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Harmonie

von

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Latenzzeit

Kapitel 30: Latenzzeit
 

Es war nicht schwierig für Hermine rechtzeitig aufzuwachen, bevor jemand aus Dracos Familie sie in seinem Zimmer finden konnte. Der Uhr an Dracos Wand nach, war er bereits um sechs Uhr wach und… tobte.
 

Jetzt, wo die Beruhigungsmittel nachgelassen hatten, wurde ihm der volle Umfang dessen, was am gestrigen Abend beschlossen worden war, erst richtig klar. Er stürmte ins Schlafzimmer seiner Eltern, schrie wüste Verwünschungen und Hermine hörte diverse Gegenstände an die Wand fliegen. Sie selbst schlich sich währenddessen so leise wie möglich aus der Gefahrenzone in ihr Zimmer, um sich zu duschen.
 

Sie hasste sich dafür, wirklich, doch es war einfach ungefährlicher, einen Hauselfen zu rufen und den um etwas Tee und Toast zu bitten, als die unmögliche Idee in Erwägung zu ziehen, mit den Malfoys gemeinsam zu frühstücken.

Sie schrieb einige Briefe, um diverse Ämter und Personen über ihren neuen Aufenthaltsort aufzuklären und legte sich danach auf ihr Bett, um noch etwas zu lesen.
 

Gegen neun Uhr konnte sie sich dann nicht mehr davor drücken, sie musste zurück in die Schule. Draco war bereits in die Klinik gebracht worden und so musste Hermine in den sauren Apfel beißen und Narzissa fragen, wie sie das Manor verlassen konnte. Dracos Mutter war überraschend freundlich, zumindest sah es so aus, bis sie Hermine erklärte, dass man von ihr als Schlammblut ja auch nicht erwarten könne, sich mit höherer Magie auszukennen.

Hermine biss die Zähne zusammen und beobachtete voll stummem Zorn, dass die Mauer des Manors sich auf ähnlich Weise öffnen ließ wie der Zugang zur Winkelgasse. Einige Meter jenseits dieser Begrenzung konnte sie apparieren.
 

Xxx
 

Draco hatte beschlossen, dass er Lucius und Rodolphus sobald wie möglich verklagen würde. Ungeachtet all seines Protestes hatten ihn die beiden am Morgen geschnappt, ihn unter dem Imperius gezwungen, irgendein Medikament zu nehmen und ihn dann, immer noch mit gelähmtem Willen, in die Klinik geschleppt.
 

Und hier war er nun.
 

Die Station selbst hatte eher den Charakter einer großen Wohnung denn eines Krankenhauses. Wenn man mal von der Tatsache absah, dass die Wohnungstür mit ebenso vielen Bannen wie ein Hochsicherheitsgefängnis belegt war. Eine geschlossene Station.
 

Er würde Lucius umbringen… sobald er seinen Zauberstab wieder hatte.
 

Draco hatte im Manor bereits gesucht, aber natürlich nichts gefunden, weil man ihn nach wenigen Minuten gestoppt hatte. Er hatte getobt, geschrieen und gekämpft, aber keiner hatte einsehen wollen, dass er den Zauberstab dringend brauchte, um sich zu verteidigen.
 

Gegen diese Leute hier. Nicht nur gegen diese anderen „Insassen“, Jungen und Männer, sondern vor allem gegen die riesenhaften Gefängniswärter. Draco hatte einen eigenen Wärter zugeteilt bekommen. Einen pechschwarzen Hünen, der bedauerlicherweise ebenso stark war wie er aussah.

Der durfte einen Zauberstab haben. Dracos Einschätzung nach war dies pure Verschwendung. Groß und breit wie der Schwarze war, musste er wohl Riesenvorfahren haben und war somit ebenso dumm wie Hagrid.
 

Xxx
 

Nachdem Hermine vor die Tore von Hogwarts appariert war, verwandelte sie einen herumliegenden Stein in einen Stuhl und sank erschöpft darauf, um sich zu sammeln. Die Tore waren offen… heute zumindest. Hermine hätte einfach hineingehen können und doch vermochte sie es nicht.
 

Bange dachte sie darüber nach, was wohl ihre Freunde sagen würden. Ob Harry es ihnen überhaupt schon mitgeteilt hatte und ob er… sie schlug die Hände vor die Augen und stöhnte. Nein, es würde auf jeden Fall furchtbar werden.

Da saß sie nun und hätte sich freuen können, dass eine große Gefahr abgewendet worden war, doch statt Freude und Erleichterung zu verspüren, zitterte sie und rieb sich ihren schmerzenden Bauch.

Sie wollte nicht da reingehen. Nicht um alles in der Welt. Die Blicke, die sie erwarteten… Wenn alle wüssten, dass sie eine Verräterin war?

Aber wussten sie das? Andererseits… sobald irgend jemand mitbekäme, wo sie nun wohnte und warum… dann war es doch wirklich nicht mehr schwierig, eins und eins zusammen zu zählen.

Harry hatte sie gewarnt, dass man sie umbringen könnte, wenn das herauskäme. Und wenn man sie schon nicht umbringen würde, würde man sie dennoch sehr sicher hassen.
 

Sie würde lügen. Ja, genau… sie würde sagen, dass sie einfach nur ihre Eltern besuchte, dass sie jetzt, nach dem Ende des Krieges, mit ihnen feiern wollte. Genau!
 

Hermine erhob sich mit dem Vorhaben, die Beziehung mit Draco zu verleugnen. Das brachte gehöriges Magengrummeln, sowie ein recht schlechtes Gewissen mit sich, andererseits… sie würde es ihnen ja schon irgendwann sagen. So gegen Ende des Schuljahres… nach den Prüfungen. Dann hatte eh keiner Geduld und Zeit, sich über sowas aufzuregen.
 

Schweren Herzens erhob sie sich und trottete mit dem inneren Gefühl, etwas ganz Schlimmes getan zu haben, der Schule entgegen.
 

Hermine musste sich in der Zeit verschätzt haben. Eigentlich hatte sie gedacht, dass es schon spät genug wäre, um sich gleich in den ersten Kurs setzen zu können, doch das Klassenzimmer war leer und kein anderer Schüler war auch nur von Weitem zu sehen.
 

Nachdem sie zehn Minuten alleine im Saal gewesen war, sich nervös die Hände gerieben und allerlei Ausreden wegen des letzten Abends zurechtgelegt hatte, beschloss sie, dass sie doch nachsehen müsste, wo die anderen blieben.
 

Sie fand sie, und zwar wirklich alle, in der Großen Halle. Hermine schlüpfte unbehaglich in den Raum. Man hatte die Haustische alle entfernt, so dass die Schüler in braven Reihen auf dem Boden saßen und stumm, wie gebannt, Minerva McGonagall lauschten, die ihren Platz als Schulleiterin wieder eingenommen hatte und von dort aus gerade eine Rede an die Schüler hielt.
 

Hermine stand inmitten der sitzenden Schüler und das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sich alle Köpfe ihr zuwandten und selbst McGonagall für einen Moment innehielt.
 

Die Professorin schob an ihrer quadratischen Brille herum, murmelte etwas und neigte den Kopf zur Seite. „Ah ja, Miss Granger. Setzen Sie sich bitte… irgendwohin. Ich erkläre gerade den weiteren Ablauf.“
 

Hermine tapste unsicher zwischen den Schülern herum und fühlte sich zwischen all den hockenden und kauernden Gestalten hier ebenso unbehaglich wie an ihrem ersten Tag nach den Ferien, als ihr Greyback noch jeden menschlichen Kontakt zum Grauen gemacht hatte. Auch jetzt stakste sie unbeholfen herum, gab sorgsam Acht, niemanden zu berühren und wäre eigentlich, wenn sie ehrlich war, am liebsten sofort umgedreht und weggerannt.
 

Hinsetzen… aber wo? Zu Hermines Erstaunen hatten sich die Schüler nicht nach Häusern gruppiert. Nicht vorrangig. Obwohl man die Schüler wohl gerade aus dem Grund nicht an die Tische gebeten hatte, hatten sie sich dennoch auch heute morgen nach Blutstatus und…. Nun ja… Seitenzugehörigkeit angeordnet. Ganz links saßen die Reinblüter und Halbblüter, die während des Krieges mit Voldemort sympathisiert hatten, ganz rechts die Schüler, die sich entweder in der DA oder deren weiteren Dunstkreis aufgehalten hatten.
 

Zwischen diesen beiden Fronten verlief eine meterbreite Schneise, in die sich niemand hineinwagte und es war wohl auch ganz gut so, denn obwohl die Lehrerin nun ruhig und sachlich weiterredete, warfen sich die Schüler der beiden Seiten weiterhin wütende Blicke zu und schossen sogar heimlich Flüche aufeinander, falls Hermine richtig sah.
 

Ganz vorne saßen die Schlammblüter, die Muggelgeborenen, die dem Frieden wohl lieber nicht zu früh trauten und es für sicherer hielten, noch ein wenig Abstand zu ihren Mitschülern zu halten. Der Frieden war erst wenige Stunden jung, kaum geboren und hatte es noch nicht einmal geschafft, in das Wissen jeden Schülers Einzug zu halten, wie sollte man da erwarten, dass er bereits die Herzen aller Anwesenden erreicht hatte.
 

Hermine zögerte kurz, als sie bei ihren Freunden vorbeikam. Harry wurde bei ihrem Anblick rot und sah zu Boden. Er hatte es also schon gesagt. Neville rutschte näher an Luna heran, kratzte sich unbehaglich am Ohr und gab sein Bestes, so zu tun, als wäre er gar nicht hier. Luna hingegen strahlte Hermine an wie der Sonnenaufgang an einem Frühlingsmorgen. „Schön, dass du auch kommst. Wir haben uns schon Sorgen gemacht, dass die Malfoys dich über Nacht umgebracht haben.“
 

Obwohl Luna nicht laut gesprochen hatte, nun drehten sich doch alle Köpfe im Umkreis von sechs Meter zu Hermine. Hermine machte ein bestürztes Gesicht und zog sich ihre Schultasche wie zum Schutz vor die Brust.
 

McGonagall bat um Ruhe, doch trotzdem hörte Hermine von allen Seiten ihren und Dracos Namen in unterdrücktem Geflüster fallen. Harte, fassungslose Blicke, wo immer sie hinsah. Nur Luna, die strahlte immer noch. Sie klopfte mit ihrer Hand fröhlich neben sich auf den Boden und winkte Hermine einladend heran. „Komm, setz dich doch. Du musst mir unbedingt erzählen, wie du es geschafft hast, durch ihren Springwurmsumpf zu kommen!“
 

Hermine wollte schon näher treten und so unattraktiv die Aussicht auf Lunas Spekulationen zu Hermines gegenwärtigem Aufenthaltsort auch waren, sie würde immerhin nicht alleine sitzen und könnte vielleicht, wenn McGonagall so eifrig weiterredete wie jetzt, in der Menge verschwinden. Doch… Ginny drehte den Kopf zu ihr, mit ihr auch Lavandar, Parvati und einige andere DA-Mitglieder… und Hermine schüttelte mit zusammengepressten Lippen entschuldigend den Kopf und schlurfte weiter zu den anderen Muggelgeborenen.
 

Die hatten aber auch schon von diesem Gerücht gehört, tuschelten, als sie Hermine sahen und rückten eng zusammen. Sorgsam darauf bedacht, einen für alle sichtbaren Abstand zwischen sich und Hermine zu bringen. Da es ja alles nichts brachte, zumindest jetzt nicht, ließ sich Hermine seufzend im Schneidersitz nieder und versuchte alles andere, außer der Professorin vor ihr, zu ignorieren.
 

McGonagall erklärte, dass es viel Lügen gegeben habe. Man wollte den Unterricht für ein paar weitere Tage aussetzen, das Ministerium sei bereits über die abermalige Verschiebung des Prüfungstermins informiert – um zumindest die größten Irrtümer zu klären, und wieder zueinander zu finden.
 

Während McGonagall, nicht ohne einen Anflug von Spott in der Stimme, gerade die Enthüllungen des für Frieden und Freiheit engagierten Lucius Malfoy vorlas - der DA-Flügel im Raum protestierte nach so ziemlich jedem Satz, der dort stand, während der Voldemort-Flügel bleich und kränklich wirkte - stand auf einmal ein Schüler auf und fragte vor aller Augen, was denn aus dem jungen Malfoy, Draco, geworden sei. Der Todesser, der hier in der Schule Leute gemordet und Folterungen befohlen hatte. Wo war der denn?
 

Eine spitze Stimme, Hermine sah zu Boden, weil es sich unangenehm bekannt anhörte, antwortete, dass man doch Hermine Granger fragen sollte. Erneut schwoll Ärger im Raum an. Schüler riefen nach Hermine, waren verärgert, fassungslos und manche lachten.
 

McGonagall verbat sich all das mittels eines umfassenden Silencio-Bannes und erklärte nur knapp, dass Mr. Malfoy nicht, wie vielseitig angenommen, im Gefängnis sei, sondern gestern Abend nach einem Unfall ins St. Mungo eingeliefert worden war.
 

Hermine schluckte schwer. Das war vielleicht die einfachere Version, aber nun glaubten sicher alle, dass einer der Schüler Draco gestern die verdiente Rache heimgezahlt hätte… wie schlecht es ihm selbst gegangen war, wurde mit keinem Wort erwähnt.
 

McGonagall redete eine Zeit lang weiter über das Leid der Opfer und Hermine schämte sich in Grund und Boden. Jedesmal wenn sie bemerkte, wie die anderen sie anfunkelten und über sie tuschelten, wäre sie am liebsten aufgestanden und gegangen. Aber sie war doch auch ein Opfer…. Oder?
 

Hermine wagte immer wieder kurze Seitenblicke zur Voldemortseite. Soweit sie abschätzen konnte, fehlten noch weitere Schüler. Ob einige weitere ebenfalls ihre Niederlage nicht hatten akzeptieren wollen? Die Amnestie galt nicht für alle Todesser. Hatte man wirklich einige der Schüler verhaftet und nach Askaban gebracht? Formal gesehen waren einige dabei, die es verdient gehabt hätten. Dennoch… noch mehr leere Plätze.
 

Während McGonagall gerade erklärte, dass der Minister ein politisches Umerziehungsprogramm ausarbeiten würde, dass zum Beispiel Muggelkunde für jedes magische Kind Pflichtfach werden ließ und man insgesamt viel offener werden wollte, um eben die gesehenen Vorurteile und Feindschaften zu zerstreuen, kam eine einzelne Eule in den Saal gesegelt.
 

Die ließ sich vor auf McGonagalls Rednerpult nieder und schuhute kräftig in deren auf Sonorus gestellten Zauberstab hinein. Zuerst kicherten die Schüler amüsiert, da diese kleine Einlage eine erleichternde Atempause in den ernsten Vortrag brachte, doch das Lächeln der Schüler verblasste so schnell, wie es auf ihren Lippen erschienen war.

McGonagall nahm dem Vogel das Pergament ab und las, griff sich erschrocken an die Brust und taumelte, die Hand nun nicht mehr vor der Brust, sondern auf der schweißnassen Stirn, einige Schritte zurück. Lupin und Moody sprangen auf, bereit sie zu fangen, falls sie ohnmächtig werden würde. McGonagall reichte das Pergament achtlos an den, der ihr am nächsten stand. Lupin nahm es ihr ab, las, und wurde blass. Er ballte die Hand zur Faust und presste sie sich an den Mund.
 

Moody riss ihm die Nachricht aus der Hand, warf einen kurzen Blick darauf und erhob dann seinen Zauberstab, um ebenfalls einen Sonoruszauber durchzuführen. „Wie wir gerade erfahren haben, ist heute Nacht ein ehemalige Professor dieser Schule, Severus Snape, gestorben. Er hat sich vergiftet. Die Versammlung endet hiermit. Wir werden uns erst nach der Mittagspause wieder hier treffen.“
 

Lautes, erregtes Raunen erfüllte den Saal. Hermine wurde gewahr, wie die Schüler um sie herum zu ihren Nachbarn krabbelten und tuschelten. Zu ihr kam niemand. Sie saß weiterhin alleine stumm auf ihrem Platz und versuchte, durch all die Aufregung um sie herum zu verstehen, wie viel sich doch in den letzten Stunden geändert hatte und wie viel noch genau so war wie vorher.
 

Als sich alle erhoben, wollte Hermine zu Harry gehen, doch der wurde bereits von einer energischen Ginny in Richtung Tür gezerrt.
 

Und nun stand Hermine hier. Allein, in der Mitte und zu keinem gehörig.
 

Das hatte sie nun davon, dachte sie bitter, dass sie jedem so gut es ging hatte helfen wollen… am Ende war sie dadurch allein.
 

Genau wie Snape.
 

Hermine entschied sich jedoch dagegen, es ihrem ehemaligen Lehrer gleichzutun und die Mittagspause mit ihrem eigenen Freitod zu verbringen. In die Bibliothek konnte sie nicht, da eine recht verschnupft wirkende Madam Pince ihr sagte, dass sie hier nicht einfach wieder hereinkommen könne, nur, weil der Krieg vorbei sei. Gesetz sei Gesetz und solange keine neuen Gesetze erlassen würden, die Muggelgeborenen ihre alte Rechte wieder einräumten, hätte sich nichts geändert.
 

Hermine kapitulierte vor so viel Bürokratengeist und wanderte weiter in der Schule herum. Als sie nach stundenlanger Suche immer noch keinen Fleck gefunden hatte, an dem man sie nicht schief ansah, bat sie in ihrer Verzweiflung Madam Pomfrey, ihr doch bitte ein Bett in der Krankenstation zu geben. Eines, wo sie die Vorhänge zuziehen könne, um in Ruhe Zeitung zu lesen.
 

Madam Pomfrey willigte ein. Der erste Mensch an diesem Tag, der sich ohne Häme bei ihr nach Draco erkundigte. Hermine wurde rot und erklärte, dass er zumindest körperlich auf dem Wege der Besserung sei, davon abgesehen sei alles sehr kompliziert. Madam Pomfrey nickte verständnisvoll, besorgte Hermine noch eine Tasse heiße Schokolade zu ihrer Zeitung und teilte ihr mit, dass sie Draco im Krankenhaus besuchen würde.
 

Irgendwann, als Madam Pomfrey es wohl nicht mehr ausgehalten hatte, Hermines leises Schluchzen zu ignorieren, kam sie zurück, schob sich in die Kabine und setzte sich zu Hermine aufs Bett. Sie nahm sie in den Arm, streichelte sie wie eine Mutter und sagte, sie solle sich die Kommentare der anderen nicht so zu Herzen nehmen.

Sie, Hermine, wüsste doch, dass das mit Draco viel schwieriger sei als jeder andere wissen konnte und sie sei ein tolles Mädchen, weil sie so tapfer zu ihm hielte. Aber der Krieg war erst ein paar Stunden vorbei und man hatte in der Schule den Wunsch geäußert, nichts zu Dracos Selbstmordversuch zu sagen, da das die Kriegsopfer irritieren könnte.
 

Dann scheuchte sie Hermine mit dem Hinweis aus dem Saal, dass sie sich nicht ewig verstecken könne und dass die anderen noch Zeit brauchten, um sie zu verstehen.
 

Zeit? Wie lange… Hermine saß auch den weiteren Nachmittag abgeschieden von allen weiteren Gruppen in der großen Halle, hörte zu, wie McGonagall das Gleiche erklärte wie Madam Pince, dass man erst alle Gesetze überprüfen, neu verabschieden oder streichen müsse, bevor eine akzeptable Ordnung gelten könne.
 

Harry und einige andere protestierten, dass das doch wohl nicht ihr Ernst sein könne. Nun sei doch alles vorbei, alles sei eine Lüge gewesen und jeder wisse das doch, wieso könnte man dann die ganze Todesserzeit nicht einfach streichen. McGonagall verzog das Gesicht und zuckte die Achseln. „Weil eben genug Menschen glauben, dass trotzdem etwas dran sein könnte.“
 

Hermine zog die Beine an die Brust und legte ihren Kopf auf die Knie. Das war ihr ja schon klar gewesen, dass man sie nicht automatisch wieder mögen würde, nur weil die einzelnen Parteien nicht mehr kämpften.
 

Xxx
 

Draco war notgedrungen anwesend. Für heute zumindest. Anwesend in diesen albernen Morgenkränzchen, während etwas, das Schulunterricht darstellen sollte und anwesend, während man sie in einen Park zerrte, wo sie Sport machen sollten. Draco saß die ganze Zeit am Rande, bei all diesen Zumutungen, funkelte wütend seinen Wärter an und beschloss, sie alle bestialisch zu ermorden, sobald er nur an seinen eigenen Zauberstab herankäme.
 

Kam er leider nicht, deshalb musste sich wohl oder übel fügen. Aber alles würde er nicht mit sich machen lassen…

Man zwang ihn, mit diesen Leuten zusammen zu Mittag zu essen. Der erste, der Draco ansprach, verlor daraufhin einen Zahn. Draco selbst verlor das Bewusstsein, denn der Zahnlose hatte zurückgeschlagen.
 

Als er am Nachmittag wieder erwachte war, zerrte man ihn in eine Schwimmhalle und sperrte ihn danach zusammen mit dem Schwarzen und dem Heiler in ein Zimmer. Die beiden Männer spielten Karten und unterhielten sich über Quidditch. Solange, bis Draco bei diesem Hohn so wütend wurde, dass er sich die Hand brach, als er versuchte, die Tür einzuschlagen. Man verarztete ihn, gegen seinen Willen wohlgemerkt, und sprach dann über Schafe.

Draco wurde diverse Male angeboten, sich zu beteiligen. Aber alles, was Draco wissen wollte, war, wann man ihn hier wieder herauslassen würde. Nicht nur heute aus diesem Zimmer, sondern überhaupt. Der Schwarze grinste und sagte: „Wenn du wieder normal bist!“
 

Also beschloss Draco, normal zu sein.
 

Draco war so normal wie möglich, als Lucius, der Verräter, ihn wieder abholte.
 

Draco saß vollkommen normal im Salon des Manors, tat so, als würde er lesen und unterdrückte die in ihm aufwallende Wut, als er Vater und Onkel über die aktuelle politische Lage diskutieren hörte.
 

Er war absolut normal, als Hermine heimkam. Er war sogar richtig nett. Er nahm sie in den Arm, küsste sie, lud sie zu einer Hausführung ein und erklärte ihr die magische Tafel in der Eingangshalle, die anzeigte, wer sich gerade wo im Haus aufhielt.
 

Er zeigte ihr die Bibliothek, die diversen Salons, erzählte ihr vom Labor – verschwieg die Gefängniszellen – und zeigte ihr stattdessen das Hamam im Keller. Hermine war zutiefst beeindruckt von der orientalischen Pracht und der dazu passenden Schwimmhalle.
 

Da Hermine das so wollte, setzte er sich mit ihr in ihr Zimmer, um dort gemeinsam mit ihr zu essen. Draco war das egal, er hatte sowieso keinen Hunger und normal zu sein war viel einfacher, wenn er seine Familie dabei nicht sah.
 

Aber dann wollte sie lernen. Sie flüsterte ihm sanft ins Ohr, dass sie am Abend wieder zu ihm ins Bett geschlichen käme und Draco stimmte sofort begeistert zu, weil Sex mit der Freundin zu haben etwas ausgesprochen Normales war.
 

Draco beschloss, dass es nun an der Zeit wäre, seinen Vater darauf hinzuweisen, dass er vollkommen normal war und man einen Anwalt einschalten sollte, um ihn aus der Psychiatrie herauszuholen.
 

Lucius saß am Schreibtisch seines Arbeitszimmers. Um ihn herum wucherten Stapel von Akten, Büchern und Pergamentrollen. Federkiele, offene wie verschlossene Tintenfässer, Notizzettel, Süßigkeiten und aus irgendeinem für Draco nicht nachvollziehbaren Grund, auch ein auf dem Rücken liegender, zappelnder Skarabäuskäfer lagen wild verstreut auf dem sonst akribisch ordentlich gehaltenen Arbeitsplatz seines Vaters.

Draco seufzte mit einem Anflug schlechten Gewissens, dass er wohl der Grund dafür war, dass Lucius noch nicht einmal die üblichen Ordnungs- oder Stapelzauber vollbringen konnte.
 

Stattdessen kritzelte sein Vater wie ein Besessener auf einer schon etwas zerknitterten Pergamentrolle herum und schien vor lauter Hektik nicht einmal zu bemerken, dass Strähnen seines Haares in eines der Tintenfässer hineinhingen.
 

„Vater?“ Draco räusperte sich verlegen. „Hast du Zeit? Ich würde gerne mit dir reden.“
 

Lucius hob den Kopf und seinem Blick nach hatte er weder Zeit noch Lust, sich von dem Pergament ab- und stattdessen Draco zuzuwenden. Er atmete tief durch und warf zuerst der Standuhr in der Ecke des Raumes, dann wieder seinem Schreibtisch sehnsüchtige Blicke zu. Dennoch nickte er knapp und deutete mit der Hand auf einen der Stühle, die vor dem Arbeitsplatz standen. „Sicher, aber wenn du verzeihst… ich habe heute noch Arbeit. Ich dachte, du würdest mit ihr…“
 

Draco schob sich auf den ihm zugewiesenen Platz und senkte seine Augen auf die im Schoß gefalteten Hände. „Ja, schon aber… sie muss lernen und ich… ich wollte sowieso mit dir sprechen.“ Sein Hals schmerzte immer noch. Er hustete, dieses Mal richtig. Die Narbe rings um seinen Hals brannte augenblicklich, als ob man mit heißen Nadeln in das wunde Fleisch gestochen hätte. Er kniff die Augen zusammen und rieb über den Verband an seinem Hals.
 

Als er die Augen wieder öffnete, fing er Lucius' nachdenklichen Blick auf. „Ich werde dir nachher die Salbe geben. Sie sollte helfen. Vielleicht… vielleicht hilft es, wenn du etwas trinkst. Hast du Durst?“

Er griff neben sich und zog hinter einem besonders hohen Stapel ein leeres Glas heraus. Scheinbar aus dem nichts zauberte er daraufhin eine große Karaffe hervor, die mit einer goldgelben Flüssigkeit gefüllt war. Draco wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Bot ihm Lucius hier wirklich Scotch an?
 

Sein Vater bemerkte Dracos Verwirrung. Er verzog den Mund und hob eine Augenbraue. „Apfelsaft“, erklärte er leicht genervt, während er Draco das Glas füllte, „Etwas Hochprozentigeres wirst du in diesem Haus nicht mehr vorfinden.“ Er nickte noch einmal kaum angedeutet und reichte Draco den Saft.
 

„Dann ist es also wahr?“
 

Lucius seufzte und nickte. „Ja. Seit fünf Wochen.“
 

Wenn Draco sich nicht sehr täuschte, verfärbten sich die Wangen seines Vaters leicht rosa. Vielleicht um dies zu verbergen, beugte sich Lucius wieder über das Pergament, tauchte die Feder in eines der Tintenfässer, die, wie Draco jetzt erst bemerkte, alle unterschiedliche Farben enthielten, und begann dann mit smaragdgrüner Tinte einige Worte auf das Blatt vor ihm zu kritzeln.
 

„Wie kam es?“
 

Lucius hob die Augen, verzog den Mund und beugte sich wieder über das Blatt, um weiter zu kritzeln. „Deine Mutter. Es war… nun, wie gesagt. Vor ein paar Wochen. Eines Tages wachte ich hier in meinem Arbeitszimmer auf.“ Er hob die Hand und deutete mit der Feder auf die Sitzgruppe, die sich in der Nähe der Tür befand, dann schrieb er sofort weiter. „Ich wurde durch eine Eule geweckt, die mir eine Nachricht deiner Mutter überbrachte.“ Lucius' Stimme klang ölig, träge und eigentlich so unbeteiligt, als wenn er über einen Büronachmittag im Ministerium plaudern würde, nur das hektische Gekritzel offenbarte, wie unangenehm ihm dieses Thema sein musste. „Sie schrieb, sie befände sich gerade bei Severus Snape. Sie hätte den Vormittag bei unserem Familienanwalt verbracht, um die Scheidungskonditionen auszuhandeln. Entweder ich würde mich nun sofort zu ihr begeben oder sie würde die Papiere unterschreiben.“
 

Lucius schnalzte mit der Zunge, legte das von Tintenflecken übersäte Schriftstück vorsichtig auf einen Stapel wesentlich ordentlicher ausgefüllter Pergamente, angelte nach einer recht zerlesen scheinenden Akte und begann mit fahrigen Fingern darin zu blättern. „Ich brach natürlich sofort auf. Sie hatte die Scheidungsunterlagen bereits bei sich. Sie sagte, entweder ich würde für die nächsten Tage bei Severus bleiben, um zu… entwöhnen, oder sie würde den Brief abschicken. Sie würde ihn immer bei sich tragen, sie würde Snape täglich per Eule befragen und, nun ja, sollte ich irgend etwas Alkoholisches während seiner… Behandlung trinken… dann, nun ja.“ Er hustete, hob die Hand vor den Mund und schluckte. Einen Moment lang war Stille, dann richtete er sich auf, faltete die Hände auf der Akte und sah Draco direkt in die ungläubigen Augen. „Seitdem habe ich nichts mehr getrunken. Also nichts Alkoholisches selbstverständlich. Sie sagte, sie würde sich sofort scheiden lassen, wenn ich auch nur einen Schokoladenwhiskeykessel anfassen würde. Tja… also, du siehst, Sohn, ich bin nüchtern.“ Er atmete tief durch, warf sich eine Strähne blonden Haares über die Schultern und fuhr augenblicklich in geschäftigem, gelassenen Ton fort. „Du sagtest, du wolltest mich sprechen? Worüber? Über das eben erwähnte Thema?“
 

„Ähm, nein. Eigentlich geht es um Hermine“, begann Draco zögerlich, doch wurde er sofort von einem entnervten Schnauben Lucius‘ gestoppt. Dieser unterbrach den Augenkontakt und beugte sich wieder über seine Akte. „Wieso? Ist sie schwanger?“
 

„Nein!“
 

„Merlin sei Dank!“ Lucius schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte und zwang Draco mit einem eindringlichen Blick, still zu sein. „Das hätte jetzt gerade noch gefehlt. Wo wir wirklich genug andere Probleme haben.“
 

Dracos Finger verhakten sich ineinander. Er atmete tief durch und betrachtete die feine, weiße Linie, die seinen abgekauten Nägeln an ihrer Spitze noch geblieben war. „Nein, es ist nur… Ich wollte nur hören, was du darüber denkst, dass es sie gibt. Also… dass sie und ich…“
 

Lucius zuckte die Achseln, nun wirklich ehrlich gelassen, und blätterte eine Seite um. „Ich bin dagegen. Sie hat so gar nichts von dem, was ich mir für dich wünschen würde. Sie ist ein Schlammblut und ich verstehe nicht einmal ansatzweise, was du an ihr findest.“
 

Draco schluckte hart. Es musste an den Halsschmerzen liegen, dass seine Stimme so dünn und schwächlich klang. „Ich werde mich nicht von ihr trennen. Ich will, dass sie hier bei mir bleibt und ich will mit ihr zusammen sein.“
 

„Ich bilde mit nicht ein, dich umstimmen zu können.“ Draco fühlte den strengen Blick seines Vaters auf sich und fühlte sich gezwungen, ebenfalls sein Kinn zu heben, so dass er ihm in die Augen sehen konnte. Eine Augenbraue spöttisch erhoben, den Mund gekräuselt, erklärte Lucius halb genervt, halb gelangweilt: „Du hast mich gefragt, was ich von deiner Wahl halte und ob ich sie billige. Meine Antwort ist nun einmal, dass ich diese ganze Sache ablehne. Mir ist bewusst, dass dich das nicht aufhalten wird. Also kann sie eben hierbleiben und ich werde versuchen, mich damit abzufinden. Erwarte aber nicht, dass ich oder deine Mutter auch nur ansatzweise mehr tun werden als genau das.“
 

Draco nickte und presste die Lippen aufeinander. Da war noch etwas anderes, etwas, worüber er den ganzen Tag nachgedacht hatte.
 

„Tja… da ist noch was.“
 

Lucius holte eine weitere Akte von einem der Pergamenttürme herunter und schlug sie vor sich auf. „Ich höre.“
 

Draco widerstand dem Drang ihm zu sagen, dass er gerade nicht so aussah, als ob er wirklich aufmerksam zuhören würde, doch andererseits war er sich sicher, dass das Thema schon sein Interesse wecken würde.
 

„Wieso?“
 

„Wieso was?“
 

„Wieso hast du… unseren Lord… wieso?“
 

Lucius seufzte und rieb sich über sein Gesicht. Er beobachtete Draco zwischen den Fingern vor seinen Augen, dann stöhnte er, als habe er Schmerzen, nahm die Hände vom Gesicht und steckte die Feder in seiner Hand zurück in den dafür vorgesehenen Platz. „Gut… Wir müssen wohl darüber reden.“
 

Draco wusste nicht so recht, was er mit der Reaktion seines Vaters anfangen sollte. Überhaupt konnte er seinen Vater schwer einschätzen, da er im Moment weder betrunken noch unter Publikum war. Er hatte so lange nicht mehr einfach so mit ihm gesprochen und eigentlich, wenn er so darüber nachdachte, hatten sie über dieses Thema, Lucius‘ Einstellung zu Voldemort, noch nie wirklich offen geredet.
 

Aber jetzt würden sie es tun.
 

„Also, Vater, sag mir… Wieso? Hattest du… andere Pläne? War es… weil er… weil Mutter krank geworden ist und… und...“, Draco zuckte die Achseln, „ich verstehe es einfach nicht!“
 

„Hmm.“ Lucius nickte, er presste die Lippen so fest zusammen, als fürchte er sich selbst vor dem, was er nun sagen musste. Er faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und rubbelte sich mit den Daumen nervös über seine Fingernägel. „Nun, der Dunkle Lord ist… er war nicht gut für uns.“
 

„Was soll denn das heißen? Wir waren wieder in den höchsten Kreisen. Ich“, Draco deutete mit dem Finger auf sich, „ich war… er hat mir gesagt, dass er für mich große Dinge sieht und dass ich…“
 

Lucius stöhnte genervt und schlug sich eine Hand vor die Augen. „Draco… das… das hat er doch zu jedem gesagt.“ Er schüttelte den Kopf, nahm die Hand vor den Augen wieder weg und sah sehr entschlossen aus, Draco die Meinung zu sagen. „Jetzt hör mir mal zu, Junge. Solchen Mist hat er jedem gesagt… aber… sieh mich an, Draco… hör mir jetzt gut zu… das war gelogen! Nein… hör zu… unterbrich mich bitte nicht… Nein! Ich werde das jetzt sagen. Der Dunkle Lord hatte Ziele, die… nun… die ich früher einmal teilte… irgendwann… Draco, du sollst zuhören! Setz dich wieder hin! Gut. Also, wenn man Zeit hat, über all das nachzudenken, und die hatte ich in Askaban… dann offenbart sich eine große Lüge. Er hat uns alle belogen und Draco… Wir waren ihm egal, wir alle… ihm liegt an keinem von uns. Sieh… Bellatrix… sieh mich an, Draco… Bellatrix hat er getötet, einfach so… er hat sich nicht einmal die Zeit genommen herauszufinden, was sie getan hat und was nicht… Und ich sage es dir hier offen… sie hat nichts getan, diese Intrige ist nicht auf ihrem Mist gewachsen. Dennoch ist sie tot und… nun… denkst du wirklich, dass er dann auch nur eine Sekunde gezögert hätte, einen von uns… dich… zu töten, wenn ihm irgendwas nicht gepasst hätte? Und…“, er zuckte mit den Achseln, „deswegen haben wir ihn gestürzt. Ich, für meinen Teil, will lieber weiterleben, als für jemanden zu sterben, für den nur die eigenen Interessen von Belang sind.“
 

Dracos Hände schlossen sich krampfhaft um die Stuhllehne, er schluckte hart und es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, nicht sofort aufzuspringen und Lucius mit einem der Gegenstände, die auf seinem Schreibtisch lagen, zu schlagen. Verräter… er hatte es nicht glauben wollen und doch…. Lucius war ein Verräter. Jemand, der alles, woran er glaubte, verriet, um selbst heil aus etwas herauszukommen. „Und jetzt?“, presste er zwischen den Zähnen hervor. „Was hast du denn vor? Hast du… hast“, ein Gedanke kam in Dracos Herz und erfüllte es mit Hoffnung. „Willst du vielleicht selbst etwas aufbauen? Jetzt, wo der Dunkle Lord nicht da ist und Bellatrix… Willst du vielleicht selbst… mit Rodolphus, Snape und… mir?“ Draco strahlte seinen Vater hoffnungsvoll an, dessen Gesicht bei Dracos Vision seltsamerweise mit jedem Wort düsterer geworden war.
 

„Sicher nicht, Severus ist tot.“
 

Draco klappte der Mund auf, sein Herz begann heftig zu pochen und seine Hände wurden feucht. „W… w… was?“
 

Lucius legte ein Bein über das andere und lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten. „Wir… er hat es wohl getan, während wir bei dir in der Klinik waren. Sie sagen, er habe sich vergiftet.“ Lucius' Stimme wurde dunkel und schwer. „Natürlich, natürlich“, murmelte er. „Severus würde sich vergiften, was sonst… Er… nun, er hat etwas hinterlassen. Eine Nachricht… Er, nun...“ Lucius schluckte schwer, fuhr sich zitternd übers Gesicht und konnte das wahr sein, waren seine Augen feucht?

„Er schrieb, dass er nun guten Gewissens gehen könne, da der Krieg beendet sei. Das hätte er noch erreichen wollen, aber nun hätte er keine Kraft und keine Lust mehr auf dieses Leben. Nach alledem, was war… er wollte Ruhe haben und nie mehr an die Vergangenheit denken müssen.

Er meinte auch, dass er keine Lust mehr hätte, zwischen allen Seiten zerrieben zu werden und hinterher doch von jedem verurteilt zu sein.“

Lucius seufzte schwer, wirkte trübsinnig wie Draco es nicht kannte. „Er war ein Doppelspion, habe ich gehört… wenngleich auch nicht gegen uns. Also, unsere Familie aber“, er seufzte wieder, „letztendlich war wohl zu viel passiert, als das man ihn irgendwo wieder hätte einstellen können und er selbst hätte sich mit alledem auch nicht wohl gefühlt… und weil es niemanden gäbe, der… der… das irgendwie… nun… Er muss gedacht haben, dass er nun vollkommen alleine dasteht und…“
 

In diesem Moment brach Draco mit seinem Vorhaben, sich „normal“ zu benehmen. Es war keine Absicht. Es passierte einfach. Da saß sein Vater, der seelenruhig vom Verrat an Voldemort redete, der fand, dass das alles ein Irrtum war und er einfach keine Lust mehr habe und dann waren, einfach so, Bellatrix und Snape gestorben… weil Lucius keine Lust mehr auf Voldemort gehabt hatte.
 

Draco sprang auf, griff nach dem nächstbesten Gegenstand und… dann zerfraß die weiße Wut, die sich seiner bemächtige, seine Fähigkeit, klar zu denken. Er musste wohl recht wild geworden sein, denn schließlich setzte ihn jemand mit einem Schockzauber außer Gefecht.
 

Das nächste, was er wusste, war, dass er mitten in der Nacht aufwachte, weil er auf die Toilette musste. Hermine lag schlafend neben ihm, wachte aber auf, als Draco ungelenk aus dem Bett stieg und torkelnd gegen die Wand krachte. Vermutlich hatte man ihm schwere Beruhigungsmittel gegeben. Er fühlte sich wie betrunken und irgendwie war die Welt um ihn herum so gleichgültig und fern, als wäre es die Welt eines anderen. Er akzeptierte, dass Hermine ihm aufs Klo half, ließ sich danach von ihr zurück in Bett bringen und schlief sofort wieder ein.
 

Xxx
 

Hermine selbst hatte den Abend mit Lesen verbracht. Nachdem sie mitbekommen hatte, dass ein geschockter Draco von Vater und Onkel ins Bett gebracht worden war, hatte auch sie sich in ihr Bett begeben und geweint.
 

Irgendwann dann, als Weinen alleine nicht mehr half, um ihren Weltfrust loszuwerden, hatte sie sich Pergament und Feder geschnappt und Harry den längsten Brief ihres Lebens geschrieben. Eigentlich bestand er nur aus Rechtfertigungen. Sie rechtfertigte sich für jeden einzelnen Schritt, den sie seit Rons Tod gemacht hatte. Als sie fertig war, war das Pergament übersät mit Tintenflecken und Tränen, doch zumindest heute war ihr das egal. Zumindest etwas getröstet, schlich sie am Schlafzimmer von Dracos Eltern vorbei und steckte ihre Nachricht in den Eulenkasten.
 

Zu ihrer großen Freude kam nur kurze Zeit später Hedwig an ihr Fenster und pickte begierig mit dem Schnabel um Einlass. Harry schrieb, dass er ihren Brief noch nicht ganz gelesen habe, ihr aber unbedingt schnell antworten wollte, damit sie wisse, dass sie nicht ganz alleine in der Welt war.
 

Sie solle sich von den Malfoys fernhalten (ob er damit auch Draco meinte, war für Hermine nicht ersichtlich) und sich in der Schule nichts aus den dummen Bemerkungen machen. Er hätte zwar auch keine Ahnung, was sie sich bei dieser Affäre gedacht habe, aber er vertraue ihr und Ginny würde das sicher auch bald wieder tun. Man müsse allen nur etwas Zeit lassen, das Übermaß an Informationen der letzten Tage zu verdauen.

Er schrieb dann noch einiges Unbehagliches zu Snape. Dass der ja nun auch tot wäre, dass das nicht vorauszusehen gewesen sei und dass das irgendwie, trotz alledem, wohl doch selbst für Harry ein Schock war.
 

Hermine vermochte zu diesem Thema nichts zu antworten, obwohl sie ihm nachfühlen konnte. Was hätte sie auch sagen sollen? Das sie Snape zwar nicht gemocht hatte, aber dennoch Mitleid mit ihm verspürte, weil sie nun am eigenen Leib erfuhr, wie es war, wenn man für alle sein Bestes versuchte und am Ende dann ganz alleine dastand?
 

xxx
 

Als Lucius Draco am nächsten Morgen in der Klinik ablieferte, wusste der Verräter nichts Besseres zu tun, als ein Gespräch mit dem Heiler zu verlangen, dem er ohne die geringsten Hemmungen Dracos Wut vom gestrigen Abend mitteilte.
 

Draco wurde heiß, wie er die beiden in dem Zimmer des Heilers verschwinden sah. Wie bereits am Tag zuvor, saßen die anderen Jungen und Männer in dem Gemeinschaftsraum und unterhielten sich mit Plaudern und kleinen Tricks.
 

Draco stellte sich mit verschränkten Armen an die Wand und funkelte diese verweichlichten Gestalten hasserfüllt an. Ab und zu spürte er ihre Blicke auf sich, doch niemand sprach ihn an.
 

Sie sollten ihn nicht ansehen. Niemand sollte ihn so von der Seite ansehen. Das mochte er nicht. Dracos Atmung beschleunigte sich.
 

Sein „neuer bester Freund“, Sam, hielt sich in seiner Nähe, sprach ihn ab und zu an, reagierte jedoch nur mit einem milden Lächeln, als Draco ihn ignorierte und spielte stattdessen mit einem etwa fünfzehnjährigen Jungen weiter ein afrikanisches Würfelspiel.
 

Im Raum war es eine Weile lang ruhig und Draco konnte nicht umhin, die riesenhaften Männer, die hier arbeiteten, genauer in Augenschein zu nehmen. Er fragte sich, wo dieses Krankenhaus auf so viele verblödete Halbwilde wie Hagrid gestoßen war.
 

Als der Schwarze ihn schon wieder fragte, ob er denn vorhabe, den ganzen Tag dort an der Wand zu stehen, fühlte Draco sich zu einer gemeinen Antwort genötigt. Zunächst erklärte er ihm, dass ihn das überhaupt nichts anginge, danach grinste er überlegen: „…und überhaupt, ich habe es doch nicht nötig, mich von einem so einem Niemand wie dir bequatschen zu lassen.“ Er lachte gehässig und schüttelte den Kopf, über so viel Armseligkeit „Sag mal, schämst du dich nicht? Du bist hier umgeben von Magie und Zauberern und alles, wozu du es im Leben gebracht hast, ist Gefängniswärter in einer Irrenanstalt. Sag mal, du Squib, kotzt dich das nicht an, so ein Versager zu sein?“
 

Sam schob das Würfelspiel dem anderen Jungen zu und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Das war etwas, das Draco weniger belustigend fand. Einmal mehr verfluchte Draco seinen Vater, der ihn hier ohne Zauberstab mit einer Horde Trolle alleine ließ. Der „Troll“ kicherte belustigt, tätschelte Draco den Kopf, als wäre er ein besonders putziger Dreijähriger und ging zu einem seiner gigantische Kollegen, der ihm einen Becher mit irgendeinem Getränk gebracht hatte.
 

Draco erwog, sich ein neues Opfer zu suchen, doch da spürte er auf einmal die Hand des Riesen an seinem Rücken, der ihn in das Zimmer des Heilers schob. Kaum war er drin, wurde die Tür hinter ihm geschlossen und er wurde mit Fragen zu seinem Ausraster am Vorabend belästigt.
 

Draco wurde wütend. Nicht einfach nur sauer und beleidigt, nein, die Art von Wut, die ihn erregte, anmachte und von ihm wie eine überirdische Macht Besitz ergriff.

Unglücklicherweise war diese Art von Wut, so nützlich sie in den letzten Monaten auch gewesen sein mochte, genau das Falsche, um zu beweisen, dass man vollkommen normal war.
 

Draco schrie. Zuerst gegen seinen verlogenen Vater, gegen den nichtsnutzigen Heiler und dann gegen den schwarzen Versager.

Das war nicht genug, er brauchte mehr. Es brannte innerlich und konnte nicht hierbleiben. So riss er die Tür auf, dass diese nur noch in den Angeln hing, stürmte hinaus und packte sich den ersten Jungen, der es wagte, nicht vor ihm zur Seite zu gehen.
 

Das T-Shirt des kleinen Schwarzen war Sekunden später rot von dessen Blut. Ein anderer Junge war dabei, etwa so groß wie Draco. Ein besserer Gegner.

Draco war zu lange ruhig gewesen, das merkte er jetzt. Hätte er klarer denken können, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass die Augen des anderen Jungen von eben demselben Funkeln erleuchtet wurden wie seine eigenen, als sie ihrem gemeinsamen Drang, anderen wehzutun, nachgingen.
 

Ihre Prügelei währte nicht lange, denn die Riesen waren nicht nur schnell, sondern bedauerlicherweise auch stärker als Draco. Nichts was Draco ohne Kampf gewillt war zu glauben. Diese Weichlinge sollten ihn nicht unterschätzen und so waren sie bald zu zweit, um ihn festzuhalten.

Draco fühlte sich stark. Für einen Moment nur, denn im nächsten Moment wurde er, wie der Heiler es nannte, „ruhiggestellt“.
 

Die nächsten Stunden saß er müde auf der Couch und beobachtete, wie die Decke sich über ihm drehte. Sam neben ihm lachte über etwas, das er in der Zeitung gelesen hatte. Draco konnte nicht verstehen, was es war, da er voll und ganz damit beschäftigt war, nicht zu sabbern oder sonst zu zeigen, dass das Beruhigungsmittel wirkte.
 

Gegen Mittag aßen die Jungen etwas an einem großen Tisch. Draco, halbwegs fit, verbrachte das Zusammensein mit seinen Leidensgenossen damit, sie anzuschreien und zu schlagen. Sie waren zu nahe. Niemand sollte so nah bei ihm sein und sich neben ihn setzen. Zwei der Jungen, der Große von vorhin und ein weiterer, asiatisch aussehender, schienen dasselbe zu denken, so dass die großen Männer voll und ganz damit beschäftigt waren, einen Mord zu verhindern.
 

Es stellte sich heraus, dass Sam doch kein Squib war, denn immerhin bewies er nach dem Essen, dass er über genug Magie verfügte, um ausgeschlagene Zähne nachwachsen zu lassen.
 

Nach dem Essen forderte man Draco schamlos dazu auf, sich beim Abräumen zu beteiligen. Hausarbeit, Reparaturen und so weiter würde prinzipiell von den Patienten erledigt werden und Draco solle nicht nutzlos herumsitzen, während die anderen für ihn arbeiteten. Draco erklärte, dass er aber genau das gewohnt sei und nicht das geringste Interesse daran hätte, irgendjemandem zu helfen. Viel eher hatte er Interesse daran, auf jeden loszugehen, der ihm näher als zwei Meter kam.
 

Er beachtete nicht, wie einige der anderen sich zitternd gegen die Wand drückten oder aus irgendeinem Grund zusammenklappten und lachte stattdessen einen Mann aus, der am Boden herumkrabbelte und behauptete, das dort die Leichenteile eines seiner Freunde lägen, die er zusammenzaubern wollte.
 

Am Ende des Tages kam dann auch das, auf was Draco überhaupt keine Lust hatte. Er wurde schon wieder zu dem Heiler in ein Zimmer gerufen. Sam war dabei. Der Heiler fragte, ob Draco sich unterhalten wolle, was er mit einer Serie unfeiner Ausdrücke ablehnte. So stand er eine ganze Stunde lang am Fenster und resümierte zufrieden, dass er den meisten da draußen körperlich überlegen war, während der Heiler gemeinsam mit Sam Karten spielte und über Wohlhaarschweine plauderte.

Draco regte das auf, dass die beiden so einfach Karten spielten in seiner Gegenwart, als ob sie keine Angst vor ihm hätten. Draco beeilte sich deswegen, ihnen darzulegen, dass er auch ohne Zauberstab sehr schlimme Dinge tun könne und getan hätte.

Er prahlte so eine Weile vor sich hin, dann wurde er unruhig und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Er bestand darauf ein Fenster zu öffnen, weil ihm heiß war – ohne Ergebnis, nebenbei bemerkt – und bestand ein paar Minuten später darauf, dass man den Kamin anmachen solle, ihm wäre kalt. Außerdem bräuchte er Medikamente, er hätte Kopfschmerzen.
 

„Die Entzugserscheinungen beginnen“, erklärte der Heiler lakonisch, woraufhin sich Draco genötigt sah, ihn mit einer ganzen Regalreihe von Büchern zu bewerfen, nacheinander, versteht sich, den Draco hatte keine Entzugserscheinungen, auf keinen Fall.

Nichtsdestotrotz beschloss er, das Manor an diesem Abend einer gründlichen Inspektion zu unterziehen.
 

Er hatte es ja geahnt, dass man Lucius schon wieder zu einem Gespräch beiseite ziehen würde, als es „Abholzeit“ war. Eine halbe Stunde lang musste Draco darauf warten, seinen verräterischen Vater zumindest verbal angreifen zu können.
 

Man gab ihm ein Beruhigungsmittel und schickte den etwas schläfrigen Draco mit der strengen Ermahnung an Lucius, ihn nicht aus den Augen zu lassen, für heute nach Hause. Dort verbrachte er den Abend zunächst damit, Lucius, der ihm immer noch nicht seinen Zauberstab geben wollte, wegen allem, was ihn in den letzten Jahren geärgert hatte, anzuschreien.

Irgendwann kam Hermine heim und die beiden verzogen sich, um in Dracos Zimmer etwas zu essen.

Das heißt, Hermine aß, Draco fühlte sich seltsam flau im Magen und so beschränkte er sich darauf, Hermine zuzuhören, die die Veränderungen in der Schule beschrieb.
 

Draco hatte die ganze Nacht über schlecht geschlafen und war auch am nächsten Morgen unruhig. Wieder bestand sein Tag in der Klinik vor allem aus Herumstehen – da er sich weigerte, bei irgendetwas teilzunehmen und etwas anderes zu tun, als sich zu streiten und zu schlagen.

Aber da war noch etwas anders. Ihm war seltsam zumute. Ständig hatte er das Gefühl, als ob seine Beine kurz vor dem Einschlafen wären. Einerseits war er müde, andererseits fühlte er sich wie auf dem Höhepunkt eines Energieschubes. Dann begann er zu schwitzen, nur um eine halbe Stunde später einem kleineren Jungen eine Decke zu klauen, weil er vor Kälte mit den Zähnen klapperte. Der kleinere Junge war vielleicht vierzehn und bibberte ebenso wie Draco.
 

Der Junge wollte seine Decke zurück, Draco wollte sie ihm nicht geben. Also schlugen sie sich.

Sam schritt ein, packte Draco und zog ihn weg. Schon wieder lächelte er nur freundlich, statt sich irgendwie wie ein Mann zu verhalten und drückte Draco, anstatt ihm eine Standpauke zu halten, eine besonders flauschige Decke in den Arm.

Draco war kalt, aber konnte sich nicht hinsetzen, um sich einzumummeln. Zu unruhig und aufgewühlt war er, um Ruhe auszuhalten. Draco war immer noch wütend, doch nun endgültig zu müde um zu kämpfen. Das Zittern blieb. Hinsetzen konnte er sich aber trotzdem nicht, so schlang er die Decke um sich und ging mit den anderen in den magischen Krankenhauspark am Ende des Ganges, wo er sich trotz des warmen Sonnenscheins noch enger einwickelte und die Wege entlang schlich.
 

Ihm war nur kalt. Er hatte sich vermutlich erkältet. Er hatte keine Entzugserscheinungen. Jemand wie Lucius hatte Entzugserscheinungen. Er nicht.

Diese Typen in der Klinik waren verrückt und hatten deswegen rein gar nichts mit Draco gemeinsam.
 

Draco wusste, was Flashbacks waren. Er hatte oft genug selbst welche gehabt. Bevor er so stark geworden, bevor er vernünftig geworden war und sich nicht mehr hatte belabern lassen. Bevor er ein Mann geworden war, hatte er solche albernen Anfälle gehabt. Jetzt nicht mehr. Darauf war er sehr stolz, weshalb er die Insassen, bei denen er dies mitbekam, auslachte und teilweise schlug, weil sie ihm einfach auf die Nerven gingen. Ob sie nun unvermittelt anfingen zu schreien, um sich zu schlagen, zu weinen, sich verkrochen oder einfach nur stundenlang zitternd mit starrem Blick auf der Couch saßen, sie reizten ihn damit.
 

Der Heiler sagte ihm zwar, als er ihm bei einen seiner Auslach-Aktionen erwischte, dass Flashbacks eine natürliche Reaktion seien und er, weil er im Moment keine hätte, nicht davor sicher sei, sie nicht wieder zu kriegen, aber davon wollte er nichts hören.
 

Weshalb er, statt den Jungen zu drangsalieren, auf den Heiler losgehen wollte, um die dummen Sprüche aus ihm herauszuschlagen…

… und sich Sekunden später im Arm von Sam fand , der ihn stattdessen zurück in den Park zog, wo er die nächste Stunde damit verbrachte, seinen Wärter anzuschreien.

Bei seiner Rückkehr, mittlerweile war es Mittag, sah er einen schwitzenden, zitternden Marcus Flint im Aufenthaltsraum sitzen, der sein Bestes gab so zu tun, als wäre er gar nicht hier.
 

Dicke Verbände an den Handgelenken.
 

Ein dicker, großer Kerl mit rotem Bart saß neben ihm und erklärte, dass sie beide, Draco und Marcus, morgen auch noch von ihrem „Kollegen“ Adrian Pucey Verstärkung bekommen würden.
 

Draco sagte dazu nichts, es war unter seiner Würde, mit diesen Leuten Gespräche zu führen. Außerdem musste er sich bewegen. Sein Herz pochte rasend, seine Glieder schmerzten, als würde jemand daran ziehen und ihm war übel.
 

Draco war wütend, weil er keinen Zauberstab hatte. Da er nichts mit sich anzufangen wusste und ihn überhaupt jeder hier herausfordernd ansah, versuchte Draco diesem Gesindel seine Grenzen zu zeigen. Bedauerlicherweise war Sam, gemessen an seiner Größe, geradezu überirdisch schnell, überirdisch stark sowieso und zu alledem wurde Draco im Laufe des Tages immer flauer im Magen.
 

In der offiziellen Mittagspause stand er in dem großen Raum, der wohl am ehesten als Wohnzimmer oder Aufenthaltsraum gelten konnte und sah zum Fenster hinaus. Frischer Wind wehte um seine Nase, durch sein Haar und hätte ihn erfrischen können, doch dem war nicht so. Draco fuhr sich mit immer noch leicht zitternden Fingern durch die Haare und musste eine Hand an die Wand legen, als die Übelkeit stärker und seine Beine schwächer wurden.
 

Er versuchte so würdevoll, elegant und erhaben wie möglich auszusehen. Wie er immer versuchte, durch seine Haltung und sein Aussehen seine gehobene Stellung zu vermitteln. Er hatte mit diesen dummen, verweichlichten Bauern und Versagern nichts zu tun.
 

Draco schwankte.
 

„Soll ich Euer Lordschaft einen Eimer besorgen oder zieht Ihr es vor, die Toilette zu benutzen?“, fragte Sam, der gemeinsam mit dem rotbärtigen Ed und dem schwarzen Jungen von vorhin Karten spielte.
 

Draco drehte sich um und bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick: „Ich sage es noch einmal. Ich habe keine Entzugserscheinungen und ich werde garantiert nicht kotzen!“
 

Die Männer tauschten einen wissenden Blick.
 

Draco beugte sich vor und erbrach sich über das Gesicht des Rotbärtigen.
 

Entsetzt und überwältigt schlug Draco sich die Hände vor den Mund. Tränen stiegen ihm in die Augen, er wollte es zurückhalten, doch schon wieder krümmte er sich und wurde konnte den neuen Schwall Mageninhalt, der aus ihm heraus schwappte, nicht aufhalten.
 

Über den Hals des Jungen. Der Kleine sprang mit einem entsetzten Schrei auf und wollte sich auf Draco stürzen, der sich immer noch krümmte und würgte. Der Rotbart hielt den Jungen fest, während Sam Draco kichernd den Arm um die Schulter legte und ihn mit sich ins Badezimmer zog.
 

Draco bestand darauf, dass er sich den Magen verdorben hätte und wurde furchtbar wütend, als er hörte, wie diese Leute seinem Vater sagten, dass der Entzug sich noch ein paar Tage hinziehen würde und man ruhig und verständnisvoll auf was immer da auch kommen könnte, reagieren sollte.
 

Das, was dann wirklich kam, war etwas verworren. Draco erinnerte sich daran, pausenlos im Manor herumgeschlichen zu sein auf der Suche nach irgendwelchen Dingen, die Snape vielleicht hier vergessen haben könnte. Er erinnerte sich daran, Lucius' ehemalige Hausbar zerlegt zu haben, da Alkohol immerhin ein gewisser Trost gewesen wäre. Erfolglos.

Er erinnerte sich daran, Hermine mit dem Kopf an die Wand geschlagen zu haben, als sie ihn davon abhielt, einen Hauselfen zu verprügeln. Dabei hatte der es verdient, denn er hatte gewagt, Schutzbanne über die Laboratorien zu sprechen, so dass Draco nicht hineinkam.
 

Draco erinnerte sich sehr ungern daran, dass er, von diesen Dingen abgesehen, die meiste Zeit damit verbrachte, Leute anzuschreien, zu zittern, vor Schmerzen zu wimmern oder zu erbrechen.
 

Einmal war ihm in der Klinik zuerst sehr kalt und danach sehr heiß geworden. Sehr heiß, immer heißer. So heiß, dass er ich komplett auszog und dann schreiend die Stirn auf den Boden geschlagen hatte, um sich dadurch vom brennenden Schmerz in den Beinen und Armen abzulenken.
 

Dunkel erinnerte er sich daran, dass Sam und… möglicherweise war es der Heiler, er war jedenfalls viel kleiner als die Wärter, ihn packten und unter die kalte Dusche stellten, wo er offenbar bewusstlos zusammengebrochen war. Das nächste, woran er sich dann erinnerte, war, dass im Salon des Manors auf der Couch zu lag, wo Hermine wohlweislich schon einen Eimer bereit hielt.
 

Nach etwas über einer Woche wurde es besser. Er zitterte nicht mehr ständig, konnte zumindest leichte Kost bei sich behalten und die Schmerzen in den Gliedmaßen ließen nach. Draco war die vorangegangene Episode recht unangenehm. Ungern erinnerte er sich daran, dass sich zu Hause sein Vater im Schichtdienst mit Hermine und gelegentlich auch Rodolphus abwechselnd um ihn gekümmert hatten. Wie auch immer sie das abgesprochen haben mochten, denn Draco sah nie jemanden aus seiner Familie länger als zwei Minuten mit Hermine gemeinsam in einem Raum bleiben, geschweige denn reden. Seine Mutter hatte er fast gar nicht gesehen. Er verstand das, sie hatte Bellatrix zu verkraften.
 

In der Klinik war die Sache noch schwieriger. Sein schwarzer Gefängniswärter hatte ihn des Öfteren umgezogen, wenn er zu nassgeschwitzt war oder sich mit Erbrochenem besudelt hatte. Er hatte ihn auch mehr als einmal unter die Dusche gestellt (was seltsamerweise wirklich etwas gegen das Gefühl, von innen heraus zu verbrennen geholfen hatte) oder ihm, was Draco ihm im Nachhinein besonders übel nahm, den Kopf gestreichelt, wenn die Gliederschmerzen so grässlich wurden, dass Draco Angst hatte, es würde ihn am Ende zerreißen.
 

Man sollte ihn aber nicht für schwach und hilfsbedürftig halten. Nachdem Adrian und Marcus auch wieder mehr oder wenige ansprechbar waren, setzten sie sich die drei überzeugten Todesser zusammen und beschlossen, von nun an gemeinsam gegen diese Leute zu arbeiten. Sie stellten gegenseitig fest, dass sie eben nicht verrückt, sondern vollkommen normal waren, aber diese Leute das nicht verstanden, weil sie feige Verräter waren und ihre Meinung deswegen eh egal war.
 

Xxx
 

Hermine war in den letzten Tagen nicht oft zum Lernen gekommen. Dracos Vater hatte ihr per Eule, obwohl er zweifellos im Haus war und es ihr auch persönlich hätte sagen können, mitgeteilt, dass er Dracos Betreuung während des Entzugs gerne an Hermine abschieben würde, da ihn das wegen seiner eigenen kürzlich vergangenen Entwöhnung beunruhigen würde. Ganz so hatte er es natürlich nicht ausgedrückt.

Hermine hatte dann ebenfalls per Eule geantwortet, dass sie in wenigen Wochen Prüfung hätte und Zeit zum Lernen brauche. Dazu hatte sie einen von ihr ausgetüftelten Plan geschickt wo sie festgelegt hatte, wer wann bei Draco sein sollte. Etwa zwanzig Eulen später, immer noch befanden sich beide im selben Haus, hatte man sich auf eine Zeitverteilung geeinigt.
 

Am frühen Abend Hermine, später dann Lucius oder sein Schwager. Die Nächte waren ein Problem. Hermine ging davon aus, dass Lucius wohl irgendwie mitbekommen hatte, dass Hermine sich nachts zu Draco schlich, denn sonst hätte er dieses Thema sicher nicht auch noch mit ihr diskutiert. Man einigte sich darauf, dass es wohl auch für Draco am schonendsten wäre, wenn man ihn einfach mit einen Schlafzauber belegen würde, falls es ihm gar zu schwer fiele, Ruhe zu finden. Den Heilern sagten sie das natürlich nicht.
 

Nachdem Dracos Entzug vorbei war, machten die Heiler ihre Drohung wahr, mit Hermine und den Malfoys gemeinsam sprechen zu wollen. Auf die Frage, wie sie denn so miteinander auskämen, antworteten beide Parteien, dass sie sich aus dem Weg gehen würden. Die Heiler hielten es bedauerlicherweise für therapeutisch zuträglich, wenn zumindest ein klein wenig Kontakt bestünde und dass man dies doch bei gemeinsamen Mahlzeiten einüben könnte.

Hermine wurde bei der Idee, mit Lucius, Narzissa und Draco gemeinsam zu essen, schon einmal vorsorglich übel, Narzissa starrte mit messerdünnem Mund auf ihre Füße, Draco wurde wütend – wie immer – und Lucius schimpfte auf den Heiler – auch wie immer. Doch an der Sache ließ sich nicht rütteln, das wäre wichtig und sie sollten eben alle lernen, irgendwie miteinander auszukommen.
 

Hermine bezweifelte das. Auch jetzt. Vor allem jetzt, als sie mit gezücktem Besteck im malfoy'schen Esszimmer saß und sich intensiv bemühte, die Pracht des Raumes nicht zu bewundern. Da funkelte sie doch lieber die Malfoys zornig an.
 

Das Ganze hatte schon sehr ärgerlich damit begonnen, dass der Tisch nur für vier, statt für fünf Leute gedeckt war. Nachdem Draco seinen Teller kommentarlos zu Hermine geschoben hatte, ließ sich auch Lucius dazu herab, noch einmal nachzuzählen und festzustellen, dass noch ein Gedeck fehlte. Er hatte dann sehr viel Spaß dabei, dieses Missverständnis einer verschreckten Hauselfe zur Last zu legen, die daraufhin wimmernd versprach, sich ausgiebig selbst zu bestrafen.
 

Draco beachtete das gar nicht, sondern fragte verwirrt, wieso man den nun einen runden Tisch hätte und wo die lange Tafel abgeblieben sei. Rodolphus räusperte sich und erklärte mit einem knappen Kopfrucken in Richtung Narzissa, dass man diese hatte wegbringen lassen, da die leeren Stühle – er meinte wohl seinen Bruder und vor allem die kürzlich verstorbene Bellatrix - beunruhigend gewirkt hatten.
 

Die Stimmung war demnach schon auf dem Tiefpunkt, bevor man auch nur begonnen hatte zu essen.

Das Essen selbst änderte daran nichts.
 

„Schmeckt es dir, Darling?“, fragte Narzissa zu Lucius gewandt und lächelte ihn mit toten Augen zuckersüß an.
 

Lucius kostete einen Löffel der grasgrünen Flüssigkeit in seinem Teller und Hermine sah an den Bewegungen seiner Lippen, wie er die Suppe in seinem Mund prüfte. „Es schmeckt anders als sonst, ich weiß nicht. Irgendetwas ist anders.“
 

Narzissa nickte freundlich, nahm ihrerseits ebenfalls einen Löffel Suppe und erklärte dann, nachdem sie heruntergeschluckt hatte: „Es sind die Zutaten, mein Schatz. Normalerweise haben wir etwas Goldlackwasser zum Würzen hineingeben lassen, aber das geht ja nun nicht.“
 

Lucius kniff die Lippen zusammen, musterte Narzissa einen Moment prüfend, dann nickte er und aß weiter.
 

„Sie kennen dieses Gericht sicher nicht, nicht wahr?“, fragte Narzissa nun zu Hermine gewandt. „Es ist Quantelcreme mit Boboutlerwürfeln. Eine Delikatesse, wenn ich das so sagen darf. Recht aufwändig herzustellen, aber wir haben unseren Elfen klar gemacht, dass wir mit nichts geringerem als höchster Qualität zufrieden sind.“ Narzissa lächelte und entblößte ebenmäßige, strahlend weiße Zähne. Sie nickte freundlich in Richtung ihres Mannes und erklärte im Plauderton: „Normalerweise wird ein Schuss Goldlackwasser hinein gegeben, aber ich habe den Elfen verboten, das zu tun. Mein Mann ist nämlich Alkoholiker.“
 

Lucius‘ flache Hand knallte donnernd auf den Tisch und ließ die Gläser darauf erzittern. Er sagte nichts, doch sein Mund war nun verkrampft und seine Wangen färbten sich leicht rot.
 

Narzissa zuckte unschuldig die Achseln, tätschelte die Hand, die nun neben ihr auf dem Tisch lag und fügte geduldig hinzu. „Aber Lucius, es ist nun einmal so. Ich erkläre Miss Granger nur, warum es in diesem Haus nichts Alkoholisches mehr gibt.“ Sie neigte ihren Kopf zur Seite und sah dabei beängstigend hübsch aus, dann drehte sie sich zu Hermine und lächelte um so breiter, als sie in einem Ton, der vielleicht zu einer Plauderei unter besten Freundinnen gehört hätte, hinzufügte. „Er hat wirklich sehr viel getrunken. Schrecklich. Ich nehme einmal an, es liegt am schlechten Gewissen, weil er unsere Familie ins Unglück gestürzt hat.“
 

Lucius' Fingerknöchel traten scharf hervor, als er den Löffel in seiner Hand so fest umklammerte, als wolle er ihn erwürgen. „Könnten – wir – das – bitte – ein – andermal – besprechen“, presste er mühsam beherrscht durch die kaum geöffneten Lippen hervor.
 

Draco, durch die Möglichkeit, andere Leute zu quälen wieder aufmerksamer geworden, unterstützte seine Mutter. „Wir müssen das vor Hermine nicht geheim halten, Vater. Ich habe ihr doch schon längst erzählt, dass du säufst.“ Er grinste breit und deutete mit der Hand auf einen Gobelin, der schräg gegenüber an der Wand hing. „Siehst du den Wandteppich da. Da hat er mal drauf gekotzt… Puh, hat das gestunken.“ Er lachte schallend und wedelte sich mit der Hand vor der Nase herum.
 

Abermals donnerte Lucius' Hand, nun zur Faust geballt mit einem lauten Knall auf den Tisch.
 

„Das will ich jetzt wirklich nicht hier besprechen!“, stieß er in gepresstem Ton heraus und offenbarte, wie kurz davor er war loszuschreien „Ich will nichts zu diesem Thema sagen, solange die da“, ein verächtlicher Blick fiel auf Hermine, „dabei ist. Aber nur zur allgemeinen Information, ich habe es zwar schon oft genug gesagt, aber da euch dieses Thema so zu unterhalten scheint: Ich habe seit über sechs Wochen nichts mehr getrunken.“
 

„Natürlich, Schatz“, lächelte Narzissa freundlich. „Ich wollte ja gar nicht davon sprechen, wie du hier permanent herum gefallen bist, ich rede doch von jetzt. Immerhin hast du uns ein Schlammblut ins Haus geholt… was werden da nur unsere Freunde sagen?“
 

Hermine kippte sich ihr Wasser über, weil sie so fassungslos auf Narzissa starrte, dass sie nicht mehr in der Lage war, auf das Glas in ihrer Hand zu achten. „Sie… Sie alte…“, begann sie, nach möglichst bösartigen Beleidigungen ringend.
 

Draco schob seinen Teller von sich, tupfte sich behutsam die Lippen mit seiner Serviette ab und faltete diese in einer Weise, von der Hermine befürchtete, dass sie das nie lernen würde, und legte sie auf seinen Teller. „Ich würde meinen, dass sich eure Freunde nicht wundern werden. Immerhin ist Vater doch ein verlogener Verräter, der doch auch sonst alles daran setzt, den Schlammblütern zu helfen, nicht?“ Draco lächelte zu seinem Vater. „Du bist doch stolz darauf, unser Leben ruiniert zu haben. Nicht? Was macht es da noch, wenn ich mit einem Schlammblut vögele?“
 

Hermine knallte ihre Hand auf den Tisch und funkelte Draco wütend an. Der wirkte darauf… verwirrt. Er war wohl so darin aufgegangen, seinen Vater anzugreifen, dass er ganz vergessen hatte, dass das eben gegen sie gegangen war. „Ähm… war nicht so…“, stammelte er und strich ihr beschwichtigend über den Rücken. „War nicht gegen dich, war nur gegen ihn, weil er…. Weil er hier sitzt und…“
 

Narzissa lächelte, faltete ihre Serviette ebenso grazil, wie Draco es getan hatte und erhob sich. „Ich fürchte, ich habe keinen Appetit mehr. Entschuldigt mich, ich brauche…“, sie warf Hermine einen eisigen Blick zu, „frische Luft. Ich kann hier nicht atmen!“
 

Und damit entschwebte sie anmutig. Draco rief ihr etwas nach, doch Narzissa wandte nicht einmal den Kopf, um zu hören, was er gesagt hatte. Überhaupt, wenn Hermine darüber nachdachte, hatte sie bis jetzt noch kein einziges Mal miterlebt, dass Narzissa mit ihrem Sohn gesprochen hatte. Sie hatte durchaus erlebt, wie Draco immer wieder kleine, versteckte Versuche unternahm, mit seiner Mutter irgendwie in eine Konversation zu kommen, doch all diese Mühen wurden so selbstverständlich ignoriert, als hätte Narzissa Draco gar nicht bemerkt.
 

Nach dem Essen zogen die Vier, Rodolphus, Lucius, Draco und Hermine in den großen Salon im Erdgeschoß um. Ebenfalls eine Weisung des Heilers. Da Draco nur in Hermines Gegenwart gewillt schien, seine Familie zu ertragen, sollte sie nun zusätzlich auch noch eine Stunde nach dem Essen mit diesen Personen aushalten.
 

Die drei Männer setzten sich, um irgendein kompliziert aussehendes Brettspiel mit magischen Steinen zu spielen, während Hermine sich auf das Sofa warf, auf dem sie auch bei ihrem ersten Besuch in diesem Raum gesessen hatte und lernte.
 

Sie war auf der letzten Seite eine sehr schwierigen Kapitels, als Draco keine Lust mehr hatte zu spielen. Er wollte sich neben Hermine setzen und reden. Hermine entschuldigte sich noch für ein paar Minuten, sie wollte das hier zuerst fertig lesen. Draco schien die Antwort nicht zu gefallen. Ohne dass sie es vorausgesehen hätte, riss er ihr das Buch aus den Händen und warf es zu Boden. Draco tobte und schrie, sie solle hier nicht so heraushängen lassen, dass sie bald Prüfung hätte und er nicht. Hermine hatte nicht einmal genug Zeit, um wütend zu werden, weil sie viel zu entsetzt und perplex über diese Reaktion war.
 

Lucius grinste am anderen Tisch glückselig zu ihnen hinüber.
 

Rodolphus murmelte ihm etwas zu und erst dann erhob sich Lucius doch und hielt Dracos Hand fest, bevor er Hermine schlagen konnte. Er drehte ihm die Arme auf den Rücken und zerrte ihn mit sich vor die Tür. Rodolphus hinterher.
 

Wenn Hermine das richtig verstanden hatte, hatte der Heiler Lucius angewiesen, Dracos Ausraster sofort zu unterbinden. Sobald er bemerkte, dass Draco sich aufzuregen begann, sollte er mit ihm hinaus in den Garten gehen, wo man die Wut wegspazieren konnte. Dort draußen konnte er dann vor Wut platzen, herumschreien und rumrandalieren… das wäre besser, als dass die Frauen, die Elfen oder auch nur die Möbel unter dem Ausbruch zu leiden hätten.

So hatte der Heiler das ganz sicher gesagt. Aber Lucius hatte wohl dem Drang zuzusehen, wie Draco Hermine schlug, fast nicht widerstehen können.
 

Eine Stunde später kamen die beiden wieder. Draco war verschwitzt und seinen glasigen Augen nach hatten ihm die beiden anderen ein Beruhigungsmittel verabreicht. Er murmelte eine trotzige Entschuldigung und zog Hermine mit sich zum Zimmer hinaus, um mit ihr im Keller im Hamam baden zu gehen.
 

Xxx
 

Die folgenden Wochen verliefen nach demselben Schema. Draco war in der Klinik und hasste es. Zusammen mit Marcus und Adrian boykottierte er alles, wozu er aufgefordert wurde.
 

Mit einigen der anderen Insassen - Draco weigerte sich, das Wort „Patient“ zu wählen, da er ja nicht krank war – hatte er sich ein paar Mal unterhalten. Viel öfter geprügelt. Da diese jedoch genauso impulsiv waren wie er, war das nichts, was den Umgang untereinander sonderlich erschwerte.

Er hatte das eine oder andere Mal mit seinem „Privatwärter“ Sam geredet. Weniger aus Sympathie, denn aus der puren Notwendigkeit heraus. Sam war immer um ihn herum, bewachte Draco auf Schritt und Tritt und mischte sich permanent in alles - wirklich lästig, um offen zu sein - was Draco tat. Sprich, in jeden Streit.
 

Sam war ungerecht und hatte keinen Sinn dafür, wie es war, sich in einer Gruppe durchsetzen zu müssen. Draco musste es ihm klarmachen. Er hatte bereits mit einigen der anderen erwogen, sich für diese Ungerechtigkeit zu rächen. Zauberstablos wie er und seine Mitstreiter waren (und noch nicht einmal halb so schwer wie einige der Pfleger), schloss man den direkten Angriff aus.
 

Man würde noch überlegen müssen. Bis dahin musste Draco Sam wohl oder übel ertragen. Und so war es ihm nach zwei Wochen einfach zu langweilig geworden, ständig zu schweigen und in eine andere Richtung zu sehen, wenn Sam in seiner Nähe war.

Wie sich herausstellte, interessierte sich Sam vor allem für zwei Dinge. Erstens Quidditch, wenn er selbst wegen seiner enormen Größe wohl auch nie aktiv gespielt hatte. Zweitens, für den Klitterer. Beide Themen boten Draco wunderbar viele Angriffspunkte, so dass die Unterhaltungen mit seinem Wärter zumindest für ihn sehr erbaulich waren.

Um die unweigerlich entstehende Langeweile zu vertreiben, verbrachten Draco und seine beiden Todesserkollegen die meiste Zeit damit, gemeinsam Rachepläne gegen die Verräter zu schmieden und prahlten voreinander mit immer ausgefeilteren Beschreibungen ihrer Heldentaten.
 

Eine sehr, sehr lustige Beschäftigung, da die meisten anderen „Insassen“ nicht sonderlich erpicht darauf waren, ihre detaillierten Schilderungen von Folter und Morden zu hören. Draco fand es immer wieder aufs Neue lustig zu sehen, wie die anderen darauf reagierten.
 

Der Heiler hatte es offensichtlich aufgegeben, ihn therapieren zu wollen. Wozu auch, Draco hatte kein Problem. Anstatt mit tiefgreifenden Gesprächen verbrachten sie die Sitzungen damit, Koboldstein oder Zaubererschach zu spielen.
 

Die letzte Methode, für etwas amüsante Zerstreuung zu sorgen, war Zeitunglesen. Sie schlichen sich regelmäßig zu dritt in die Kaffeeküche der Betreuer, klauten deren Zeitung und setzten sich damit in den Aufenthaltsraum. Dort wurde der versammelten Menge lautstark jedes Todesserverbrechen vorgelesen, das dort als Nachruf beschrieben stand.
 

Draco hätte sich darüber kaputt lachen können.
 

Besonders erheiternd fand er die regelmäßigen Suchaufrufe einer Frau, die nicht wusste, wo ihr Mann war. Draco, Adrian und Marcus wussten es. In einem Massengrab, das sie irgendwann für die Leute angelegt hatten, die man verschwinden lassen sollte.
 

Die drei gackerten jedesmal so lange, bis einer der Mitinsassen handgreiflich wurde. Genau das hatten sich Draco und seine Männer erhofft. Gewalt war immerhin ein wenig lustige Abwechslung. Etwas, von dem sie viel mehr verstanden als von Kochen, Basteln, Gesellschaftsspielen oder gar Lernen.
 

Xxx
 

Die Wochen, die Hermine im Manor verbrachte, hätten ihrer Meinung nach in Askaban nicht trostloser sein können. Und ein wenig war es ja auch so. Sie war wegen eines Verbrechens hierher gesperrt worden, wo sie die Lügen der letzten Monate büßen musste, da der Rest der Gesellschaft sie auf Abstand halten wollte.

Denn so viel war klar, in Hogwarts würde es ihr nicht besser ergehen. Die anderen Muggelgeborenen fühlten sich von ihr verraten und viele der rein- und halbblütigen Schüler behandelten „Schlammblüter“ genauso herablassend wie während des Krieges.

In gewisser Weise tat sie es den Todessern gleich, die lieber ins Gefängnis gegangen waren, als sich offen der betrogenen Bevölkerung zu stellen.
 

Die Tage waren in eintönigem Wechsel grausam und kalt. Sie stand auf, ging in die Schule – stets darauf bedacht, so spät zu sein, dass sie erst zu Beginn der Kurse ankam, wenn keiner mehr Zeit hatte, sich mit ihr zu befassen. Harry hatte immerhin den Mut, neben ihr zu sitzen, Neville nicht. Neville wirkte nicht böse, war es laut Harry auch nicht, doch… Draco. Das hatte Neville schlicht die Sprache verschlagen. Er ließ Hermine sogar ausrichten, dass er nicht wütend sei, nur… damit müsste er erst einmal klar kommen. Hermine nickte und verstand. Sie verstand auch, dass Leute wie Ginny, im Gegensatz zu Neville, wirklich böse waren.

Ginny hatte zwei Brüder verloren und hatte schlicht keine Lust zu verstehen, wie Hermine die ganzen Monate über mit einem seiner Mörder… Dinge getan haben konnte… und immer noch tat.
 

Sie war nicht die einzige, die Hermine vorwarf, sich ja schnell über Ron hinweg getröstet zu haben. Und dann auch noch mit „so jemand“. Man war schnell dabei, ihr Dracos Taten vorzuwerfen und Hermine beeilte sich nicht damit zu sagen, dass ihre Ankläger nicht einmal die Hälfte von dem wussten, was Draco wirklich alles getan hatte.

Sie hatte ein paar Mal versucht, darauf aufmerksam zu machen, wie kaputt er doch das ganze Schuljahr gewesen war. Man hatte ihn doch dabei beobachten können, wie er von Tag zu Tag mehr abbaute, aber das wollte niemand hören.
 

Schon gar nicht diejenigen, die unter Draco besonders gelitten hatten. Andere Muggelgeborene… die erklärten Hermine für ebenso verrückt wie Draco.

Irgendjemand hatte sich wohl doch verplappert und verraten, dass Draco Malfoy nicht etwa verflucht oder im Gefängnis sei, sondern wirklich in die Psychiatrie zwangseingewiesen worden war. Ein Witz für alle, die es hörten… außer Hermine.
 

Jeden Tag wurde eine Stunde des Unterrichtes gestrichen. Die Schüler fanden sich stattdessen in der Großen Halle ein, um über Vorurteile gegen Schlammblüter zu reden. Sie wurden über neue Gesetze, neue Ministeriumsbeamte, Schadensausgleich und Wiedergutmachungen informiert, die zum Beispiel die reiche Familie Malfoy an nunmehr mittellose Zauberer zahlen musste.
 

Dass es neben den traumatisierten, mittellosen Voldemortopfern auch einige Todesser gab, die ihr eigenes Regime überhaupt nicht ertragen hatten, wurde mit keiner Silbe erwähnt und Hermine wusste auch nicht, wie sie es hätte erklären sollen.

Wie sollte man den anderen dies verständlich machen? Draco war ein dummer Junge gewesen, auf dessen schmalem Rücken ein ganzer Krieg ausgefochten worden war, bis er selbst unter dieser Last zusammengebrochen war.

Das war nicht zu erklären, solange Draco selbst jeden Abend Streit mit seinem Vater anfing und ihn als Verräter beschimpfte. Solange Draco abwechselnd davon fantasierte, Voldemort zu befreien oder selbst etwas Neues aufzubauen, solange er damit prahlte, ein tapferer Krieger zu sein, der seine Pflicht erfüllt hatte und zwischen all diesen Kriegsreden stundenlang mit Lucius spazieren musste, da sich ein Wutanfall an den nächsten reihte und kaum ein Tag verging, an dem er nicht gegen irgendeinen aus seiner Familie übel handgreiflich wurde.
 

Von den Hauselfen ganz zu schweigen.
 

Wie sollte Hermine irgendjemandem erklären, dass all die Wut, die sie und zweifellos ebenso die Malfoys jeden Tag auf ihn verspürten innerhalb von Sekunden wie Rauch im Wind verwehen konnte, wenn Draco einfach nur den Kopf hob, um nach oben zu sehen und damit den Blick auf die furchteinflößende, kreisrunde Hemdkragennarbe um seinen Hals freigab?
 

Ein paar Tage noch, dann hatte sie die Schule hinter sich und es würde sich schon ein Platz finden, wo sie bleiben konnte, bis sie eine Stelle gefunden hatte. Notfalls bei ihren Eltern… sie müsste vermutlich demütig zu Kreuze kriechen, aber… sie musste nicht bei Leuten bleiben, die sie offen hassten und darauf auch noch stolz waren.
 

Andererseits…. Ja, andererseits… gab es Momente, in denen sie glaubte, es aushalten zu können.
 

So saß sie zum Beispiel heute neben Draco, die Hände im Schoß gefaltet und blickte ihn erwartungsvoll an.
 

Draco war so nah, dass sein Arm den ihren berührte und sein Bein sie streifte. Er grinste sie unter ein paar vorwitzig in sein Gesicht gerutschten Strähnen verschmitzt an. Er lächelte so breit und offen, dass sie seine Schneidezähne sah und nickte ihr triumphierend zu: „Du wolltest mir ja nicht glauben…“
 

Dann verschränkte er seine Finger, bog seine Arme nach vorne durch und dehnte seine Finger, bevor er den Deckel des Flügels hochklappte und die Hände auf die Tasten legte.
 

Hermine spürte, wie ihre Wangen heiß wurden und hasste sich für das dümmliche Grinsen in ihrem Gesicht, das ihre Rührung und Vorfreude so deutlich herausschrie, dass man es vielleicht selbst draußen vor den Toren des Grundstückes mitbekommen konnte.
 

Dann begann er zu spielen.
 

Hermine biss sich auf die Lippen, denn ansonsten hätte sie ihr Lächeln nicht mehr halten können und vor Begeisterung laut gelacht. Als das auch nichts half, presste sie sich eine Hand vor den Mund und nur noch ihre aufgerissenen Augen konnten ihre Begeisterung verraten.
 

Die Begeisterung, mit der sie seine Finger über die Tasten flitzen sah. Sie spürte, wie sich seine Füße neben ihr auf den Pedalen bewegten und schließlich kapitulierte sie und seufzte. Draco drehte sich zu ihr um, spielte auch ohne auf die Tasten zu sehen weiter und grinste überlegen. „Ich hab doch gesagt, ich spiel dir mal was vor!“
 

Hermine schluckte schwer und hatte Mühe, ruhig zu klingen. „Aber wie… du hattest doch in Hogwarts gar nicht… wie…“
 

Dracos Gesicht bestand nur noch aus Triumph. „Mein Schatz … ich habe Unterricht seit ich fünf bin. Was denkst du denn?“ Und fröhlich klimperte er weiter. Hermine seufzte und konnte es immer noch nicht fassen, wie wunderschön die Melodie klang.
 

„Ich dachte, du hättest das Buch weggeworfen“, gestand sie und wischte sich eine kleine Träne aus dem Auge. Draco beugte sich etwas tiefer als nötig über die Tasten. „Natürlich nicht… war doch mein Geburtstagsgeschenk, oder? Hast du wirklich geglaubt, ich werfe das weg? Ich sagte doch, ich lasse mich gerne beschenken.“
 

Hermine schluckte und zuckte die Achseln. Eine Geste, die die Lüge der Unsicherheit mitschwingen ließ, denn genau das hatte sie geglaubt. Und nun saß er hier und…
 

„Ich hab geübt“, verriet er ihr mit unverhohlenem Stolz in der Stimme. „Immer wenn du oben in deinem Zimmer bist, um zu lernen, setze ich mich hierher und übe.“ Er drehte sich zu ihr um, grinste kleinjungenhaft und erklärte voller Stolz: „Außerdem ärgert es Vater, weil es Muggelstücke sind. Der könnte jedesmal kotzen, wenn ich anfange zu spielen.“ Draco lehnte sich entspannt zurück und klimperte mit ausgestreckten Armen weiter. „Gestern war er so sauer, dass er mir angedroht hat, den Flügel zu zersägen, wenn ich nicht endlich mal etwas anderes spiele.“ Er kicherte albern, hob kurz einen Arm, legte ihn um Hermines Taille und schob sie mit einem Ruck so dicht an sich heran, dass er mit der Hand um sie herumfassen, die Tasten berühren und weiterspielen konnte.
 

Hermine grinste und schloß die Augen. Schön klang das… ihr Lieblingsstück. Wahrscheinlich war sie ihm doch wichtig.
 

Wenn er solche Sachen tat, glaubte Hermine, es vielleicht doch noch ein Weilchen mit ihm aushalten zu können.
 

Xxx
 

Draco ärgerte sich darüber, dass er im Krankenhaus wie ein Kleinkind behandelt wurde. Ein süßes Kleinkind, wohlgemerkt. Dracos gesammelte Racheversuche wurden dort mit „Es ist nicht deine Schuld, dass du so schnell wütend wirst. Es ist nicht deine Schuld, dass du nicht still sitzen kannst. Es ist nicht deine Schuld, dass du nichts essen willst“, und einer endlosen Reihe ähnlich klingender Sätze entschuldigt.
 

Sam, sein Wärter, hatte es sich außerdem angewöhnt, Draco immer dann, wenn er sich über irgendetwas ärgerte oder Anweisungen an Marcus und Adrian erteilte, entweder mit „Prinzessin“ oder „Barbie-Mann“ anzusprechen.

Nachdem Hermine Draco unter schallendem Gelächter erklärt hatte, was eine Barbie war, hatte er ihr ein blaues Auge verpasst.
 

Draco hatte tatsächlich versucht, sich zu entschuldigen, aber als dann auch Hermine mit „es ist nicht deine Schuld“ anfing, war er wütend aus dem Zimmer gerauscht.
 

Draco hasste diesen schwarzen Vollidioten und beschloss, ihm die Barbiesprüche auszutreiben. So war das Erste, was er am nächsten Morgen in der Klinik tat, sich zu einem noch frühstückenden Sam an den Tisch zu setzen und ihm davon zu erzählen, was er gerade mal vor ein paar Wochen mit einem anderen Schwarzen getan hatte. Kingsley Shacklebolt, ob er den denn gekannt hatte. Ja, hatte er. Und ob er denn hören wolle, wie der gestorben sei. Nein, eigentlich nicht.

Und so erzählte Draco in schönster, detailreicher Ausführlichkeit, wie er den Ex-Auror und Ex-Lehrer aufgespießt und in Fetzen gerissen hatte.
 

Sam stellte seine Teetasse in aller Seelenruhe auf dem Tisch ab, nahm Dracos blasses Gesicht zwischen seine großen, schwarzen Pranken und sagte: „Es ist nicht deine Schuld, was da alles passiert ist. Man hat euch belogen, manipuliert und unter Drogen gesetzt. Niemand wird dir hier jemals Vorwürfe für das machen, was passiert ist!“
 

Draco hatte ihn darauf angewidert weggestoßen und war in den Aufenthaltsraum gegangen, um dort einen Tisch zu zertrümmern.
 

Genau das hatte er nicht hören wollen. Die gute Laune war vorbei und wurde auch nicht besser, weil die anderen, mit Ausnahme von Marcus und Adrian, ihm den ganzen Tag mit einem angewiderten Gesichtsausdruck aus dem Weg gingen.
 

Xxx
 

Draco, Marcus und Adrian spielten mal wieder Tisch-Quiddich. Ein runder Tisch war mit der Miniaturausgabe eines Quidditchstadions bebaut. Berühmte Quidditchspieler surrten nur zentimetergroß über den Platz und schossen erbsengroße Quaffel durch pfirsichgroße Tore. Verprügelten sich mit winzigen Klatschern und jagten einen Schnatz, der in etwa die Größe eines Glühwürmchens hatte.

Draco und seine Leidensgenossen waren eine ganze Weile lang um das Spiel herumgeschlichen, bevor sie sich dazu durchgerungen hatten zu fragen, ob sie es einmal spielen dürften. Immerhin waren sie geradezu dazu verpflichtet, hier alles zu hassen.

Auf Dauer siegte hier jedoch oft die Langeweile, weshalb Draco auch irgendwann zugestimmt hatte, beim Sport mitzumachen. Muggelsport, Fussball, Schwimmen und so weiter, an sich eine Schande. Aber ständig nur Zeitungsberichte über zu Tode gefolterte Verräter zu lesen, hatte auf Dauer an Reiz verloren.
 

Das Spiel wurde mit Spielzeugzauberstäben gespielt, die nur eine einzige Magie in sich beherbergten, nämlich, die Figuren zu bewegen. Draco hatte Viktor Krumm, Marcus hatte Quennog Jones und Adrian spielte mit Aidan Lynch. Es hatte einige Überredungskunst gekostet, das Spiel benutzen zu dürfen und man gestattete es ihnen nur, wenn mindestens ein Betreuer dabei war. Nur für den Fall, dass sie versuchen sollten, sich mit den Zauberstäben gegenseitig die Augen auszustechen.
 

Adrian war heute nicht bei der Sache. Den ganzen Tag wirkte er schon irgendwie nervös und war einfach nicht zum Lachen zu bringen. Nicht einmal, als Draco und Marcus den allmorgendlichen Aufruf dieser dusseligen Frau lasen, die immer noch nach ihrem Mann suchte.
 

Draco steuerte eifrig seinen „Viktor“ und ließ ihn gegen „Aidan“ anrasen, während die Männchen von Marcus sich wild mit den Spielern einiger anderer junger Männer, die sich spontan zum Mitspielen entschlossen hatten, duellierten.
 

Dracos Viktor raste dem Schnatz zu, Aidan war ihm auf den Fersen, wurde von einem Klatscher getroffen und fiel jammernd von seinem Zahnstocherbesen.

Draco und die anderen lachten, doch Adrian riss entsetzt die Augen auf, starrte die anderen einen Moment an, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Aufenthaltsraum. Draco sah Adrian für den Rest des Nachmittages nicht mehr.
 

Am nächsten Tag wurde in der Zeitung von der Aushebung eines Massengrabes berichtet, inklusive einer Auflistung von identifizierten Toten. Adrian stritt ab, etwas damit zu tun zu haben, doch Draco und Marcus glaubten ihm nicht. Gegen Abend hatte Draco ein Veilchen und mehrere Prellungen an den Beinen, Adrian einen Milzriss.
 

Am nächsten Tag war in der Zeitung zu lesen, dass besagte Frau, nun offiziell Witwe, Selbstmord begangen hatte, nachdem sie vom Tod ihres Mannes erfahren hatten. Ein Abschiedsbrief war auch abgedruckt. Draco wollte ihn nicht lesen.
 

Am nächsten Tag verzichteten die drei Jungtodesser darauf, eine Zeitung zu stehlen.
 

Xxx
 

Wieder einmal war es Abendessenszeit auf Malfoy Manor. Verlief das Frühstück im Allgemeinen recht glimpflich, weil es alle eilig hatten und Draco nun auch morgens reichlich Beruhigungsmittel bekam, weil er sonst nicht in die Klinik mitkommen würde, war abends wunderbar - oder schrecklich viel - Zeit, um das malfoy'sche Esszimmer in einen Kriegsschauplatz zu verwandeln.
 

Es herrschte eine unerbittliche Schlacht zwischen Lucius und Narzissa. Beide gemeinsam stellten sich gegen Hermine und Draco kämpfte gegen Lucius. Erstere kämpften in der Regel nur mit Worten, bösen Blicken und hinterhältigen Tricks, letztere Kampfpaarung artete jedoch in entnervender Regelmäßigkeit in körperliche Gewalt aus.
 

Draco grinste einsatzbereit in Richtung Lucius und Hermine hätte ihm am liebsten ein Pflaster über den Mund geklebt, weil sie an seinem Lächeln bereits ablesen konnte, dass er sich auch heute Abend ein paar besonders gemeine Beleidigungen für seinen Vater herausgesucht hatte. Nicht, dass Lucius Malfoy etwas anderes verdient gehabt hätte, doch die permanenten Auseinandersetzungen vergifteten die Atmosphäre noch mehr, als sie ohnehin schon war.
 

Man ignorierte die Tatsache, dass Draco ab und zu versuchte seine Mutter anzusprechen, die ihn ihrerseits jedoch gar nicht beachtete.
 

Das Essen bestand auch heute wieder aus etwas, das aussah, als sei es das Abfallprodukt eines missglückten, chemischen Experimentes. Narzissa erklärte Hermine, wie jeden Tag, dass das ein traditionelles Zauberergericht sei und tätschelte Hermine mitfühlend die Hand, weil das arme Schlammblut das natürlich nicht wissen konnte.

Hermine tat ihr bestes, Narzissa nicht auf der Stelle mit der Gabel zu erstechen.
 

Narzissa und Lucius unterhielten sich lachend über Schlammblüter und Muggel, nannten Hermine immer wieder „versehentlich“ Miss Weasley und hatten einen Heidenspaß dabei, sich gemeinsam mit ihrem Schwager Rodolphus über die Unfähigkeit des Ministers und des verbleibenden Phönixordens auszulassen.
 

Hermine kochte innerlich vor Zorn und doch ahnte sie, dass das noch längst nicht alles für diesen Abend war, denn Draco lächelte immer noch zu Lucius. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er nur auf den passenden Augenblick wartete, um etwas zu sagen, das seinen Vater bloßstellen und demütigen würde.
 

Es musste ein unabänderlich in Draco angelegter Drang sein, sich über andere Menschen lustig zu machen. Wenn keine Schüler da waren, die dafür geeignet schienen, musste eben ein anderer für seine Provokationen herhalten. So hatte er sich auf Lucius eingeschossen, seinen neuen, ultimativen Feind.
 

„Weißt du“, schnarrte er, als seine Familie gerade auch nicht wusste, worüber sie sich lustig machen konnten. „Ich erinnere mich gerade daran, wie dämlich du dich vor ein paar Jahren dabei angestellt hast, Hermine und die anderen Schlammblüter in der Schule zu töten! Warst du da auch besoffen oder wolltest du uns schon damals lächerlich machen? Muss wohl so sein, man muss schon reichlich dämlich sein, wenn man sich von jemanden wie Potter bloßstellen lässt.“
 

Lucius knallte seine Gabel auf den Tisch. Draco höhnte lachend weiter, Rodolphus warf sich über den Tisch, um Lucius festzuhalten und Hermine raufte sich entnervt die Haare. „Kannst du denn nicht wenigsten ein einziges Mal deine Klappe halten? Können wir nicht einmal essen, ohne dass du wieder von vorne anfängst?“ So unangenehm ihr dieser Vorfall auch in Erinnerung war, es musste doch einmal möglich sein, ohne verbalen Tsunami aus diesem Zimmer herauszugehen.
 

Draco lachte schallend. Er fühlte sich absolut ihm Recht.
 

„Ja, was soll ich machen? Er ist nun mal ein versoffener Verräter. Nicht, Mutter?“
 

Narzissa aß seelenruhig weiter und tat so, als könne sie ihren Sohn weder hören noch sehen.
 

Jetzt schien Lucius wirklich kurz davor, vor Zorn zu explodieren. Er wurde dunkelrot im Gesicht, sein Hals schwoll an und eine steile Zornesfalte bildete sich auf der Stirn. Er stemmte beide Hände auf die Tischkante und verspannte sich wie eine Katze, kurz vor dem Sprung. „So, jetzt reicht’s“, zischte er drohend.
 

Draco grinste ihm hämisch ins Gesicht und schüttelte munter den Kopf. „Warum denn? Ich komme gerade so richtig in Stimmung. Schämst du dich? Hast ja auch allen Grund dazu. Jemand wie Snape hatte ja immerhin den Anstand, sich umzubringen, aber du“, er kicherte und grinste noch breiter, „hey, du Verräter lebst ja immer noch.“
 

Lucius erhob sich langsam und Hermine fasste nach Dracos Hand. „Draco, hör auf!“
 

Er schüttelte sie einfach ab und freute sich über den Zorn in Lucius' Gesicht. „Weißt du, schade, dass du dich nicht totgesoffen hast. Das hätte immerhin ein bisschen Anstand gegenüber…“
 

Lucius Hand schnellte vor und packte ihn. „Du kommst jetzt mit!“
 

Lucius zog Draco mit einem Ruck auf die Beine. Hermine sprang auf und umklammerte Draco, Rodolphus stöhnte ein entnervtes „Lucius“ und Narzissa tupfte sich sorgfältig mit der Serviette den Mund.

Draco brüllte vor Zorn und schlug um sich, traf dabei versehentlich Hermine, die ihn daraufhin losließ und sich den Kopf hielt. Rodolphus sprang auf und redete beschwichtigend auf Lucius ein, was diesen aber nicht im Mindesten zu interessieren schien. Er packte Draco am Kragen, bog ihm die Hand auf den Rücken und zerrte ihn mit sich aus dem Raum.
 

xxx
 

Draco wand sich, boxte und trat um sich, doch zwecklos. Lucius zerrte ihn unerbittlich weiter, bis sie im allerletzten Zimmer, Lucius' Arbeitszimmer angekommen waren.
 

Er wurde unsanft hineingestoßen, stolperte und fiel. Doch schon wieder war er auf den Füßen, reckte die Fäuste und wollte gerade ausholen… da hatte ihn Lucius schon gepackt, ihm die Arme nach hinten verdreht und presste ihn gegen das Porträt eines ältlichen Zauberers, dem bei diesem unerwarteten Angriff die Brille herunterfiel.
 

„Lass mich sofort los, du Arschloch!“
 

Draco bestand nur noch aus Wut. Er keuchte, prustete und versuchte, sich mit aller Kraft von der Wand loszustemmen. „Lass mich sofort los. Hör auf, deinen Frust an mir auszulassen, wenn du die Wahrheit nicht ertragen kannst!“
 

„Wahrheit?“, brüllte Lucius. „Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest!“
 

Draco wurde so heiß vor Zorn, dass er meinte, zu glühen. Er trat mit den Füßen nach hinten und versuchte, Lucius zu treffen. „Ich weiß, was hier los ist“, brüllte er im Brustton der Überzeugung. „Du bist ein scheiß Verräter. Du hast das alles nur gemacht, weil du es nicht ausgehalten hast, dass ich etwas geleistet habe während du besoffen durchs Haus gefallen bist!“
 

Lucius zog ihn einen Zentimeter weg und donnerte ihn erneut gegen die Wand. „Was hast du denn geleistet? Was denn?“
 

Draco schnaubte. „Ich habe gekämpft, ich war nützlich, ich habe unserem Lord gedient, während du…“
 

„Ja und damit hast du es geschafft, dich in die geschlossene Psychiatrie einweisen zu lassen!“
 

Draco schrie vor Zorn und jaulte, er versuchte sich zu krümmen, um sich dem Griff zu entwinden. „Das warst du, das ist doch allein deine Idee gewesen. Du hast mich dahin gebracht, damit ich dir deine Meuterei nicht ruiniere!“ Draco keuchte vor Schmerz, als sein Arm daraufhin noch ein wenig weiter verbogen wurde. „Aber ich werde mich an dir rächen. Du wirst dafür bezahlen, was du getan hast. Du Versager, du hast alles ruiniert, wo wir kurz vor dem Sieg standen! Du bist doch stolz darauf, unser Leben ruiniert zu haben!“
 

„Das Einzige, worauf ich im letzten Jahr stolz bin, ist, dass ich dich da rausbekommen habe. Denen warst du doch komplett egal. Der Lord hätte dich bei der nächsten Gelegenheit umgebracht, sobald er keine Verwendung mehr für dich gehabt hätte!“
 

Draco schrie gellend auf. „Das stimmt nicht. Ich war wichtig. Ich habe wichtige Sachen gemacht, auf die ich stolz bin!“
 

Lucius ließ so abrupt los, dass Draco nicht schnell genug mit Gegenwehr reagieren konnte. Noch bevor er zu einem Schlag ausholen konnte, hatte Lucius ihn wieder ergriffen, herumgedreht und am Kragen gepackt. Er presste Draco mit seinem eigenen Körper gegen die Wand, schüttelte ihn, so gut es in dieser beengten Lage ging und schrie aus vollem Hals. „Stolz? Worauf bist du denn stolz? Leute zu Tode zu foltern, kleine Kinder zu erschlagen und Frauen zu vergewaltigen?“
 

Dracos Innerstes gefror innerhalb einer Millisekunde zu Eis. Sein ganzer Körper fühlte sich tiefgefroren an. Er schauderte und war zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Seine Arme sanken schlaff herab. „Das hab ich nicht… das stimmt nicht… das war… war… ganz anders“, stammelte er verwirrt.
 

Lucius nutzte Dracos Erstarrung, um genug Abstand zwischen sie beide zu bringen, um Draco noch einmal kräftig gegen die Wand schlagen und schütteln zu können. „Ja, das willst du nicht hören!“
 

Draco zitterte, und nicht wegen des Schmerzes in seinem Rücken durch den Aufprall. „Das stimmt nicht“, wimmerte er vollkommen durcheinander. „Das… das…“, und dann, mit einem mal wieder voll Inbrunst und laut: „Du lügst… das stimmt so gar nicht. Du verstehst das nicht, das war alles ganz anders!“
 

Lucius lachte böse und ließ von Draco ab. „Ja, genau, das war alles ganz anders. Das war alles nur ein Missverständnis, dass die hinterher tot waren.“
 

Draco drückte sich wie ein eingeschüchtertes Tier hinten gegen die Wand und schrie so laut er konnte, um sich gegen diese Unterstellung zu verteidigen. „Das war doch Befehl! Das… das war alles befohlen!“
 

„Ja, genau und du tust alles, was man dir sagt, ohne auch nur eine Minute dabei dein Hirn einzuschalten und darauf bist du jetzt auch noch stolz!“ Draco presste sich noch weiter gegen die Wand, er zitterte heftig und sein Kopf begann zu schmerzen. „Das… war alles ganz anders“, wimmerte er immer und immer wieder, bis Lucius ihn mit einer schallenden Ohrfeige stoppte. Dracos Hände blieben unten, weil er viel zu sehr mit den wirren Gedanken in seinem Kopf beschäftigt war, um auf den Angriff reagieren zu können.
 

„Hör auf hier herumzujammern“, blaffte Lucius grimmig. „Du bist doch stolz auf dich, was du da alles Tolles gemacht hast.“ Draco verzog den Mund und schlang die Arme um sich. Immer noch wimmerte er unermüdlich: „Das war alles ganz anders. Das war Befehl.“
 

Lucius schnaubte schwer, war ganz atemlos von der Anstrengung, Draco zurechtzustoßen. Er atmete tief durch und strich sich ein paar ins Gesicht hängende Haarsträhnen nach hinten. „Weißt du was?“, zischte er gefährlich. „Wenn du doch so stolz auf alles bist, warum gehen wir dann jetzt nicht zurück zu den anderen und erzählen deiner Mutter und deiner Freundin, was du alles für tolle Sachen mit einem Messer machen kannst.“
 

Draco schluckte, drehte sich zur Seite und presste sich im unbändigen Wunsch, mit der Wand zu verschmelzen noch weiter von Lucius weg. „Das will ich aber nicht sagen… Und überhaupt war das alles ganz anders“, wimmerte er gequält. Kopfschmerzen, auf einmal hatte er Kopfschmerzen.
 

„Na los, komm. Deine Freundin weiß nicht, was du abends alles Schönes gemacht hast, während sie im Bett lag und geschlafen hat. Komm, das wird interessant… Warum sagen wir ihr nicht, was du so alles mit anderen Frauen gemacht hast.“ Draco zog die Schultern hoch und begann zu keuchen. Ihm wurde innerhalb weniger Sekunden abwechselnd heiß und kalt. „Gar nichts, ich hab gar nichts mit anderen gemacht!“ Ein Schwindel befiel ihn, der Raum begann sich um ihn zu drehen und Draco wurde speiübel als Lucius ihn wieder zu sich drehte. „Lass mich los, du stellst das alles ganz falsch hin!“
 

Falsche Antwort. Offensichtlich. Lucius packte ihn wieder und schüttelte ihn. „Hör auf, hier wie ein Hund herumzuwinseln. Los!“
 

Draco wimmerte, doch seine Arme und Beine fühlten sich weich wie Pudding an, er konnte sich nicht ansatzweise gegen Lucius' Griff um sein Handgelenk wehren, als der ihn mit sich in Richtung Tür zog. „Ja, du kannst auf dich ganz stolz sein. Du hast ganz wichtige Sachen gemacht. So… und danach sagen wir dem Schlammblut, was du mit diesem Weasley-Jungen in den Drei Besen angestellt hast.“
 

Dracos Beine versagten ihm den Dienst. Er fiel nicht hin, er konnte nur einfach nicht mehr gehen. Wie zur Salzsäule erstarrt blieb er stehen, kippte zwar leicht, als Lucius versuchte, ihn zu ziehen, doch seine Füße blieben so beharrlich auf ihrem Fleck stehen, als wären sie dort festbetoniert. Der Raum drehte und drehte und drehte sich... und Draco hatte Kopfschmerzen… und ihm war übel…. und er war müde. „Ich hab nichts mit Weasley gemacht“, wisperte er kraftlos. „Das… das… das… Snape, das war doch Snape!“
 

Lucius ließ von ihm ab. „Wie bitte?“
 

Draco war vollkommen verwirrt, er bewegte die Hände zu seinen Schläfen, ohne zu wissen wie und schüttelte den Kopf. „Snape, ich war das nicht. Snape… die… wir haben sie ausgesucht und dann haben sie im Schlaf… Todesfluch.“ Er konnte nicht denken, in seinem Kopf herrschte heilloses Chaos und die Welt um ihn herum versank in Nebel und alles wozu er noch fähig war, war ein schwaches Wimmern. „Das war doch Befehl! Aber Weasley hab ich nicht…“
 

Lucius legte den Kopf schief und sah Draco prüfend an. „Draco… Snape hat Weasley nicht umgebracht und weder Weasley noch irgendeiner der anderen haben geschlafen. Sie wurden ins Hinterzimmer gebracht, gefesselt und dann geweckt!“
 

Draco fühlte sich wie ein Schlafwandler. Er schüttelte den Kopf und murmelte „Nein, nein… die haben geschlafen. Ganz sicher… die haben alle geschlafen! Und ich hab gar nichts mit Weasley…“
 

Lucius kam einen Schritt näher und Draco zuckte erschrocken zusammen, als er dessen Hände auf seinem Gesicht fühlte. Er zwang Draco, ihm in die Augen zu sehen. „Draco, das war nicht Snape. Das warst du! Du hast ihn und vier andere mit einem Blutadler hingerichtet und keiner hat geschlafen.“
 

Es war egal, dass seine Stimme jetzt wieder ruhig war und dass er ihn nicht mehr schüttelte, Draco hätte es wohl eh nicht mehr mitbekommen. „Nein… die… nein… und…“, ein Gedanke flammte in ihm auf, eine Idee, die sich wie ein Messerstich in sein ohnehin schon schmerzhaft pochendes Hirn bohrte. „Ich… ich hab nie…“ Er schüttelte den Kopf. „Das war alles immer ganz schnell vorbei und das hatte alles immer einen Grund. Das war befohlen worden und alles hatte einen Grund, nicht?“
 

Lucius sagte nichts mehr. Er ließ Draco los und hinderte ihn nicht, mit hochgezogenen Schultern aus dem Raum zu stolpern.
 

Draco taumelte aus dem Arbeitszimmer seines Vaters und setzte sich auf die untersten Stufen der Marmortreppe. Er schlang die Arme um sich und wiegte sich leicht. Er hatte nie irgendeine Frau… er wusste nichts von Kindern… und alles andere war befohlen worden. Er war ein guter Diener gewesen. Er hatte nur Befehle ausgeführt. Das hatte alles, alles einen Grund gehabt… und Weasley… da hatte sich Lucius geirrt. Er hatte mit Weasley überhaupt nichts gemacht. Und was ein Blutadler sein sollte, wusste er schon gar nicht.
 

Draco wusste nicht, wie lange er so da gesessen hatte, irgendwann zog ihn wohl jemand hoch und führte ihn in sein Schlafzimmer.
 

Xxx
 

Draco träumte in dieser Nacht vom Blutadler. Der Blutadler war nicht etwa eine besonders brutale Person, die von Voldemort oder der Gegenseite als Foltermeister angeworben war. Nein, der Blutadler war der Name einer Foltermethode. Er hatte davon in einem Buch über Wikinger gelesen und Voldemort gebeten, es selbst an einem Opfer ausprobieren zu dürfen. Draco erinnerte sich im Traum daran, dass manche Todesser wie die kleinen Kinder mit immer neuen Spielideen zu Voldemort kamen und diesem um Erlaubnis fragten, ihre neueste Fantasie ausleben zu dürfen.
 

Draco wusste das. Er hatte in letzter Zeit nur nicht so oft daran gedacht und war so selbst im Traum erstaunt, jetzt mit dieser Fertigkeit überrascht zu werden.
 

Draco sah sich selbst in einem mit allerlei Gerümpel vollgestellten Raum stehen. Um ihn herum standen kalkweiße, nackte Menschen. Sie waren nicht einfach blass, sie waren von Kopf bis Fuß und selbst an Haaren, Nägeln und Lippen so weiß, als hätte man sie mit Farbe eingepinselt. Ihre Augenhöhlen waren leer und bluteten. Rote Blutstropfen rannen über die Haut, so dass es aussah, als ob man Farbe auf einem Schnee verschüttet hätte.
 

Der Mann vor ihm war nicht weiß, sondern hatte eine normale Hautfarbe. Er lag auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht, so dass Draco sein Gesicht sehen konnte. Draco hielt ein Messer in der Hand. Ein Messer war ein vorzügliches Instrument, um Menschen zu foltern, da dies plumper als der Zauberstab war. Ein Zauberstab tötete schnell und präzise, wohingegen ein Messer stundenlange, befriedigende Arbeit bieten konnte.
 

Das hier würde dauern. Draco hatte das Opfer mit einem Fluch belegt, der die Blutung verlangsamte. Das hier sollte lange dauern. Ein weiterer Fluch lähmte ihn, hielt ihn jedoch auch gleichzeitig bei Bewusstsein. Dieser Mann war ein Verräter und es wäre nicht richtig, ihm die Qualen des Todes durch eine Ohnmacht zu erleichtern.
 

Dracos Messer drang in das Fleisch des Mannes ein. Das Opfer versuchte trotz des Knebels zu schreien, brachte jedoch nur ein ersticktes Krächzen heraus. Draco war gut mit dem Messer, ein wahrer Virtuose.

Die Augen des Mannes wurden riesengroß. Sein Körper erbebte vor Schmerz und wäre da nicht der Knebel in seinem Mund gewesen, hätte er sicher ohrenbetäubend gebrüllt.
 

Draco kümmerte sich nicht darum, sondern konzentrierte sich auf die von Snape vorgemachte Übung.
 

Es war kompliziert, den Rücken des Mannes zu öffnen und die Lunge zu fassen zu bekommen. Alles war so glitschig und dreckig. Seine Hände waren blutbesudelt, als er die Lunge aus dem Körper herauszog.
 

Der zuvor zitternde, bebende Körper war erlahmt, der Mann war tot. Draco besah sich sein Werk und war stolz.
 

Beim Anblick der applaudierenden, weißen Gesellschaft um ihn herum fuhr Draco mit lautem Schrei im Bett hoch. Er war klatschnass geschwitzt, zitterte am ganzen Leib und starrte in das fassungslose, ängstliche Gesicht Hermines, die ihn an den Schultern hielt und ihn allem Anschein nach durch heftiges Schütteln geweckt hatte.
 

Dunkelrotes Blut rann an ihr herab. Sie blutete in das Bett. Draco wich entsetzt zurück.

Hermine ließ von ihm ab, verengte besorgt die Augen und fragte „ Was ist denn los?“
 

Draco beugte sich zur Seite und erbrach sich über den Rand des Bettes. Als er sich den Mund wischte, sah er, dass er immer noch Blut an den Händen hatte. Draco sprang auf und taumelte so schnell er konnte ins Bad, um sich zu waschen.
 

Draco wusch sich lange und gründlich. So lange, bis Hermine ihn irgendwann wegzerrte und ihm sagte, dass es Zeit wäre, in die Klinik zu gehen. Normalerweise hätte das wieder zu Diskussionen und Streit geführt, da Draco die Notwendigkeit dort hinzugehen strikt verneinte, doch heute war er in Gedanken woanders.
 

Der Mann, der den Blutadler verpasst bekommen hatte, wer war das gewesen? Es schien wichtig und Draco kam nicht drauf. Er hatte es einige Male getan und nun wusste er nicht mehr, bei wem. Er grübelte und grübelte. Er hatte Weasley nichts getan. Garantiert nicht, aber dennoch konnte er das Gefühl nicht loswerden, dass er den Blutadler vielleicht doch an diesem Tag im Oktober zum ersten Mal gesehen hatte. Er selbst hatte das aber nicht getan, oder doch?

Draco aß nichts an diesem Morgen und achtete nicht auf die verwirrten Gesichter seiner Eltern, als er wieder und wieder seine wundgescheuerten Hände knetete. Sie waren ja immer noch schmutzig, auch wenn Hermine das nicht sehen konnte.
 

Draco war übel, er wollte nichts essen. Das Bild des Mannes ging ihm nicht aus dem Kopf. Draco sah, wie sich sein Onkel mit einem Messer rote Marmelade über den Toast strich. Dracos Magen rebellierte. Er sprang eilig auf, schaffte es jedoch nur bis zur Tür. Dann musste er sich übergeben, doch die Übelkeit blieb.

Ebenso wenig wie das glitschige Gefühl an seinen Fingern, die sich immer noch anfühlten, als würde warmes Blut pulsierend darüber fließen. Seine Hände klebten. Er würde sich nachher weiterwaschen müssen.
 

Hermine ließ das Erbrochene mit dem Zauberstab verschwinden und machte ihn sauber, während seine Eltern fassungslos vom Tisch her zu ihm hinüber starrten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Omama63
2012-07-06T15:40:06+00:00 06.07.2012 17:40
Ein super Kapitel.
Lucius hat Draco wohl wieder in die Realität zurück gebracht. Jetzt wird er erst mal alles wieder durchleben müssen, was er alles getan hat.
Also ich war auch der Meinung, dass Snape Ron getötet hat, so hast du es jedenfalls geschrieben. Das können aber auch nur Dracos Gedanken gewesen sein, die da geschrieben hast. Das weiß ich nicht mehr so genau. Das wird sich ja im nächsten Kapitel klären.
Hermine tut mir leid, aber ich beneide sie auch, denn ich hätte wahrscheinlich nicht so viel Geduld wie sie. Vorallem gegenüber Narzissa.
Lucius hat mir auch manschmal ganz schön leid getan. Wenn Draco so weiter macht, dann treibt er ihn wieder zur Alkoholsucht hin.


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