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Harmonie

von

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Märchenstunde

A.N. 1: Etwas ganz tolles.
 

Die liebe Sayena hat ein Bild für die Story gemalt.
 

http://ozony.deviantart.com/art/HP-Not-alone-143606413
 

Hinterlaßt ihr ein Kommi, das Bild ist nämlich toll!
 


 

Und hier hat JohnXisor eine HÖRAUFNAHME für mich gemacht *plattbin*. Kapitel 1 ist hier zu bewundern:
 

www.skywalking.de/Der%20Duft%20der%20Blumen.mp3
 

Wäre nett, wenn ihr dazu etwas sagt. Ist nämlich beides klasse.

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Kapitel 19 : Böse Märchenstunde
 

Sein Kopf explodierte.
 

Gerade jetzt.
 

Er presste seine Hände an die Schläfe, krallte seine Finger um die Ohren und presste gegen den immer stärker werdenden Druck an.

Er hatte so oft explodierende Köpfe gesehen. Er wusste, wie das aussah und wenn er jetzt nicht aufpasste und seinen Kopf zusammendrückte, würde der gleich wie ein Ballon zerplatzen.
 

Falls er es nicht aufhalten konnte.
 

Die Welt um ihn herum drehte sich schneller und schneller. Gesichter und Konturen verschwammen und wirbelten als verschwommene Farbschlieren um ihn herum.

Ein Pfeifen, das aus seinem Innersten zu kommen schien, schrillte in seinem Kopf. Lauter und lauter, ließ seinen Kopf anschwellen.
 

Er würde es nicht aufhalten können. Sein Kopf würde jeden Moment platzen. Ganz sicher.
 

Der Mann vor ihm schrie. ER war immer noch deutlich. ER blutete immer noch am ganzen Leib und schrie. Schrie fast ebenso laut wie Draco selbst. Seine Haut lag wie ein zusammengeknautschter, in Blut getränkter Stofffetzen neben ihm. Zurück blieben das rote, wunde Fleisch und die irren Schmerzensschreie des verblutenden Mannes.
 

Sein Kopf würde platzen. Sein Kopf würde ganz sicher jeden Moment platzen.
 

Er ging in die Knie und schrie und seine Schreie verbanden sich zu einem grausamen Todeslied, das er gemeinsam mit dem Mann vor ihm sang, dessen schmerzender Körper ihm doch das erlösende Ende verwehrte. ER würde nicht sterben. Er würde nicht sterben, noch nicht. Es war noch nicht zu Ende. Bevor er endlich tot, endlich still wäre, endlich aufhören würde, den Boden mit seinem Blut zu besudeln, würde Draco das Messer erneut ansetzen müssen.
 

Die Augen des Mannes lagen offen. Karkaroff starrte ihn aus lidlosen Augen an, doch Draco wusste, dass Karkaroff auch dann seine dunklen Augen vor Panik weit aufgerissen hätte, wenn er noch Augenlider gehabt hätte, denn nun würde er sterben.

Draco wurde übel, denn in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er lachte. Er spürte seine Freude und Erregung. Wie aus einem anderen Leben drang die Erinnerung in dem Moment in seinen Geist, als sein Kopf zu platzen drohte.
 

Die Wahrheit drang ebenso schmerzhaft und todbringend in seinen Geist ein, wie das Messer in Karkaroffs Brust, als er erneut ausholte und zustach. Wieder und wieder drang die scharfe Klinge in die Brust des gehäuteten Mannes und Draco wusste, dass ihn niemand dazu gezwungen hatte.
 

Ebenso deutlich, wie er sich der Tatsache bewusst war, dass das auf dem Boden nicht nur Blut, sondern auch Urin war – denn immerhin hatte er ihn mit den anderen selbst angepinkelt - wusste er, dass das hier seine Idee war.
 

Man hatte ihn gemeinsam mit Avery und Rockwood losgeschickt, um zu lernen. Zum ersten Mal ging es nicht darum, sein Leben sinnlos zu riskieren oder ihn zu bestrafen, sondern diesmal ging es tatsächlich darum, ihn zu einem Todesser auszubilden.

Sie hatten Karkaroff in Polen gefunden. Nein, eigentlich der Kopfgeldjäger, den sie nach der Überbringung der Nachricht umgebracht hatten.
 

Draco sollte ihn töten. Karkaroff hatte Angst gehabt, Draco angebettelt, was diesen zutiefst beeindruckte. Die Sache begann ihm Spaß zu machen. Ein überwältigendes Gefühl von Macht überflutete ihn bei dem Wissen, das Leben dieses Mannes in seiner Hand zu haben. Zu wissen, dass Karkaroff ihm ausgeliefert war. Er war der Stärkere und dieses Wissen hatte ihn mit einer brennenden Energie durchströmt, die sexueller Erregung gleichkam. Es war ein Spiel gewesen. Er, Avery und Rockwood hatten ihre Macht ausgespielt. Gemeinsam hatten sie Karkaroff verhöhnt und misshandelt. Wie Katzen, die ich zusammenrotten, um eine Maus vor dem letzten, tödlichen Biss zu quälen, hatten sie Karkaroff vor seinem Tod gefoltert. Er hatte das meiste getan, er hatte die erregendsten Ideen gehabt.
 

Sie hätten dieses Spiel nicht spielen müssen. Ein schneller Tod wäre auch ausreichend gewesen. Das hier war keine Botschaft an das Ministerium oder das Zauberervolk. Dies hier war für die Todesser selbst bestimmt. Voldemorts Abschiedsgruß, der an alle ging, die meinten, ihn verlassen zu können.
 

Er hätte es nicht tun müssen. Es war seine Idee gewesen. Er hatte seinen Zauberstab in ein Messer verwandelt und den flüchtigen Karkaroff ebenso wie einem zu schlachtenden Hasen die Haut abgezogen. Danach hatte er ihn unter dem donnernden Gelächter seines Publikums angepinkelt und ihn dann, gnädig wie er war, endlich umgebracht.
 

Xxx
 

„Was ist denn los mit ihm, Hagrid?“
 

„Äh, weiß nicht… Dachte, ich hol dich und du sagst es mir.“
 

Hermine drehte sich um und sah Hagrid erstaunt an. Der zuckte nur ratlos mit den Achseln, schob die Unterlippe vor und wirkte wie ein Kind, das bei etwas Verbotenem ertappt worden war. „Also Kingsley hat gesagt, er soll mir helfen. Nicht‘? Hab ihn dann mit hier runter genommen und hab ihm gesagt, dass er den Boden da schrubben soll. Na, da hat er angefangen zu schreien.“ Hagrid wiegte nachdenklich in die Erinnerung versunken den Kopf hin und her, seufzte und drehte sich dann wieder zu Hermine. „Ja, am Anfang dachte ich halt, äh…das ist halt Malfoy. Der kriegt `nen Krampf, wenn er was arbeiten soll. Er isses ja nicht so gewohnt… Aber er hat irgendwie gar nimmer aufgehört. Ist auf seinen Hintern gefallen und dann hat er ’ne Weile rumgebrüllt.“
 

Hermine hob die Hände vors Gesicht und atmete tief durch. Fieberhaft überlegte sie, was nun zu tun sei und vor allem, wie sie es tun könnte, ohne in Hagrid falsche, oder viel schlimmer, richtige Mutmaßungen zu erwecken.
 

„Tja… und seitdem sitzt er da. Was mach ich denn jetzt mit ihm?“ Hagrid vergrub seine massigen Hände in seinen zirkuszeltgroßen Hosen, hob die Augenbrauen und sah auf Malfoy, der vor ihm kniete, mit dem gleichen Blick hinab, den auch Hermines Vater immer aufsetzte, wenn er sich ein neues Elektrospielzeug angeschafft hatte und nicht wusste, wie man es bediente.
 

Hermine zuckte ebenfalls mit den Schultern und warf Draco einen fragenden Blick zu, als würde er es ihnen verraten, wenn sie ihn nur nett darum baten.

Draco jedoch tat nichts dergleichen. Er saß auf seinen Knien, umschlang sich selbst und war kreidebleich. Seine leicht blau verfärbten Lippen bebten. Immer und immer wieder murmelte er mit starrem Blick etwas, das nach „Mein Kopf platzt!“ klang.
 

„Ist halt so“, fuhr Hagrid so leise fort, als fürchte er, man könne sie belauschen. „Ich muss ja immer mal nach ihm kucken. Auch wenn ich nicht die ganze Zeit dabei bin, während er Strafarbeiten macht.“ Sein Bart bewegte sich und Hermine meinte zu erkennen, wie er sich nervös über die Lippen leckte. Er warf Hermine einen scheuen Blick zu, sah sich dann suchend nach beiden Seiten über die Schulter um und rückte etwas näher an sie heran. Sein Ton war halb vertraulich, halb verschwörerisch. „Ich hab dich ein paar Mal mit ihm rumstehen sehen. Wusste nicht so recht, was ich davon halten soll. Hab deswegen einfach mal nix gesagt, aber… irgendwie hängst du immer öfter bei dem Jungen rum. Weiss nicht, ich dachte halt… also, weil ich mit den Slytherins nich‘ so kann und weil du wohl öfter mit ihm zusammen bist als die, also ich dachte, ich ruf dich einfach mal. Vielleicht weißt ja du, was wir mit ihm machen sollen, wenn er so ist.“
 

Hermine wagte kaum zu atmen. Die alberne, unsinnige Angst stieg in ihr hoch, dass Atmen in diesem Moment gefährlich sein könnte. Vielleicht würde sie aus Versehen den Mund aufmachen, unbeabsichtigt etwas sagen und dann wäre alles zu spät.
 

„Du, Hermine, brauchst nicht zu kucken wie ein verschrecktes Huhn.“ Hagrids große Pranke patschte ihr auf die Schultern. Hermine schreckte hoch, verlor das Gleichgewicht und konnte sich nur mit einem Schritt nach vorn von einem Sturz abhalten. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Hagrid an, der seinerseits stoisch in die entgegengesetzte Richtung sah. „Ich sach' das schon keinem. Du bist'n kluges Mädchen und hast ein gutes Herz. Du wirst deine Gründe haben.“ Er schnaubte und sein riesengroßes, haariges Gesicht blickte sie nun doch direkt an. Sorge stand in den lieben, schwarzen Käferaugen. „Aber trotzdem… der da“, er ruckte mit dem Kopf in Richtung Draco, „der ist nicht gut für dich. Weiß nicht, die ganze Familie ist nix wert.“ Er warf Hermine, die vor Draco auf die Knie gegangen war, einen prüfenden Blick zu. „Hast du seinen Arm gesehen?“

Sie nickte stumm, ohne Hagrid anzusehen. Stattdessen legte sie ihre Hände auf Dracos Wangen und streichelte ihn.
 

„Ich mein, klar, is' nur 'n junger Kerl. Er is' schon immer fies gewesen, aber das ist wohl nich' auf seinem Mist gewachsen. War bestimmt die Idee seiner Familie. Lucius' Nachfolger und so… Aber der dreht doch total durch. Besser, du hältst dich fern von ihm. So in Zukunft und so. Wär' besser...“ Er seufzte schwer und wich einen Schritt zurück. „Also, was machen wir jetzt mit ihm?“
 

Hermine zuckte die Achseln. Sie umfasste Dracos Oberarme und streichelte ihn sanft. „Draco, hörst du mich?“ Sie ließ den einen Arm los und packte stattdessen sein Kinn, um es so weit nach oben zu drücken, dass er ihr in die Augen sehen musste. „Draco. Hörst – du – mich?“
 

„Wir sollten ihn vielleicht hoch bringen. Nich'?“ Hagrid ging neben Hermine in die Knie. Selbst jetzt, auf seinen Knien und zu Draco hinuntergebeugt, war er nicht kleiner als Hermine, die sich wieder aufgerichtet hatte.
 

„Ich denke schon“, murmelte sie unglücklich. Der große, dicke, dunkle Hagrid war neben dem dünnen, blonden Draco ein so übermächtiger Anblick, dass Hermine nicht anders konnte als einen Schritt auf die beiden zuzugehen und nach Dracos Arm zu greifen, um ihn zu sich zu ziehen. Hagrid verstand die Geste jedoch falsch, oder auch nicht, wie man es sehen mochte. „Besser nich'. Geh du schon mal voraus. Ist besser, wenn man euch beide nicht so oft zusammen sieht. Ich bring ihn hoch innen Flur. Du kannst dann mit ihm reingehen, da hab ich keine Zeit zu.“ Er seufzte und zog Draco hoch auf die Beine, als würde er nicht mehr als ein Pergamentblatt wiegen. „Wir können ihn ja nich‘ so sitzen lassen. Irgendwas hat er… Das is‘ mal klar.“ Er zuckte mit den Achseln und schob Draco, der wie sich eine Marionette unter Hagrids Armen führen ließ, den Weg zum Schloss entlang.
 

Hermine seufzte und sah den beiden nach. Es war beängstigend, nahezu erstickend, was sie erfahren hatte. Hagrid wusste es. Zum Teil zumindest, obwohl er ein viel zu anständiger Mensch war, um sie an irgendjemanden zu verraten. Andererseits… Hagrid hatte sich schon öfter verplappert.
 

Xxx
 

Madam Pomfrey legte den Kopf schief, verschränkte die Arme und zog die Augenbrauen hoch. „Ach, Mr. Malfoy. Auch wieder hier?“
 

Sie seufzte schwer und warf Hermine, die Draco am Arm gepackt hatte und ihn wie ein großes, sperriges Möbelstück vor Madam Pomfreys Schreibtisch geschoben hatte, einen fragenden Blick zu. „Ich war zufällig bei Hagrid, als er… zusammenbrach. Er fing an zu schreien und hat komisches Zeug gebrabbelt. Einfach so. Unvermittelt. Dann hat er sich hingesetzt und ist seitdem nicht mehr ansprechbar.“
 

Madam Pomfrey verzog den Mund und stöhnte. Zuerst begutachtete sie Hermine und dann den ihr frei Haus gelieferten Patienten, schließlich erhob sie sich, umrundete ihren Schreibtisch und stellte sich mit verschränkten Armen vor Draco. „Ich kann es mir vorstellen“, kommentierte sie in einem für Hermine überraschend gelassenen Ton und pflückte ihn von Hermines Arm ab.
 

Ohne weitere Fragen zu stellen, zog sie den ungelenk hinter ihr her tapsenden Draco in den Krankensaal hinein und schob ihn auf das vorderste Bett. Zu Hermines Erleichterung war gerade sonst niemand im Saal und sie waren unter sich. „Ich… ich würde gerne noch etwas bleiben“, bat sie zögerlich.
 

Madam Pomfrey fuhr herum und nun wirkte sie wirklich aufrichtig überrascht. „Ach ja, warum?“
 

Hermine biss sich auf die Lippen und zuckte mit den Achseln. „Weil…weil… wir haben bald Zaubertränke und da dachte ich...“ Sie verschränkte die Arme schützend vor ihrer Brust, da sie sich mit einem Mal nackt und entblößt unter den forschenden Augen der Krankenschwester fühlte. „Ach so!“ Madam Pomfrey verzog den Mund, doch stellte sie wenigstens keine weiteren Fragen, sondern wandte sich wieder ihrem Patienten zu.
 

Sie sprach Draco ein paar Mal mit seinem Namen an, und tätschelte ihm, zumindest Hermines Meinung nach, nicht gerade sanft die Wangen. Keine Reaktion.
 

Die Krankenschwester versuchte es noch einmal, schlug ihm erneut auf die Wange und rief mit fester, herrischer Stimme. „Mr. Malfoy! Antworten sie mir! Können Sie mich hören?“
 

Nichts. Wie ein Schlafwandler saß er auf diesem Bett, starrte ins Leere und wirkte, als ob er alles ohne Protest mit sich machen lassen würde. Er bekam schließlich nicht das Geringste davon mit.
 

Madam Pomfrey bettete ihn sanft in die Kissen, legte seine Beine auf das Bett und wuselte eilig in den Nebenraum, der ihr sowohl als Büro, wie auch als Medikamentenlager diente.

Hermine näherte sich zögernd, da sie nicht wusste, wie sie mit diesem Draco umgehen sollte, wie viel er wirklich mitbekam und immerhin war es ja denkbar, dass seine Lebensgeister ebenso überraschend wie brutal zurückkehrten und er dann auf sie losgehen würde. Warum auch immer.

Im Nebenraum klapperte Madam Pomfrey mit einigen Fläschchen und Döschen herum, die sie aus dem Medikamentenschrank herausgefischt hatte.

Hermine drehte sich wieder zu Draco und überlegte, ob sie selbst vielleicht schon irgendetwas über solche Zustände gelesen hatte. Aber eigentlich nicht. Dennoch schien Madam Pomfrey in etwa zu wissen, was sie zu tun hatte. „Ist er verflucht?“, rief sie zur Krankenschwester hinüber.

„Bitte?“, fragte Madam Pomfrey, und klapperte weiter mir ihrem Tablett.
 

„Ist es ein Fluch, sein Zustand?“
 

„Ach, so… nein, nein.“ Sie hörte, wie die Flügeltüren des Schrankes geschlossen und verriegelt wurden. Sekunden später erschien Madam Pomfrey mit einem Tablett in den Händen, auf das sie einige bunte Ampullen, sowie ein Glas, das allem Anschein nach mit Wasser gefüllt war, geladen hatte.
 

Dracos Zustand zu beschreiben war schwierig. Zunächst einmal war er sehr blass. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und seine Lippen hatten sich leicht ins Bläuliche verfärbt. Er zitterte wie Espenlaub, die Atmung war flach und schnell und seine Lippen bebten. Von dem Zittern und dem schnellen Atem aber abgesehen, wirkte er wie eine Schaufensterpuppe. Sein Blick war leer und starr.
 

Hermine beobachtete Madam Pomfrey, die Draco überraschend erfahren wirkend versorgte. Gut, sie war eine Krankenschwester, aber Draco hatte weder die Masern noch war er von einem verunglückten Fluch getroffen worden. Dennoch schien sie genau zu wissen, was sie zu tun hatte.

Nachdem sie ihm einen Trank aus einer lila Phiole eingeflößt hatte, griff sie nach seinem Handgelenk und fischte mit der freien Hand in ihrer Tasche herum, bis sie eine Taschenuhr herausbeförderte. „Sein Puls rast immer noch“, erklärte sie, ohne sich zu Hermine umzudrehen. „Das ist immer so. Wenn er sich aufregt, zeigt sein Körper Stresssymptome, als hätte er gerade ein Wettrennen mit einem Hippogreifen hinter sich.“ Sie beugte sich über Draco, zog die Augenlider hoch und leuchtete ihm mit dem Zauberstab in die Pupillen hinein. „Immer noch starr“, murmelte sie leise.

Sie drehte sich um, sortierte einige weitere Ampullen von links nach rechts auf dem Tablett, hob mal die eine, mal die andre hoch, bis sie fand, wonach sie gesucht hatte. Die kleine Ampulle wurde entkorkt, dann griff sie nach einer Pipette, steckte sie hinein und sog etwas von der bläulichen Flüssigkeit darin hoch. Sie schloss die Ampulle und griff stattdessen nach einer anderen, etwas größeren. Sie zählte sorgfältig mit, während sie die blaue Flüssigkeit in die neue Phiole hineingetröpfelte. Hermine zählte fünf Tropfen, der Rest, verblieb in der Pipette.

Und wieder drehte sich Madam Pomfrey zu Draco, hob sein Kinn an, schob die Phiole zwischen seine Lippen und kippte deren Inhalt vorsichtig hinein. Sie ließ den Kopf einen Moment überstreckt, vielleicht, damit er schlucken musste, dann ließ sie von seinem Gesicht ab, um abermals den Puls zu messen.
 

Hermine konnte sein Gesicht nicht erkennen, da Madam Pomfrey nun genau vor ihm stand, doch sie bemerkte, dass seine unkontrolliert zitternden Hände etwas ruhiger wurden. Madam Pomfrey murmelte irgendetwas, half Draco sich aufzusetzen und griff nach einer Decke, die schon die ganze Zeit zusammengefaltet neben ihm auf dem Bett gelegen hatte. Sie schüttelte sie auf und legte sie um Dracos Schultern.
 

„Er muss noch etwas hierbleiben. Die Anfälle sind körperlich sehr anstrengend für ihn. Außerdem wird ihm manchmal von den Beruhigungstränken schlecht. Eine halbe Stunde, ja?“, fragte sie nun an Draco gewandt, der eben ein heiseres Husten von sich gegeben hatte. „Sie müssen sich etwas ausruhen. Im Moment ist sowieso noch Mittagspause.“
 

„War er denn schon öfter hier?“, fragte Hermine, die sich die Antwort angesichts Madam Pomfreys Reaktion auf sein Erscheinen eigentlich denken konnte.

„Heute?“ Madam Pomfrey drehte sich zu ihr um, stemmte die Hände in die Hüften und schenkte Hermine einen schmerzhaft vielsagenden Blick, der eindeutig ausdrückte „na klar, was denkst du denn?“ „Letzte Woche waren es fünf Mal an einem Tag. Es vergeht fast kein Tag, an dem er nicht wegen irgendetwas hier ist.“
 

Hermine schlug sich entsetzt die Hände vor den Mund. „Aber warum? Ist er denn so schwer krank?“
 

„Nein!“ Hermine fuhr vor Schreck zusammen, als sie Dracos heisere, kalte Stimme hinter Madam Pomfey schnarren hörte.

Er saß zusammengekauert auf dem Bett, hatte die Decke fest um sich geschlungen und soweit Hermine erkennen konnte, zitterte er immer noch. Sein Blick war aber nicht mehr ganz so starr, wenn auch immer noch stur ins Nichts gerichtet. Madam Pomfrey winkte ab, griff nach dem Glas Wasser auf dem Tablett und setzte es ihm an die Lippen. Er griff danach, wollte wohl selbst trinken, war jedoch offensichtlich selbst mit diesem kleinen Handgriff überfordert. In dem kurzen Moment, in dem Madam Pomfrey das Glas losließ, verschüttete er den halben Inhalt über sich. Die Krankenschwester kannte das Spiel wohl, sie sagte nichts, strich ihm stattdessen über den Rücken und half ihm, den Rest Wasser auszutrinken.
 

Nach getaner Arbeit tätschelte Madam Pomfrey Draco großmütterlich die Schultern. „Geht’s wieder? Ich hole Ihnen noch ein Glas Wasser, ja?“
 

Ein kaum angedeutetes Nicken ruckte Dracos Gesicht einige Millimeter auf und ab. Die Krankenschwester seufzte, sammelte Glas und Ampullen zurück auf das Tablett und ging wieder zurück in Richtung Medikamentenlager. Als sie Hermine vor sich sah, blieb sie reglos stehen und musterte diese prüfend. „Und sie?“ Madam Pomfrey drehte sich zu Draco um, der nun endgültig zugeben musste, dass er Hermine bemerkt hatte und sie mit einem flüchtigen Blick streifte. „Soll sie bleiben?“
 

Draco hob den Kopf und Hermine erschrak bei dem Anblick. Er sah aus wie ein alter, todkranker Mann. Diese Bitterkeit und Erschöpfung in seinem Gesicht. Er zuckte matt mit den Schultern und ließ den Kopf wieder hängen. „Kann bleiben.“
 

Madam Pomfrey nickte und setzte ihren Weg zum Nebenraum fort. Im Gehen warf sie Draco über die Schulter hinweg einen prüfenden Blick zu, den dieser mit einem hasserfüllten Funkeln erwiderte. Sie schüttelte den Kopf, als wäre er ein ungezogenes Kleinkind, wandte sich zu Hermine und erklärte: „Er hat Panikattacken.“
 

Draco auf dem Bett weiter hinten schnaubte, zog die Decke noch enger um sich und drehte ihnen den Rücken zu. Madam Pomfrey kümmerte sich nicht um diese trotzige Geste, sondern marschierte mit hoch erhobenem Kopf an Hermine vorbei zum Schrank, um die vorher entnommenen Ampullen wieder einzusortieren.
 

„Außerdem Back-Slashs… oder Flash-Backs. Ich weiß nicht mehr genau, wie es heißt. Jedenfalls verfolgen ihn wohl manche Erlebnisse sehr lebhaft, wenn er schläft und“, sie drehte sich kurz zu Draco um, verzog den Mund, dann wandte sie sich wieder ihren Regalen zu, „wenn er wach ist. Ich habe darüber gelesen. Ein Bekannter von mir ist Psycho… ähm… irgendetwas Psychisches. Wir haben uns über Mr. Malfoy unterhalten.“
 

„Vielen Dank für den diskreten Umgang mit meiner Privatsphäre“, blaffte Draco kalt, ohne sich jedoch umzudrehen.
 

Madam Pomfrey schlug die Schranktüren zu und drehte sich streng und würdevoll, doch nicht unfreundlich wirkend, zu Draco um. „Sie wissen, dass es zu Ihrem Besten ist. Sie brauchen etwas anderes als diese provisorischen Tränke und Strafarbeiten. Meiner Meinung nach sollten Sie in eine Fachklinik gehen und Sie wissen das.“
 

„Eher lasse ich mich foltern und vierteilen… und das wissen SIE!“ gab er barsch zurück und strafte Madam Pomfrey, indem er sich ihr wieder zuwandte und zornige Todesblicke nach ihr schoss.

Einen Sekundenbruchteil huschten seine Augen zu Hermine. Sein Gesicht verzog sich, als ob ihm bei ihrem Anblick übel werden würde, dann schüttelte er sich und starrte auf den Fußboden.
 

Madam Pomfrey seufzte und schüttelte den Kopf. „Er will das nicht hören, ich weiß. Aber ich kann hier einfach nichts für ihn tun. Diese Mittelchen hier… die sind ja auch nicht wirklich hilfreich. Ein bisschen helfen sie… aber ich bin keine Heilerin und ich habe schon gar keine Erfahrung mit diesem speziellen Problem. Ich doktere jetzt seit Monaten an ihm herum und habe ein paar Dinge gefunden, die nach den Anfällen etwas helfen. Aber das ist doch auch kein Dauerzustand. Es wird doch immer schlimmer, mit…“
 

„Seien Sie endlich still!“
 

Draco war aufgesprungen und stand leicht schwankend, blass und immer noch zitternd neben dem Bett. Die Decke lag neben ihm auf dem Boden. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.
 

„Nun legen Sie sich doch hin, Mr. Malfoy. Sie kippen ja gleich um!“ Madam Pomfrey stemmte die Arme gebieterisch in die Hüften und bedachte Draco mit einem strengen Blick. „Sofort hinlegen. Sonst…“
 

Draco schlang die Arme um seinen Bauch. Er musste sich am Bett anlehnen, um nicht umzukippen und doch schaffte er, es so herablassend zu lächeln wie eh und je. „Na, was sonst? Wollen Sie mich sonst nachliegen lassen?“ Er grunzte unwillig und verzog die Mundwinkel angewidert nach unten. „Ich lasse mir doch keine Vorschriften von einer alten Schachtel machen, die es als Krankenschwester noch nicht mal in ein Krankenhaus geschafft hat, sondern nutzlos in einer Schule vergammelt. Toben Sie Ihre Minderwertigkeitskomplexe an jemand anderem aus!“ Er schüttelte sich, als ob ihm etwas sehr Kaltes übergekippt worden wäre und in dem Moment, als er gefährlich zu schwanken begann und sich mit den Händen am Nachttisch abstützen musste, glitt ihm der hämische Ausdruck aus dem Gesicht.

Er würde zweifellos umfallen, auch wenn er das nicht hören wollte. Hermine eilte zu ihm und streckte die Arme aus, um ihm zurück aufs Bett zu helfen. Als sie ihn fast berühren konnte, schnellte sein Oberkörper wieder in die Gerade. „Verpiss dich. Geh weg!“ Statt ihre hilfreich ausgestreckte Hand zu ergreifen, stieß er sie mit aller Kraft von sich weg, drehte sich um und rauschte hoch erhobenen Hauptes aus der Krankenstation heraus.
 

Hermine drehte sich Hilfe suchend zu Madam Pomfrey um, die genervt mit den Augen rollte: „Der kommt wieder. So, wie er aussieht, gebe ich ihm höchstes eine Stunde. Dann ist er wieder da.“
 

Sie winkte unwillig ab, verdrehte die Augen und marschierte zu ihrem Schreibtisch zurück. „Besser Sie gehen ihm nach. Letzte Woche ist er auch einfach weggerannt. Ein paar Minuten später brach er zusammen und ist die Treppe heruntergefallen. Er lag da vielleicht eine halbe Stunde, bis ihn Hagrid gefunden hat.“
 

Hermines Augen weiteten sich vor Schreck. „Aber das ist doch… wieso ist er denn überhaupt noch hier? Ich kann das nicht glauben. Wieso haben Sie das nie jemandem gesagt?“ Madam Pomfrey verzog ihr Gesicht zu einer vielsagenden Miene, die Hermine leider dennoch nicht entschlüsseln konnte. „Gehen Sie ihm bitte nach, Miss Granger.“ Die Krankenschwester nickte freundlich und beugte sich nach unten, um mit beiden Händen in den Patientenakten, die dort lagen, zu wühlen.
 

Da die Krankenschwester nun beschäftigt war – vermutlich wollte sie einen Bericht über Dracos Besuch schreiben - beschloss Hermine zu gehorchen. Draco zu finden war nicht schwer. Vielleicht hatte er wirklich Pausen einlegen müssen. Jedenfalls sah sie ihn nur ein paar Treppenstufen unter sich, als sie das Ende des Korridores erreicht hatte.

So schnell wie sie konnte, viel schneller als er offensichtlich, hastete sie ihm hinterher und erreichte ihn im Erdgeschoss.
 

Draco drehte sich um, verzog sein Gesicht und wedelte mit der Hand abwehrend in ihre Richtung. „Geh weg. Ich will nicht mit dir reden.“
 

Hermine holte auf, doch nun schien er wieder sicherer zu werden und so hatte sie Mühe, mit ihm Schritt zu halten, als sie gemeinsam in den breiten Gang im Erdgeschoss einbogen. „Draco, jetzt warte doch mal. Du kannst das doch nicht alles so stehen lassen. Warst du schon mal bei einem Heiler?“
 

Draco schnaubte verächtlich. Sein Arm schoss zur Seite, doch statt Hermine wegzustoßen, stieß er ins Leere. „Hau ab. Ich will nicht zu einem Heiler. Ich bin nicht verrückt. Das ist gar nichts. Geh weg!“
 

Hermine duckte sich unter seine Hand durch, und schlängelte sich hinter ihm vorbei, so dass sie nun auf seiner anderen Seite auftauchte. „Dann lass doch mich für dich nachsehen. Meine Eltern sind Ärzte. Wenn ich sie bitte, schicken sie mir sicher passende Literatur. Und ich werde auch in der Bibliothek nachlesen und…“
 

„Ich will aber nicht, dass du dich um mich kümmerst!“ Er war zu ihr herumgewirbelt und nun, da sie mit dem Rücken zur Wand stand, empfand sie es als nicht sehr kluge Entscheidung, dass sie an ihm vorbeigeschlüpft war. Sein eben noch blasses Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde dunkler. Er ballte die Fäuste und stampfte mit einem Fuß auf, was ihn wie ein trotziges Kleinkind wirken ließ. Dennoch, er war fast einen Kopf größer und Stimme und Figur waren die eines jungen Mannes, als er ihr bedrohlich nahe kam und aus vollem Hals brüllte: „Ich bin nicht dein Problem! Ich will nicht, dass du über mich nachliest und ich will nicht, dass du für mich einen Arzt suchst, um mich einweisen zu können und ich will schon gar nicht, dass du dich in mein Leben einmischst!“
 

Hermine legte den Kopf schief und fragte so ruhig wie möglich: „Sag mal, was ist eigentlich mit dir los?“
 

Draco knurrte wie ein Hund, warf den Kopf in den Nacken und schnaubte zornig. „Nichts. Alles bestens. Ich habe Panikattacken, Hallus, Gedächtnislücken, Madam Pomfrey erkundigt sich schon mal nach einem Irrenarzt für mich und ich kriege Medikamente. Ist doch alles in Ordnung. So… jetzt geh‘ mal hübsch zurück zu deinen Freunden und sag ihnen, was Malfoy doch für ein Psycho ist!“
 

Er schubste sie weg und wedelte abwehrend mit den Händen vor ihrem Gesicht herum. „Na, husch, husch. Ab mit dir. Geh und sag Potter, was ich wieder Verrücktes gemacht hab.“
 

Hermine vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und stöhnte genervt. Sie fuhr mit den Händen weiter nach oben und strich sich die Haare aus der Stirn. In dieser Pose verharrte sie. „Ist es dir peinlich? Ist das das Problem? Schämst du dich, dass ich das mitbekommen habe und dass ich mit Madam Pomfrey über dich geredet habe?“
 

Dunkle Schatten legten sich über sein Gesicht. Seine Mundwinkel bewegten sich langsam nach unten und seine Auge verengten sich, so dass er zuerst aussah, als ob er brechen müsste und erst dann, einen Moment später, zeigte es sich, wie wütend er war. „Das findest du wohl lustig? Da kannst du lachen, oder?“
 

Statt eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und stürmte, ohne sich umzublicken, den Gang hinunter. Hermine blieb einen Moment stehen und überlegte, was zu tun sei, beschloss dann aber, weitere Überlegungen erst dann fortzusetzen, wenn er dabei war. So leicht würde er sie nicht davon abhalten, ihm zu zeigen, dass sie besser wusste als er, was gut für ihn war.
 

Hermine warf den Haarschopf in den Nacken und marschierte ihm hoch erhobenen Hauptes den Gang entlang hinterher.
 

Sie fand ihn, nur einen Korridor weiter in einem Seitengang, direkt am Rande des Innenhofes.
 

Draco lehnte schwer atmend an einer Bogenstrebe und musste sich festhalten, um nicht über die Brüstung hinaus auf den Rasen zu kippen. Sie konnte nur hoffen, dass sie von der Helligkeit draußen hier im Dämmerlicht des Gangs nicht erkennbar war, während sie näher kam.
 

Er stand neben einem Durchgang. Hermine glaubte zuerst, dass er nur angehalten hatte, weil er zu erschöpft war um weiterzugehen, doch schon wenige Schritte später sah sie, dass er jemanden beobachtete, der draußen saß.
 

Hermine kam langsam näher und ging zu einem offenen Alkoven, die einige Meter von seinem entfernt war. Sie beugte sich über die Brüstung und spähte in die Richtung, in die Draco sah. Verwundert stellte sie fest, dass dort, unter Dracos Bogen, Harry und Ginny saßen und einander im Arm hielten. Hermine kam etwas näher, zum nächsten Alkoven. Warum sollte Draco die beiden beim Knutschen bespannen wollen?

Leises Schluchzen drang zu ihr hinüber. Hermine erkannte, dass Ginnys Körper bebte. Harry zog sie enger an sich und murmelte etwas. Hermine konnte es nicht verstehen, nur dass seine Stimme gepresst und sorgenschwer klang.

Ginny weinte. Hermine stieß sich von ihrem Alkoven ab und ging zu Draco. Er sollte die beiden nicht hierbei beobachten. Schon gar nicht sollte er sie jetzt, wo er so aufgebracht war, mit seinem kindischen Spott verhöhnen.

Hermine griff nach seinem Arm und wollte ihn wegziehen. Über den Rand der Brüstung sah sie etwas blitzen, was ihre Aufmerksamkeit erregte, so dass sie, immer noch die Hand um Dracos Arm, einen Schritt näher trat und sobald sie direkt neben ihm stand, hätte sie am liebsten selbst geweint und geschrien. Es war ein Bilderrahmen, der in der Sonne geblinkt hatte. Sie konnte nicht jedes Detail auf dem Bild erkennen, doch das war auch gar nicht nötig. Sie kannte das Bild. Es war letzten Sommer aufgenommen worden, als Harry und Ginny zusammengekommen waren. Auch Hermine und Ron waren auf dem Bild. Sie lagen alle vier zusammen unten am See im Gras und lachten über irgendetwas.
 

Diese Szene war so tief und so bewegend, dass es Hermine die Kehle zusammenzog.
 

Da stand Draco, erstarrt mit großen, grauen Augen voller Schuld und starrte reglos hinunter zu Ginny, die an Harrys Schulter um ihren toten Bruder weinte. Draco drehte sich zu ihr um, blass, mit toten Augen und verräterisch bebenden Lippen. Er stieß sie nicht weg, schien aber auch nicht zu wissen, was er sonst mit ihr tun sollte. Hermine schüttelte den Kopf, obwohl es eigentlich gar keine Frage gab. Ein stummes Zeichen dafür, dass es hier um etwas anderes ging als um ihn.

Sie hielt ihn immer noch umklammert, doch jetzt war sie nicht mehr bei ihm. Sie war dort unten und saß bei ihren Freunden. Dort, bei Ron. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Sicht verschwamm. En leises Schluchzen kam über ihre Lippen. Nur am Rande nahm sie wahr, wie Draco schwer schluckte und sich aus ihrem Griff wand. Langsam schob er sie von sich weg, dann blieb er noch einen Moment neben ihr stehen, doch sie beachtete ihn nicht mehr. Gefangen in einer Erinnerung, die wie die Flutwelle eines Tsunamis über sie hereingebrochen war und sie verschlungen hatte.
 

Ein metallisches Klirren ließ sie aus ihren Erinnerungen zurückfinden. Sie schreckte zusammen und fuhr herum. Draco musste im Versuch, sich lautlos wegzuschleichen, gegen eine Rüstung, die neben dem Torbogen stand, gestolpert sein.
 

Harry und Ginny fuhren herum, sahen zu Draco, zu Hermine, dann wieder zu Draco. Beide tauschten Blicke und ohne Worte wechseln zu müssen, fassten sie gleichzeitig in ihre Taschen, zogen ihre Zauberstäbe und richteten sie auf Draco.
 

„Hat er dich angegriffen, Hermine?“, fragte Harry drohend und drehte sich etwas weiter zur Seite, um Draco direkt ins Gesicht zielen zu können.
 

Der plusterte sich auf und bevor Hermine irgendetwas sagen konnte, deutete er mit dem Finger auf sie und schrie aus vollem Hals: „Sie verfolgt mich! Das Schlammblut belästigt mich! Sie hat mich begrapscht!“
 

Er reckte das Kinn vor, schnaubte und schubste sie unsanft zur Seite, um eilig an ihr vorbei hasten zu können. Harry und Ginny starrten ihm beide mit offenem Mund hinterher. Dann drehten sie sich simultan zu Hermine um, hoben, ebenfalls erstaunlich simultan, die Augenbrauen und legten die Köpfe schief.
 

Hermine lächelte dünn, winkte ab und machte eine Scheibenwischerbewegung vor ihrem Gesicht. „Vergesst es. Er dreht gerade wegen irgendwas ab. Ich hab euch gesucht und er kam mir hier am Fenster entgegen.“ Sie zuckte mit den Schultern, winkte abermals in Dracos Richtung ab und lächelte gekünstelt. „Lasst ihn, bringt eh‘ nix. Alles klar bei euch?“
 

Harry verzog den Mund und sah sie auf beunruhigende Weise nachdenklich an.
 

„Du siehst fertig aus. Ist alles okay bei dir?“, durchbrach Ginny Hermines unbehagliches Gefühl des Durchleuchtetwerdens.

„Ja, sicher, aber“, Hermine hob die Hand und deutete auf ihre beiden Freunde, „du weinst doch!“ Sie warf einen raschen Blick über die Schulter, ruckte den Kopf dann aber so abrupt zurück, als ob sie Zuckungen hätte. Sie durfte ihm nicht nachsehen, nicht, wenn die anderen dabei waren.
 

Tränen rannen aus Ginnys geröteten Augen. „Weiß nicht.“ Sie seufzte tief und lehnte sich gegen Harrys Schulter, der daraufhin seinen Zauberstab wegsteckte und stattdessen den Arm um sie legte. „Es ist nur… ich habe beim Aufräumen dieses Bild gefunden.“ Das Photo in ihren Händen zitterte bei diesen Worten. Ginny kniff die Lippen zusammen, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und schüttelte den Kopf. Sie verzog den Mund, zog das Bild zuerst dicht an sich, dann angelte sie nach ihrer Schultasche am Boden und stopfte das Bild gespielt beiläufig hinein. „Es ist wie ein Schock, wenn man ihn auf einmal sieht und nicht damit gerechnet hat.“ Sie biss sich wieder auf die Lippen und drehte sich zu Harry. Sein Mund war ebenso schmal wie Ginnys und Hermine wusste einfach nicht, was sie dazu sagen sollte.
 

Unbewusst glitt ihre Hand hoch, zu ihrem Anhänger. Sie befühlte ihn, wie sie es oft tat und schloss die Augen. „Ich muss weg“, krächzte sie, drehte sich um und ergriff die Flucht.
 

Noch nicht, sie war noch lange nicht soweit, dass sie mit irgendjemand über das, was sie beim Gedanken an Ron empfand, reden konnte. Also flüchtete sie einmal mehr vor ihren eigenen Problemen, um sich stattdessen mit den Sorgen eines anderen Menschen zu befassen, weil die weniger bedrohlich waren.
 

Sie fand Draco nicht weit entfernt von der Treppe, die sie nur wenige Minuten zuvor heruntergerannt waren. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, zitterte heftig und hatte die Arme um seinen Leib geschlungen. Schweiß stand ihm im Gesicht. Er presste die Augen zusammen und verzog den Mund. Er stöhnte leise und krümmte sich.
 

„Was ist denn los mit dir?“
 

Draco schüttelte den Kopf und richtete sich wieder auf. „Es ist nichts… geh weg.“ Es war mehr ein Flehen als ein Befehl. Abermals presste er die Lippen so fest aufeinander, dass sie fast gar nicht zu erkennen waren und sackte nach vorne.
 

Seinem Flehen zum Trotz kam Hermine näher und legte ihre Hände auf seine Schulter. Noch einen Schritt näher. Draco krümmte sich erneut und Sekunden später, spürte sie seine feuchte Stirn auf ihrer Schulter. „Ich hab schon wieder Bauchschmerzen“, presste er zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er schnaubte, richtete sich wieder auf und sah ihr so trotzig, wie er im Moment konnte, ins Gesicht. „Ich hab Bauchschmerzen bekommen, als ich gesehen hab, wie die beiden geheult haben. Zufrieden?“
 

Hermine wollte etwas erwidern, doch entwich ihr nichts als ein erstauntes Ächzen, als er sie unvermittelt eng an sich zog. Sie hörte ihn vor Schmerz stöhnen, spürte an ihrem eigenen Körper, wie schwer er atmete und fühlte den Adamsapfel auf und ab rutschen, als er hart schluckte. „Sag nichts. Bitte!“ Nun war es nur noch ein Flüstern. Das klägliche Wimmern eines verängstigen Kindes. Sie schob ihre Arme zwischen die Mauer und seinen Rücken und zog sich selbst näher an ihn, woraufhin er seine Wange gegen ihre lehnte.
 

„Es ist schon okay“, murmele Hermine gegen seinen Hals. „Ich weiß, woran du denkst. Es ist okay.“
 

Draco schluckte schwer und sie wusste nicht, ob es an neuen Krämpfen oder an der tieferen Bedeutung der Worte lag, dass seine Stimme so gequält, so voller Schmerzen klang. „Nein, es ist nicht okay. Gar nichts ist okay und das wird es auch nie wieder sein.“ Er atmetet schwer. Sein Arm legte sich so fest um sie, als wolle er sie in sich hineinziehen und sie spürte, wie seine freie Hand sich ungeschickt in ihren Locken vergrub. „Du weißt es nicht.“ Er schluckte und kippte wieder leicht nach vorne, als ihn abermals Krämpfe schüttelten. „Ich kann dir das nicht sagen. Frag nicht. Es geht nicht.“
 

Hermine nickte gehorsam und strich ihm sanft über seine schweißnassen Haare. Seine Stirn presste sich nun fest auf ihre Schulter. Wieder und wieder zuckte er zusammen. Hermine erwog, ihm anzubieten, ihn zu Madam Pomfrey zurückzubringen. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Genau das würde er nicht wollen.
 

So stieß sie ihn leicht von sich weg und flüsterte sanft: „Pass auf, Draco. Die Mittagspause ist bald um. Ich hab jetzt wieder Unterricht. Du auch, wir haben Zaubertränke. Du gehst jetzt weg und du musst mir nicht sagen, wo du hingehst, aber mach was gegen deine Bauchschmerzen! Dann kommst du zu Slughorn. Du hast schon viel zu viele Stunden dieses Jahr versäumt. Versprich mir, dass du etwas gegen die Schmerzen unternimmst und dann zu uns kommst. Ja?“
 

Er zuckte zusammen, krümmte sich und dennoch erkannte sie ein schwaches Nicken. Wenn sie ihn jetzt begleiten würde, wäre es ihm nur peinlich zuzugeben, dass er schon wieder zu Madam Pomfrey ging. Also sollte er alleine gehen und sie würde so tun, als wüsste sie es nicht.
 

Schon hörte sie seine Schritte die Stufen hinauf eilen. Doch nicht ganz, etwa in der Mitte der Treppe drehte er sich zu ihr um. „Sehen wir uns heute Abend?“
 

Hermine versteifte sich und gab sich Mühe, gelassen zu bleiben. „Nein. Ich… Ich hab was vor.“
 

Draco drehte sich nun ganz zu ihr um und musterte sie mit dem selben, beunruhigend wissenden Blick, den sie zuvor schon bei Harry gesehen hatte. „Will ich wissen, wo du bist?“
 

Hermine schluckte und trat einen Schritt zurück. „Ja!... Und deswegen sage ich es dir nicht.“
 

Ohne einen Gruß, ein letztes Wort oder auch nur einen letzten Blick zu wagen, drehte sie sich um und stürmte davon. Heute Abend war sie im Ministerium, und das durfte er auf keinen Fall wissen. Diesmal durfte nichts schief gehen.
 

Draco fragte aber auch nicht weiter. Zwanzig Minuten später, als der Unterricht gerade begonnen hatte, kam auch er zur Zaubertranklektion. Er murmelte etwas zu Slughorn, der daraufhin verstehend nickte und begab sich zu seinem Platz neben Crabbe und Goyle, die sofort leise mit ihm zu tuscheln begannen.

Hermine war nicht ganz sicher, ob sie diese neue Eintracht zwischen den Dreien gut und oder beunruhigend finden sollte. Am besten, sie dachte gar nicht nach, warum die Slytherins wieder zusammenhielten.
 

Xxx
 

Statt der ganzen DA waren es nur Harry, Hermine, Ginny, Neville und Luna, die an diesem Abend ins Ministerium flohten. Luna hatte über die Presseverbindungen ihres Vaters nähere Erkundigungen über diesen geplanten Informationsabend einholen können. Vier Todesser, die sich tatsächlich auch als solche angekündigt hatten, würden sich der Öffentlichkeit präsentieren. Lucius Malfoy natürlich. Omnipräsent wie er im Moment war, würde er sich die Chance eines weiteren, öffentlichen Auftrittes nicht entgehen lassen. Ebenfalls angekündigt hatten sich Bellatrix und Rodolphus Lestrange sowie Severus Snape.
 

Laut Luna war der Raum, der für das Treffen beantragt worden war, nicht sonderlich groß. Einhundertfünfzig Sitzplätze vielleicht. Hermine durfte, da sie im Anschluss selbst etwas vortragen wollte, in der ersten Reihe sitzen. Luna hatte es zwar mit Xenophilius' Presseausweis irgendwie organisieren können, auch für eine Handvoll andere Personen Plätze vorne zu bekommen, doch der Rest würde wohl weit nach hinten verbannt werden, wenn überhaupt, denn obwohl nur für die vorderen beiden Reihen Reservierungen erforderlich waren, konnte Ginny über die Quellen ihres Vaters doch in Erfahrung bringen, dass es unter der Hand so geregelt worden war, dass nicht jeder, der das Ministerium an diesem Tag betrat, auch Zutritt zu diesem etwas abgelegenen Saal finden würde.
 

Man hatte daraufhin beschlossen, die Sache im Vorfeld nicht zu offensichtlich und offensiv werden zu lassen, indem die komplette DA, auftauchte. Stattdessen würden nur diese fünf mitgehen, da die ja bereits vor zwei Jahren mit besagten Todessern im Ministerium zusammengestoßen waren. Diese zwar offensichtliche, doch nicht zu offensive Anspielung an den Kampf in der Mytseriumsabteilung sollte genügen, um den Todessern zu zeigen, dass sich Dumbledores Armee nicht verstecken würde.
 

Abgesehen von Neville, der bei der Aussicht darauf, die Lestranges zu sehen, seit Tagen keinen Bissen mehr heruntergebracht hatte, war es für alle unheimlich und befremdlich zu wissen, dass sie dort auf Severus Snape treffen würden. Ihren ehemaligen Lehrer. Dumbledores Mörder.
 

Harry schien es besonders zu schaffen machen, dass er ihm nun wieder gegenüberstehen sollte. Es war nicht so, dass er ihn seit dieser Nacht auf dem Astronomieturm nicht mehr gesehen hatte. Auch wenn er nie mit irgendjemandem viel über die Streichholzkommandos redete, glaubte Hermine so viel verstanden zu haben: Harry hatte Snape nie direkt gegenübergestanden. Er hatte ihn zwei oder drei Mal von weitem gesehen, war dann aber so geschockt und verwirrt gewesen, dass er wohl gezögert hatte ihm nachzugehen und hatte ihn dann aus den Augen verloren.
 

Wahrscheinlich war er bei der Hinrichtung der zehn Menschen in den Drei Besen dabei gewesen. Harry wusste es immer noch nicht genau, oder zumindest behauptete er das, denn mehr und mehr kam in Hermine der Verdacht auf, dass er mehr wusste, als er zugab. Er würde seine Gründe haben, da war sie sicher. Trotzdem beunruhigte sie das Gefühl, nicht mehr die Person zu sein, die ihm am allernächsten stand.
 

Wobei… war das nicht sowieso immer Ron gewesen?
 

Xxx
 

Hermine ging schweigend neben Harry her. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe, während er mit deutlich angespannter Miene die Bewegung seiner Füße am Boden verfolgte. Irgendetwas beunruhigte ihn. Natürlich, er würde Severus Snape wiedersehen. Mehr noch, er sollte sich mehr oder weniger Auge in Auge Menschen gegenübersetzen, mit denen er an einem anderen Ort auf Leben und Tod gekämpft hatte und es wohl wieder tun würde, an einem anderen Tag.
 

Hermine wunderte sich, wieso er sich hier unten so gut auskannte, denn er führte sie, ohne sich groß umzusehen, von einem Aufzug in einen Gang, in den nächsten und zielstrebig einen weiteren Korridor hinunter.
 

Trotzdem, da war noch irgendetwas anderes als Snape. Hermine wagte einen kurzen Seitenblick und erhaschte für einen Moment seine Augen. Er beobachtete sie doch nicht etwa? Aber warum sollte er das tun? „Malfoy ist schon seltsam, nicht?“, durchbrach er auf einmal die Stille.

Hermines Innerstes zog sich für einen Moment auf die Größe einer Walnuss zusammen. Sie spürte, wie ihr zuerst die Farbe aus dem Gesicht wich und Sekunden später ihre Ohren zu glühen begannen. „Naja“, erwiderte sie scheinbar obenhin. „Schon… das Todesserdasein scheint ihm nicht so gut zu bekommen, oder?“ Harry warf ihr einen undurchdringlichen Blick zu und so beeilte sie sich, dem noch etwas hinzuzufügen „Sieht jedenfalls so aus. Sieht so aus, als ob das alles doch nicht so toll wäre, wie er die ganzen Jahre immer behauptet hat.“
 

Harry nickte und warf Ginny, die einige Schritte weiter vorne in eine lebhafte Diskussion mit Neville versunken war und Luna, die die Decke des Korridors durch etwas beobachtete, das wie ein Kaleidoskop aussah, abschätzende Blicke zu.
 

„Naja, ich denke nicht, dass er wirklich wusste, worauf er sich eingelassen hat. Auch nicht, dass ihm Lucius wirklich gesagt hat, was man den ganzen Tag als Todesser so macht.“ Er verzog den Mund, vielleicht in Gedanken dabei, eben diesen Lucius gleich zu sehen und erklärte dann weiter: „In der Theorie sieht vieles anders aus. Manches mag noch so sinnvoll klingen, wenn es dann soweit ist, sieht es doch wieder anders aus.“ Er zog die Augenbrauen hoch und seufzte. „Nur ändert das immer noch nichts daran, dass er so durchgedreht, wie er ist, nicht mehr tragbar ist. Sie werden es nicht in der Schule tun, aber außerhalb.“
 

Hermine rückte etwas näher an Harry heran, da sie bereits den Sitzungssaal und die Menschen, die in der offenen Tür standen, sehen konnte und das Gespräch noch weiterführen wollte, bevor die anderen es mitbekamen. „Geht es denn immer noch über Streichhölzer?“
 

Harry schüttelte den Kopf und flüsterte so leise, dass Hermine ganz sicher war, dass er auch nicht wollte, dass die anderen es mitbekamen „Bei geplanten Aktionen vielleicht. Aber das ganze ist so groß geworden. Im Moment herrscht eher die Devise, das der darf, der zuerst dort ist. Alles andere würde zu viel Zeit kosten.“
 

Harry holte Luft und sah aus, als wolle er noch etwas sagen, doch auf einmal stand Ginny neben ihnen und falls Hermine sich nicht irrte, zuckte Harry bei ihrem plötzlichen Auftauchen unwillkürlich zusammen. „Sie sind bereits alle drinnen.“ Ginny presste die Lippen zusammen und deutete in den Saal hinein. „Kommt! Man hat uns Plätze reserviert. Nebeneinander, in der ersten Reihe.“
 

„Ob das ein gutes Zeichen ist?“ Hermine schob sich gemeinsam mit Harry und den anderen in den Saal und versuchte, trotz der vier wohl bekannten Köpfe, die bereits durch die Reihen der Besucher hindurch vorne, an ihren Plätzen, zu erkennen waren, ruhig zu bleiben. „Ich weiß nicht“, antwortete Harry gerade so laut, dass sie es trotz des Geplappers im Raum hören konnte. „Sieht ein wenig so aus, als wolle man uns präsentieren. Eigentlich dachten wir, dass nur Luna und du ganz nach vorne dürften. Ich weiß nicht, ob…“
 

Harry blieb so abrupt stehen, dass zuerst Ginny und dann Hermine auf ihn prallten. Neville konnte sich gerade noch zurückhalten. Luna tänzelte unbekümmert an Harry vorbei, wedelte mit ihrem Presseausweis fröhlich in die Menge und ließ sich dann auf einen Stuhl in der ersten Reihe sinken.

Hermine war mittlerweile nahe genug, dass sie sehen konnte, dass Lunas Fröhlichkeit die Personen, die dort vorne, an den Rednerpulten saßen, offenbar angesteckt hatte. Lucius Malfoy feixte, Severus Snapes Mund kräuselte sich zu einem gehässigen Grinsen, Bellatrix lachte laut auf und ihr Mann Rodolphus klatschte übermütig in die Hände.
 

„Da sind sie ja“, frohlockte Lucius, so, als handle es sich hierbei um ein Wiedersehen mit lange verschollenen Familienmitgliedern. Er stand auf, hob seine Hand und deutete auf fünf Stühle, die seinem Platz direkt gegenüberstanden. „Ich bitte Sie, setzen Sie sich doch. Wie schön, dass nicht nur Miss Granger und Miss Lovegood, sondern auch der Rest, der verbleibende Rest…“ Hermine wurde bleich und klammerte sich an Harrys Arm, der seiner Miene zufolge ebenfalls den Witz auf Rons Kosten verstanden hatte. „Nun, der verbleibende Rest ihrer Freunde ebenfalls da ist. Es gab so viele Missverständnisse zwischen uns… schön, schön…ein glücklicher Umstand, Sie alle hier zu sehen.“
 

Snapes Gesicht nach hatte er eine andere Meinung. Hermine schien es, dass er weder erregt noch erfreut ob ihrer Anwesenheit war. Er warf, wohl aus alter Gewohnheit, Todesblicke zuerst auf Neville, dann auf Harry, dann drehte er sich überdeutlich von ihnen weg und begann eine Diskussion mit Bellatrix Lestrange, die ein wenig unangenehm überrascht schien, von ihm angesprochen zu werden.
 

Eine große, schlanke, blonde Frau schritt durch den Mittelgang der Zuhörerreihen direkt auf die Redner zu. Stolz und hocherhobenen Hauptes stolzierte sie an Menschen vorbei, die ihrer Aufmerksamkeit nicht würdig zu sein schienen. Statt direkt zu ihren Freunden zu gehen, blieb sie eine Weile vor den Fünfen stehen, bedachte alle nacheinander mit einem prüfenden Blick und lächelte. Hätte Hermine Severus Snape nicht gekannt, hätte sie es nie für möglich gehalten, dass ein lächelnder Mensch soviel Bosheit in seinen Augen haben konnte wie Narzissa Malfoy. Ihr wurde zunehmend mulmiger. „Harry, wieso wundern die sich gar nicht?“ raunte sie leise zu ihrem Stuhlnachbarn.
 

„Weiß nicht“, seufzte Harry leise. „Ist aber kein gutes Zeichen, nicht wahr?“
 

Narzissa nickte spöttisch, dann drehte sie sich zu ihrem Mann um und begann daraufhin, mit ihm und den anderen angeregt zu diskutieren. Sie tuschelten, unterbrachen sich immer wieder, um leise zu kichern und murmelten weiter.
 

„Hab nur ich das Gefühl, dass sie über uns lachen?“, raunte Neville ahnungsvoll. Luna grinste, drückte sich gegen seine Schulter und schob sich samt Neville näher zur Mitte der Gruppe. „Vielleicht freuen sie sich einfach so, uns zu sehen. Oder sie freuen sich auf den Artikel, den ich über ihren Auftritt schreiben werde.“
 

„Du wirst einen Artikel über sie veröffentlichen?“ Ginny kippte fast vom Stuhl, so weit lehnte sie sich über Harrys Knie, um mit Luna sprechen zu können.
 

„Aber natürlich!“, grinste Luna stolz. „Denkt ihr, ich lasse mir das entgehen? Wenn Hermine heute Abend über ihre „wahren Wahrheiten“ reden darf, dann darf ich auch Wahrheiten in Daddys Zeitung schreiben.“
 

Harry verzog das Gesicht. „Aber sie… sie… sie werden sich vielleicht rächen, wenn du…“
 

„Ach was.“ Luna wedelte abwehrend mit der Hand, so, als wolle sie eine lästige Stechmücke vertreiben. „Und wenn schon, Daddy und ich entwickeln gerade ein „Anti-Todesser-Deo-Spray. Wenn du dich damit einsprühst, traut sich kein Todesser näher als hundert Meter an dich ran. Die können mir nichts.“
 

Hermine seufzte und wollte Luna gerade darüber aufklären, was für ein kompletter Unsinn das war, doch Harry hielt sie zurück. Er zog sie weg und schüttelte langsam den Kopf, dann nickte er nach vorne. Lucius Malfoy hatte sich erhoben und gerade die Anwesenden begrüßt.
 

Hermine, Harry, Ginny, Neville und Luna fielen pflichtschuldig in das darauf folgende Klatschen mit ein. Zeit, die Hermine nutzte, um sich darüber zu wundern, wie Luna einerseits so mutig und andererseits doch so durchgeknallt sein konnte.
 

„Sie sind heute Abend in der irrigen Annahme hier erschienen, dass sie von uns Dinge erfahren würden“, hörte Hermine Lucius Malfoy in seinem gewöhnt trägen, öligen Tonfall verkünden.
 

Etwas knirschte neben ihr. Harry hatte sich auf seinem Stuhl gerade aufgerichtet und durchbohrte Snape mit einem vernichtenden Blick, der, als er diesen bemerkte, verhalten gähnte und etwas zu Bellatrix flüsterte, die daraufhin bitterböse grinste.
 

Hermine kam mit einem Mal ein ganz anderer Gedanke. Teilweise um dies zu klären, teilweise um Harry von einer möglichen Dummheit abzulenken, knuffte sie ihn vorsichtig in die Seite. Harry fuhr trotzdem vor Schreck zusammen und wirbelte mit weit aufgerissenen Augen zu ihr herum. Hermine beschloss, ihn besser nicht zu fragen, was ihn bei Snapes Anblick so gebannt hatte, sondern ihr momentanes, etwas banales Problem anzusprechen. „Du, was machen wir, wenn wir zu Snape etwas sagen? Wie sprechen wir ihn denn jetzt an? Professor Snape passt eigentlich nicht… Beurlaubung hin oder her, er unterrichtet im Moment nicht. Mr. Snape? Eigentlich schon… aber es klingt so… falsch.“
 

Harry verzog den Mund und zuckte die Achseln. „Vielleicht. Wir könnten ihn auch einfach nur Verräter, oder noch besser, Arschloch nennen… aber damit würden wir wohl nicht beweisen, dass wir ihnen im Grunde wohlgesonnen sind, oder?“
 

Die Zeit, in der sie und Harry in Gedanken woanders waren, hatte Lucius genutzt, um den Beteiligten mitzuteilen, worum es ging. Dass Hermine und Harry seine Einleitungsworte nicht gehört hatten, war jedoch kein Problem, denn die Grundessenz seiner Rede startete bereits in der ersten Zeile, mit dem Motto dieses Abends: „Nun denn, Hexen und Zauberer. Ich begrüße Sie zu unserer Märchenstunde.“
 

Hermine tauschte zuerst mit Harry, dann mit Ginny und Neville ratlose Blicke. Nur Luna schien nicht verwirrt. Sie lächelte voll begieriger Erwartung und hüpfte ein paar Mal voll Übermut auf ihrem Stuhl auf und ab, dann beugte sie sich zur Seite, fischte ein knallrosa, plüschiges Notizbuch aus ihrer Tasche und begann mit ihrer türkis-violett marmorierten Feder eifrig mitzuschreiben.

So wie es aussah, würde vor allem Lucius den Abend gestalten. Hermine ging davon aus, dass er es war, weil er unter den Todessern den besten Ruf in der Öffentlichkeit hatte. Die Gerüchte, die über seinen Alkoholkonsum kursierten, schienen sein Ansehen nicht geschmälert zu haben.
 

Snape vorne gab einen Laut zwischen Würgen und Husten von sich. Seine Augen waren für Sekunden entsetzt auf Lunas Barbie-Büromaterial gerichtet, dann verblichen die Emotionen wieder und er drehte sich ungerührt zu Lucius um, der nun mit seiner Rede begann.
 

„Wir halten Ihnen heute Abend eine Märchenstunde ab. Ich werde Ihnen nun einige der bekanntesten Märchen erzählen, die es in der Muggelwelt gibt. Sie sind aus unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Kulturkreisen entnommen. Ich weise darauf ausdrücklich hin, so dass sichergestellt ist, dass es sich dabei nicht um ein zeitliches oder räumliches Phänomen handelt…“
 

Lucius drehte sich um und nickte seinen Todesserkollegen zu. Was sie auch immer getan haben mochte, kurz darauf materialisierten sich aus dem nichts etwa zwei Dutzend fliegender Bücher, die ihre Buchseiten wie Schwingen auf und ab schlugen und zu den Zuschauern durch den Raum flatterten. Hermine griff in die Luft und angelte ein etwas älteres Exemplar von Grimms Märchen.
 

Während die erstaunte Menge rätselte, was das zu bedeuten hatte, begann Dracos Vater vorne tatsächlich einige Abschnitte aus den unterschiedlichsten Märchen vorzulesen. Er raschelte munter mit seinem gewaltigen Stapel Pergamentblätter und schien von Seite zu Seite bessere Laune zu bekommen. Teilweise musste er abbrechen, weil ihn Heiterkeit übermannte.

Wäre sie etwas näher bei ihm gestanden, hätte Hermine ihre Nase zu ihm hinübergestreckt und an ihm gerochen. Draco zufolge konnte er durchaus betrunken sein. Andererseits wirkte er dafür dann doch zu klar. Das Gesicht vielleicht ein klein wenig gerötet, die Laune war als „locker-amüsiert“ zu beschreiben… so viel konnte er nicht getrunken haben.

Aber irgendetwas musste doch los sein, denn die anderen Todesser warfen ihm ab und zu missbilligende Blicke zu. Doch wie auch immer, Lucius‘ Zustand war angesichts dessen, was er sehr bewusst und deutlich vortrug, nebensächlich.
 

Hermine hatte es sich schon beim ersten Märchen „Hänsel und Gretel“ gedacht, doch von Märchen zu Märchen verhärtete sich dieser Verdacht zu einer Gewissheit.
 

„Falls Sie sich fragen, warum ich heute Abend hierher gekommen bin, um Märchen zu erzählen, so will ich Sie diesbezüglich gerne aufklären. All diese Märchen strotzen von Lügen, Verleumdungen, Vorurteilen und schlimmsten Anschuldigungen gegenüber Hexen und Zauberern. Über die Jahrhunderte hinweg werden Muggel bereits im jüngsten Kindesalter dazu erzogen, unsereins zu hassen. Nicht einmal schien eine andere Strategie als die gewissenlose Ausrottung des magisch begabten Menschen in diesen Märchen sinnvoll.“
 

Er schürzte die Lippen und schien die empörten Zwischenrufe aus der Menge in vollen Zügen zu genießen. Nicht verwunderlich, denn die Empörung der Zuschauer galt nicht ihm, sondern den Dingen, die die Zauberer selbst in ihren Märchen gelesen hatten.
 

Hermine drehte sich zu einigen besonders laut brüllenden Zuhörern auf der anderen Seite des Saales um. Zwei Männer, die, wie Hermine voll Bestürzung klar wurde, ebenfalls muggelstämmig waren. Sie hatte in einem Artikel über sie gelesen. Sie mussten doch wissen, was für ein Unsinn das war… doch jetzt saßen die hier und bejubelten Lucius' Behauptung, dass man sie als Kind verblödet hätte. Das war so unglaublich ironisch, dass Hermine geneigt war, ihnen Recht zu geben. Die Verblödung betreffend zumindest…

Eine Reihe vor ihnen, ebenfalls, wie Hermine selbst, in der ersten Reihe, saß Narzissa Malfoy mit hoch erhobenem Kopf und wogender Brust. Voll Stolz lächelte diese huldvoll zu ihrem Mann hinüber. Die Dinge schienen gut zu laufen, für sie.
 

Hermine war gerade voll und ganz damit beschäftigt, über die Aussagen der Todesser empört zu sein, als sie Lucius Malfoys samtweiche Stimme hörte. „Aber warum fragen wir nicht jemanden, der dies alles am eigenen Leib erfahren hat. Sie sind doch ein… eine Muggelgeborene, nicht wahr, Miss Granger?“
 

„Äh… wie bitte?“ Hermines eben noch geballte Fäuste entkrampften sich. Vermutlich hatte sie im Moment einen ebenso starren Glupschaugenblick wie Luna, bei der das jedoch alltäglich war und deswegen eigentlich auch nichts zu sagen hatte.
 

Lucius lächelte zuckersüß und nickte ihr aufmunternd zu: „Sie sind doch keine von uns. Also nicht von Geburt an, sie sind muggelgeboren und unter den eben beschriebenen Umständen aufgewachsen.“
 

Aus den Augenwinkeln konnte Hermine erkennen, wie sich Harrys Körper neben ihr versteifte. Sie hörte ihn tief durch die Nase ein- und ausatmen. Ginny murmelte etwas und Luna neben ihr hatte ihren Notizblock sinken lassen und beäugte Hermine nun milde lächelnd.
 

Hermine schüttelte sich und versuchte, ihrer Haltung und ihrer Antwort Sicherheit und Würde zu verleihen. „Ja… aber nein. Also ich bin natürlich unter Muggeln aufgewachsen, aber nein, ich wurde natürlich nicht zum Hass auf Hexen und Zauberer erzogen.“
 

Rodolphus setzte sich aufrecht hin und legte die Hände vor sich auf den Tisch. „Dann sind Sie also nicht mit dieser Hetze konfrontiert worden? Sagen Sie uns, Sie als, Betroffene, welche Märchen und Kindergeschichten kennen Sie, in denen die magisch begabten Menschen nicht als Gefahr hingestellt werden?“
 

Hermine schnappte nach Luft, verdrehte die Augen nach oben, da sie angestrengt nachdachte und durchforstete mit der Schnelligkeit und Präzision eines Hochleistungscomputers all die Kindergeschichten, die sie früher gehört und gelesen hatte.
 

Man gab ihr eine Minute vielleicht Zeit, dann lächelte Malfoy und lehnte sich entspannt zurück. „Nun, nichts? Das dachte ich mir.“ Er neigte sich zur Seite, wo Snape ein amüsiertes Schnauben von sich gegeben hatte. „Miss Granger empört sich gerne über Dinge, von denen sie nichts versteht.“ Er schob den Unterkiefer vor und bedachte sie mit einem gelangweilten Blick. „Nun ja, wie kann man es ihr verübeln, dass sie die Reinblüter und ihre Ideale hasst…“
 

„Also es ist doch ganz egal, welche Märchen ich als Kind gehörte habe und was dort drin stand. Das ist doch lächerlich. Ich bin genauso Teil dieser Gemeinschaft wie Sie auch, stellen Sie sich vor. Ich kann nicht nur lesen, sondern auch lernen. Und selbst wenn ich als Kind Angst vor Magie gehabt haben sollte, so ein Quatsch… Kinder haben vor so vielem Angst. Denken Sie, ich hätte das nicht alles hinter mir gelassen, als ich mehr von dieser Welt erfahren habe?“
 

„So“, freute sich Lucius aufrichtig. „Dann geben Sie uns ja recht. Dann ist es doch wirklich so, dass dieser Hass durch Unwissenheit geschürt wurde. Schön, dass Sie das auch so sehen… Wir sollten dieses Geheimhaltungsabkommen wirklich aufheben und stattdessen allen zeigen, wer wir sind und was wir können.“
 

„Das sind doch reine Lügen!“ Hermine drehte sich um und sah einen heftig atmenden Harry neben sich. Er war tiefrot und sein ganzer Körper bebte vor zorniger Erregung. „Sie können doch nicht allen Ernstes behaupten, dass Muggel, die gar nichts von unserer Welt wissen, Amok laufen, um etwas zu zerstören, von dem sie gar nicht wissen, dass es existiert.“
 

„Es wundert mich, dass gerade Sie diesen Punkt so vehement kritisieren, Mr. Potter. Wirklich, wo mich unser verehrter, ehemaliger Schulleiter doch davon informiert hat, dass die Muggel, bei denen Sie aufgewachsen sind, Sie wegen Ihrer magischen Begabung misshandelt haben.“ Snapes Mund kräuselte sich auf eine Art, die Hermine nie zuvor gesehen hatte. Bestürzt packte sie gleichzeitig Harrys und Nevilles Hände, weil sie glaubte, dass der unerwartete Gesichtsausdruck vielleicht von einem Fluch oder einer Krankheit stammen könnte, erst einen Augenblick später wurde ihr klar, dass Snape besorgt aussah. Besorgt klang auch seine Stimme, zumindest, wenn man die sanfte, unterschwellige Note Sarkasmus ignorierte, die in seinem Bedauern mitschwang: „Betrüblich, nicht wahr, dass es Professor Dumbledore zwar wusste und sich auch nicht scheute, es mit all den Kollegen zu besprechen, doch davon abgesehen rein gar nichts unternommen hat, um Ihnen Ihren Aufenthalt dort zu erleichtern.“
 

Harrys Mund klappte auf und ein heiseres Krächzen kam heraus. Er war still und starrte Snape nur mit offenem Mund an. Zehn Sekunden, zwanzig Sekunden... nach vierzig Sekunden machte er den Mund wieder zu und holte tief Luft für den nächsten Widerspruch. „Sind das nicht alles Dinge, die man Ihnen vorwerfen könnte, Mr. Snape? Jahrelang in einer Schule sitzen, die Sie für die Zentrale des Bösen halten… und nichts zu tun? Warum haben Sie da nicht mal aufgeklärt oder etwas unternommen. Stattdessen sind Sie Dumbledore nachgekrochen wie ein Hund… nur um immer mal wieder schwanzwedelnd zu dem da“, er ruckte mit dem Kopf missbilligend zu Lucius, der daraufhin überraschenderweise fröhlich grinste, „rüberschleimen zu können. Ja, warum haben Sie denn nichts unternommen, wenn Sie immer von allem wussten. Warum jetzt? Warum ist Ihnen jetzt auf einmal wichtig, was Ihnen jahrelang egal war?“
 

„Es war mir nicht egal“, gab Snape kühl zurück und setzte sich aufrecht hin, um Harry direkt in die Augen sehen zu können. „Professor Dumbledore hatte allen Lehrern verboten, irgendetwas zu unternehmen, was nicht von ihm abgesegnet war.“
 

Es war zum Weinen. Snape sprach kühl und klug. Harry regte sich einfach nur auf wie ein… Kind. Auch auf andere Vorwürfe, wie Untreue, Verrat und ähnliches hatte Snape eine prägnante Ein-Satz Antwort. Harry verstummte, als hinter ihnen ein leises „Da siehst du mal, wie labil dieser Junge ist. Sag noch einmal jemand, dass diese DA-Leute keine Spinner sind“ ertönte.
 

Sie drehten sich um, woraufhin sie in die kalten Augen eines älteren Ehepaars blickten. Jeder Widerspruch gefror bei diesem eisigen Anblick auf der Zunge. Es war ein Fehler gewesen. Die ganze Aktion war Unsinn. Sie konnten sich nur noch tiefer hineinreiten. Alles, ausnahmslos alles, was sie heute Abend sagen oder tun würden, konnten die Todesser gegen sie verwenden.
 

Harry knuffte Hermine in die Seite und raunte, noch ehe sie sich ganz zu ihm gebeugt hatte: „Hier stimmt etwas nicht. Sie… sie haben auf alles eine Antwort. Hast du vorhin Narzissa Malfoy gesehen, die uns angegrinst hat? Hier stimmt was nicht.“
 

Hermine nickte „Ja“, flüsterte sie leise. „Sie wirken so… vorbereitet. Sie haben auf alles eine Antwort, nicht? Sie… sie sind ja auch normalerweise kalt und abgebrüht… aber das hier... wie sie uns immer wieder einbeziehen. Es wirkt…“

„Einstudiert!“, schaltete sich nun auch Neville ein. „Die wussten, dass wir kommen, die haben das alles geplant.“

„Aber wie denn?“ Ginny beugte sich nun auch zu den drei anderen, während Luna immer noch verträumt zu den Lestranges hinüberlächelte.
 

Hermines Gedanken rasten. Eine Idee nach der anderen flog wie die Gondel eines Kettenkarussells in rasender Geschwindigkeit an ihr vorbei, flog immer höher und immer schneller und verschwamm mehr und mehr zu einem Nichts aus Verwirrung, in dem man keine Details, nichts Handfestes mehr, gewahren konnte.
 

Und dann stoppte das Karussell und eine Gondel hielt direkt vor Hermine an, in der sich die Antwort befand.
 

„Harry“, raunte sie ihm leise zu, packte seine Hand fester, so als wollte sie entweder ihn oder sich vor dem nahenden Zusammenbruch zurückziehen. „Hast du heute Draco Malfoy gesehen?“
 

Harrys Kopf wandte sich ganz langsam zu ihr um. Die Art, wie er sie ansah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Ebenso wenig wie die plötzliche Ruhe, die von ihm ausging. Ruhe war vielleicht falsch, doch ihr viel kein besseres Wort ein. Dennoch… er war ruhig und… wirkte lauernd. „Ja…“, begann er und drehte den Kopf leicht zur Seite. „Ich habe ihn gesehen. Du weißt doch… als Ginny und ich im Hof waren… und danach auch noch mal. Neville kam dann auch in den Hof, er war nervös wegen heute Abend... wir waren dann bei Madam Pomfrey… sie hat ihm einen Beruhigungstrank gegeben.“ Harry machte eine Kunstpause, sah Hermine prüfend an, dann sprach er weiter. „Malfoy war dort. Ich weiß nicht warum. Vielleicht hatte er irgendeinen seiner komischen Anfälle. Madam Pomfrey ging jedenfalls ein paarmal zwischen uns hin und her. Als wir gingen, war er aber schon fort.“
 

Hermine unterdrückte ein wütendes Knurren, verbot sich das Gesicht zu verziehen, doch sie konnte nicht verhindern, dass sie weiß wurde. Sie würde Draco umbringen. Sie würde ihn mit eigenen Händen erwürgen, wenn sie ihn sah.
 

Harrys Lippen wurden schmal, seine Augen verengten sich und richteten sich mit tödlicher Entschlossenheit auf Lucius Malfoy. „Wie auch immer er es getan hat, er hat sie gewarnt. Ich muss… ich werde…“ Er atmete tief durch und schluckte den Gedanken, den er fast ausgesprochen hätte hinunter. „Er hat bei Papi und Snape sicher gepetzt.“ Er beugte sich etwas vor, und nickte zuerst Ginny und dann Neville zu, „wir nehmen uns Malfoy vor, wenn wir zurück sind. Ist das klar?“Die beiden nickten und Hermine spürte, wie ihr langsam übel wurde. Sie würde sich beeilen müssen, wenn sie Draco vor Wut zerreißen wollte. Sonst würden ihr Ginny, Neville und Harry zuvorkommen.
 

Sie bekam kaum mit, was die anderen sich weiter zuraunten. Hermine überlegte ernsthaft, ob sie einen Oblivate-Fluch auf Harry, Ginny, Neville und Luna – nun ja, vielleicht nicht auf Luna - legen sollte. Draco spionierte nach wie vor… das war ja zu erwarten gewesen.
 

Er mochte Bauchschmerzen gehabt haben, ihm mochte Ginnys und Harrys Trauer nahe gegangen sein, aber geändert hatte sich dadurch nichts. Und sie war so dumm… was hatte sie denn erwartet? Sie hatte ihm doch selbst gesagt, dass sie heute Abend etwas vorhatte, von dem er nichts wissen durfte. Hätte sie ihm noch deutlicher zu verstehen geben können, dass etwas geplant war? Madam Pomfrey stand immer noch unter dem Imperiusfluch. Sie sollte…irgendetwas unternehmen. Nur was?
 

Sie musste Draco stoppen, sie musste aber auch Harry und die anderen stoppen. Hatte er nicht gesagt, dass er keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hatte? Nun ja, vielleicht hatte er auch jemand anderen kontaktiert.
 

Hermine zuckte zusammen, als Harry neben ihr auf einmal nicht mehr murmelte, sondern laut und deutlich zu den Todessern hinüberrief. „Aber wenn Ihr Boss doch so offen ist. Wenn er sich doch nur um alle sorgt und die ganzen Morde in der Vergangenheit“, augenblicklich hob lautes Protestgeraune um sie herum an, „nur zu unserem Besten waren, wenn das immer alles nur zu unserem Besten ist, wenn wir ihn immer alle falsch verstanden haben, warum zeigt er sich nicht? Warum ist er nicht hier und sagt uns das alles selber? Er versteckt sich seit Jahrzenten, wie es alle Terroristen tun.“
 

Zu Hermines grenzenloser Bestürzung, fingen die vier Todesser daraufhin an zu lächeln. Nein, nur drei davon, Snape lächelte nicht, da sein bitteres Gesicht nur zu einer maskenhaften Karikatur eines Lächeln fähig war. „Wie unerwartet passend, Mr Potter. Nun ja, selbst Sie“, er hob eine Augenbraue und nickte Harry zu, „selbst Ihr wirrer Geist...“
 

„Ich bin nicht verrückt“, polterte Harry dazwischen. Er öffnete den Mund. Im Bruchteil einer Sekunde veränderte sich etwas in Bellatrix‘ Gesicht, nur ein Zucken, woraufhin Harry sich schmerzhaft an den Hals fasste, doch ohne Protest zurücksetze.
 

„… ..ist zu strukturierten Gedanken fähig. In der Tat, Sie haben Recht.“
 

„Er hat recht?“, platzte Hermine vollkommen perplex heraus. „Sie geben zu, dass er sich versteckt?“
 

„Wir sagen, dass es Gründe gab, sich von einem durch Lügen manipulierten Mob fern zu halten“, erwiderte Bellatrix fiebrig. Sie hob die Hand und gestikulierte wild in der Luft, während sie eine flammende Rede begann. „Der Dunkle Lord ist derselbe, der er immer war. Seine Lehren sind dieselben, die er schon immer vertreten hat, doch Albus Dumbledore ist es zu verdanken, dass er diese Jahrzehnte in Verbannung verbringen musste, dass wir für ihn ins Gefängnis gehen mussten, die nichts anderes wollten, als dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit ein Ende zu bereiten und die Öffentlichkeit aufzuklären. Doch niemand zog es auch nur in Erwähnung uns zuzuhören. Stattdessen sperrte man uns nach Askaban, um uns mundtot zu machen…um uns…“
 

„Ja, Bellatrix, danke.“ Snape durchbohrte Bellatrix mit einem eisigkalten Blick. „Du und Rodolphus wurdet ungerecht behandelt. Das wird an anderer Stelle geklärt werden… ich möchte jedoch auf Mr. Potters Frage eingehen, da dies auch für alle anderen Anwesenden von elementarer Wichtigkeit ist.“
 

Er nickte zu Rodolphus hinüber, der sich daraufhin aufrecht hinsetzte. Ob er nun auch etwas sagen würde? Im Vergleich zu Bellatrix schien er jedenfalls eindeutig der… stillere zu sein. Seine Stimme war so dunkel, wie seine Augen schwarz waren. Ein tiefer, sonorer Bass dröhnte durch den Raum und Hermine dachte einen albernen Moment lang, dass er vielleicht doch lieber Opernsänger statt Todesser hätte werden sollen. Der Gedanke verflüchtigte sich jedoch sofort, als sie auf die Worte, statt auf den Klang der Stimme hörte. „Der Dunkle Lord weiß um all die Dinge, die Albus Dumbledore diesen Kindern“, er deutete auf die Fünf, die nun, einschließlich Luna, protestierende Laute von sich gaben, „und vielen anderen Kindern über Generationen hinweg eingetrichtert hat. Meine Frau Bellatrix hat recht. Niemand hätte dem Dunklen Lord geglaubt, wenn er zu einem früheren Zeitpunkt mit der Öffentlichkeit Kontakt aufgenommen hätte. Durch den Terror, dem wir im Moment ausgesetzt sind, ist das anders geworden. Aus diesem Grund wird er heute Abend öffentlich auf einem unserer Grundstücke erscheinen. Alle Anwesenden im Saal sind dazu eingeladen, uns dorthin zu begleiten. Darüber hinaus wurden auch einige Pressemitglieder…“
 

„Nein!“ Harry war aufgesprungen und konnte nur noch von Hermine und Ginny, die jeweils einen Arm gepackt hatten, zurückgehalten werden. „Das können Sie nicht machen! Sie können sich nicht hinstellen und sagen, dass das alles nur ein Missverständnis war, dass meine Eltern...“
 

„Dass ihre Eltern ihn mit allen Mitteln bekämpft hatten und eine Organisation gründeten, um ihn zu töten?“ Lucius lächelte boshaft. „Der Orden des Phönix, wenn ich nicht irre.“
 

„Fragen Sie doch ihn!“, kreischte Hermine, die sich nun nicht mehr halten konnte und deutete mit ausgestrecktem Finger auf Snape. „Er war doch dabei! All die Jahre war er doch dabei und hat uns belogen!“
 

„Und dann hat er Dumbledore umgebracht!“, brüllte Harry weiter, was Snape nichts als ein Augenbrauenzucken entlockte. Harry stand immer noch breitbeinig vor den Mädchen, atmete heftig und schien vor lauter unbändigem Hass, der einfach allem galt, was ihm an diesem Abend präsentiert wurde, nicht mehr zu wissen, wenn er nun anschreien könnte.
 

„Ist dir je in den Sinn gekommen“, zischte Bellatrix mit wogender Brust, „dass das vielleicht Notwehr gewesen sein könnte? Dass der Dunkle Lord sich gegen diesen Orden wehren musste, da sie sein Leben bedrohten? Dass Dumbledore Pläne schmiedete, das Ministerium zu stürzen…“
 

„Das ist doch lachhaft, Sie..“, fauchte Ginny, doch Bellatrix fuhr unbeirrt fort, so, als habe sie den Zwischenruf gar nicht bemerkt. „… das wir etwas gegen die Longbottoms unternehmen mussten, die unseren geliebten Herren endgültig töten wollten? Die uns töten wollten…“
 

„Sei sofort still, du verlogene Irre!“
 

Hermine wirbelte herum. Neville Gesicht wurde mit jedem Atemzug dunkler. Er öffnete den Mund, als wäre all der Ärger in ihm viel zu groß geworden, um in seinen verschlossenen Körper hineinzupassen. Ja, er schien sogar zu wachsen, wie er sich aufplusterte, die Schultern straffte und die Brust herausdrückte, „Sie…Sie“, begann er drohend, stand auf und hob einen Arm in Richtung Bellatrix, die daraufhin amüsiert zu ihrem Mann hinüberkicherte, „Sie… Sie sind eine freilaufende Irre.“
 

Bellatrix kicherte amüsiert, hielt sich die Hand vor den Mund, wirkte aber gar nicht mehr amüsiert, sondern kalkulierend, sobald sie ihre Hand wegnahm. „Deine Eltern mögen deine Eltern gewesen sein, doch sie waren krank. Ihr Geist war zerrüttet… auch früher schon. Das sind Dinge, die ein liebender Sohn nicht hören will, dennoch…“
 

„Lügnerin! Lügen, Lügen, nichts als Lügen. Etwas anderes könnt ihr Irren nicht. Aber wir werden euch zum Schweigen bringen!“ Neville sprang ebenfalls auf.
 

Luna, nun überraschend aufmerksam, packte seinen Pullover und versuchte, ihn wieder zurück auf seinen Stuhl zu ziehen. „Komm, Neville…“
 

„Ihr seit nichts weiter als geisteskranke Terroristen! Ihr seid eine Krankheit, die sich wie eine Seuche über dieses Land ausbreitet, aber wir können euch stoppen! Wir haben Pläne, euch zu stoppen!“
 

Hermine zerrte panisch an Nevilles Arm. Auch Harry und Ginny waren aufgesprungen, um Neville zurückzuziehen. Harry grinste verlegen in die Menge, während Neville wie wild um sich schlug und zappelte, um Hermines Hand, die sich auf seinen Mund presste, abzuschütteln.
 

Snapes Mund verzog sich spöttisch und er nickte der Gruppe anerkennend zu.
 

Hermine drehte sich zu Harry um, als dieser einen leisen Grunzlaut ausstieß, der sowohl Verwunderung wie auch Erschrecken ausdrücken konnte. Sein Mund klappte auf und er stöhnte gequält. Seine Finger krallten sich so fest um seinen Notizblock, als wolle er ihn nur durch die Kraft seiner Hände zerquetschen.

Er hob seinen Arm und stieß Hermine hart in die Rippen. Ein leiser Schmerzensschrei entfuhr ihr und sie wollte sich schon rächen und zurückschlagen, als ihr klar wurde, dass er sie lediglich auf etwas aufmerksam machen wollte, von dem er so gefangen war, dass er ganz vergessen hatte nachzuprüfen, ob sie nicht ohnehin schon zu ihm hinübersah. Ginny lehnte sich über seine Schulter, so dass ihr rotes Haar teilweise bis auf den Block herunterhing.

Feine Linien bildeten sich auf dem Papier, wanden sich wie Giftschlangen und stießen leise, nur für sie hörbare Zischlaute aus. Hermine packte Nevilles Arm, der sich daraufhin ebenfalls über sie beugte, um den Block zu sehen, den Hermine mit einem energischen Ruck an Harrys Arm weiter in die Mitte gezogen hatte.
 

„Wo schaut ihr denn alle hin? Was gibt es da?“, hörte Hermine Luna Lovegoods neugierige Stimme.
 

„Auf dem Pergament erscheint etwas“, antwortete ihr Neville heiser. Hermine zog die Schultern hoch, als sie den Stoff seines Hemdes unangenehm eng gegen ihren Arm gepresst fühlte. Er rutschte noch etwas näher, und wiederholte die Worte, die dort wie aus dem Nichts von unsichtbarer Hand geschrieben, entstanden. „Sie waren schon immer ein erbärmlicher Haufen von Zaubertrankversagern. Longbottom ist so schlecht, dass er Zaubertränke noch nicht einmal erkennt, wenn er welche trinkt. Fünfzig Punkte Abzug für Gryffindor, wegen unverbesserlicher Dummheit und noch einmal zwanzig Punkte für jeden Einzelnen von ihnen, weil Sie naiv und weltfremd genug waren zu glauben, dass wir uns nicht auf Ihre Theatereinlage vorbereitet hätten. Severus Snape.“
 

In dem Moment, in dem die vier Augenpaare sich zum geisterbleichen Neville umwandten, seufzte Bellatrix, schüttelte den Kopf und klagte in mitfühlendem Ton: „Der arme Junge… Zuerst die Eltern und nun… es muss wohl in der Familie liegen!“
 

Es ging zu schnell, als das es irgendjemand hätte verhindern können.
 

Neville sprang auf.
 

Sprang über den Tisch auf dem die Redner saßen, zog seinen Zauberstab und feuerte einen Cruiatus-Fluch auf Snape.
 

Er schrie irgendetwas. Bewegte seine Hände, schwang seinen Zauberstab erneut und…wurde von Rodolphus „Stupor“ zu Boden geschleudert. Ungelenk kippte er über den Schreibtisch und fiel hart zu Boden.
 

Die Zuschauer riss es von den Füßen. Sie sprangen auf, zogen ihre Zauberstäbe, schoben, drängten und quetschten sich aneinander vorbei, um Neville sehen zu können, der schon wieder auf seinen Füßen stand und es ganz sicher erneut geschafft hätte, über den Pult zu springen, wenn ihn Harry und Ginny nicht beide am Arm festgehalten hätten, um ihn zurückzuzerren.
 

Neville war rasend. Er schlug um sich, schrie, zerrte und wand sich… alles auf einmal in einem verzweifelten Versuch, all die Demütigungen und Entbehrungen, die er durch die Todesser erfahren hatte, auf einmal heimzuzahlen.
 

Hermine sah sich Hilfe suchend nach Luna um. Diese war, überraschend geistesgegenwärtig, aufgesprungen und war mit einem Mal gar nicht mehr verträumt oder abwesend, sondern hatte ein, zwei ältere Hexen an den Armen gefasst und zog sie, beruhigende Worte murmelnd, mit sich weg.
 

Hermine war zerrissen zwischen dem rationalen Bedürfnis, ebenfalls die Menge zu beruhigen und dem Wunsch, ihrer eigenen Abneigung gegen diese Leute Luft zu machen. Harry war blass, er presste die Lippen zusammen und zog und zerrte an Neville und doch, trotz der ehrlichen körperlichen Anstrengung, die er aufbrachte, sah sie seinem Gesicht, seinen Augen an, dass er nicht mit dem Herzen dabei war. Er war vielleicht nur einen Millimeter, einen Herzschlag oder ein Augenzwinkern davon entfernt, sich selbst auf Snape zu stürzen und nur das letzte bisschen Ratio, das ihm im Moment noch blieb, hielt ihn zurück, das zu tun, weshalb er das Streichholzspiel begonnen hatte.
 

Severus Snape zu töten.
 

Der war hinter dem Pult hervorgekommen. An der Seite von Lucius Malfoy hob er beide Hände und wirkte vermutlich auf jeden anderen beschwichtigend, der nicht nahe genug herankam, um das böse, gehässige Funkeln in seinen tiefschwarzen Augen zu erkennen.
 

Sie musste irgendetwas tun.
 

Hermine gab sich einen Ruck und eilte zu Harry, da der mittlerweile einen Gesichtsausdruck hatte wie Draco, wenn er kurz davor war, einen Wutanfall zu bekommen.
 

Hermine war wieder nicht schnell genug.
 

Harry ließ von Neville ab und schneller als Malfoy seine blassen Hände dazwischen bringen konnte, warf sich Harry auf Snape und riss ihn zu Boden. Ginny schrie auf und warf sich auf Harry, wobei es unklar war, ob sie ihn nun wegzerren oder ihm helfen wollte, Luna ließ von den Frauen ab. Hermine hob den Zauberstab und errichtete einen Schutzwall, der sie und ihre Freunde von Malfoy und Rodolphus trennte, während bereits die ersten, feuerroten Flüche gegen den Schild schlugen und deren Aufprall mit einem lauten „Klong“ den ganzen Saal zum Schwingen zu bringen schienen.

Aber auch sonst schwang alles, war alles in Bewegung und Aufruhr.
 

Die Leute waren nun nahe genug, ein großer Mann kam mit hochgekrempelten Ärmeln näher, Hermine sah etwas Schwarzes auf seinem Unterarm. Es blieb keine Zeit nachzusehen, ob es das Mal war, wer dieser Mann war, oder was diese Leute, die nun als Mob auf sie zustürmten, mit den Zauberstäben in ihren Händen vorhatten.
 

Sie mussten raus hier, und zwar schnell. Die ganze Aktion war gescheitert und egal, was sie jetzt noch tun oder sagen würden, es würde alles nur noch schlimmer machen. Fieberhaft ging sie all die Flüche durch, die sie in den letzten Jahren gelernt hatte. Zu viele...
 

Luna war auf einmal neben ihr, den Zauberstab erhoben, und packte sie am Arm. „Ich hab Angst, ich will hier weg. Wenn sie nur still wären.“
 

Hermines Zauberstab fuhr nach oben, und das Wort „Imobilus“ war schneller gesprochen, als ihr Geist sich wirklich dazu entschlossen hatte, diesen Zauber zu vollführen.
 

Dennoch wirkte er. Starr, reglos, und Furcht einflößend wie ein Wachsfigurenkabinett waren die Menschen mit einem Mal. Auf gespenstische Weise in der Bewegung erstarrt, blickte Hermine in die weit aufgerissenen Augen eines Sicherheitsbeauftragten, dessen Hände sich nur Zentimeter von ihrem Zauberstab befanden.
 

Sie standen in einem Meer aus bedrohlich ausgestreckten Händen und Zauberstäben. Hermine drehte sich um und sah weitere Sicherheitsbeamte, die über Harry und Ginny standen. Ein Fluch schwebte wie ein flammendrot leuchtender Blitz über ihren Köpfen. Selbst der Fluch war erstarrt, die ganze Welt war eingefroren.
 

Sie drehte sich zu Luna um, die in einer unnatürlich nach hinten gebeugten Haltung da stand, eine Hand schützend vor ihrem Gesicht, während ihre andere Hand den Zauberstab hielt, aus dessen Spitze sich gerade ein wenige Zentimeter langer, weißer Fluch herausschlängelte.

Hermine stellte sich hinter Luna, denn sicher würde sie umfallen, wenn sie den Zauber aufhob. Nach Luna erlöste sie Harry und Ginny von dem Bann, doch wo war Neville?
 

Sie eilten durch die Menge lebendiger Statuen hindurch, doch sie fanden ihn nicht. Ebenso wenig wie Bellatrix Lestrange. Konnte man in diesem Raum apparieren? Wohl nicht…. doch direkt hinter den Rednern befand sich der unvermeidliche, offene Kamin. Eine Schale mit verschüttetem Flohpulver stand oben drauf.
 

„Er ist weg! Mit ihr“, jammerte Luna und steckte den Kopf suchend in den Kamin hinein, als könne sie ihn vielleicht doch noch irgendwo sehen.
 

„Oder sie mit ihm“, stellte Hermine sachlich fest. Sie seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Wir müssen zu ihm. Die Leute da“, sie deutete hinter sich, „die werden noch eine ganze Weile so bleiben. Diese Konferenz ist für den ganze Abend angesetzt. Da wird so schnell niemand nachsehen, wenn die Sicherheitsleute keine Hilfe rufen und die“, sie deutete auf ein paar erstarrte Männer, die ihre Zauberstäbe in Richtung ihrer Sitzplätze erhoben hatten, „sind ja auch eingefroren. Neville geht’s nicht gut und Bellatrix wird darauf keine Rücksicht nehmen. Wir müssen zu ihm.“
 

Harry schnaubte und schüttelte den Kopf. „Ja, toll. Aber wo ist er? Wir haben ja nicht mal gemerkt, dass er weg ist… Wenn du hellsehen kannst und deswegen weißt, wo er ist, bitte. Ansonsten…“
 

„Ich kann natürlich nicht hellsehen“, entgegnete sie spitz, ohne Harry jedoch anzusehen, da sie mit beiden Händen in einem kleinen Täschchen wühlte. „Aber ich kann hexen“, verkündete sie stolz, und förderte mit einem triumphierenden Lächeln einen Wecker zutage. „Das gleiche Prinzip wie bei der Uhr in eurem Haus“, erklärte Hermine eifrig in Ginnys Richtung und hielt den anderen die Uhr ungeduldig unter die Nase. „Seht ihr? Fünf Zeiger… habe ich heute Mittag extra für den Fall der Fälle gemacht. Speziell für das Ministerium… die ganzen kleinen Striche, die wie Minutenmarkierungen aussehen, stehen für Räume im Ministerium. Du musst nur auf Nevilles Zeiger mit dem Zauberstab tippen, dann singt dir der Wecker den Raum vor, in dem er sich befindet. Offenbar ist er noch hier, sonst wäre sein Zeiger verschwunden.“
 

„Er singt?“, fragte Harry mit weit offenen Augen. Luna strahlte. „Oh wie schön... gibt das eine Melodie, wenn wir nachher Aufzug fahren?“
 

Hermine bedachte sie mit einem schiefen Blick, schüttelte den Kopf und tippte Nevilles Abbild an, woraufhin eine elfengleiche Stimme in melodischen Sing-Sang „Das Büro von Arthur Weasley“ trällerte.
 

„Aber Dad ist doch jetzt gar nicht da.“ Ginny verzog verwirrt das Gesicht und streckte die Hände nach dem Wecker aus. „Eben“, sagte Hermine und zog Ginny, die bereits ihre Finger an der Uhr hatte, den Wecker mit einem Ruck aus den Händen und stopfte ihn zurück in ihre Tasche. „Deswegen ja. Also kommt.“
 

xxx
 

Hermine stockte der Atem ob des Bildes, das sich vor ihr auftat.
 

Bellatrix Lestrange lag flach auf dem Rücken, offenbar gelähmt von einer Ganzkörperklammer. Neville saß auf ihrem Brustkorb. Er atmete zwar schwer, doch in seinem Gesicht trug er ein triumphierendes Grinsen. Er sah aus, als habe er nur Sekunden zuvor einen erbitterten Kampf gewonnen.

Seine linke Hand hatte er in ihr dichtes, schwarzes Haar gekrallt, um ihren steifen Oberkörper anheben zu können, die rechte Hand umschloss seinen Zauberstab, den er ihr so weit/fest in den Hals gebohrt hatte, dass die Druckstelle sich deutlich abzeichnete.
 

Sein ganzer Körper bebte vor Erregung. Jahrelang aufgestaute Wut, Hass, Scham und Rachedurst wollten sich in diesem Moment in einem gewaltigen, todbringenden Fluch entladen.
 

Hermine schlug die Hände vor den Mund. Sie wollte losrennen, sie wollte ihn festhalten, sie wollte ihn da herunterzerren. Harry packte sie am Arm und hielt sie fest. „Lass ihn!“
 

Neville wirbelte herum, schleuderte einen goldenen Lichtblitz aus seinem Zauberstab, der sich wie das Gitter eines Raubtiergeheges vor Hermine, Harry, Ginny und Luna ausbreitete und die vier einschloss.

Hermine warf sich dagegen, doch die goldenen Gitterstäbe glühten. Sie waren brennend heiß und als sie vor Schmerz aufschreiend zurückprallte, blieben lange Striemen rot verbrannten Fleisches zurück.
 

Neville schrie nicht mehr. Er beobachtete seine Freunde noch einen Moment, dann krabbelte er von Bellatrix herunter und erhob sich. Ganz still stand er vor ihnen, den Zauberstab erhoben, doch auf kein Ziel gerichtet und zog die Mundwinkel nach unten, als wäre ihm übel. Nein, als würde er weinen. Traurigkeit, für die Umstehenden unverständlich, machte sich in seinem Gesicht breit. „Ich muss das tun. All die Jahre… All die Jahre… und jetzt muss ich es tun.“
 

Und Hermine heulte auf, Luna neben ihr ebenso. Harry blieb ganz still und ohne ein Zeichen von Abneigung oder Zustimmung hielt er Ginny fest, die Neville eben noch angefeuert hatte, doch bei dem Anblick seines verzagten Gesichtes verstummt war.
 

Neville drehte sich um. Langsam, wie ein Schlafwandler schritt er wieder zur am Boden liegenden Bellatrix, schluchzte leise, hob seinen Zauberstab, warf seinen Freunden einen letzten verzweifelten Blick über die Schulter zu, drehte sich nun endgültig zu Bellatrix um und… wartete. Doch dann, Minuten oder gefühlte Stunden später, schoss er einen starken, weißgrauen Fluch auf Bellatrix.
 

Sekunden später war Bellatrix weg und Neville flossen Tränen über die blassen Wangen. Das Gitter, das sie von ihm trennte, wich ebenso wie die Farbe aus seinem Gesicht… ins Nichts.
 

Wo war Bellatrix? Wieso weinte Neville? Was waren das für Gitter gewesen? Welche Flüche und Banne hatte er benutzt? Hatte Harry ihm nun helfen oder ihn aufhalten wollen? Was hatte Ginny vor, deren Gesicht ebenso bestürzt aussah wie Hermine sich fühlte.
 

Luna bewegte sich als erste. Hermine konnte sich nur immer wieder über Luna wundern. Während Hermine Theorien wälzte und mutmaßte, konnte Luna einfach handeln. Sie ging zu Neville und legte ihm eine Hand auf die Wange, woraufhin Neville zurückzuckte und erschrocken zu ihr herumfuhr.
 

„Neville… wo… wo ist sie?“
 

Neville wich vor Luna zurück. Sein Gesicht veränderte sich leicht. Seine Augen flackerten unruhig und sein Mund wurde schmal. Er schluckte schwer und wich weiter zurück, bis er mit dem Hintern gegen einen Kamin stieß. Erschrocken drehte er sich um, atmete erleichtert auf, als er die rußgeschwärzten Steine hinter sich sah, packte die auf dem Sims stehende Schale mit Flohpulver und drehte sich wieder zu seinen Freunden um. „Sie ist wieder unten, in dem Presseraum.“
 

„Aber Neville“, keuchte der aus seiner Starre erwachte Harry atemlos. „Bist du irre? Sie wird die Leute doch alle freigeben und danach auf uns hetzen…Wie… wieso…?“ Er hob hilfslos die Arme und wandte sich zu Ginny und Hermine um.
 

Neville schluckte schwer und hob sein Kinn. „Ich konnte es nicht tun, Harry. Es tut mir leid… Ich glaube, ich bin wirklich zu gar nichts zu gebrauchen.“ Er schüttelte den Kopf und schluchzte. Tränen und Rotz liefen ihm übers Gesicht. Er wischte sich mit dem Ärmelsaum all diese Zeichen der Schwäche vom Gesicht und ließ nichts als Schande und Bitterkeit zurück. „Tut mir leid, ich wollte wirklich. Ich wollte euch wirklich helfen. Aber ich kann das nicht. Sagt Oma, dass es mir leid tut, sie schon wieder enttäuscht zu haben.“
 

Neville wandte sich um, warf Flohpulver in den Kamin und verschwand in einem Meer züngelnd grüner Flammen. Das Widerhall des Wortes „Hogwarts“ war das letzte, was von Neville bei ihnen blieb.
 

„Ich fasse es nicht.“ Ginny packte Harry am Arm und schüttelte ihn heftig. „Er hat sie gehen lassen. Sie lag direkt vor ihm, unten sind noch drei andere gelähmte Todesser, die wir uns einfach hätten der Reihe nach vornehmen können, und er lässt sie gehen… und jetzt müssen wir weg, weil die mit Sicherheit gleich hierher kommen und…“
 

Harry schüttelte ihren Arm ab und winkte Hermine zu, die die ganze Zeit über unschlüssig zwischen dem Kamin und dem Fleck, an dem Bellatrix verschwunden war, gestanden hatte. „Hermine, Luna… kommt! Sie werden gleich ihre Sicherheitskräfte zu uns schicken. Wenn sie uns hier nicht sehen, dann… ach, ich weiß auch nicht…wir überlegen, was wir machen, wenn wir weg sind. Wir können hier nichts tun, wir gehen und…“
 

„Wir müssen Neville finden, das vor allem.“ Luna, ernst wie selten, machte ein paar Schritte in Harrys Richtung und berührte sanft seine Hand. „Hast du es nicht gehört?“, fragte sie beklommen. „Er hat sich verabschiedet. Er will sich umbringen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Omama63
2012-06-27T19:00:39+00:00 27.06.2012 21:00
Ein super Kapitel.
Dieses Treffen, war wohl ein totaler Reinfall. Draco wird in ihren Unterlagen gestöbert und alles verpetzt haben.
Für mich hat das auch so geklungen, als wenn Neville sich für immer verabschiedet hat.
Hoffentlich finden sie ihn früh genug.
Bin schon gespannt, was sie mit Draco machen.


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