je wie ein Kleinkind aus, als er sich drohend vor Lucius aufbaute, die Hände zu Fäusten ballte und dabei dann atsächlich wie ein Kleinkind wimmerte: „Du hast mir gesagt, dass du das nicht mehr machst!" Lucius leerte sein Glas und wedelte mit der Hand, als wolle er Draco wie schlechte Luft vertreiben. „Ach, geh weg, du bist mir heute schon genug auf die Nerven gegangen." Draco schniefte, ächzte, wischte sich über sein nasses Gesicht und dachte natürlich gar nicht daran zu gehen. „Du hast mir versprochen, dass du das nicht mehr machst!" Lucius murmelte träge: „Hau ab. Ich hab keine Lust mehr auf dich", kippte wieder nach vorne zu der Flasche hin. Dieses Mal wäre er fast aus dem Sessel gerutscht, wenn er es nicht noch gerade so geschafft hätte, sich mit den Händen am Boden abzustützen. Sein Vater, auf allen Vieren vor Draco, fingerte ungeschickt auf dem Boden herum, um nach der Flasche zu greifen. Draco brüllte auf vor Zorn, als er sah, wie sein Vater das Gleichgewicht verlor und mit dem Gesicht nach vorne auf den Boden kippte. Er blieb einen Moment liegen, bis er sich schwankend auf die Knie hochrappelte. „Du hast mich angelogen. Du hast gesagt, dass ich mich auf dich verlassen kann!" Am liebsten hätte er Lucius an Ort und Stelle erwürgt. Es kribbelte schon in seinen Fingern, aber auch in seinem Magen, seiner Kehle, seinem Kopf. Sein ganzer Körper kribbelte und brannte vor Enttäuschung und wegen des in ihm aufwallenden Zornes. Lucius lallte in betrunkenem Sing-Sang: „Lass mich in Ruhe und geh dein Schlammblut vögeln, oder was du sonst so machst", während er sich an den Sessel festgeklemmte, die Flasche in der Hand, auf die Füße zog. In diesem Moment war er in Dracos Augen unglaublich hässlich. Ekelhaft und abstoßend. Dumm sah er aus, wie er schwankte, nach hinten gegen die Wand kippte und erst beim dritten Versuch wirklich den Mund fand, und den Whisky hineingoss. Seine Weste war klatschnass, weil er seinen Mund so oft nicht getroffen und sich stattdessen den Whisky über- statt hineingekippt hatte. Er stank nach Alkohol, die Augen auf Halbmast und rot, die Bewegungen langsam, als er wieder die Hand hob, um Draco aus dem Zimmer zu scheuchen. „Was stehst du da noch rum? Ich will dich nicht mehr sehen!" Ein weiterer, tiefer Zug aus der Flasche. Als er die Hand wieder sinken ließ, rutschte ihm die Flasche aus den Fingern und er bemerkte es noch nicht einmal. Sie fiel auf dem Sessel und der Whisky floss und floss und floss, durchweichte den Sessel und tropfte auf den Boden. „Ich hasse dich, wenn du so bist", presste Draco mühsam hervor und schüttelte sich vor Abscheu. Lucius trat einen schweren Schritt nach vorne, streckte die Arme aus wie ein Schlafwandler und legte Draco die Handflächen auf die Brust. Zuerst dachte dieser, dass Lucius sich abstützen musste, um nicht zu kippen, doch das war höchstens zweitrangig. „Geh schon, du hast mir schon genug ruiniert", hörte er die betrunkene Stimme seines Vaters. Lucius beugte sich etwas weiter nach vorne, lockerte kurz die Hände und stieß ihn schwach gegen die Brust. „Hau ab!" Er hatte sicher vorgehabt, härter zuzustoßen, wäre er nur in der Lage gewesen, sein Gleichgewicht besser zu halten. Draco bewegte sich nicht, versteifte sich stattdessen und ballte die Fäuste. „Wenn Mutter das erfährt, bist du morgen geschieden… ich denke, ich…" Ein harter Schlag ins Gesicht, mit einem Mal hatte Lucius seine Kraft wohl wiedergefunden, stoppte Draco mitten in der Drohung. Ungeschickte Hände fummelten zittrig an seinem Kragen herum, bis sie genug Stoff zu fassen bekamen, um Draco zu packen. „Vorher schmeiß ich dich raus! Du machst mir alles kaputt und es ist dir scheißegal, was wir anderen wegen dir durchmachen müssen!" „Wegen mir? Vergiss es, ich will euch nicht. Ich brauch euch nicht." Draco schlug die Hände von seinem Hals weg und stieß Lucius mit der Hand hart gegen die Brust, so fest, dass dieser nach hinten kippte, auf dem whiskynassen Boden ausrutschte und schlitternd vor Draco auf seinen Hintern plumpste. „Morgen sitzt du auf der Straße!", drohte Lucius mit hasserfülltem Blick. „Ich hab genug Ärger am Hals mit meinem eigenen Prozess und deiner Mutter, mir reicht's. Ich hab keine Lust mehr, das Kindermädchen für einen Irren zu spielen!" „Ich will dich doch gar nicht", brüllte Draco, der langsam das letzte bisschen Fassung verlor, das er überhaupt noch besessen hatte. Er war knallrot im Gesicht, heulte vor Zorn und sicherlich spuckte er auch beim Schreien, soviel Speichel und Rotze wie ihm über das Gesicht liefen. „Ich wollte doch nie hier herkommen, ich wollte nie hier sein. Ihr zwingt mich doch… wenn ihr mich in Ruhe lassen würdest, dann wärt ihr mich doch schon längst los!" „Ja, dann tu es doch endlich", krakeelte Lucius laut, rüde, betrunken. „Bring dich endlich um, dann haben wir es hinter uns und sind dich los!" xxx Hermine humpelte so schnell sie konnte den Gang entlang. Draco war in einer sehr gefährlichen Stimmung gewesen und wenn man bedachte, wie sein ganzer Tag bisher gewesen war, sah sie jetzt die Gefahr, dass dieser Tag noch sehr schlimm enden würde. Zudem war Lucius heute selbst nicht auf der Höhe gewesen. Hermines Gefühl nach, war dieser Tag auch für Lucius zu anstrengend gewesen und wenn Draco jetzt hineinstürmte um loszupoltern… Zumal Hermine nicht vergessen hatte, dass sie Dracos Vater vor ein paar Wochen beim Trinken erwischt hatte. Sie waren sich selten nahe genug, dass sie das mit Verlass hätte sagen können, doch sie glaubte, noch bei ein, zwei anderen Gelegenheiten eine Whiskyfahne gerochen zu haben. Und wenn er das jetzt wieder tat und Draco das mitbekommen würde… Hermine erreichte die Treppe zur Eingangshalle. Laute Schreie ließen sie innehalten. Sie schloss die Augen und stöhnte bei den Dingen, die unten im Arbeitszimmer gebrüllt wurden. Ihre Finger schlossen sich fest um das Marmorgeländer, als sie die Treppe hinuntereilte. Narzissa war einige Türen weiter und befand sich mit Rodolphus im Salon. Die Tür war nur halb geschlossen und so sah Hermine im Vorbeigehen, dass Narzissa drinnen auf einer der Chaiselongues saß, das Gesicht in den Händen vergraben hatte und augenscheinlich weinte. Rodolphus saß mit leicht entnervtem Gesichtsausdruck neben ihr und redete wild gestikulierend auf sie ein. Hermine verharrte nicht, sondern beeilte sich weiterzukommen. Sie war nahe genug um jedes einzelne der hin- und hergeschleuderten Worte aus dem Arbeitszimmer hören zu können. Dieser Abend würde noch in einer Katastrophe enden, wenn sie… Ein dumpfes Geräusch. Das Schreien erstarb. Hermines Herz setzte für einen Schlag aus, als sie bei sich dachte, dass das dumpfe Geräusch eben wie ein Körper geklungen hatte, der schlaff zu Boden fiel. Ungutes ahnend, riss sie die Tür zum Arbeitszimmer auf. Ein spitzer Schrei entrang sich ihrer Kehle. Grell, laut und durchdringend, denn sie fand ihre Befürchtungen schon auf den ersten Blick bestätigt. Auf der anderen Seite des Raumes, vor dem flackernden Kamin stand ein hysterisch weinender, blutbespritzter Draco. Er war knallrot im Gesicht, atmete heftig und schlug sich selbst mit den Handballen gegen die Stirn. Blutspuren waren auf seinem Gesicht, seinen Armen, seinem Hemd, ja sogar an der Wand und natürlich auf seinem Vater, der reglos mit blutüberströmtem Gesicht am Boden lag. Die zersplitterte Whiskyflasche kullerte vor Dracos Füßen. Draco hatte Hermine gesehen, er schluchzte heftig und schien etwas sagen zu wollen, doch er konnte nicht. Wenn er den Mund aufmachte, kam ihm nichts als unartikuliertes Wimmern über die Lippen. Er fiel auf die Knie und begann an Lucius zu rütteln. Vorsichtig drehte er ihn auf den Rücken und Hermine schlug die Hände vor die Augen und schrie erneut. Ein tiefes Loch mitten auf der totenbleichen Stirn, lag Lucius mit geschlossenen Augen reglos am Boden. Fingernagelgroße Glassplitter ragten aus der Wunde hervor. Das weißblonde Haar war tiefrot und feucht, blutgetränkt und klebte strähnig am Boden. Draco wimmerte, heulte und schrie. Er schüttelte seinen Vater und rüttelte an ihm, versuchte vergeblich, ihn aufzuwecken. Hermine war speiübel bei diesem Anblick, wie gelähmt stand sie da. Wollte etwas tun, musste etwas tun und konnte sich doch nicht von der Stelle rühren. Sie stand ja immer noch in der geöffneten Tür, so dass sie nicht nur Draco vor ihr, sondern auch die Geräusche hinter sich wahrnahm. „Was ist denn da los?", hörte sie Rodolphus hinter sich rufen. Hermine schwankte, kippte leicht gegen die Tür und stieß sie damit unbeabsichtigt ganz auf. Unbeabsichtigt, denn nun strauchelte sie und musste sich an der anderen Türhälfte auffangen, um nicht zu fallen. „Es ist… Draco, er hat… bitte kommen Sie und… er…" Draco hatte seine Verwandten gut dressiert, das musste man ihm lassen. Allein Hermines Gesicht in Verbindung mit dem Namen Draco reichte schon, um Bestürzung in Rodolphus' Gesicht zu treiben. Er rief etwas hinter sich, in den Salon hinein und rannte dann zu Hermine. Er schrie. Stürzte zu den beiden am Boden und schob den hysterischen Draco zur Seite. Befahl Hermine, Draco festzuhalten, damit der Rodolphus nicht zur Seite schieben konnte und rief mit magisch verstärkter Stimme nach Narzissa. Draco wand sich, war aber durch den Schock und die Angst so schwach, dass ihn festzuhalten nicht mehr Kraft kostete, als wenn man ein kleines Kind hätte festhalten wollen. Er wimmerte, heulte und brachte immer noch kein Wort heraus. Rodolphus fluchte abwechselnd auf Lucius, den Whisky, Draco und Narzissa. Als letztere sich endlich einfand, wurde sie beim ersten Blick, der sich ihr bot, schon ohnmächtig. Schlaff klappte sie zusammen und fiel rücklings zwischen Tür und Flur. Rodolphus hatte seinen Zauberstab gezogen, murmelte Sprüche, um die Blutung zu stoppen, doch das Loch auf Lucius' Stirn sah beängstigend aus. Glasscherben im Gesicht und… besser Hermine fragte sich nicht, wie tief sie in den Schädel hinein getrieben worden waren. „Das geht so nicht, Sie müssen ihn in ein Krankenhaus bringen!" „Ja, dann mach du doch", blaffte Rodolphus zurück. „Er blutet wie ein verdammter Springbrunnen, der hat noch mehr Löcher. Scheiße, Draco, was um alles in der Welt hast du nur gemacht?" Draco begehrte bei diesen Worten auf, war nicht mehr zu halten und schubste Hermine zur Seite. Er packte Lucius' Gesicht und schüttelte ihn, wieder schluchzte er laut und hysterisch auf. Während Rodolphus alle Hände damit zu tun hatte, um Draco davon abzuhalten, noch mehr Schaden anzurichten, hatte Hermine ihre Hände frei, um nach der Flohpulverschale auf dem Kamin zu greifen. Ihre Hände waren feucht und zitterten stark. Mit fahrigen Bewegungen fummelte sie an der Schale herum, bis sie sie zu fassen bekamen. Doch die Schale rutschte wie eingeölt durch die verschwitzten Finger. Hermine wollte sie auffangen, doch ungeschickt wie sie war, stieß sie das Gefäß dadurch nur vollends in den Kamin. Alles Flohpulver verbrannte in einer einzigen, gewaltigen Stichflamme, die das Zimmer für einige Sekunden in smaragdgrünes Gespensterlicht tauchte. Trotz des Schrecks war sie immerhin geistesgegenwärtig genug, um „'s" zu rufen. Die Schale war zerschellt und eine Flohpulvermenge, die für weitere zwei Jahre gereicht hätte, verbrannte in einem einzigen Feuer vor ihren Augen, doch es gab Wichtigeres zu tun, als über diese Verschwendung nachzudenken. Hastig schilderte sie die Situation in groben Zügen und forderte schnellstmögliche Hilfe. Jemand stöhnte, Narzissa wachte auf. Rodolphus hatte Draco beiseite gedrängt und kümmerte sich wieder um Lucius. Mit fahrigen Bewegungen schlenkerte er seinen Zauberstab über Lucius' Wunden hin und her. Hermine war seltsam gefangen von Rodolphus hektischen Dreh- und Wedelbewegungen. Erst Narzissas spitzer Schrei ließ sie herumwirbeln. „Draco!" Narzissa riss den Zauberstab aus ihrer Tasche heraus und zielte. Jetzt erst wurde Hermine bewusst, dass sie gar nicht mehr darauf geachtet hatte, was Draco tat. Wo war er? Noch während sie ihren eigenen Zauberstab zog, folgten ihre Augen Narzissas Fluch. Sie fand Draco ein Stück neben dem Kamin, die zerbrochene Flasche in der Hand, deren spitze Kante sich in seine Kehle bohrte. Der Schockzauber traf zu spät, um die Verletzung zu vermeiden. Die zerbrochene Flasche glitt matt aus seinen Händen, doch er hatte sich bereits die Haut aufgeschlitzt. Blut tropfte rot aus seinem Hals. Es hatte schon seinen Sinn, dass man den Heilern das Passwort zum Manor gegeben hatte. Angesichts der Umstände wäre es natürlich noch viel sinnvoller gewesen, einen direkten Kaminanschluss einzurichten, doch die Malfoys hatten das abgelehnt. Zuviel wussten sie darüber, was ungebetene Gäste alles anrichten könnten. Doch die Notheiler waren keine ungebetenen Gäste, im Gegenteil, man hätte sie fast gute Bekannte nennen können. Schließlich waren sie schon des Öfteren wegen Draco hergeeilt und immer wieder hatten sie Lucius gedrängt, endlich den Kaminzugang zu öffnen. Stets hatte er abgelehnt, jetzt konnte ihm der Schutz seiner Privatsphäre zum Verhängnis werden. Es barg eine gewisse Ironie, wie wenig man an Ort und Stelle erklären musste. Draco war im Krankenhaus, nicht nur in der Psychiatrie bekannt. Man hatte sein Gesicht ja schon anlässlich seiner bisherigen Selbstmordversuche kennenlernen können und hatte bei dieser Gelegenheit natürlich auch mit dem Rest der Malfoys Bekanntschaft gemacht. Alles war hektisch, wenig wurde gesprochen. Hermine kannte das schon. Da man sie allerdings auch kannte, erreichte sie zumindest, dass man sie über den Status Quo informierte, bevor die Patienten weggebracht wurden. Draco selbst war nicht allzu schwer verletzt. Bitterböse Ironie des Schicksales. Dadurch, dass die Hemdkragennarbe, die er sich beim Erhängen zugezogen hatte, vorne leicht vernarbtes Gewebe zurückgelassen hatte, war die Flaschenscherbe nicht tief in den Hals eingedrungen. Er war verletzt, aber die anvisierte Halsschlagader hatte er nicht getroffen. Angesichts der anderen Vorfälle dieses Tages musste man ihn dennoch mitnehmen. Lucius wurde untersucht. Die Heiler äußerten Narzissa gegenüber, dass die Verletzungen nicht so schwerwiegend waren, wie es den Anschein gehabt hatte. Blutige Wunde, Gehirnerschütterung, der Schädelknochen vorne war leicht gerissen. Man müsse ihn natürlich mitnehmen, um ihn eingehend zu untersuchen. Hermine war erstaunt, Narzissa eher besorgt als verärgert zu sehen. Wäre das nicht die Gelegenheit gewesen, auf die sie so lange gewartet hatte, um ihren Mann endgültig vor jedem verfügbaren Menschen als Abschaum hinzustellen? Aber Narzissa war sowieso nicht sie selbst. Sie machte sich ja sogar Sorgen um Draco. Insgesamt wirkte sie durcheinander, kurzatmig und die Heiler nahmen sie mit, da sie einen Zusammenbruch befürchteten. Rodolphus kam mit, um die Situation zu erklären. Hermine blieb zurück. Xxx Mittlerweile hockte sie schon seit zwei Stunden auf der breiten Marmortreppe und starrte das Eingangsportal an. Sie saß hier, seit die die anderen ins Krankenhaus abgereist waren. Sie ärgerte sich darüber, sich wieder so einfach abspeisen gelassen zu haben. Sie hätte darauf bestehen müssen mitzugehen. Rodolphus war, genau genommen, nicht mehr Familienmitglied als sie. Ja, eher weniger. Aber er hatte mitgedurft, während sie einfach zurückgelassen wurde. Sie war bis zum Portal mitgegangen und dann… einfach stehen geblieben und hatte dem Versehrtenzug nachgesehen. Als sie zurückschlich, hörte sie die wohlbekannten Stimmen emsiger Elfen, die sich bereits daran machten, das Chaos, das Lucius und Draco veranstaltet hatten, zu beseitigen. Sie hatte ihnen ein Weile zugesehen, doch als sie sich daran machte mitzuhelfen, dunkle Blutflecken aus dem Kaminsessel zu entfernen, war sie auf die den Elfen eigenen, freundlich-bestimmte Art zum Zimmer hinauskomplimentiert worden. Das hier sei Elfenarbeit und Hermine würde dabei stören. So hatten sie es durch die Blume gesagt. Sie war zu verwirrt um einzuwenden, dass sie ihnen ja gar nicht die Arbeit wegnehmen wollte, sondern nur ganz dringend etwas brauchte, um sich von ihren eigene Gedanken abzulenken, aber nicht einmal das zu sagen brachte sie zustande. So hatte sie sich hier hingesetzt und wartete. Irgendwann würde jemand zurückkommen. Wer? Vermutlich Rodolphus und Narzissa zuerst. Sie konnte Narzissa schon sehen, wenn sie hochmütig hereinspaziert kam und bei Hermines Anblick darüber loswettern würde, dass sie das Ansehen einer Reinblüterfamilie verschandelte, wenn sie in deren Eingangsbereich herumlungerte. Dann würde sie gegen ihren Mann wettern und wie immer zu dem Schluss kommen, dass er großes Unglück über sie gebracht hatte, indem er Hermine und Draco ins Haus geholt hatte. Aber Hermine würde nicht klein beigeben… dieses Mal würde sie ihr die Meinung sagen. Warum auch nicht? Ihrer Einschätzung nach, waren ihre Tage im Manor jetzt sowieso gezählt. Nach diesem Tag konnte es einfach nicht mehr weitergehen wie bisher. Sie seufzte schwer, schlang die Arme um ihre Knie und betrachtete ihre Füße. Das konnte noch lange dauern. Vielleicht sollte sie sich eine Decke und etwas zu trinken holen? Nein! Wie albern, sie hatte bestimmt nicht vor, auf dieser Treppe zu übernachten. Ein kurzer Blick auf eine überdimensional große Uhr, die über der Tür zum Salon angebracht war, und sie stöhnte. Genau zehn Minuten nach Mitternacht. Zeit konnte etwas sehr Zähes und Anstrengendes sein, wenn sie nicht verrinnen wollte. Warten war anstrengend. Auf was wartete sie eigentlich? Von Narzissa wieder angeschnauzt zu werden? Das hatte sie nicht nötig, überhaupt hatte sie jedes Recht der Welt auch im Krankenhaus zu sein. Sie würde gehen, ja genau… sie würde noch ein paar Minuten warten, um den sowieso schon unwahrscheinlichen Fall auszuschließen, dass sie Narzissa in Dracos Zimmer über den Weg laufen würde. Nur noch zehn Minuten, höchstens bis halb… dann würde sie gehen und… Gott im Himmel. Hermine presste die Hände auf die Augen. War das jetzt Selbstmordversuch Nummer vier? Er war panisch gewesen und hatte sich nicht sonderlich geschickt angestellt… trotzdem. Es war eine Zumutung, eine Zumutung und eine Frechheit von Draco. Nach allem, was sie für ihn getan hatte und soviel Mühe, wie sie sich mit ihm gegeben hatte, wollte er immer noch sterben. Das war einfach unfair. Genau, da ertrug sie seit gut einem Jahr seine Launen, Anfälle und, nicht zuletzt, seine Familie, und er war immer noch nicht gesund. Selbstmordversuch Nummer vier war der Lohn für alles, was sie für ihn tat. Was für ein unverschämter, undankbarer Egoist er doch war. Das würde sie ihm nachher sagen… Nein, natürlich nicht. Aber… Die große Tür am anderen Ende der Halle öffnete sich. Hermine verspannte sich, ihr Herz schlug schneller, sie konnte spüren, wie es gegen ihren Brustkorb hämmerte. Und dann blieb es stehen, jedenfalls setzte es aus, als sie sah, dass Lucius mit hängenden Schultern in die Halle schlich. Hermine sackte in sich zusammen. Natürlich nicht Draco, hatte sie etwa geglaubt, dass er das schon wäre? Geglaubt nicht, gehofft schon. An seiner Statt kam jetzt sein Vater auf sie zugeschlurft. Ohne den Gehstock und die vornehme Kleidung. Die war vermutlich zu vollgeblutet, so dass man ihm stattdessen einen schäbigen, schlammbraunen Reiseumhang gegeben hatte, der selbst für Arthur Weasleys Verhältnisse billig gewirkt hätte. Zudem hatte er einen dicken Verband um den Kopf, der Hermine an eine altmodische Bademütze erinnerte. Die langen Haare waren strähnig, jetzt merkte Hermine auch, dass er recht streng roch und überhaupt sah er aus wie ein Penner, der sich eine neue Brücke suchte, unter der er heute schlafen könnte. Seinem Gesicht nach war er sich dessen auch voll und ganz bewusst. Mit hängenden Schultern schleppte er sich der Treppe entgegen und machte dabei ein Gesicht, als solle er genau dort hingerichtet werden. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sie ignorieren und tonlos an ihr vorbei schleichen würde, doch stattdessen hielt er vor ihr an und sah ihr offen ins Gesicht. „Ich gehe davon aus, dass du hier nicht auf mich wartest?" Hermine nickte, denn das war offensichtlich, sie sagte es aber nicht, denn Lucius war ihr in diesem Zustand nicht geheuer. Er nickte träge und hob die Hand, als wolle er sich Haare aus dem Gesicht streichen. Die Hand schaffte es bis zu dem Verband, dort angekommen sank sie schlaff herunter. „Ja, Draco ist noch im Krankenhaus", informierte er sie lahm. „Rod ist… bei dieser unbekannten Freundin, er blieb nicht lange. Ging wohl ziemlich schnell, nachdem ich aufgewacht bin." Er seufzte. „Ja, ich denke, wir gehen ihm auf die Nerven. Naja… immerhin hat er das mit Draco und Narzissa heute Nachmittag erklärt… Und dem Prozess… tja, deswegen ist er auch noch dort. Draco, meine ich. Er war ja nicht so schwer verletzt, aber sie wollen ihn zur Beobachtung über Nacht dort lassen. Dürfen sie offiziell nicht, aber angesichts der Umstände hielten sie es für besser, wenn er… wenn sie ihn von uns fernhalten." „Wie geht es ihm denn?" Lucius zuckte unbestimmt mit den Achseln. „Nicht so gut, glaube ich. Ich habe ihn nicht gesehen. Er war der Meinung, dass er mich umgebracht hat. Als sie ihn weckten, war er so hysterisch, dass er nicht mehr ansprechbar war." Er verzog das Gesicht und ließ sich zu Hermines grenzenlosem Entsetzen direkt neben sie auf die Treppenstufen sinken. „Sie meinten, es wäre besser, wenn er diese Nacht nicht hier wäre. Er müsse sich erst beruhigen. Dieser schwarze Pfleger ist jetzt bei ihm. Tja… morgen Mittag sollen wir dann zu ihm gehen und dann wird überlegt, wie es weitergeht. Sie wollen auch den… den Vorfall heute Abend besprechen. Ja... eigentlich vorhin schon, dann haben sie aber den Blutalkohol gemessen und", Lucius drehte das Gesicht von Hermine weg, senkte seine Stimme ebenso wie seinen Kopf und wirkte erschreckend verlegen, „sie meinten, ich solle besser nach Hause gehen und schlafen. Hielten mich wohl für nicht sehr gesprächsgeeignet…" Er zuckte die Achseln und fügte lahm hinzu „auch wegen der Gehirnerschütterung." „Und Ihre Frau?" Er drehte ihr den Kopf wieder zu und schenkte ihr ein zutiefst bitteres Grinsen. „Wenn sie das noch ist… Das wage ich eigentlich zu bezweifeln. Nun, Narzissa ist ebenfalls noch dort. Rodolphus… ich weiß nicht was er über sie gesagt hat, aber es war wohl aufschlussreich genug, um sie zu einem längeren Gespräch zu biten. Ich denke, sie spricht immer noch mit Dracos Heilern." Hermine zog die Arme noch enger um ihre Knie und versuchte, sich so weit wie möglich von Lucius weg zu lehnen. Zwischen ihr und ihm war zwar bestimmt ein halber Meter Platz, trotzdem fühlte sie sich bedrängt und in die Ecke gequetscht. Falls er ihr Unbehagen bemerkt hatte, kümmerte es ihn jedenfalls nicht. Er legte die Arme locker auf den Knien ab, faltete die Hände und blickte versonnen ins Leere. „Ich frage mich wirklich, wie die das geschafft haben. Also, dass sie da bleibt. Seit Monaten versuche ich mit ihr über das Thema zu sprechen, aber mir hört sie nicht zu. Hmm, ich bin wirklich gespannt, ob sie diesen Leuten zuhört." Wenn Hermine in guter Verfassung gewesen wäre, ausgeglichen und bedacht, dann hätte sie jetzt den Mund gehalten und wäre mit einem freundlichen Nicken gegangen. Aber die Dinge lagen nunmal anders. Hermine war nervös, machte sich Sorgen um Draco und aufgewühlt, wie sie nach der ganzen Zeit des Wartens war, schlüpfte ihr die Frage so schnell aus dem Mund, dass sie sie nicht mehr aufhalten konnte. „Sir, wieso ist sie so? Ihre Frau, meine ich. War sie schon immer so…" „…kalt, zänkisch und abweisend?" Er hob eine Augenbraue und bedachte Hermine mit einem undurchdringlichen Blick. „Nun... ja. Also… ich meine in Bezug auf Draco. Was sie heute vor diesen Leuten über ihn gesagt hat… Eigentlich die ganze Zeit, seit ich hier bin… Sie scheint ihn ja richtig zu hassen." Lucius verzog das Gesicht, atmete tief durch, sackte in sich zusammen und seufzte. „Nein, nein. Natürlich nicht." Er schüttelte den Kopf und beugte sich vor um, ebenso wie Hermine zuvor, seine Füße begutachten zu können. „Normalerweise ist sie auch nicht so. Sie ist eigentlich eine richtige Glucke." Er gluckste und Hermine stellte sich vor, dass er matt lächelte. „Normalerweise… also bis… nun ja, bis zum Kriegsende noch, wenn er da war, klebte sie pausenlos an ihm dran, hat ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen und überall hat sie mit ihm angegeben. Kein Wort durfte man da gegen ihn sagen. Draco war ihr kleiner Engel… das war eigentlich richtig albern, wenn man bedenkt, dass er da schon fast einen Kopf größer war als sie." „Aber warum ist sie jetzt so anders", beharrte Hermine weiter auf eine Antwort. „Draco denkt, sie gibt ihm die Schuld an Bellatrix' Tod", fügte sie leise hinzu. „Und er… er deutet das nur an… aber er denkt auch, dass es wegen der Todesserzeit ist. Dass sie es nicht erträgt, dass ihr Sohn da mitgemacht hat, wo sie doch soviel dafür getan hat, dass er nicht hineingezogen wird." Lucius winkte ab. „Ach, Unsinn. Ja, sicher wollte sie nicht, dass er da mitmacht. Aber deswegen… sie weiß doch, dass er nicht hätte nein sagen dürfen und… nun… immerhin ist sie ja jetzt fünfundzwanzig Jahre mit einem Todesser verheiratet. So groß war der Schock nicht, dass er mir dahin gefolgt ist." Er rieb sich fahrig über Gesicht und Nacken, als würde er schwitzen. „Heute, mit etwas Distanz, sehen wir diese Sache schon anders. Aber damals war es abzusehen, dass Draco beitritt und das wusste sie auch. Nein, nein. Sie hat nicht von ihm erwartet, dass er damals klüger sein würde als wir." Er rutschte mit dem Fuß ab, kippte fast nach vorne, fing sich aber wieder. Er versuchte ruhig zu wirken, aber allein an diesem Ausrutscher erkannte Hermine, wie nervös er doch war. „Sie wäre sicher entsetzt, wenn sie wüsste, was… aber davon ahnt sie ja nichts. Dieser Prozess wird ein Schock für sie." Er drehte Hermine kurz den Kopf zu und hob bedeutungsvoll die Augenbrauen, was Hermine mit einem verstehenden Nicken bestätigte. „Draco hat schon Grund, sich davor zu fürchten. Also wir haben die Amnestie, verurteilt werden wir nicht. Dennoch, die ganzen Aktivitäten offen zu legen. Merlin!" Er schüttelte sich und stützt seinen Kopf mit der Hand ab. „Das wird alles andere als angenehm. Nun aber, nein. Das ist es nicht und ich denke, dass Narzissa auch weiß, dass er diese Dinge nicht von sich aus getan hat. Bellatrix… das ist schon ein Problem, aber anders, als du denkst, Granger!" Er wackelte unbehaglich mit dem Kopf und zuckte zusammen, als eine ungeschickte Bewegung wohl seine Verletzungen schmerzen ließ. „Narzissa schiebt das mit Bellatrix gerne vor. Ich weiß, sie sagt oft, dass Bellatrix für Draco sterben musste. Aber das stimmt so nicht. Bellatrix war… die Heiler würden wohl sagen, krank. Nun, sie war fanatisch in ihrer Beziehung zum Dunklen Lord und seinen Lehren. Man könnte sagen, sie war sein größter Fan. Ich bin sicher, dass sie und Narzissa früher wie normale Schwestern zueinander waren… aber als sie aus Askaban herauskam, war sie wie ein tollwütiger Wachhund. Sie hat uns auf Schritt und Tritt belauert und bedroht, wollte ihrem Herren zuliebe alles, was wir taten, kontrollieren. Sie hätte uns alle ohne mit der Wimper zu zucken verraten oder getötet, wenn wir ihrer Meinung nach etwas Illoyales getan hätten. Narzissa wurde von dieser Kontrolle richtig krank. Kein Tag war man seines Lebens sicher… und Bellatrix wollte ihren Herren alleine für sich haben, die hat nur nach Gründen gesucht, weshalb sie uns loswerden kann. Narzissa… sie hatte Angst vor ihr. Und dann hatten wir die Chance ,ein normales Leben zu führen und die haben wir ergriffen. Bellatrix starb dabei und Narzissa gibt sich selbst die Schuld daran, weil sie wohl insgeheim ein wenig erleichtert war, ihre Schwester los zu sein. Sicher haben wir das auch für Draco gemacht, aber doch nicht nur wegen ihm… und nun hat sie Schuldgefühle, dass sie ihre Schwester in den Tod geschickt hat." Er seufzte abermals und klatschte leicht in die Hände. „Tja… ich weiß nicht, wie viel Draco dir über unsere Familie gesagt hat, aber… fast all unsere Verwandten sind in den letzten fünf, sechs Jahren gestorben. Und dann ich und… nun ja… Askaban, und ich habe in Askaban zu trinken angefangen und damit die Gefahr für uns eigentlich noch vergrößert und… ich war wohl auch wirklich… ich habe sie nicht verprügelt… aber ich denke, wenn ich betrunken war, hatte sie auch doch Angst vor mir, ich konnte recht ausfallend werden. Und wie gesagt, innerhalb kürzester Zeit sind sehr viele wichtige Menschen gestorben. Freunde, unsere Eltern, Onkel, Tanten… zuletzt eben Bellatrix." Lucius schluckte und stöhnte, dann drehte er sich komplett zu Hermine um und sah sie ernst und durchdringend an. „Nachdem sie fünf Jahre aus dem Trauern nicht mehr herausgekommen ist… Nachdem wir gehofft haben, dass das alles vorbei ist und wir endlich wieder ruhig durchatmen können. Nachdem wir eigentlich absolut ausgelaugt und am Ende waren – entehrt, entmachtet, besiegt - und uns damit abfinden mussten, dass von unseren Freunden fast keiner überlebt hat… Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, wie sie sich fühlte, als sie hörte, dass Draco sich aufgehängt hat? Ausgerechnet jetzt? Wo wir alles dafür getan haben, dass es ihm gut geht, nimmt er sich ein Seil und hängt sich auf!" Er schnaubte und schüttelte den Kopf. „Das war zuviel für sie, damit kam sie nicht klar. Sie hat soviel Panik, ihn jetzt auch noch zu verlieren, dass sie es nicht mehr aushält, mit ihm in einem Zimmer zu sein. Sie hat mir gesagt, dass sie keine Nacht mehr schlafen kann und sich in kein Zimmer mehr hineinzugehen traut, weil sie sich immer fragt, ob sie ihn da wieder irgendwo findet. Sie kann mit der Angst um ihn nicht umgehen… Wenn sie ihn nur sieht, bekommt sie schon fast keine Luft mehr vor Angst… deswegen hält sie sich fern. Glaub mir, sie hasst ihn nicht, sie ist vor Angst um ihn so starr, dass sie gar nicht mehr auf ihn reagieren kann. Und dann wird das ja auch nicht besser… im Gegenteil… er wurde ja immer depressiver und… er hat es ja noch öfter versucht und mit jedem Mal wurde ihre Angst schlimmer. Sie will ihn hier nicht weghaben, weil sie ihn nicht mehr sehen will, sondern weil sie vor Angst um ihn verrückt zu werden glaubt. Sie hatte schon seit längerem Depressionen und… diese Leute sind oft sehr auf sich und ihr Leid konzentriert. Sie weiß einfach nicht, was sie mit ihm machen soll. Sie will ihm sicher helfen, aber sie kann es nicht. Wir haben so oft darüber geredet, dass er ihre Zurückweisung nicht versteht und darunter leidet… aber sie sagt immer nur, dass sie nur diese Narbe an seinem Hals sehen muss und schon würde sie kein Wort mehr zu ihm herausbringen…" Hermine kaute auf ihrer Unterlippe und dachte darüber nach, was sie eben gehört hatte. Sie konnte es schwer nachvollziehen, aber dennoch barg es einen gewissen Sinn. „Ja, aber… warum… warum ist sie dann so feindselig gegen alle?" „Die Depressionen… ich sage ihr schon die ganze Zeit, dass sie sich in Behandlung begeben soll und Medikamente braucht. Sie hört nicht… Es ist… also die Heiler haben mit mir darüber gesprochen. Depressive Menschen sind egozentrisch. Sie können nur an sich und ihre eigenen Probleme denken. Sie schaffen es nur schwer zu sehen, dass andere Leute auch Probleme und Sorgen haben. Nun ja… jetzt redet sie ja mal mit den Leuten, ich weiß nicht, ob es was bringt. Sie blockt ja meist jede Diskussion über sich selbst ab! Tja… aber jetzt muss sie reden, so kann das ja nicht weitergehen. Sie hat ja alles nur noch schlimmer gemacht." Er brach ab und schluckte. Nach einer Weile fügte er matt hinzu. „Das war heute sein vierter Selbstmordversuch, nicht? Ich denke, das nächste Mal schafft er's… Eigentlich kann ich sie sogar verstehen, wenn sie will, dass er aus dem Haus kommt. Wer kann da schon daneben sitzen und abwarten, bis es soweit ist?" Der Kloß, den Hermine schon während des ganzen Gespräches in ihrem Hals gespürt hatte, schwoll an und fühlte sich bald so groß an, dass er ihr fast die Luft zum Atmen nahm. „Und wie geht es nun weiter?" Ein schwaches Achselzucken und ein mattes Stöhnen. „Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass sie ihn nochmal zu uns nach Hause lassen. So kann's ja nicht weitergehen… nur… ich denke, er packt das nicht. Wenn er jetzt zu fremden Leuten soll, dann…" Seine Stimme erstarb. „Ich dachte, Sie wollten ihn doch wieso rausschmeißen", wandte Hermine ein, bevor sie es sich verkneifen konnte. Lucius bedachte sie mit einem scheelen Blick, dann schüttelte er den Kopf und winkte ab. „Ach was, ich… naja, ich hatte ein stressigen Tag und hatte zuviel getrunken." Bevor Hermine zu einer Antwort genötigt sein konnte, öffnete sich das Eingangsportal abermals. Dem Geklapper hoher Stöckelschuhe folgte der Anblick einer blonden, ausgesprochen erschöpft wirkenden Frau. Narzissa. Als sie Hermine und Lucius auf der Treppe sitzen sah, verzog sie das Gesicht, als ob sie gerade etwas besonders Übles gerochen hätte. Wäre sie näher gewesen, hätte Hermine glauben können, dass sie ihren Mann erschnuppert hatte… Aber solch feine Sinne traute sie Narzissa nicht zu und eigentlich machte sie dieses Gesicht so gut wie immer. So war sie mehr als erstaunt, als die ebenso vertrauten, harschen Worte ausfielen. Grenzenlos schockiert war sie, als Narzissa zu ihnen hochkam und sich seufzend neben ihrem Mann niederließ. Hermine schob sich noch ein wenig weiter von Lucius weg und bedauerte, nachdem sie etwa eineinhalb Meter Distanz geschaffen hatte, dass sie bereits gegen das Geländer stieß und nicht noch weiter ausweichen konnte. „Und?", hörte sie Lucius neben sich bitter fragen. „Hast du mit den Leuten geredet?" Hermine hörte Narzissa seufzen und – konnte das wirklich Narzissa sein? - kleinlaut antworten. „Ich war fast zwei Stunden dort. Sie haben mit mir geschimpft." „Ach ja?" Hermine drehte sich überrascht zu den beiden um. Lucius' Stimme klang aufrichtig erfreut. „Was haben sie denn gesagt?" „Kurz zusammengefasst, dass ich netter zu meinem Mann sein soll und eine miserable Mutter bin!" Hermine drehte ihren Kopf so schnell wie möglich wieder weg, ein leises Knacken in ihrem Genick war der Preis dafür, dass Narzissa sie nicht beim Grinsen ertappen konnte. „Ach, wirklich?" Lucius klang ehrlich erstaunt. „Und das lässt du dir sagen?" Eine Pause entstand. Hermine wagte einen schüchternen Blick zur Seite. Narzissa hatte ihre Hand auf das Knie ihres Mannes gelegt und starrte stumpf geradeaus, während Lucius sie ausgesprochen neugierig beäugte. „Ich war bei ihm", flüsterte die blonde Frau nach einer Weile. Hermine sah, wie Lucius sich über sein mit einem Mal glänzendes Gesicht wischte. „Wirklich? Wie geht es ihm?" „Er schämt sich…" Narzissa seufzte und senkte ihren Kopf. „Er hat geweint. Dieser Schwarze war bei ihm. Es hat wohl eine ganze Weile gedauert, bis sie ihm klar machen konnten, dass er dich nicht umgebracht hat. Jetzt liegt er dort, schämt sich und fängt wieder mit diesen Sprüchen an, dass er doch nur eine Last für uns ist und wir alle ohne ihn viel besser dran wären!" Hermine konnte nicht anders, nun starrte sie ganz offen zu Dracos Eltern. Sicher, sie hatte schon oft gehört, dass Draco so etwas sagte. Das hatte er aber immer nur in Abwesenheit von Narzissa getan. Sie hätte nie geglaubt, dass Lucius solche Dinge wirklich mit seiner so desinteressiert wirkenden Frau besprechen würde und dass die dabei ebenso bedrückt wirken konnte, wie sie sich selbst bei diesem Thema fühlte. „Und was hast du gesagt?" „Dass ich möchte, dass er heimkommt und dass ich mich bessern will." „Hmm", machte Lucius und auch Hermine hätte wohl, wenn sie sich mit Narzissa unterhalten hätte, nicht mehr als diesen erstaunten Laut herausgebracht. Das Schweigen auf diese Ankündigung hielt eine ganze Weile an. Mehrere Minuten vielleicht. Schließlich durchbrach es Lucius. „Und du hast wirklich mit ihm geredet? Du warst wirklich bei ihm?" Narzissa nickte und sah ehrlich schuldbewusst aus. „Ja, stell dir vor. Die Leute sagten, dass es ihm nie besser gehen würde, wenn ich nicht offener zu ihm wäre, dass ich für ihn alles nur noch schlimmer gemacht hätte und dass er Angst vor mir hätte!" Sie seufzte schwer, schluckte und… konnte das sein? Hatte sie sich wirklich die Augen gewischt, weil Tränen darin standen? „Er wollte nicht mit mir reden. Als er mich sah, hat er mich angeschrien, dass ich weggehen soll. Er hat immer noch geweint und er… er hat mich überhaupt nicht an sich herangelassen." Sie schniefte und kramte aus ihrem Umhang ein Taschentuch hervor, mit dem sie sich umständlich die Nase putzte. „Mit den Leuten da, mit diesem Pfleger hat er geredet, der durfte ihn beruhigen, aber mich will er nicht mehr bei sich haben." Narzissa schluchzte jämmerlich und obwohl sie es nicht verdient hatte, tat sie Hermine nun doch leid. Nur halbherzig konnte sie sich zu einem innerlichen „selbst schuld" durchringen. „Die Heiler haben gesagt, dass ich da jetzt durch müsste. Nur… ich will ja, ich sehe ja ein, dass ich… aber ich kann es nicht, glaube ich. Es war wirklich ganz schlimm. Ich habe ihm gesagt, dass ich will, dass er wieder nach Hause kommt und er hat mich angeschrieen, dass ich ruhig sein und weggehen soll!" „Das kannst du ihm nicht verübeln." „Ich weiß!" Sie schniefte und schneuzte sich abermals. „Ich will ja, ich sehe das ja alles ein. Aber… er will mich doch gar nicht mehr sehen. Ich habe mich neben ihm gesetzt und wollte ihm den Kopf streicheln, da hat er meine Hand weggeschlagen und gesagt, dass er mich nicht mehr sehen will!" Hermine konnte nicht anders, sie musste es sagen. „Das meint er doch nicht so. Das macht er doch ständig. Er will ganz sicher, dass Sie mit ihm reden, Madam. Nur… er hat es so oft versucht und Sie haben ihn immer ignoriert. Was dachten Sie denn? Dass das so einfach geht? Einfach hingehen, sich entschuldigen und schon ist alles wieder gut?" Narzissa zuckte mit den Achseln und verzog das Gesicht. Nicht wie üblich, um Hermine über den Mund zu fahren. Sie schniefte schuldbewusst und machte sich noch nicht einmal die Mühe, sich die Tränen aus den mit Wimperntusche verschmierten Augen zu wischen. „Ich weiß nicht, was ich gedacht habe… Morgen sollen wir jedenfalls hingehen und… er will nicht heim, hat er gesagt!" Sie schluchzte und vergrub ihr Gesicht an der Schulter ihres Mannes, als der sie an sich zog. „Er hat gesagt, dass er eine Zumutung und eine Gefahr für alle wäre und dass er uns nicht mehr sehen will!" Hermine schüttelte den Kopf, stöhnte und erhob sich ächzend. „Das sagt er jedesmal nach seinen Ausrastern. Wenn Sie sich ein bisschen mit ihm befasst hätten, dann wüssten Sie das." Sie drehte sich schon um, um hochzugehen. Zwei Stufen nach oben hatte sie geschafft, dann hielt sie inne. „Mrs. Malfoy, denken Sie, ich kann zu ihm gehen? Ich denke… ich denke, er braucht mich!" Narzissa verzog ihr Gesicht in altbekannter Ablehnung, doch sie verkniff sich die vertrauten Worte und schaffte es sogar, schwach zu nicken. „Ich… ich weiß nicht. Versuch es einfach mal. Er hat nicht geschlafen, als ich gegangen bin." Hermine nickte und stolzierte selbstbewusst an den beiden zusammengekauerten Malfoys vorbei. „Er hat nach dir gefragt", hörte sie Narzissa hinter sich sagen. Hermine hielt inne und drehte sich um. „Ach, und was haben Sie ihm gesagt?" Narzissa lächelte dünn. „Dass du ganz sicher kommen würdest. Ja, ich denke zumindest dich will er sehen." Hermine nickte und schritt in Richtung Tür davon. Das hatte sie auch so gewusst. Natürlich würde sie zu ihm gehen und ihn aufbauen. Einer musste in diesem Haus ja vernünftig sein. Im Gehen hörte sie Lucius hinter sich gähnen und in leicht hämischem Ton sagen: „Na dann fang mal an mit dem Nettsein. Ich will jetzt wirklich ins Bett und wenn du mit mir zu schimpfen hast, dann erspar es mir wenigstens bis morgen früh!" 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